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Denkmalschutz Wien: Das Arche-Noah-Syndrom
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Ein Bauwerk unter Denkmalschutz zu stellen braucht nicht mehr als einen einfachen Verwaltungsakt. Die Denkmalpflege kann dann Millionen kosten. Reflexionen über den Wert des Hässlichen.

3. Februar 2025 - Christian Kühn
Als Ende 2024 bekannt wurde, dass das Bundesamtsgebäude in der Radetzkystraße, ein Werk des Architekten Peter Czernin aus dem Jahr 1986, unter Denkmalschutz gestellt wurde, war die Überraschung unter Fachleuten groß. Dass es sich bei diesem Gebäude um eine Kuriosität ersten Ranges handelt, wird niemand bestreiten, der je in sein Inneres vorgedrungen ist. In der zentralen Verteilerhalle werden die Besucher von einer Skulptur von Anton Hanak begrüßt, einem schweren Bronzeguss, der auf einer Halbschale aus zarten Stahlrohren aufruht. Die Figur ist ein unfreiwilliger Torso, dem durch einen Kriegsschaden Kopf und Genitalien fehlen. Zum Trost leuchtet auf der Decke über der Figur ein elektrischer Sternenhimmel. Was die Planer auf die Idee brachte, genau diese Figur ins Zentrum ihres Werks zu setzen, bleibt ein Rätsel.

Dass die Hanak-Abgüsse überhaupt zum Einsatz kamen, ist eher ein Krimi: Anfangs war die Galerie Würthle beauftragt, das mit einem Prozent der Bausumme angesetzte „Kunst am Bau“-Programm mit zeitgenössischen Künstlern zu kuratieren. Am Ende blieb es bei acht weiteren, im Freien an der Radetzkystraße aufgestellten Hanak-Abgüssen und einer „Flammende Fahnen“ genannten Edelstahlskulptur von Gero Schwanberg, der bei vielen Projekten von Hans Hollein als Bildhauer mitgewirkt hatte. Die Skulptur schwebte ein paar Jahre bedrohlich über der Dachkante des Amtsgebäudes, bis sich in einem strengen Winter gefährliche Eiszapfen bildeten. Heute parkt sie zu ebener Erde auf einem Grünstreifen davor.

Assoziationen mit Wiener Militärbauten

Kurios ist auch die Fassadengestaltung. Die Ecktürme, in denen sich Fluchttreppen und Schächte befinden, sind mit blattförmigen Edelstahlkapitellen abgeschlossen und mit Sichtziegeln verkleidet, die Assoziationen mit Wiener Militärbauten wie der Rossauer Kaserne oder dem Arsenal herstellen sollen. Dazwischen wiederholt sich hundertfach ein Fassadenelement mit einem bunten Aufdruck, der aussieht, als wäre er in einem Volkshochschulkurs zum Thema „Malen mit Klimt“ entstanden. Man merkt, wie sehr die Architekten eine Prise Hundertwasser in ihr Projekt holen wollen, aber nicht aus ihrer Rasterlogik und funktionalistischen Endlosschleife herausfinden. Noch drastischer ist dieses Unvermögen im Inneren zu spüren, in dessen Korridoren man spätestens nach der dritten Wendung um 45 Grad jede Orientierung verloren hat, während sich an Wänden, Decken und Böden Stein- und Holzintarsien ausbreiten wie eine Hautkrankheit.

Wie, fragt man sich, kann so ein Machwerk zum Baudenkmal werden? Hat hier jemand Kuriosität mit Kunst verwechselt? Eines ist klar: Ein Baudenkmal muss nicht schön sein. Zum geschützten Bestand gehören nicht nur Barockschlösser, sondern auch brutalistische Bauten aus den 1960er-Jahren, die schon zur Bauzeit das ästhetische Empfinden ihrer Zeitgenossen herausforderten und das bis heute tun.

