Bauwerk
Justizpalast
Jean Nouvel - Nantes (F) - 2001
Der Architekt als Wunderheiler
Jean Nouvel und der neue Justizpalast von Nantes
6. März 2001 - Roman Hollenstein
Das Kultur- und Kongresszentrum Luzern, Jean Nouvels grosses Meisterwerk, hat im Palais de Justice von Nantes sein Pendant erhalten: Doch spiegelt sich in den Fluten der Loire kein optimistisches Gebäude, sondern ein zwischen Werft und Sakralbau oszillierender schwarzer Riese, der zu einem bedrohlichen Symbol der Judikative wird.
Seit Bauen hierzulande wieder «in» ist und fast jedes alte Gemäuer zur Disposition steht, geistert durch den Blätterwald ein Gespenst, das gerne schwarz trägt und auf den Namen Jean Nouvel hört. Hier und dort wird es beschworen - etwa in Zürich, wenn man das Kasernenareal vermarkten, das Rathaus verlassen oder das Landesmuseum loswerden will, weil es renovationsbedürftig und nicht eben trendy ist. In diesen Fällen schielen die sonst so weltstädtischen Zürcher nach Luzern, wo Nouvels Kultur- und Kongresszentrum metropolitanen Glamour verströmt. Dabei vermögen, abgesehen vom Luzerner Glücksfall, Neubauten selten mehr zu überzeugen als die ins Pfefferland gewünschten Baudenkmäler. Bedenklich aber ist, dass mit dem Ruf nach Nouvel letztlich nur der Weg geebnet wird für jene Lokalmatadoren, die - vom Eurogate bis zum bedrohten Kreuzplatz (um in Zürich zu bleiben) - nur dürftige Allerweltsbauten aufstellen. In provinzieller Fehleinschätzung verkennen die Schreihälse jedoch nicht nur die Bedeutung des architektonischen Erbes, sie ignorieren auch die Tatsache, dass lang nicht jeder Bau von Nouvel so vornehm in Erscheinung tritt wie das Meisterwerk am Vierwaldstättersee. Erinnert sei nur an die Galeries Lafayette in Berlin, jenen schwarzen Pudding, der allein deswegen nicht wabbelt, weil er aus Glas und Stahl besteht. Das heisst nun nicht, dass Nouvel ein schlechter Architekt wäre. Es heisst aber sehr wohl, dass er nicht der städtebauliche Wunderheiler ist, den viele gerne in ihm sähen.
Schwarzer Glanz
Das vor wenigen Monaten vollendete Palais de Justice in Nantes zeigt, zu welch unerbittlich strenger Architektur Nouvel fähig ist. Gemäss dem fast schon jakobinischen Motto «définir avec justesse une architecture juste» projektierte er 1993 für die direkt der Altstadt gegenüberliegende Ile de Nantes ein Repräsentationsgebäude, das Erinnerungen an Revolutionsarchitektur und Terreur evoziert und so die Menschen auf Distanz zu halten sucht. Wie ein Tempel thront es bleiern schwarz und unnahbar über den Fluten der Loire, dominiert die Relikte der industriellen Vergangenheit des Ortes und will mit seinem stets verschatteten Erscheinungsbild ganz offensichtlich die Stadt einschüchtern. Mit diesem Bau bezieht sich Nouvel (wie zuvor schon in Luzern) auf alte Werftanlagen, vor allem aber auf Mies van der Rohes Nationalgalerie in Berlin - nur dass die Pfeilerhalle seines Justizpalastes zweimal so hoch und doppelt so breit ist wie das ehrwürdige Vorbild. Vom humanen Mass des Berliner Museumsbaus ist nichts mehr zu spüren; und so wird denn dieses Monument zu einem geradezu bedrohlichen Symbol der dritten Gewalt. Damit unterscheidet es sich entschieden von den Justizpalästen eines Portzamparc in Grasse und eines Rogers in Bordeaux, die ebenfalls 1992 vom Justizministerium in Auftrag gegeben wurden.
