Bauwerk

Wohnüberbauung
Shigeru Ban Architects - Tokyo (J) - 1997
Wohnüberbauung, Foto: Hirai photo
Wohnüberbauung, Foto: Hirai photo
Wohnüberbauung, Foto: Hirai photo
Wohnüberbauung, Foto: Hirai photo

Wald im Haus

Bäume spielen oft eine wichtige Rolle im Gestaltungsprozess von Architekten.

1. Juni 2001 - Roderick Hönig
Bäume spielen oft eine wichtige Rolle im Gestaltungsprozess von Architekten. Wenn immer möglich, wird heute der Baumbestand auf einem Grundstück in den Entwurf eines Hauses mit einbezogen. Diese inszenierte Allianz zwischen Baum und Bauwerk sehen Architekten gerne als einen ihrer Beiträge zum Thema Natur und Künstlichkeit. Meister der Inszenierung von künstlicher Natur sind die Japaner. Ihre jahrhundertealte Tradition der Gartengestaltung und die Blumensteckkunst Ikebana zeugen davon, und heute spielt in Japan der Umgang mit der Natur eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Umwelt.

Beim Entwurf von elf Wohnungen im noblen Tokioter Wohnquartier Setagaya-ku war denn auch wichtigste Prämisse die Erhaltung der 27 zufällig verteilten Bäume auf dem rund 1000 Quadratmeter grossen Grundstück. Da es keine passende und genügend grosse Baufläche auf der Parzelle gab, die nicht von einem Baum besetzt war, musste der japanische Architekt Shigeru Ban die Luxusapartments um den Baumbestand herum planen. Er entwarf also nicht ein Haus im Wald, sondern holte den Wald ins Haus.

Zweite wichtige Vorgabe waren die beschränkten Mittel, die er zur Verfügung hatte. Zwar kann der international bekannte Baumeister etliche Luxusvillen in seiner eindrucksvollen Werkliste vorzeigen, der 44-Jährige hat sich aber vor allem im Westen auch einen Namen mit innovativen und kostengünstigen Papier- und Kartonkonstruktionen gemacht. Mit seinen «Paper Tube Structures» - mit wasserfestem Papier überzogene Kartonröhrenbauten - hat er die japanische Bautradition auf einzigartige Weise weiterentwickelt. Bans grosse Stunde schlug, als er 1996 zahlreichen Erdbebenopfern in Kobe mit günstigen sowie schnell montierbaren Kartonhäuschen ein erstes Dach über dem Kopf schuf. Auch in Europa hat sein Büro solche faszinierende Papier- und Kartonkonstruktionen realisiert. Man rief Ban auch zu den Opfern des letzten grossen Erdbebens in der Türkei, und er entwarf für Hilfswerke neue Zelttypen für die Flüchtlingsströme aus Rwanda. Und letztes Jahr konnte er für sein Land den vielfach publizierten japanischen Pavillon an der Weltausstellung Expo in Hannover realisieren.

Da die Baupolizei in Tokio wegen der Brandgefahr nur eingeschossige Holz- oder Papierbauten erlaubt, musste sich der Architekt in Setagaya-ku für ein anderes Tragsystem entscheiden. Das tat Ban nicht mit Widerwillen, denn es ist nicht das Material, das ihn in erster Linie interessiert, sondern die Struktur eines Bauwerks. Er wählte dafür einen mit Zementplatten ausgefachten Stahlbau. Die Schwierigkeit lag im Finden eines passenden Grundrissrasters. Denn hätte der Architekt wegen des unregelmässigen Baumbestandes auch ein unregelmässiges und damit aus Sonderanfertigungen bestehendes Stahlgerüst gewählt, hätte das die Kosten erhöht. Nur mit vorgefertigten Standardprofilen liessen sich Zeit und Geld sparen. Doch kein Gerüst aus regelmässigen quadratischen Einheiten wollte so richtig zwischen die Bäume passen. Die Lösung bot schliesslich ein zwar regelmässiger, aber auf gleichseitigen Dreiecken mit vier Metern Seitenlänge basierender Raster. Dieser Grundrissraster erlaubte ein grosszügiges und fast ortsunabhängiges Aushöhlen des Baukörpers mit ovalen Licht- und Baumhöfen.

Um das Wurzelwerk nicht zu beschädigen, setzte der Architekt sein Haus auf Stützen und liess das Erdgeschoss fast unbebaut. Unter dem Haus herrscht eine ungewohnte Stimmung, etwas zwischen Vorgarten und Wald. Von den Blättern der Bäume grünlich gefärbtes Licht fällt durch die sieben mit Glasbausteinen verkleideten Höfe. Das Spiel mit den Begriffen Natur und Künstlichkeit greift: Stahlsäulen und Baumstämme werden zu einem Wald. Darin führen ausgetretene Pfade auf dunklem Holzschnitzelbett zu elf unter dem Haus frei verteilten Glashäuschen. Ihre Wände sind teilweise verspiegelt, was den Wald optisch vergrössert und noch verwirrender macht. In diesen Kristallkuben sind weisse Treppen verpackt. Sie führen in den ersten Stock, wo die Wohnräume beginnen.

Die Wohnungen sind für europäische Verhältnisse eher klein und teuer. Sie sind zwischen 50 und 80 Quadratmeter gross und kosten zwischen 3000 und 4000 US-Dollar pro Monat. Alle Apartments sind zweigeschossig und haben mindestens einen spektakulären Balkon, der ins Grüne ragt. In den Einheiten auf der Nordseite wird man von einem luftigen doppelgeschossigen Wohn-Ess-Zimmer empfangen, eine interne Treppe führt zur Galerie, auf der sich ein bis zwei eher kleine Schlafzimmer befinden. Die Wohnungen auf der Südseite sind geräumiger. Die meisten haben ein grosses Wohn- und Esszimmer im ersten Geschoss und zwei kleine Zimmer darüber. Wie schon bei früheren Projekten macht Ban die innenliegenden Wände zu Möbeln: Er verkleidet sie mit geschosshohen Schrankwänden - Schallschutz gegenüber den Nachbarn ist willkommener Nebeneffekt.

Bans Wohnbau aus dem Jahre 1997 besticht dadurch, dass er leichtfüssig auf komplizierte Baubedingungen geantwortet hat. Unerwartet für Europäer ist der starke Einfluss der europäischen Moderne. Denn Ban hält sich mit seinem Entwurf an fast alle Punkte, mit denen Le Corbusier 1925 seinen neuen Wohnhaustypus definierte. Auch in Setagaya-ku gibt ein Stützenskelett einem weissen Kubus mit Bandfenstern die Form. Zudem steht das Haus auf Säulen, und seine Innenräume gehen ineinander über. Zum Glück erlaubte sich Ban beim Dachgarten eine kleine Interpretation.

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