Bauwerk

MAM Bürohaus Wien
Gerhard Lindner - Wien (A) - 2001

So schließt man Baulücken

Was für städtische Wohnhäuser gilt, gilt selbstredend auch für Bürohäuser: daß sie energietechnisch sparsam geplant und errichtet werden können. Gerhard Lindner liefert dafür in Wien-Ottakring einen technisch wie gestalterisch ansprechenden Beleg.

9. Juni 2001 - Walter Zschokke
Vor mehr als zehn Jahren überlegten sich offizielle Stellen noch ernsthaft, auf die Verlängerung der U3 nach Ottakring und ihre Verknüpfung mit der Schnellbahn zu verzichten, weil man das Entwicklungspotential als zu gering einstufte. Doch es kam der Fall des Eisernen Vorhangs, und in der Folge wurden die Chancen im Nahbereich der Station Ottakring von der öffentlichen Hand genutzt. Private Investoren blieben nicht untätig, und so gibt es im weiteren Umfeld einige Baustellen.

Die mittlere Körnung der Parzellenstruktur kommt einer funktional durchmischten Erneuerung der überalterten Stadtsubstanz entgegen. Wenn größere Areale neu bebaut werden, dauert es in der Regel einige Jahre, bis sich der Stadtorganismus eingespielt hat. Das Schließen einer Baulücke ist hingegen ein selbstverständlicher Vorgang im Alltag eines Stadtquartiers.

An der Lorenz-Mandl-Gasse sah es noch vor wenigen Jahren hinsichtlich Arbeitsplätzen wenig hoffnungsvoll aus. Leerstehende und bloß temporär genutzte ehemalige Produktionsstätten mit ungepflegten Fassaden steckten zwischen den großen Wohnanlagen. Mittlerweile hat sich eine bunte Mischung neuer Nutzungen - meist im Altbestand - angesiedelt. Der nächste Schritt, der Beginn baulicher Erneuerung, war nur eine Frage der Zeit. So lud der Projektentwickler Bene-Consulting vor zwei Jahren mehrere Architekten ein, ein Gutachten über ein etwa 650 Quadratmeter zählendes Grundstück abzugeben. Ein bestehender Hofflügel sollte erhalten bleiben, möglichst viele Garagenplätze sollten geschaffen und der Neubau für optimale Büronutzung vorgesehen werden. Alles unter marktwirtschaftlichen Kriterien, versteht sich. Mit einem durchrationalisierten Konzept, das die späteren Betriebskosten und jenen Anteil am Betriebsklima einbezog, der von der baulichen Gestaltung beeinflußbar ist, entschied der in Baden bei Wien domizilierte Architekt Gerhard Lindner den Wettbewerb für sich. Den Ausschlag gab das ökonomisch kluge Gesamtkonzept, das eine architektonisch sorgfältige Umsetzung versprach.

Es gehört zur Ironie der Flächenwidmung, daß der sicherste Erhalt von Hofeinbauten in einem Verbot und der Belegung der Hofflächen mit einem kleinen „g“ besteht, was „gärtnerische Gestaltung“ heißt. Der nicht unansehnliche zweigeschoßige Hofflügel mit immerhin 350 Quadratmetern Nutzfläche wurde daher komplett mit der Tiefgarage unterfangen und die Hoffläche sowie das erneuerte Dach des Altbaus mit einer kräftigen Humusschicht überzogen und begrünt.