Um das Besondere von Nouvels Neubau zu erfassen, muss man sich ihm zu Fuss nähern. Da die direkt auf ihn ausgerichtete Passerelle von Clotilde und Bernard Barto noch nicht existiert, ist man gezwungen, auf einer verkehrsreichen Brücke vom zentralen Quai de la Fosse auf die andere Flussseite hinüberzuwechseln. Dort versucht man sich dann - vorbei an einem moosbewachsenen Autosilo und modernden Fabrikhallen - zum Haus der Justiz durchzuschlagen. Plötzlich endet die Strasse vor der schwarzen, messerscharf umgrenzten Seitenwand des Gerichtsgebäudes. Ein Fensterband weit oben lässt das Auge nach Norden wandern, wo man schräg durch den schwarzen, fast 20 Meter hohen Portikus die Stadt erblickt und so gleichsam aus einer surrealen Welt zurück in die Realität findet. Eine von der Uferstrasse ansteigende dunkle Rampe hebt das Gebäude vom Profanen ab und schafft darunter Platz für ein banales Parking. Die schräge Ebene führt hinauf zum stramm ausgerichteten schwarzen Pfeilerwald der Vorhalle, der ein an Luzern gemahnendes, weit vorkragendes Dach trägt. In der schwarzen Kassettendecke klingt jener Quadratraster an, der diese rationalistische Stahl-und-Glas-Architektur bis ins Innerste durchdringt.
Die schlanken Pfeiler setzen sich hinter der verglasten Nordfassade im Inneren fort, wo sich die «Salle des pas perdus», eine 16 Meter hohe und über 110 Meter lange Wandelhalle, ausdehnt, die ähnlich wie die Foyers in Luzern vom Spiel der Oberflächen lebt, nur dass hier alles nachtschwarz blitzt und glänzt. Dunkle Metallgitter und gitterartig stuckierte Wandflächen spiegeln sich im blank polierten schwarzen Marmorboden, so dass man auf der abgründigen Fläche fast den Halt verliert. Das einzig Feste in diesem Raum, der die durchscheinende Vielschichtigkeit von Giuseppe Terragnis Casa del Fascio ins Unfassbare steigert, sind die drei enigmatischen Monolithe der Gerichtssäle. In ihrem Innern lösen sich Verunsicherung und Schrecken kurz auf in einer Symphonie in Rot. Bald aber wecken die nur durch ein Oberlicht zur Aussenwelt offenen Räume klaustrophobe Gefühle, und man wähnt sich in ihnen wie im Allerheiligsten eines ägyptischen Tempels.
Hybride Architektur
Der räumliche Luxus der riesigen Wandelhalle geht letztlich auf Kosten der Angestellten. Denn Nouvel marginalisiert die Büros, türmt sie im Rücken der Gerichtssäle dreigeschossig auf oder verlegt sie kurzerhand auf das Flachdach. Durch diesen Aufsatz erhält das Gebäude in der Seitenansicht etwas seltsam Unbestimmtes, das ebenso schlecht zur rigorosen Tempelfront wie zu der U-förmigen Gitterfassade an der Rückseite passt. Diese seltsam hybride, mehrfach codierte Architektur, die bald wie ein Sakralbau, wie eine Fabrik oder ein Gefängnis und dann wieder wie ein Ufo in einer ebenso stimmungsvollen wie abgetakelten Umgebung steht, soll nun zum Katalysator für einen neuen Stadtteil werden, der hier nach einem urbanistischen Entwurf von Alexandre Chemetoff demnächst realisiert werden dürfte.
Eins ist gewiss: Mit dem Palais de Justice hat Nantes einen Bau von seltsamer Gewalt und Kraft erhalten, der Angst einflösst und doch auch fasziniert. Stünde er in Deutschland, so würde man in ihm wohl Naziideologie erblicken. In Frankreich aber liessen sich selbst Kritiker mit dem Hinweis darauf beruhigen, dass dieser Gerichtspalast ja keiner Gewaltherrschaft, sondern dem französischen Recht diene. Trotz dieser Feststellung und obwohl der Bau jenseits des Flusses steht, trägt Nantes nicht leicht an ihm. Zumal bei winterlichem Regenwetter, wenn er sich schwarz zwischen das Grau der Loire und des tiefhängenden Himmels schiebt, ahnt man kaum noch seine Verwandtschaft mit dem noblen Luzerner Kulturpalast oder mit der transparenten Fondation Cartier in Paris: Das Haus genügt sich dann ganz als meisterhafte Provokation, mit der sich hierzulande wohl kaum jemand auf Dauer auseinandersetzen wollte.
