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Es grünt so grün

Ein Drittel der Wiener Bevölkerung sei mit Grünraum in der Nachbarschaft „stark unterversorgt“, sagt der Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner. Seine Idee: autofreie Straßenparks.
4. April 2025 - Julia Beirer
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat große Pläne für die französische Hauptstadt. Wie DER STANDARD berichtete, will sie Diesel- und Benzinmotoren bis 2030 komplett aus der Stadt verbannen. Auf dem Weg dorthin hat sie bereits Schnellstraßen entlang der Seine zu Flanierzonen gemacht, den Stadtkern zur autofreien Zone erklärt und das Radwegnetz ausgebaut.
Vergangenen Sonntag konnten Stimmberechtigte über einen weiteren Vorschlag der sozialistischen Bürgermeisterin abstimmen. Die Idee: 500 Straßen autofrei machen und zu Gartenstraßen (französisch „rues-jardin“) umgestalten. Konkret soll jedes Quartier sechs derartige Wohnstraßen erhalten und keine Bewohnerin und kein Bewohner der Stadt weiter als 300 Meter von einer solchen begrünten Straße entfernt leben. Das Projekt wurde angenommen.
Geht es nach Hidalgo, soll Paris zur klimafitten „Gartenstadt“ werden. Ein Konzept, das den beiden Forschern Ulrich Leth und Jürgen Furchtlehner wohlbekannt ist. Leth forscht im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien, Furchtlehner am Institut für Landschaftsarchitektur der Boku Wien. Was wäre, wenn eine derartige Befragung in Wien stattfinden und den Plänen zugestimmt würde? Welche Bezirke und welche Straßen würden autofrei und begrünt? Dieses Gedankenexperiment haben die beiden durchgespielt.
Wiener Gartenstraßen
500 Straßen autofrei zu machen sollte in Wien „leicht gehen“, sagt Ulrich Leth. „Das wären rund 22 Straßen pro Bezirk.“ In Wien gibt es aktuell 6947 Straßen, deren Fläche rund 41 Quadratkilometer umfasst.
Wichtig ist allerdings, was als Straße definiert wird. Ist es etwa die gesamte Länge einer Straße, die denselben Straßennamen trägt, oder ist es ein Straßenabschnitt zwischen zwei Häuserblocks? Letzteres ist in Wien der Fall, erklärt Leth: „Das bedeutet, dass bereits ein Abschnitt zwischen zwei querenden Straßen zur Gartenstraße umgewandelt werden könnte.“
Gartenstraße ist auch die Bezeichnung der Stadt Wien für eine verkehrsberuhigte und begrünte Verkehrszone, die auch im Stadtentwicklungsplan 2035 vorgesehen ist. Dies seien „flächig entsiegelte, intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum, vorrangig in dichtbebauten Gebieten“, hieß es bei einer Pressekonferenz der Stadt Anfang März.
Doch zurück zum Gedankenexperiment, 500 Straßen in Wien autofrei zu gestalten: Betroffen wären wohl vor allem Straßen im sogenannten unterrangigen Straßennetz, sprich Nebenstraßen in Wohngebieten, sagt Leth.
Diese Straßen könnten als Gartenstraßen vom Durchzugsverkehr befreit werden, wobei eine Zufahrt laut dem Verkehrsforscher immer möglich bleiben wird, „weil auch Einsatzfahrzeuge alle Orte erreichen müssen“. Große Verkehrsachsen oder Hauptstraßen würden nicht zu Gartenstraßen, ist Leth überzeugt.
Doch wo würden die Forscher anfangen? Leth würde zunächst einen Blick auf die Hitzekarte Wiens werfen, um herauszufinden, in welchen Grätzeln besonders rascher Handlungsbedarf besteht.
Die „mit Grünraum stark unterversorgten Stadtteile“ sind in Wien laut Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner bereits gut erfasst: Sie erstrecken sich über Teile des vierten, fünften, sechsten und siebenten Bezirks und weiter über den 15., 16., 17. und 18. Bezirk.
Diese Bezirke würde Furchtlehner „sofort und flächendeckend“ angehen und „Straßenabschnitte als langgestreckte Parks gestalten“. Als unterversorgt gelten Haushalte, die weiter als 250 Meter von Grünraum entfernt sind, erklärt Furchtlehner. In Wien betreffe das ein Drittel der Bevölkerung und damit rund 700.000 Menschen. „Wenn der Klimawandel in den kommenden 20 oder 30 Jahren spürbar einschlägt, werden Grünflächen in der Nachbarschaft ausschlaggebend für die Lebensqualität und die Gesundheit der Stadtbevölkerung sein“, sagt er. Umso wichtiger sei es schon jetzt, „Nachbarschaftsgrün“ und Erholungsräume zu schaffen.
Zusammenhängende Wege aus Parks und begrünten Straßen können allerdings nur geschaffen werden, wenn es eine übergeordnete Strategie gebe. „Hier ein kleiner Park und drei Jahre später eine kurze begrünte Straße bringt wenig“, sagt der Landschaftsarchitekt.
