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Lukrative Luft

Die Danube Flats, Österreichs höchstes Wohnhaus, sind fertig. Bewohner und Investoren freuen sich, aber was hat die Öffentlichkeit gewonnen? Wer gehört zur „Low-Rise-Class“, wer gehört zur „High-Rise-Class“? Wer muss draußen bleiben?
5. April 2025 - Maik Novotny
Windschutzwand Nord“ lautet der offizielle Name der wuchtigen Scheibe aus Glas und Stahl, die sich in den engen Raum zwischen Supermarkt und Reichsbrücke zwängt. Sie steht hier aus gutem Grund, denn die Donauplatte ist wohl einer der windigsten Orte Wiens. Das musste schon Dominique Perrault feststellen, dessen DC1-Tower nachträglich mit schweren Metallschirmen umringt wurde, damit man zum Eingang gelangen kann, ohne davonzufliegen.
Solche Unbill hat man bei den benachbarten Danube Flats vermieden, mit 180 Metern das höchste Wohnhaus Österreichs. Es wurde dem Hochhaus Neue Donau vor die Nase gesetzt, das Harry Seidler so elegant an den Brückenkopf der Reichsbrücke platziert hatte. Aber auch die von den Investoren S+B-Gruppe und Soravia entwickelten Danube Flats mit ihren gestapelten karibikweißen Balkonen sind mit ihrem schwungvollen Kurven nicht unelegant.
Viel geschrieben und viel gestritten wurde über dieses Projekt, das in diesen Tagen den letzten Schliff vor der Fertigstellung erhält. Es begann 2012 mit einem geladenen Wettbewerb, den das von Andreas Schmitzer und Maria Planegger geleitete Büro A01 Architekten gewann. Dass es sich bei Letzterer um die Zwillingsschwester von Erwin Soravia handelt, wurde damals mit Stirnrunzeln bedacht, aber bald wieder gnädig verschwiegen.
Die Bewohner des Seidler-Towers wiederum protestierten, dass man ihnen ihre Immobilie mit unverbaubarem Weitblick verkauft hatte, der nun blockiert ist. Dass für die Danube Flats ein Cineplexx aus der Ära der schnell gescheiterten Megakinos geopfert wurde, bedauerten wenige. Dass die im Flächenwidmungsplan zulässigen 26 Meter Höhe sich künftig versechsfachen würden, schon mehr. Als Ausgleich wurde erstmals ein städtebaulicher Vertrag zwischen Stadt und Investor geschlossen, in dem Letzterer sich zu Gegenleistungen verpflichtete.
Klassenfrage im Lift
Heute sind 481 von 509 Wohnungen bezogen, das Hotel in den unteren Geschoßen eröffnete diese Woche, hier und da wird noch letzte Hand angelegt. Matthias Stanek, Projektleiter bei der S+B-Gruppe, führt von unten nach oben durchs Haus. Es beginnt in einem für die Donauplatte typischen Gewirr von Rampen, wo sich die Zufahrten zur Donauuferautobahn A22 und jene zu den kombinierten Tiefgaragen von Seidler-Turm und Danube Flats verschlingen. Wer hier auf Anhieb zur Kiss+Ride-Zone auf Ebene –1 findet, hat keine kleine Navigationsleistung vollbracht.
Es ist nicht der größte unterirdische Aufwand, der hier betrieben wurde. „Die Reichsbrücke musste unterfangen werden, damit sie sich durch das Gewicht des Turms nicht zur Seite neigt“, erklärt Stanek. Zudem steht der Bau teilweise auf der Überplattung der A22, auf der nur vier Geschoße zulässig waren, das fünfte kragt als statischer „Rucksack“ vom Turm darüber aus. Die Fuge zwischen beiden Teilen verläuft mitten durch die etwas beengt wirkende Hotelrezeption und die Member’s Lounge, die sich Hotelgäste und Bewohner teilen dürfen, Pool und Sauna inklusive.
Zwei Aufzugsgruppen führen nach oben, und man realisiert, dass auch im Hochpreissegment nicht alle Menschen gleich sind: Die langsamen Lifte bedienen die „Low-Rise-Class“ bis Etage 27, die schnelleren mit 7,9 Meter pro Sekunde die „High-Rise-Class“ darüber. Im Gemeinschaftsraum „Cook+Chill“ in radikal neutralem Ambiente in der zwölften Etage dürfen die unteren Schichten kochen und feiern, die anderen haben exklusiven Zugang zur gediegenen Executive Lounge auf Ebene 32. Doch nicht nur vertikal, auch horizontal gibt es Klassenunterschiede. Der Stephansdom- und Schneebergblick auf der Donauseite ist deutlich teurer, wer es günstiger haben will, schaut nach Kagran. Quadratmeterpreise: rund 10.000 bis 16.000 Euro.
