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„Holzbau ist keine Religion“
Der Standard

In der Architektur wird das Bauen mit Holz zunehmend ideologisiert: Holzbau super, alles andere pfui. Warum eigentlich? Ein holziges Nachdenkgespräch mit dem Vorarlberger Tischlermeister Markus Faißt.

18. Januar 2025 - Wojciech Czaja
In der Nachhaltigkeitsdebatte der letzten Jahre hat kein Thema so viele Emotionen hervorgebracht wie die Frage nach dem Baustoff. Zwischen Massivbau-Lobby und Holz-Aficionados ist eine Art Glaubenskrieg entstanden. Fragt sich nur: Warum fällt uns das Differenzieren so schwer? Und ist diese Entweder-oder-Diskussion überhaupt zielführend? Wir haben uns auf den Weg in den Bregenzerwald begeben, auf nach Hittisau, wo seit über drei Jahrzehnten Markus Faißt mit genau diesem emotionalisierenden Baustoff arbeitet. Ein Gespräch über Holz.

STANDARD: Ihre Adresse könnte kaum schöner klingen: Nussbaum 361. Ein Omen?

Faißt: Die schönste Adresse der Welt! Über dieses kleine Glück habe ich mich stets gefreut. Tatsächlich gab es hier in der Gegend früher mal viele Nussbäume.

STANDARD: Haben Sie ein Lieblingsholz?

Faißt: Mein Lieblingsholz ist ohne jeden Zweifel die Ulme, die hier zwar heimisch ist, aber aufgrund des Ulmensterbens leider immer seltener anzutreffen ist.

STANDARD: Warum gerade die Ulme?

Faißt: Kein anderes Holz ist so charakterstark wie die Ulme – mit vielen Farben, von einem zarten Beige über ein nussiges Rehbraun bis hin zu einem kernigen Graubraun, sehr warmen Nuancen, einer vielschichtigen, dynamischen, unregelmäßigen Ringzeichnung, mit vielen schönen Einschlüssen, noch dazu hart, robust, resilient.

STANDARD: Sie arbeiten mit Holz aus der Region?

Faißt: Ich verwende ausschließlich Holz aus dem Bregenzerwald. Im Winter geschlagen, abhängig von den Mondphasen, nach dem Schneiden jahrelang getrocknet und dann erst im Werk weiterverarbeitet. Für hochwertiges Holz benötigt man ein Jahr Trocknungszeit pro Zentimeter Brettstärke. Holzverarbeitung ist ein sehr langsames, langwieriges Geschäft – wie guter Parmesan, wie guter Prosciutto.

STANDARD: Warum soll das Holz im Winter geschlagen werden?

Faißt: Eine Baumfällung ist ein sehr aggressiver Akt. Im Winter sind das Holz und auch der ganze Wald in einer Art Winterschlaf: Die Vegetationskurve ist auf null runtergefahren, die oberste Schicht des Waldbodens ist trocken und im Idealfall gefroren, die Säfte im Stamm haben sich zurückgezogen, die Kapillargefäße sind verschlossen, die Rinde ist hart und robust. Auf diese Weise fügt man dem Wald als Biotop und dem Holz als geerntetes Produkt den geringsten Schaden zu.

STANDARD: Sie schlagen nach Mondphasen?

Faißt: Der Mond ist für mich in einer ziemlichen langen Kette verschiedener Faktoren ein Anteil, den ich mir angeeignet habe zu beachten. Das ist kein esoterischer Hokuspokus, sondern belegbare Erfahrungswissenschaft.

STANDARD: Von den Medien werden Sie oft als Holzpapst bezeichnet. Gefällt Ihnen die Zuschreibung?

Faißt: Ich weiß zu schätzen, dass die Worterfindung wahrscheinlich als Kompliment gedacht war, aber mir geht sie mittlerweile auf die Nerven. Fakt ist: Ich denke, handle und arbeite im Sinne einer ökologischen Nachhaltigkeit und regionalen Wertschöpfungskette – und das mitunter konsequent und kompromisslos, in einer krassen Diametralität jedenfalls zur industriellen Holzverarbeitung. Wenn diese Wertehaltung als päpstlich wahrgenommen wird, soll’s mir recht sein.

STANDARD: Diese Ideologie, die Ihnen immer wieder zugeschrieben wird, findet sich nun auch in der Architektur: Zwischen den puristischen Holzarchitekten und jenen, die in Hybridbauweise bauen und den Holzbau mit Stahl, Beton oder Ziegel kombinieren, ist ein Glaubenskrieg entstanden. Woher kommt dieser fast schon religiöse Fanatismus?

Faißt: Ja, das deckt sich auch mit meiner Beobachtung. Ich freue mich zwar immer, wenn ich von neuen Superlativen im Holzbau höre: das höchste Holzhochhaus! Das erste Holzhaus ganz ohne Beton! Oder die schnellste Baustelle dank Vorfertigung und Modulbauweise! Aber Superlative sind nichts für die breite Masse.