Für den Straßentrakt schlugen die Entwerfer, Architekt Lindner und Projektleiter Thomas Vielnascher, eine Stahlkonstruktion mit vorgehängter Fassade vor, um Bauzeit zu sparen. Die Vertikalerschließungen wie Treppe, Lift und Lüftungsschächte kamen zur Feuermauer beim Anschluß an den Hofflügel zu liegen, die Sanitärräume nebst weiteren Schächten an der anderen Feuermauer. Und weil ein Leichtbau energetisch so seine Probleme haben kann, wurden Decken aus Betonhohldielen vorgesehen, die als Speicher- und Ausgleichsmasse im Wechsel von Tag und Nacht sowie Sommer und Winter dienen. Dies vor allem deshalb, weil über ein unter der Tiefgarage liegendes Erdregister - Kunststoffrohre, die von angesaugter Luft durchströmt werden - die Frischluft, vorgekühlt oder vorgewärmt, nach einem gefinkelten System die Deckenhohlräume durchfließt. Im Sommer können die Decken nachts abgekühlt und die Arbeitsbedingungen positiv beeinflußt werden. Im Winter wird die zur Stützlüftung benötigte Luft im Erdregister vortemperiert und über einen Fernwärmeanschluß auf das gewünschte Raumklima abgestimmt.

Alle diese Teile des Gesamtkonzepts sind rational nachvollziehbar, bilden somit die ingenieurwissenschaftlichen Komponenten des Entwurfs, die nun mit den Überlegungen zu Erscheinung und Gestalt des Bauwerks in ein architektonisches Gesamtkonzept integriert werden mußten.

Selbstverständlich legte der Architekt diese ingenieurtechnischen Komponenten bis in die Details mit Fachleuten fest, besonders ihre potentiellen Auswirkungen auf die Architektur. Als Tragwerksplaner wirkte das Büro Gmeiner/Haferl, die energetische Gebäudesimulation betreute Patrick Jung. Seit alters weist der Architektenberuf eine nicht unwesentliche Ingenieurkomponente auf, die allerdings kaum weniger Kreativität erfordert, nur etwas mehr Disziplin. Kosten lassen sich nämlich nur mit kreativen Überlegungen einsparen, genau rechnen kann der Computer.

Architektonisch ging es um die gestalterische Einfügung in den Bestand und eine angenehme Raumstimmung im Inneren. Im Erdgeschoß, das weder für Büro- noch für Wohnnutzung sehr günstig ist, wurden Zugang, Einfahrt und Serviceräume zu einem dunkel gefärbten Sockel zusammengefaßt. Denn an Geschäfte war an dieser Stelle nicht zu denken. Darüber steigt die Fassade mit niedrigen, vorgehängten Betonelementen und eingesetzten Fenstern in Holz-Metall-Bauweise auf. Die Teilung und Gliederung in hochformatige Flächen bezieht sich auf Proportionen, die sich an benachbarten Gründerzeithäusern finden. Der Versatz der Ordnung von Geschoß zu Geschoß hat neben feuerpolizeilichen Vor- schriften seine Gründe gewiß auch in aktuellen Strömungen, die sich auf die fünfziger und sechziger Jahre beziehen. Und die gewählten Farben erinnern ebenfalls ein wenig an diese Zeit. Neu ist dagegen die Interpretation des Dachgesimses als tiefliegendes Fensterband, durch das man aus dem Dachgeschoß auf die Straße hinunter zu sehen vermag.

Die vor den Geschoßdecken abgehängten Putzstege dienen auch der Beschattung, weisen aber zugleich eine prinzipielle Verwandtschaft mit den Fensterverdachungen nebenan auf. Denn ein in die Tiefe gegliedertes Fassadenrelief wirkt anders als eine glatte Glaswand.

Im Inneren wurden nach vorgegebenem Büroraster von 1,30 Meter Modulmaß nichttragende Wände versetzt. Glasscheiben in Holzrahmen und farbige Paneele schaffen eine weiträumige Atmosphäre. Fenster zum Öffnen entsprechen den Mitarbeiterbedürfnissen, die etwa bei Hochhäusern unerfüllbar bleiben müssen. Am Hofflügel erweist sich die erfahrene Hand Lindners, der einige feinfühlige denkmalpflegerische Arbeiten vorweisen kann, im Umgang mit wenig spektakulärer Altsubstanz, was für die ansprechende architektonische Gesamtstimmung nicht unwesentlich ist. - Wenn bloß mehr Baulücken in dieser Qualität geschlossen würden!

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