Als nächsten Schritt würde Furchtlehner ausgehend von Kindergärten und Schulen „grüne Netzwerke durch die Stadt ziehen“. An diesen Orten würden sich viele vulnerable Personen aufhalten.
Möglich seien Gartenstraßen in diesen Bereichen, weil die begrünten Straßen nicht ganz abgeschottet seien, sagt Furchtlehner. „In den begrünten Straßen gibt es nach wie vor Mobilität, auch die Rettung oder Müllabfuhr kann wenn nötig zufahren.“
Um einen klimatischen Effekt zu erzielen und die Umgebungstemperatur zu senken, müssen Grünflächen laut Furchtlehner mindestens einen Hektar umfassen. Da dies kein Quadrat sein müsse, sondern in die Länge gezogen werden könne, würden sich Straßen als langgezogene Parks – Furchtlehner spricht von Straßenparks – gut eignen. Dadurch ließe sich viel zusammenhängender Grünraum in den Bestand bringen.
Furchtlehner empfiehlt zudem, große Teile der Straße etwa mit Pflastersteinen, Stauden- oder Gräserbeeten zu entsiegeln. Aktuell seien nahezu 100 Prozent des Straßenraums mit Asphalt versiegelt. Dadurch fließe das gesamte Regenwasser in den Kanal, anstatt Pflanzen zur Verfügung gestellt zu werden.
Für eine Umgestaltung müssten Straßen oft gar nicht extra auf- und umgerissen werden, ist Furchtlehner überzeugt. Wenn Umbauarbeiten ohnehin stattfänden, weil etwa wie auf der Gumpendorfer Straße im sechsten Bezirk Leitungen erneuert würden, sei das eine gute Gelegenheit, auch die Oberfläche zu verbessern. Dort sollen künftig mehr Bäume und weniger Autos zu finden sein, außerdem soll es mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger geben.
Parkplätze weg
Wichtig ist Furchtlehner zu betonen, dass es nicht darum gehe, die Mobilität einzuschränken. In Wien gebe es vor allem in den inneren Stadtbezirken ein gutes öffentliches Netz, und auch die Radwege würden laufend ausgebaut. „Die Hoffnung ist, dass weniger Menschen abhängig vom Auto sind“, sagt Furchtlehner. Laut Statistik Austria gibt es in Wien aktuell 363 Pkws pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner.
In Paris könnten den Gartenstraßen bis zu 10.000 Parkplätze weichen müssen. Dass gerade Parkplätze häufig zum Politikum werden, beobachtet auch Verkehrsforscher Leth. In Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern habe er oft gehört, dass diese verärgerte E-Mails bekämen, wenn Parkplätze wegfielen. „Das ist aber nicht repräsentativ für die Bevölkerung“, sagt er, „denn diejenigen, die davon profitieren, schreiben keine Dankesmail an die Bezirksvorstehung.“
Vergangenen Sonntag konnten Stimmberechtigte über einen weiteren Vorschlag der sozialistischen Bürgermeisterin abstimmen. Die Idee: 500 Straßen autofrei machen und zu Gartenstraßen (französisch „rues-jardin“) umgestalten. Konkret soll jedes Quartier sechs derartige Wohnstraßen erhalten und keine Bewohnerin und kein Bewohner der Stadt weiter als 300 Meter von einer solchen begrünten Straße entfernt leben. Das Projekt wurde angenommen.
Geht es nach Hidalgo, soll Paris zur klimafitten „Gartenstadt“ werden. Ein Konzept, das den beiden Forschern Ulrich Leth und Jürgen Furchtlehner wohlbekannt ist. Leth forscht im Bereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien, Furchtlehner am Institut für Landschaftsarchitektur der Boku Wien. Was wäre, wenn eine derartige Befragung in Wien stattfinden und den Plänen zugestimmt würde? Welche Bezirke und welche Straßen würden autofrei und begrünt? Dieses Gedankenexperiment haben die beiden durchgespielt.
Wiener Gartenstraßen
500 Straßen autofrei zu machen sollte in Wien „leicht gehen“, sagt Ulrich Leth. „Das wären rund 22 Straßen pro Bezirk.“ In Wien gibt es aktuell 6947 Straßen, deren Fläche rund 41 Quadratkilometer umfasst.
Wichtig ist allerdings, was als Straße definiert wird. Ist es etwa die gesamte Länge einer Straße, die denselben Straßennamen trägt, oder ist es ein Straßenabschnitt zwischen zwei Häuserblocks? Letzteres ist in Wien der Fall, erklärt Leth: „Das bedeutet, dass bereits ein Abschnitt zwischen zwei querenden Straßen zur Gartenstraße umgewandelt werden könnte.“
Gartenstraße ist auch die Bezeichnung der Stadt Wien für eine verkehrsberuhigte und begrünte Verkehrszone, die auch im Stadtentwicklungsplan 2035 vorgesehen ist. Dies seien „flächig entsiegelte, intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche im Straßenraum, vorrangig in dichtbebauten Gebieten“, hieß es bei einer Pressekonferenz der Stadt Anfang März.