Seit Bauen hierzulande wieder «in» ist und fast jedes alte Gemäuer zur Disposition steht, geistert durch den Blätterwald ein Gespenst, das gerne schwarz trägt und auf den Namen Jean Nouvel hört. Hier und dort wird es beschworen - etwa in Zürich, wenn man das Kasernenareal vermarkten, das Rathaus verlassen oder das Landesmuseum loswerden will, weil es renovationsbedürftig und nicht eben trendy ist. In diesen Fällen schielen die sonst so weltstädtischen Zürcher nach Luzern, wo Nouvels Kultur- und Kongresszentrum metropolitanen Glamour verströmt. Dabei vermögen, abgesehen vom Luzerner Glücksfall, Neubauten selten mehr zu überzeugen als die ins Pfefferland gewünschten Baudenkmäler. Bedenklich aber ist, dass mit dem Ruf nach Nouvel letztlich nur der Weg geebnet wird für jene Lokalmatadoren, die - vom Eurogate bis zum bedrohten Kreuzplatz (um in Zürich zu bleiben) - nur dürftige Allerweltsbauten aufstellen. In provinzieller Fehleinschätzung verkennen die Schreihälse jedoch nicht nur die Bedeutung des architektonischen Erbes, sie ignorieren auch die Tatsache, dass lang nicht jeder Bau von Nouvel so vornehm in Erscheinung tritt wie das Meisterwerk am Vierwaldstättersee. Erinnert sei nur an die Galeries Lafayette in Berlin, jenen schwarzen Pudding, der allein deswegen nicht wabbelt, weil er aus Glas und Stahl besteht. Das heisst nun nicht, dass Nouvel ein schlechter Architekt wäre. Es heisst aber sehr wohl, dass er nicht der städtebauliche Wunderheiler ist, den viele gerne in ihm sähen.
Schwarzer Glanz
Das vor wenigen Monaten vollendete Palais de Justice in Nantes zeigt, zu welch unerbittlich strenger Architektur Nouvel fähig ist. Gemäss dem fast schon jakobinischen Motto «définir avec justesse une architecture juste» projektierte er 1993 für die direkt der Altstadt gegenüberliegende Ile de Nantes ein Repräsentationsgebäude, das Erinnerungen an Revolutionsarchitektur und Terreur evoziert und so die Menschen auf Distanz zu halten sucht. Wie ein Tempel thront es bleiern schwarz und unnahbar über den Fluten der Loire, dominiert die Relikte der industriellen Vergangenheit des Ortes und will mit seinem stets verschatteten Erscheinungsbild ganz offensichtlich die Stadt einschüchtern. Mit diesem Bau bezieht sich Nouvel (wie zuvor schon in Luzern) auf alte Werftanlagen, vor allem aber auf Mies van der Rohes Nationalgalerie in Berlin - nur dass die Pfeilerhalle seines Justizpalastes zweimal so hoch und doppelt so breit ist wie das ehrwürdige Vorbild. Vom humanen Mass des Berliner Museumsbaus ist nichts mehr zu spüren; und so wird denn dieses Monument zu einem geradezu bedrohlichen Symbol der dritten Gewalt. Damit unterscheidet es sich entschieden von den Justizpalästen eines Portzamparc in Grasse und eines Rogers in Bordeaux, die ebenfalls 1992 vom Justizministerium in Auftrag gegeben wurden.