Denkmalschutz ist eine Wissenschaft, die mit eigener Terminologie und Methodik operiert, um den Denkmalwert eines Objekts zu bestimmen. Der große Theoretiker des Denkmalschutzes, Alois Riegl, unterschied zwischen Erinnerungs- und Gegenwartswerten. Zu Ersteren zählen der Alters- und der historische Wert, also die am Objekt erlebbaren Spuren der Geschichte einerseits und andererseits die Qualität, für eine historische Epoche Zeugnis abzulegen. Zu den Gegenwartswerten zählte Riegl den Gebrauchs- und den Kunstwert, also den ästhetischen Wert eines Objekts jenseits von Alter und Geschich­te. Riegl spricht hier von einem „relativen“ Kunstwert, der sich über die Zeit mit der kulturellen Entwicklung verändern kann.

Das Resultat: ein Freilichtmuseum

Einen Kunstwert würde ich dem Bundesamtsgebäude rigoros absprechen, und zwar mit einer einfachen Frage. Gibt es irgendetwas an dem Gebäude, das nachahmenswert ist und für das sich kein deutlich besseres Vorbild finden lässt? Wenn schon intensive Bezugnahme auf den Kontext, dann bitte die virtuose postmoderne Variante wie bei Hans Holleins Haas Haus und nicht die halb gare wie hier. Ob dem Gebäude ein historischer Wert zukommt, ist schwieriger zu beantworten. Es ist sicher repräsentativ für eine Epoche der Wiener Architektur, in der eine kleine Gruppe von Groß­architekten öffentliche Aufträge ergattern konnte, bei denen sie im großen Maßstab an der Verbindung von Postmoderne und Spätfunktionalimus gescheitert ist. Aber bedeutet ihr Verlust tatsächlich – wie im Denkmalschutzgesetz gefordert – eine „Beeinträchtigung des österreichischen Kulturgutbestands in seiner Gesamtheit“? Wohl kaum.

Dass solche Objekte trotzdem unter Denkmalschutz kommen, hat mit einer Tendenz zu tun, die ich das „Arche-Noah-Syndrom“ nennen möchte. Es steht für den Ansatz, unabhängig vom Kunstwert eine ausgewogene, alle Epochen möglichst gleichmäßige abdeckende Samm­lung von Objekten aufzubauen. Das Resultat ist ein Freilichtmuseum, in dem auch Objekte, die von einer Umgestaltung massiv profitieren könnten, unverändert bleiben müssen.

Kunst- und Gegenwartswert gleich null

Besondere Vorsicht ist bei großen Bauwerken geboten. Wer Dinosaurier in die Arche Noah lässt, muss mit Schlagseite rechnen, vor allem wenn sie aus der Nutzung gefallen sind. Während das Bundesamtsgebäude als Bürohaus noch voll funktionsfähig ist, stellt sich die Lage bei einem anderen Objekt, für das derzeit ein Unterschutzstellungsverfahren läuft, anders dar: das Forschungs- und Verwaltungszentrum der AUVA im 20. Bezirk von Kurt Hlaweniczka aus dem Jahr 1977. Das Gebäude, das seit seiner Errichtung mit technischen Problemen zu kämpfen hatte, steht seit fünf Jahren leer.

Die Kosten für eine Sanierung wären exorbitant hoch, was noch nicht per se gegen eine Unterschutzstellung spricht. Auf den ersten Bick ist das Gebäude ein guter Kandidat für ein Baudenkmal, bringt es doch ein wichtiges Kriterium mit: Monumentalität. Kratzt man an der Oberfläche, dreht sich jedoch das Bild. Die Hängekonstruktion? Eine leere Geste, aus der räumlich nichts gemacht wird. Ein seltenes Beispiel für Strukturalismus und Metabolismus? Eine oberflächliche Ähnlichkeit. In Wirklichkeit ist hier alles symmetrisch und starr. Wird dieses Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, ist mit einer Ruine im Freilichtmuseum zu rechnen, da nicht nur sein Kunst-, sondern auch sein Gebrauchswert gleich null ist. Die Einsicht, dass der österreichische Kulturgutbestand in seiner Gesamtheit den Verlust des AUVA-Gebäudes verschmerzen kann, muss nicht unbedingt den Totalabriss bedeuten. Innovation im Bestand braucht keinen Denkmalschutz.

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