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Tintenburg in der Käseglocke

Die postmoderne Architektur der 1980er-Jahre gerät nicht nur in Österreich ins Visier des Denkmalschutzes. Doch was an dieser ausufernd bunten und schwer greifbaren Ära ist wirklich schützenswert?
24. März 2025 - Maik Novotny
Diesen Schmäh, „lieber Andi“, sagte der scheidende Vizekanzler Werner Kogler zu seinem Nachfolger Andreas Babler, könne er sich nicht verkneifen. Er übergebe ihm mit seinem Amtssitz das „schiachste Gebäude von Wien“. Nicht wenige dürften da beipflichtend genickt haben. Das 1986 eröffnete, von Architekt Peter Czernin entworfene Amtsgebäude an der Radetzkystraße mit seiner Kombination aus Klinkerfassade und dunkelgrünen Ornamenten und seinen verwinkelten Ganglabyrinthen galt bisher nicht als architektonisches Glanzstück, sondern mit Spitznamen wie „Tintenburg“ und „ägyptisches Parkhaus“ bestenfalls als Kuriosum.
Seit 2024 ist dieses Kuriosum denkmalgeschützt, was einige Zeitgenossen fassungslos zurückließ, die sich noch gut an die Entstehungsgeschichte des Baus erinnern, der damals harsche Kritik erntete. Der Architekturkritiker Otto Kapfinger schrieb seinerzeit vom „entfesselten Mittelmaß“ und dem „Chaos an Materialien und Formen“ und konstatierte einen Widerspruch zwischen der demokratischen Intention und der trutzburghaften Baumasse mit ihren schlupflochartigen Eingängen. Hier wurden nicht nur 100.000 Quadratmeter Büroflächen in einen aus drei Achtecken zusammengesetzten Grundriss gepresst, sondern auch eine riesige Tiefgarage mit 700 Stellplätzen, ein Turnsaal, eine Sauna und eine Kegelbahn.
Mittelmaß mit Edelglasur
Für viele stand das enorm teure Gebäude (allein die Edelstahlskulptur auf dem Dach kostete 3,4 Millionen Schilling) für eine Ära parteipolitischer Günstlingswirtschaft, in der Architekten zu Großaufträgen kamen, die sich weniger durch Brillanz als durch leistungsfähige Büroinfrastrukturen und eine Nähe zur Macht auszeichneten. Und die Macht, das lässt sich bis heute parteiübergreifend immer wieder beobachten, schätzt als Auftragnehmer in der Tat das Mittelmaß, das verlässlich abliefert, ohne aufzubegehren. Das Bundesamtsgebäude mit seinem etwas verklemmten Bling-Bling-Luxus ist Mittelmaß mit Edelglasur, ein Bürokratiekraftwerk mit Künstlergestus, Sozialpartnerschafts-„Camp“.
Mitten ins achteckige Herz dieser verchromten Neonfinsternis lud Anfang März das Bundesdenkmalamt zum Fachgespräch „Postmoderne und Pluralismus“ und öffnete die Türen in jene bunte, formal wie finanziell verschwenderische Ära des „Anything goes“, die nun ins Visier des Denkmalschutzes gerät. Einige Bauten in Österreich stehen bereits unter der schützenden Käseglocke: Günther Domenigs wilde Sparkasse in Wien-Favoriten, einige Ladenlokale sowie die Volksschule Köhlergasse und (schon seit 2012) das Haas-Haus von Hans Hollein oder Rob Kriers geometrieverliebte Wohnanlage in Wien-Liesing. Einige weitere werden derzeit geprüft.
„Die Akzeptanz jüngerer Architektur ist oft eine Generationenfrage, und so ist es notwendig, deren Denkmalwert und Bedeutung von Zeit zu Zeit neu auszuhandeln“, erklärt Paul Mahringer, Abteilungsleiter Denkmalforschung am Bundesdenkmalamt. „Gleichzeitig wird die Halbwertszeit jüngerer Architektur immer kürzer, und damit wird auch die Zeit, zu entscheiden, welche Objekte erhalten bleiben sollen, knapper.“
Doch wuchtige Prestigebauten, spielerische Ironie, Marmororgien und die Wiederentdeckung des erzählerischen Potenzials der Vormoderne sind nicht die ganze Geschichte. Auch die Ökologiebewegung der 1970er-Jahre entfachte diese neue Liebe zur Stadtsubstanz nach der Tabula rasa der Nachkriegszeit, und die Synthese beider Strömungen kulminierte in ökologischen Prestigebauten wie dem Hundertwasserhaus, bei denen die Ökologie in postmodernen Anführungszeichen stand.
