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Stefan Bendiks – Mehr Platz fürs Rad
Stefan Bendiks – Mehr Platz fürs Rad, Foto: Anne Isopp

Artgineering ist ein Planungsbüro an der Schnittstelle von Verkehrs-, Stadt- und Landschaftsplanung, das Stefan Bendiks und Aglaée Degros 2001 gründeten. Seitdem beschäftigen sie sich mit der Transformation des öffentlichen Raums weg vom Autoverkehr hin zur aktiven Mobilität. Sie gestalteten öffentliche Räume in den Niederlanden und Belgien und waren federführend am Masterplan für die Radoffensive 2030 der Stadt Graz beteiligt, der derzeit Schritt für Schritt umgesetzt wird. Im Gespräch erzählt Stefan Bendiks, warum Verkehrsraum immer auch öffentlicher Raum ist und warum seine Transformation eine völlig neue Denk- und Herangehensweise erfordert. Das Gespräch ist in voller Länge im Podcast Morgenbau anzuhören.

5. März 2024 - Anne Isopp
„Wir beschäftigen uns seit über zehn Jahren mit dem Thema Radverkehr. Die Sensibilisierung dafür ist essenziell für die Qualität des urbanen Umfelds. Für die Stadt Graz haben wir den Masterplan für die Radoffensive Graz 2030 mitentwickelt. Die Radoffensive wurde noch in der Zeit des ehemaligen Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl gestartet. Das ist ein spannendes Projekt, für das die Stadt Graz gemeinsam mit dem Land Steiermark 100 Millionen Euro für zehn Jahre bereitgestellt hat.
Es gab bereits eine Radnetzstudie, die wir in ein Routennetz mit Hauptrouten übersetzt haben. Und jetzt geht es schrittweise in die Umsetzung. Im Zuge der Realisierung gibt es natürlich größere Widerstände. Die Frage ist immer: Wo nimmt man den Raum für die neuen Radrouten her? Gerade in Graz ist das eine große Herausforderung. Jeder, der Graz kennt, weiß, dass die Einfallstraßen oft sehr schmal sind, sogar zu schmal für nur eine Modalität, also nur fürs Autofahren. Und da soll auch noch ein Radweg dazukommen. Wir haben oft nach alternativen Wegen suchen und Kompromisse finden müssen. Denn es hat natürlich wenig Sinn, wenn die Hauptradroute nicht dort verläuft, wo Kindergarten, Schule und Supermarkt auf dem Weg liegen. Massive Widerstände gibt es vor allem dort, wo wir durch das Wegnehmen von Parkplätzen versuchen, Raum zu schaffen.
Im Masterplan haben wir klar das Ziel formuliert, dass wir nicht dem ÖPNV oder den Fußgängern Platz wegnehmen wollen zugunsten des Radverkehrs, sondern wenn dann eher dem Auto. Das kann natürlich auch kritisiert werden. Warum gerade dem Auto? Wir argumentieren dann, dass dem motorisierten Individualverkehr in den letzten fünfzig Jahren unverhältnismäßig viel Raum zugeteilt wurde. Hier müssen wir ein neues Gleichgewicht finden. Die Politik spricht sogar von der Umkehrung der Verkehrspyramide. Dieser Fachbegriff besagt, dass Fußverkehr, Radverkehr und der öffentliche Verkehr das Fundament bilden. Erst dann kommt der Autoverkehr. Man sollte also den Basismodalitäten, dem Zu-Fuß-gehen, Radfahren und dem ÖPNV mehr Raum geben.

Wir haben vor ein paar Jahren ein Handbuch für die Transformation des öffentlichen Raums herausgegeben. Es nennt sich „Traffic space is public space“. Wir müssen uns wieder bewusst werden, dass jede Verkehrsfläche per definitionem öffentlich ist. Verkehrsraum ist öffentlicher Raum. Und die Nutzung dieses Verkehrsraums müssen wir neu denken, nicht mehr nur vom Auto her. Da geht es gar nicht nur um den Radverkehr, sondern auch um den Fußverkehr, um Verweilräume ebenso wie um ökologische Aspekte. Wir müssen viel mehr Flächen entsiegeln, mehr Bäume und mehr Grünflächen in die Stadt bringen. Auch dafür brauchen wir Platz. Im Verkehrsraum sehen wir dafür das meiste Potenzial. Doch das Auto hat nach wie vor eine starke Lobby. Wir müssen unsere öffentlichen Räume anders wahrnehmen und anders planen. Das stellt alles bisher Gekannte auf den Kopf und erfordert von uns neue Denk- und Herangehensweisen.“

Stefan Bendiks und Aglaée Degros führen das Büro Artgineering mit Bürostandorten in Brüssel und Graz. An der TU Graz ist Aglaée Degros zudem Professorin für Städtebau. Artgineering arbeitet an der Schnittstelle von Verkehrs-, Stadt- und Landschaftsplanung. Für die Stadt Graz entwickelte das Büro den Masterplan für die Radoffensive 2030, der derzeit schrittweise umgesetzt wird. 2019 gaben Stefan Bendiks und Aglaée Degros ein Handbuch zur Transformation mit dem Titel „Traffic space is public space“ heraus.
»nextroom fragt« Architekt:innen, Bauherr:innen und Expert:innen. Die Gesprächsreihe zum nachhaltigen Bauen wird konzipiert und betreut von Anne Isopp. Im Gespräch werden unterschiedliche Dimensionen des nachhaltigen Bauens eingefangen, auf konkrete Bauten Bezug genommen und individuelle Sichtweisen abgefragt. Einige der Gespräche sind als Podcast auf morgenbau.at zu hören.

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