Doch zurück zum Gedankenexperiment, 500 Straßen in Wien autofrei zu gestalten: Betroffen wären wohl vor allem Straßen im sogenannten unterrangigen Straßennetz, sprich Nebenstraßen in Wohngebieten, sagt Leth.
Diese Straßen könnten als Gartenstraßen vom Durchzugsverkehr befreit werden, wobei eine Zufahrt laut dem Verkehrsforscher immer möglich bleiben wird, „weil auch Einsatzfahrzeuge alle Orte erreichen müssen“. Große Verkehrsachsen oder Hauptstraßen würden nicht zu Gartenstraßen, ist Leth überzeugt.
Doch wo würden die Forscher anfangen? Leth würde zunächst einen Blick auf die Hitzekarte Wiens werfen, um herauszufinden, in welchen Grätzeln besonders rascher Handlungsbedarf besteht.
Die „mit Grünraum stark unterversorgten Stadtteile“ sind in Wien laut Landschaftsarchitekt Jürgen Furchtlehner bereits gut erfasst: Sie erstrecken sich über Teile des vierten, fünften, sechsten und siebenten Bezirks und weiter über den 15., 16., 17. und 18. Bezirk.
Diese Bezirke würde Furchtlehner „sofort und flächendeckend“ angehen und „Straßenabschnitte als langgestreckte Parks gestalten“. Als unterversorgt gelten Haushalte, die weiter als 250 Meter von Grünraum entfernt sind, erklärt Furchtlehner. In Wien betreffe das ein Drittel der Bevölkerung und damit rund 700.000 Menschen. „Wenn der Klimawandel in den kommenden 20 oder 30 Jahren spürbar einschlägt, werden Grünflächen in der Nachbarschaft ausschlaggebend für die Lebensqualität und die Gesundheit der Stadtbevölkerung sein“, sagt er. Umso wichtiger sei es schon jetzt, „Nachbarschaftsgrün“ und Erholungsräume zu schaffen.
Zusammenhängende Wege aus Parks und begrünten Straßen können allerdings nur geschaffen werden, wenn es eine übergeordnete Strategie gebe. „Hier ein kleiner Park und drei Jahre später eine kurze begrünte Straße bringt wenig“, sagt der Landschaftsarchitekt.
Als nächsten Schritt würde Furchtlehner ausgehend von Kindergärten und Schulen „grüne Netzwerke durch die Stadt ziehen“. An diesen Orten würden sich viele vulnerable Personen aufhalten.
Möglich seien Gartenstraßen in diesen Bereichen, weil die begrünten Straßen nicht ganz abgeschottet seien, sagt Furchtlehner. „In den begrünten Straßen gibt es nach wie vor Mobilität, auch die Rettung oder Müllabfuhr kann wenn nötig zufahren.“
Um einen klimatischen Effekt zu erzielen und die Umgebungstemperatur zu senken, müssen Grünflächen laut Furchtlehner mindestens einen Hektar umfassen. Da dies kein Quadrat sein müsse, sondern in die Länge gezogen werden könne, würden sich Straßen als langgezogene Parks – Furchtlehner spricht von Straßenparks – gut eignen. Dadurch ließe sich viel zusammenhängender Grünraum in den Bestand bringen.
Furchtlehner empfiehlt zudem, große Teile der Straße etwa mit Pflastersteinen, Stauden- oder Gräserbeeten zu entsiegeln. Aktuell seien nahezu 100 Prozent des Straßenraums mit Asphalt versiegelt. Dadurch fließe das gesamte Regenwasser in den Kanal, anstatt Pflanzen zur Verfügung gestellt zu werden.
Für eine Umgestaltung müssten Straßen oft gar nicht extra auf- und umgerissen werden, ist Furchtlehner überzeugt. Wenn Umbauarbeiten ohnehin stattfänden, weil etwa wie auf der Gumpendorfer Straße im sechsten Bezirk Leitungen erneuert würden, sei das eine gute Gelegenheit, auch die Oberfläche zu verbessern. Dort sollen künftig mehr Bäume und weniger Autos zu finden sein, außerdem soll es mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger geben.
Parkplätze weg
Wichtig ist Furchtlehner zu betonen, dass es nicht darum gehe, die Mobilität einzuschränken. In Wien gebe es vor allem in den inneren Stadtbezirken ein gutes öffentliches Netz, und auch die Radwege würden laufend ausgebaut. „Die Hoffnung ist, dass weniger Menschen abhängig vom Auto sind“, sagt Furchtlehner. Laut Statistik Austria gibt es in Wien aktuell 363 Pkws pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner.
In Paris könnten den Gartenstraßen bis zu 10.000 Parkplätze weichen müssen. Dass gerade Parkplätze häufig zum Politikum werden, beobachtet auch Verkehrsforscher Leth. In Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern habe er oft gehört, dass diese verärgerte E-Mails bekämen, wenn Parkplätze wegfielen. „Das ist aber nicht repräsentativ für die Bevölkerung“, sagt er, „denn diejenigen, die davon profitieren, schreiben keine Dankesmail an die Bezirksvorstehung.“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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