Wind auf Ebene 36
Etage 36, 250-Quadratmeter-Wohnung. Hier schwingt der Balkon südseitig weiter aus als alle anderen, und der Blick entlang der Donau bis Bratislava ist zweifellos sensationell. Luftig ist es allerdings auch. Ein kleiner Busch in seinem Pflanztrog wird heftig vom Wind geschüttelt. Die in den Renderings großzügig wuchernde Begrünung kann man sich nur schwer vorstellen. „Wir hatten hier schon 160 Stundenkilometer Wind“, berichtet Mathias Stanek. Bei 83 km/h fahren die Raffstores vor den Fenstern automatisch ein. Etage 46 bis 48, vier Penthouse-Wohnungen mit eigenem Lift. Hier ist auch vom Seidler-Turm nur noch ein rot-weiß gestreiftes dünnes Zumpferl zu sehen, wenn man leicht nach unten schaut.
Die Investoren haben nun also eine exklusive Waterfront-Property mit guter Renditeerwartung im Portfolio. Was hat Wien dafür bekommen? Im städtebaulichen Vertrag, inzwischen öffentlich einsehbar, verpflichteten sich die Investoren zur Finanzierung einer Volksschule und eines Kindergartens, zur Einhausung der A22-Rampen, zur Gestaltung des Donauufers – die durchaus hochwertig umgesetzt wurde – und zur Bereitstellung von 40 Smart-Wohnungen. Zehn davon wurden im niedrigen Bauteil zwei untergebracht, für die übrigen 30 sucht man gemeinsam mit der Einrichtung Neunerhaus noch einen geeigneten Ort. „Die Gespräche laufen derzeit noch“, heißt es seitens Neunerhaus auf STANDARD-Anfrage.
Zehn Millionen Euro umfassen diese Gegenleistungen an die Allgemeinheit. Gemessen an heutigen Kaufpreisen der Gegenwert von rund zwei Prozent der Nettonutzfläche. Ist das eine angemessene Abgeltung für eine Umwidmung von öffentlicher Luft in private Baumasse? Die kommunistischen Anwandlungen unverdächtige Schweiz verlangt Investoren mit dem 1980 eingeführten sogenannten Mehrwertausgleich deutlich mehr ab. Das Schweizer Bundesgesetz setzt ihn mit mindestens 20 Prozent des Mehrwerts fest, in vielen Kantonen ist es weit mehr. In Basel, das in den letzten Jahren einige neue Hochhäuser verzeichnete, sind es 50 Prozent, zu zahlen bei Baubeginn. Rechtsstreitigkeiten gibt es hier praktisch keine, das Instrument wird allgemein akzeptiert. In Wien gab es die erste Reihe fußfrei an der Donau als Schnäppchen. Ein Stück Himmel wurde gekauft, die Sichtachsen Richtung Schneeberg und Stephansdom wurden veredelt. Lukrative Luft ist zu Betongold geworden.
Solche Unbill hat man bei den benachbarten Danube Flats vermieden, mit 180 Metern das höchste Wohnhaus Österreichs. Es wurde dem Hochhaus Neue Donau vor die Nase gesetzt, das Harry Seidler so elegant an den Brückenkopf der Reichsbrücke platziert hatte. Aber auch die von den Investoren S+B-Gruppe und Soravia entwickelten Danube Flats mit ihren gestapelten karibikweißen Balkonen sind mit ihrem schwungvollen Kurven nicht unelegant.
Viel geschrieben und viel gestritten wurde über dieses Projekt, das in diesen Tagen den letzten Schliff vor der Fertigstellung erhält. Es begann 2012 mit einem geladenen Wettbewerb, den das von Andreas Schmitzer und Maria Planegger geleitete Büro A01 Architekten gewann. Dass es sich bei Letzterer um die Zwillingsschwester von Erwin Soravia handelt, wurde damals mit Stirnrunzeln bedacht, aber bald wieder gnädig verschwiegen.
Die Bewohner des Seidler-Towers wiederum protestierten, dass man ihnen ihre Immobilie mit unverbaubarem Weitblick verkauft hatte, der nun blockiert ist. Dass für die Danube Flats ein Cineplexx aus der Ära der schnell gescheiterten Megakinos geopfert wurde, bedauerten wenige. Dass die im Flächenwidmungsplan zulässigen 26 Meter Höhe sich künftig versechsfachen würden, schon mehr. Als Ausgleich wurde erstmals ein städtebaulicher Vertrag zwischen Stadt und Investor geschlossen, in dem Letzterer sich zu Gegenleistungen verpflichtete.
