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Kistenspiel zwischen Containern
Der Standard

Auf dem letzten Landzipfel des Hafens von Rotterdam wurde vor wenigen Tagen das Portlantis eröffnet. Das neue Besucherzentrum und Museum gewährt neugierige Einblicke in die Welt der Frachtenschiffe.

29. März 2025 - Wojciech Czaja
Die Kinder stehen mit plattgedrückten Nasen an der Fensterscheibe. Im Prinses-Amalia-Hafen – keine zehn Gehminuten entfernt, wenn nicht die internationale Zollgrenze dazwischenläge – wird gerade die 400 Meter lange Hamburg Express, das Flaggschiff der Reederei Hapag-Lloyd, beladen. Rund 9000 Container werden per Kran bis zu zwölf Stock hoch aufs Deck gestapelt. Die Aussicht ist gigantisch, und wer von den bunten, über dem Wasser schwebenden Stahlkisten von HMM, Maersk und Yang Ming nicht genug kriegt, der kann sich mit dem großen Monitor, verbunden über eine Livekamera auf der Dachterrasse, noch näher heranzoomen.

„Wenn man ein Museum im größten Hafen Europas baut“, sagt Winy Maas, Partner im Rotterdamer Architekturbüro MVRDV, „dann darf man nicht außer Acht lassen, dass das größte und wichtigste Exponat der gesamten Ausstellung der Hafen selbst ist. Also wollten wir in jedem Geschoß das Geschehen über ein breites Panoramafenster in den Raum hereinholen.“ Je nach Etage blickt man mal auf die Hafenbecken, mal auf die Sanddünen, mal aufs weite Meer hinaus, wo die Hamburg Express in wenigen Stunden, sobald sie abgelegt hat, hinter dem Horizont verschwunden sein wird.

Das Besucherzentrum Portlantis, das letzte Woche feierlich eröffnet wurde, ist die jüngste und vielleicht sogar ungewöhnlichste Sehenswürdigkeit Rotterdams. Die im Zweiten Weltkrieg fast flächendeckend zerstörte Großstadt hat sich nach den Bombardierungen der deutschen Luftwaffe zum Ziel gesetzt, nicht dem Alten nachzuweinen wie viele andere Städte mit ähnlichem Schicksal, sondern nach dem Neuen zu streben und sich von da an kontinuierlich neu zu erfinden – mit neuen Museen, neuen Hochhäusern und neuen Experimenten wie etwa Markthallen, Recyclingarchitektur oder schwimmenden Bauernhöfen.

Das wichtigste Bau- und Infrastrukturprojekt jedoch ist die Erweiterung des Hafens, der mit einem jährlichen Umschlag von 13,5 Millionen Tonnen längst an die Grenzen seiner Belastbarkeit gestoßen ist. Unter dem Titel Maasvlakte 2 wurden in den letzten 15 Jahren 2000 Hektar Land angeschüttet und auf diese Weise neue Anlegestellen, Logistikhallen und Öl- und Gasspeicher geschaffen. Um Besuchern einen Blick hinter die Kulissen des Hafenalltags zu bieten, hat sich die Hafenbehörde dazu entschieden, auf dem neu geschaffenen Landzipfel, 45 Kilometer von der Rotterdamer Innenstadt entfernt, ein Museum und Infozentrum zu errichten.

„Mit dem neuen Portlantis ermöglichen wir, den Rotterdamer Hafen aus allernächster Nähe kennenzulernen“, sagt Boudewijn Siemons, CEO der Port of Rotterdam Authority. „Wir schauen uns den Hafen aus unterschiedlichen Perspektiven an und werfen in der Ausstellung einen Blick auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Letzteres ist essenziell, denn der globale Schiffsverkehr verursacht enorme Emissionen – und die müssen wir dringend reduzieren.“ Nicht zuletzt verstehe sich das Besucherzentrum mit seinen lustigen, interaktiven, überaus informativen Stationen, so Siemons, als Recruitingmaschine für die Hafenarbeiter von morgen.

Architektonische Wow-Effekte

Noch plastischer formuliert es der Architekt selbst. Er bezeichnet das 29 Meter hohe Portlantis mit seinen fünf geschoßweise verdrehten Kisten als „Blickfang, als Leuchtturm der Logistik, aber auch als eine Art Wachturm, der dazu aufrufen soll, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen und sich die Frage zu stellen, wie der individuelle Lebenskomfort den internationalen Warenverkehr beeinflusst. Wenn man in einer Handelsmetropole wie Rotterdam lebt, an so einem wichtigen Tor zur Welt“, so Maas, „dann darf man die Augen nicht verschließen.“

Dass selbige ganz groß bleiben, voll mit Staunen und architektonischen Wow-Effekten, dafür hat MVRDV – ganz in der Tradition des Büros – natürlich entsprechend vorgesorgt. Im Kontrast zu den matten, patinierten, oftmals angerosteten Schiffscontainern rundherum handelt es sich beim Portlantis um einen Stahlbau mit glattem, poliertem, hochglänzendem Aluminium. Ein knallrotes, weithin sichtbares Erschließungsband mit Treppen und Podesten, die sich bis auf die öffentlich begehbare Dachterrasse hochziehen, verleiht dem Gebäude eine surreale Erscheinung. Je nach Himmel, Wetter und Sonnenstand scheint man in manchen Momenten vor einem Rendering zu stehen.

Im Inneren des Hauses dann die große Überraschung: Bei rund 40 Prozent der Primär- und Sekundärkonstruktion handelt es sich um Recycling, genauer gesagt um wiederverwendete Stahlbauteile, die innerhalb des Rotterdamer Hafens bislang anderweitig im Einsatz waren – als Kran, als Lagerhalle, als temporäres Nebengebäude. Um diese inneren Werte zu zelebrieren, wurde die gesamte Stahlkonstruktion aus Rundstützen und Flanschträgern sichtbar belassen und in unterschiedlichen Grautönen gestrichen.

Umso besser kommt die Szenografie und Ausstellungsarchitektur von Kossmann Dejong zur Geltung. Die Labore, Infoscreens und interaktiven Rauminstallationen sind in fröhlichen, lebensbunten Farben gestaltet und animieren zur Benützung, bei der auch Mütter, Väter, Lehrerinnen, Architekten und Journalistinnen zum Kind werden. Highlight sind die 13 knallgelben Skulpturen, metaphorische Objekte für Hafen und Schifffahrt, die sich im fünfstöckigen Atrium an durchsichtigen Nylonschnüren auf und ab bewegen.

Das Portlantis (Investitionskosten 30 Millionen Euro) ist ein schönes, nachahmenswertes Beispiel dafür, dass sich städtischer Tourismus nicht immer nur auf Kirchen, Konzerte und alte Meister beschränken muss. Mit einem Blick hinter die Kulissen urbaner Infrastruktur können auch ganz andere Neugierden befriedigt werden. Erwartet werden 150.000 Besucher pro Jahr.

Compliance-Hinweis: Die Besichtigung des Portlantis erfolgte im Rahmen einer Pressereise. Der Autor war Gast von Rotterdam Partners.

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