Schützende Hand
Über die Frage, wann die Postmoderne nun wirklich begann und wann sie endete, ließe sich bis ans Ende der Zeiten diskutieren, auch darüber, ob die technoide Hightech-Architektur dazugehört oder nicht. Helmut Richter, Architekt der 1994 fertiggestellten Schule am Kinkplatz in Wien-Penzing mit ihrer aufs Minimum reduzierten Substanz aus Glas und Stahl, hätte sich vermutlich mit Händen und Füßen gegen das P-Wort gewehrt. Unter Denkmalschutz steht sie seit vorigem Jahr ebenfalls. Es war nicht der einzige Fall, in dem die Unterschutzstellung einer drohenden Zerstörung zuvorkam.
Österreich ist keineswegs das einzige Land, in dem eine schützende Hand um die Bauten der Postmoderne gelegt wird. Im März 2022 widmete sich eine Fachtagung in Weimar demselben Thema, die Ergebnisse füllen ein stattliches Buch. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten großer Bautätigkeit handele es sich hierbei um einen eher kleinen Bestand, so der Tenor, doch stünden Sanierung oder Abriss an, brauche es fachliche Gegenargumente. Man sollte sich also beeilen.
So wie die Hansestadt Hamburg, deren Denkmalschutzamt seit 2020 Objekte aus den Jahren zwischen 1975 bis 1995 systematisch inventarisiert, oder das Vereinigte Königreich, wo die zuständige Institution Historic England im Jahr 2018 gleich 17 postmoderne Bauten unter Schutz stellte, darunter mehrere Wohnbauten, den so augenzwinkernden wie präzise maßgeschneiderten Sainsbury Wing der National Gallery von Robert Venturi und Denise Scott-Brown oder die Judge Business School in Cambridge von John Outram, eine kunterbunte Kombination von Kathedrale und Kindergeburtstag.
Reichlich Material (und eine weiter Alternative zur Datierung von Anfang und Ende der Ära) lieferte vor einem Jahr die Ausstellung „Alles auf einmal: Die Postmoderne 1967 – 1992“ in der Bundeskunsthalle Bonn, die dieses widerspenstige und widersprüchliche Kapitel als gesamtkulturelles und gesellschaftliches Phänomen einzufassen versuchte: Design, Architektur, Kino, Pop, Philosophie, Kunst, Literatur.
Gesetzlicher Auftrag des Denkmalschutzes ist es, Objekte von „geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“ zu bewahren. Die Postmoderne mit ihren seltenen, mit kulturellen Referenzen aufgeladenen und oft kontroversen Einzelstücken aus einer Zeitperiode des fast sorglosen Wohlstands erfüllt diese Kriterien spielend. Doch eines sollte dabei nicht ganz unter den Tisch fallen: die tatsächliche Qualität der Architektur. Wie schon die Denkmalschutzdiskussionen um den Beton-Brutalismus, den nicht minder kontroversen Vorgänger der Postmoderne, zeigen, erkennen jüngere Generationen diese Qualität manchmal deutlicher als ihre Vorgänger. Vielleicht auch schon Andreas Babler in seinem ministeriellen Arbeitsalltag.
Seit 2024 ist dieses Kuriosum denkmalgeschützt, was einige Zeitgenossen fassungslos zurückließ, die sich noch gut an die Entstehungsgeschichte des Baus erinnern, der damals harsche Kritik erntete. Der Architekturkritiker Otto Kapfinger schrieb seinerzeit vom „entfesselten Mittelmaß“ und dem „Chaos an Materialien und Formen“ und konstatierte einen Widerspruch zwischen der demokratischen Intention und der trutzburghaften Baumasse mit ihren schlupflochartigen Eingängen. Hier wurden nicht nur 100.000 Quadratmeter Büroflächen in einen aus drei Achtecken zusammengesetzten Grundriss gepresst, sondern auch eine riesige Tiefgarage mit 700 Stellplätzen, ein Turnsaal, eine Sauna und eine Kegelbahn.
Mittelmaß mit Edelglasur
Für viele stand das enorm teure Gebäude (allein die Edelstahlskulptur auf dem Dach kostete 3,4 Millionen Schilling) für eine Ära parteipolitischer Günstlingswirtschaft, in der Architekten zu Großaufträgen kamen, die sich weniger durch Brillanz als durch leistungsfähige Büroinfrastrukturen und eine Nähe zur Macht auszeichneten. Und die Macht, das lässt sich bis heute parteiübergreifend immer wieder beobachten, schätzt als Auftragnehmer in der Tat das Mittelmaß, das verlässlich abliefert, ohne aufzubegehren. Das Bundesamtsgebäude mit seinem etwas verklemmten Bling-Bling-Luxus ist Mittelmaß mit Edelglasur, ein Bürokratiekraftwerk mit Künstlergestus, Sozialpartnerschafts-„Camp“.