Klassenfrage im Lift
Heute sind 481 von 509 Wohnungen bezogen, das Hotel in den unteren Geschoßen eröffnete diese Woche, hier und da wird noch letzte Hand angelegt. Matthias Stanek, Projektleiter bei der S+B-Gruppe, führt von unten nach oben durchs Haus. Es beginnt in einem für die Donauplatte typischen Gewirr von Rampen, wo sich die Zufahrten zur Donauuferautobahn A22 und jene zu den kombinierten Tiefgaragen von Seidler-Turm und Danube Flats verschlingen. Wer hier auf Anhieb zur Kiss+Ride-Zone auf Ebene –1 findet, hat keine kleine Navigationsleistung vollbracht.
Es ist nicht der größte unterirdische Aufwand, der hier betrieben wurde. „Die Reichsbrücke musste unterfangen werden, damit sie sich durch das Gewicht des Turms nicht zur Seite neigt“, erklärt Stanek. Zudem steht der Bau teilweise auf der Überplattung der A22, auf der nur vier Geschoße zulässig waren, das fünfte kragt als statischer „Rucksack“ vom Turm darüber aus. Die Fuge zwischen beiden Teilen verläuft mitten durch die etwas beengt wirkende Hotelrezeption und die Member’s Lounge, die sich Hotelgäste und Bewohner teilen dürfen, Pool und Sauna inklusive.
Zwei Aufzugsgruppen führen nach oben, und man realisiert, dass auch im Hochpreissegment nicht alle Menschen gleich sind: Die langsamen Lifte bedienen die „Low-Rise-Class“ bis Etage 27, die schnelleren mit 7,9 Meter pro Sekunde die „High-Rise-Class“ darüber. Im Gemeinschaftsraum „Cook+Chill“ in radikal neutralem Ambiente in der zwölften Etage dürfen die unteren Schichten kochen und feiern, die anderen haben exklusiven Zugang zur gediegenen Executive Lounge auf Ebene 32. Doch nicht nur vertikal, auch horizontal gibt es Klassenunterschiede. Der Stephansdom- und Schneebergblick auf der Donauseite ist deutlich teurer, wer es günstiger haben will, schaut nach Kagran. Quadratmeterpreise: rund 10.000 bis 16.000 Euro.
Wind auf Ebene 36
Etage 36, 250-Quadratmeter-Wohnung. Hier schwingt der Balkon südseitig weiter aus als alle anderen, und der Blick entlang der Donau bis Bratislava ist zweifellos sensationell. Luftig ist es allerdings auch. Ein kleiner Busch in seinem Pflanztrog wird heftig vom Wind geschüttelt. Die in den Renderings großzügig wuchernde Begrünung kann man sich nur schwer vorstellen. „Wir hatten hier schon 160 Stundenkilometer Wind“, berichtet Mathias Stanek. Bei 83 km/h fahren die Raffstores vor den Fenstern automatisch ein. Etage 46 bis 48, vier Penthouse-Wohnungen mit eigenem Lift. Hier ist auch vom Seidler-Turm nur noch ein rot-weiß gestreiftes dünnes Zumpferl zu sehen, wenn man leicht nach unten schaut.
Die Investoren haben nun also eine exklusive Waterfront-Property mit guter Renditeerwartung im Portfolio. Was hat Wien dafür bekommen? Im städtebaulichen Vertrag, inzwischen öffentlich einsehbar, verpflichteten sich die Investoren zur Finanzierung einer Volksschule und eines Kindergartens, zur Einhausung der A22-Rampen, zur Gestaltung des Donauufers – die durchaus hochwertig umgesetzt wurde – und zur Bereitstellung von 40 Smart-Wohnungen. Zehn davon wurden im niedrigen Bauteil zwei untergebracht, für die übrigen 30 sucht man gemeinsam mit der Einrichtung Neunerhaus noch einen geeigneten Ort. „Die Gespräche laufen derzeit noch“, heißt es seitens Neunerhaus auf STANDARD-Anfrage.
Zehn Millionen Euro umfassen diese Gegenleistungen an die Allgemeinheit. Gemessen an heutigen Kaufpreisen der Gegenwert von rund zwei Prozent der Nettonutzfläche. Ist das eine angemessene Abgeltung für eine Umwidmung von öffentlicher Luft in private Baumasse? Die kommunistischen Anwandlungen unverdächtige Schweiz verlangt Investoren mit dem 1980 eingeführten sogenannten Mehrwertausgleich deutlich mehr ab. Das Schweizer Bundesgesetz setzt ihn mit mindestens 20 Prozent des Mehrwerts fest, in vielen Kantonen ist es weit mehr. In Basel, das in den letzten Jahren einige neue Hochhäuser verzeichnete, sind es 50 Prozent, zu zahlen bei Baubeginn. Rechtsstreitigkeiten gibt es hier praktisch keine, das Instrument wird allgemein akzeptiert. In Wien gab es die erste Reihe fußfrei an der Donau als Schnäppchen. Ein Stück Himmel wurde gekauft, die Sichtachsen Richtung Schneeberg und Stephansdom wurden veredelt. Lukrative Luft ist zu Betongold geworden.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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