STANDARD: Sondern?

Faißt: Das sind tolle Projekte zum Ausprobieren, zum Experimentieren, zum Ausreizen der technischen, logistischen und ökologischen Grenzen – gerne mit Fehlern, Lernkurven und Entwicklungspotenzialen! Wir brauchen solche Denklabore! Wichtig, wichtig, wichtig! Aber wie jede Entwicklung, die in den Kinderschuhen, später im jugendlichen Sturm und Drang und schließlich in einer euphorischen, immer noch leicht naiven Adoleszenz steckt, müssen diese Experimente früher oder später wieder auf den Boden gebracht werden.

STANDARD: Worin äußert sich diese naive Adoleszenz?

Faißt: In der Polemik, die so polemisch ist wie die aktuelle Politik: Holz gut, Beton böse. Und nicht zuletzt im absoluten Irrglauben, dass man alles in Holz bauen muss.

STANDARD: Geht sich das überhaupt aus?

Faißt: Nein! Pro Jahr werden in Österreich rund 26 Millionen Festmeter Holz geerntet. Und das bei einem jährlichen Zuwachs von 29 Millionen Festmetern. Damit haben wir also noch elf Prozent Spielraum. Dann ist Schluss.

STANDARD: Laut Pro Holz Austria wird bereits ein Viertel der Baukubatur in Holz errichtet. Damit hat sich der Anteil innerhalb von 20 Jahren mehr als verdoppelt.

Faißt: Das freut mich zu hören. Nun sollten wir noch evaluieren, wo der Einsatz sinnvoll ist – und wo bloß dumm und dogmatisch.

STANDARD: Wo ist Holz sinnvoll?

Faißt: Erstens: überall dort, wo es verfügbar ist, bitte lokal und regional denken! Und zweitens: überall dort, wo das Holz möglichst lange im Primäreinsatz und danach hoffentlich nochmal so lange im Sekundäreinsatz ist – also in der Wiederverwendung, im Upcycling oder im Downcycling.

STANDARD: Was bedeutet „lange“ im Holzjargon?

Faißt: Wissen Sie, wie lange ein Baum wachsen musste, bis er gefällt werden kann? 80, 90, 100 Jahre! Mindestens so lange muss das Holz im Einsatz sein, um eine positive Bilanz zu erzielen. Überall dort, wo das Holz so exponiert, so ungeschützt und so unintelligent eingesetzt ist, dass man es nach 20 oder 30 Jahren schon wieder rausreißen muss, ist dies eine verantwortungslose Zerstörung dieser kostbaren Ressource. Darf ich mir was wünschen?

STANDARD: Bitte!

Faißt: Wir müssen endlich wegkommen von diesem ideologischen Wunschdenken. Holzbau ist keine Religion und keine Glaubensfrage. Wir brauchen dringend eine ökonomische Betrachtung, eine langfristige Bilanzierung, eine exakte, ehrliche Evaluation. Das ist der einzig gangbare Weg in die Zukunft.

STANDARD: Welche Trends sehen Sie auf uns zukommen?

Faißt: Auf konstruktiver Ebene wurde in den letzten Jahren schon viel experimentiert. Mit Erfolg. Die Belastbarkeit und Einsatzfähigkeit von Holz hat sich bei gleichzeitiger Reduktion von Gewicht, Volumen und Materialeinsatz seitdem deutlich reduziert. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft noch einige chemische Erfindungen und Optimierungen erleben werden. In Anbetracht eines intelligenten Ressourceneinsatzes kann ich das – selbst als traditioneller Tischlermeister – nur begrüßen.

STANDARD: Ich habe Sie zu Beginn nach Ihrem Lieblingsholz befragt. Gibt es denn auch ein Holz, das Sie ganz und gar nicht mögen?

Faißt: Lange Zeit hat Buche die Liste meine Antipathie angeführt. Ich habe immer gesagt: Buchenholz, das ist die Thujenhecke der Tischler.

STANDARD: Und jetzt?

Faißt: Buche ist bei Tischlern und Architektinnen seit Jahren schon so dermaßen uncool und unbeliebt, dass wir heute auf tausenden Tonnen unverkaufter Buche sitzen – und das, obwohl das Holz fest, robust, günstig und mit der entsprechenden Behandlung auch ästhetisch ist. Daher will ich an dieser Stelle eine Lanze für die Buche brechen. Ich will, dass wir die Buche wieder lieben lernen.

Markus Faißt (62) lebt und arbeitet in Hittisau im Bregenzerwald. Er machte eine Meisterausbildung zum Tischler und übernahm 1993 die Holzwerkstatt seines Vaters. Er verarbeitet ausschließlich unbehandeltes Vollholz aus den regionalen Wäldern. 2024 wurde er als Unternehmer des Jahres ausgezeichnet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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