Mitten ins achteckige Herz dieser verchromten Neonfinsternis lud Anfang März das Bundesdenkmalamt zum Fachgespräch „Postmoderne und Pluralismus“ und öffnete die Türen in jene bunte, formal wie finanziell verschwenderische Ära des „Anything goes“, die nun ins Visier des Denkmalschutzes gerät. Einige Bauten in Österreich stehen bereits unter der schützenden Käseglocke: Günther Domenigs wilde Sparkasse in Wien-Favoriten, einige Ladenlokale sowie die Volksschule Köhlergasse und (schon seit 2012) das Haas-Haus von Hans Hollein oder Rob Kriers geometrieverliebte Wohnanlage in Wien-Liesing. Einige weitere werden derzeit geprüft.
„Die Akzeptanz jüngerer Architektur ist oft eine Generationenfrage, und so ist es notwendig, deren Denkmalwert und Bedeutung von Zeit zu Zeit neu auszuhandeln“, erklärt Paul Mahringer, Abteilungsleiter Denkmalforschung am Bundesdenkmalamt. „Gleichzeitig wird die Halbwertszeit jüngerer Architektur immer kürzer, und damit wird auch die Zeit, zu entscheiden, welche Objekte erhalten bleiben sollen, knapper.“
Doch wuchtige Prestigebauten, spielerische Ironie, Marmororgien und die Wiederentdeckung des erzählerischen Potenzials der Vormoderne sind nicht die ganze Geschichte. Auch die Ökologiebewegung der 1970er-Jahre entfachte diese neue Liebe zur Stadtsubstanz nach der Tabula rasa der Nachkriegszeit, und die Synthese beider Strömungen kulminierte in ökologischen Prestigebauten wie dem Hundertwasserhaus, bei denen die Ökologie in postmodernen Anführungszeichen stand.
Schützende Hand
Über die Frage, wann die Postmoderne nun wirklich begann und wann sie endete, ließe sich bis ans Ende der Zeiten diskutieren, auch darüber, ob die technoide Hightech-Architektur dazugehört oder nicht. Helmut Richter, Architekt der 1994 fertiggestellten Schule am Kinkplatz in Wien-Penzing mit ihrer aufs Minimum reduzierten Substanz aus Glas und Stahl, hätte sich vermutlich mit Händen und Füßen gegen das P-Wort gewehrt. Unter Denkmalschutz steht sie seit vorigem Jahr ebenfalls. Es war nicht der einzige Fall, in dem die Unterschutzstellung einer drohenden Zerstörung zuvorkam.
Österreich ist keineswegs das einzige Land, in dem eine schützende Hand um die Bauten der Postmoderne gelegt wird. Im März 2022 widmete sich eine Fachtagung in Weimar demselben Thema, die Ergebnisse füllen ein stattliches Buch. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten großer Bautätigkeit handele es sich hierbei um einen eher kleinen Bestand, so der Tenor, doch stünden Sanierung oder Abriss an, brauche es fachliche Gegenargumente. Man sollte sich also beeilen.
So wie die Hansestadt Hamburg, deren Denkmalschutzamt seit 2020 Objekte aus den Jahren zwischen 1975 bis 1995 systematisch inventarisiert, oder das Vereinigte Königreich, wo die zuständige Institution Historic England im Jahr 2018 gleich 17 postmoderne Bauten unter Schutz stellte, darunter mehrere Wohnbauten, den so augenzwinkernden wie präzise maßgeschneiderten Sainsbury Wing der National Gallery von Robert Venturi und Denise Scott-Brown oder die Judge Business School in Cambridge von John Outram, eine kunterbunte Kombination von Kathedrale und Kindergeburtstag.
Reichlich Material (und eine weiter Alternative zur Datierung von Anfang und Ende der Ära) lieferte vor einem Jahr die Ausstellung „Alles auf einmal: Die Postmoderne 1967 – 1992“ in der Bundeskunsthalle Bonn, die dieses widerspenstige und widersprüchliche Kapitel als gesamtkulturelles und gesellschaftliches Phänomen einzufassen versuchte: Design, Architektur, Kino, Pop, Philosophie, Kunst, Literatur.
Gesetzlicher Auftrag des Denkmalschutzes ist es, Objekte von „geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“ zu bewahren. Die Postmoderne mit ihren seltenen, mit kulturellen Referenzen aufgeladenen und oft kontroversen Einzelstücken aus einer Zeitperiode des fast sorglosen Wohlstands erfüllt diese Kriterien spielend. Doch eines sollte dabei nicht ganz unter den Tisch fallen: die tatsächliche Qualität der Architektur. Wie schon die Denkmalschutzdiskussionen um den Beton-Brutalismus, den nicht minder kontroversen Vorgänger der Postmoderne, zeigen, erkennen jüngere Generationen diese Qualität manchmal deutlicher als ihre Vorgänger. Vielleicht auch schon Andreas Babler in seinem ministeriellen Arbeitsalltag.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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