Um das Besondere von Nouvels Neubau zu erfassen, muss man sich ihm zu Fuss nähern. Da die direkt auf ihn ausgerichtete Passerelle von Clotilde und Bernard Barto noch nicht existiert, ist man gezwungen, auf einer verkehrsreichen Brücke vom zentralen Quai de la Fosse auf die andere Flussseite hinüberzuwechseln. Dort versucht man sich dann - vorbei an einem moosbewachsenen Autosilo und modernden Fabrikhallen - zum Haus der Justiz durchzuschlagen. Plötzlich endet die Strasse vor der schwarzen, messerscharf umgrenzten Seitenwand des Gerichtsgebäudes. Ein Fensterband weit oben lässt das Auge nach Norden wandern, wo man schräg durch den schwarzen, fast 20 Meter hohen Portikus die Stadt erblickt und so gleichsam aus einer surrealen Welt zurück in die Realität findet. Eine von der Uferstrasse ansteigende dunkle Rampe hebt das Gebäude vom Profanen ab und schafft darunter Platz für ein banales Parking. Die schräge Ebene führt hinauf zum stramm ausgerichteten schwarzen Pfeilerwald der Vorhalle, der ein an Luzern gemahnendes, weit vorkragendes Dach trägt. In der schwarzen Kassettendecke klingt jener Quadratraster an, der diese rationalistische Stahl-und-Glas-Architektur bis ins Innerste durchdringt.
Die schlanken Pfeiler setzen sich hinter der verglasten Nordfassade im Inneren fort, wo sich die «Salle des pas perdus», eine 16 Meter hohe und über 110 Meter lange Wandelhalle, ausdehnt, die ähnlich wie die Foyers in Luzern vom Spiel der Oberflächen lebt, nur dass hier alles nachtschwarz blitzt und glänzt. Dunkle Metallgitter und gitterartig stuckierte Wandflächen spiegeln sich im blank polierten schwarzen Marmorboden, so dass man auf der abgründigen Fläche fast den Halt verliert. Das einzig Feste in diesem Raum, der die durchscheinende Vielschichtigkeit von Giuseppe Terragnis Casa del Fascio ins Unfassbare steigert, sind die drei enigmatischen Monolithe der Gerichtssäle. In ihrem Innern lösen sich Verunsicherung und Schrecken kurz auf in einer Symphonie in Rot. Bald aber wecken die nur durch ein Oberlicht zur Aussenwelt offenen Räume klaustrophobe Gefühle, und man wähnt sich in ihnen wie im Allerheiligsten eines ägyptischen Tempels.
Hybride Architektur
Der räumliche Luxus der riesigen Wandelhalle geht letztlich auf Kosten der Angestellten. Denn Nouvel marginalisiert die Büros, türmt sie im Rücken der Gerichtssäle dreigeschossig auf oder verlegt sie kurzerhand auf das Flachdach. Durch diesen Aufsatz erhält das Gebäude in der Seitenansicht etwas seltsam Unbestimmtes, das ebenso schlecht zur rigorosen Tempelfront wie zu der U-förmigen Gitterfassade an der Rückseite passt. Diese seltsam hybride, mehrfach codierte Architektur, die bald wie ein Sakralbau, wie eine Fabrik oder ein Gefängnis und dann wieder wie ein Ufo in einer ebenso stimmungsvollen wie abgetakelten Umgebung steht, soll nun zum Katalysator für einen neuen Stadtteil werden, der hier nach einem urbanistischen Entwurf von Alexandre Chemetoff demnächst realisiert werden dürfte.
Eins ist gewiss: Mit dem Palais de Justice hat Nantes einen Bau von seltsamer Gewalt und Kraft erhalten, der Angst einflösst und doch auch fasziniert. Stünde er in Deutschland, so würde man in ihm wohl Naziideologie erblicken. In Frankreich aber liessen sich selbst Kritiker mit dem Hinweis darauf beruhigen, dass dieser Gerichtspalast ja keiner Gewaltherrschaft, sondern dem französischen Recht diene. Trotz dieser Feststellung und obwohl der Bau jenseits des Flusses steht, trägt Nantes nicht leicht an ihm. Zumal bei winterlichem Regenwetter, wenn er sich schwarz zwischen das Grau der Loire und des tiefhängenden Himmels schiebt, ahnt man kaum noch seine Verwandtschaft mit dem noblen Luzerner Kulturpalast oder mit der transparenten Fondation Cartier in Paris: Das Haus genügt sich dann ganz als meisterhafte Provokation, mit der sich hierzulande wohl kaum jemand auf Dauer auseinandersetzen wollte.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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