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Ein Maler, Dichter und Stadtgestalter
Der Standard

Der chinesische Architekt Liu Jiakun erhält den Pritzker-Preis 2025.

5. März 2025 - Wojciech Czaja
Liu Jiakuns Mutter war Internistin, so wie die ganze Familie überwiegend aus Ärzten bestand. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte er daher in den Gängen des Second People’s Hospital in Chengdu, wo er sich im Umfeld des christlichen Medizininstituts, wie er selbst sagt, eine soziale und lebenskulturelle Toleranz aneignete. Diese kommt ihm nun zugute, denn der Architekt von Museen, Wohnbauten, Kulturzentren, Bürokomplexen, Parkanlagen und öffentlichen urbanen Stadträumen wird nun, wie am Dienstag bekanntgegeben wurde, mit dem diesjährigen Pritzker-Preis ausgezeichnet.

Liu Jiakun wurde 1956 in Chengdu in der zentralchinesischen Provinz Sichuan geboren. Er erwies sich als künstlerisch begabt, erkundete seine Welt durch Zeichnen und Literatur und träumte davon, eines Tages Maler oder Dichter zu werden. Mit 17 Jahren nahm er am staatlichen Zhiqing-Programm für gebildete Jugendliche teil, fünf Jahre später wurde er zum Architekturstudium an der Chongqing University zugelassen. „Mein größtes Talent damals war wahrscheinlich, vor nichts Angst zu haben, und dazu noch natürlich meine Mal- und Schreibfähigkeiten“, blickt der heute 68-Jährige zurück. „Wie in einem Traum wurde mir plötzlich klar, dass mein eigenes Leben wichtig war.“

Nach dem Studium arbeitete er zunächst für die Chengdu Architectural Design Academy und zog dann nach Tibet und Xinjiang, Westchina, wo er sich zehn Jahre lang dem Malen, Schreiben und Meditieren widmete. 1999 gründete er sein eigenes Architekturbüro in Chengdu mit heute rund 20 Mitarbeitern. Er spezialisiert sich darauf, traditionelle chinesische Architektur weiterzudenken, Geschichte mit Innovation zu verschränken, vor allem aber öffentliche Räume in dicht bebauten Ballungsräumen zu schaffen. Sein „West Village“ in Chengdu (2015) ist eine fünfstöckige Platzstruktur, die sich mit Stiegen, Rampen und gedeckten Freiräumen über einen ganzen Block erstreckt.

„Ich strebe immer danach, wie Wasser zu sein, ohne eine feste Form zu haben, und die lokale Umgebung zu durchdringen“, sagt er. „Mit der Zeit verfestigt sich das Wasser, verwandelt sich in Architektur – und vielleicht sogar in die höchste Form menschlicher spiritueller Schöpfung.“ Liu Jiakun ist der erst zweite Chinese, der den seit 1979 vergebenen, mit 100.000 US-Dollar dotierten „Nobelpreis der Architektur“ entgegennehmen wird.

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