Bauwerk
Volta-Schulhaus
Miller & Maranta - Basel (CH) - 2000
Was ein Tragwerk vermag
Wie man auf einem ehemaligen Öltank ein Schulgebäude errichtet. Und warum es sich lohnt, wenn Architekt und Bauingenieur an einem strukturellen Strang ziehen. Das Volta-Schulhaus in Basel.
30. Juli 2005 - Walter Zschokke
Seit vier Jahren ist das Volta-Schulhaus im Basler St. Johann-Quartier nun in Betrieb. Es steht nahe der mittlerweile doppelstöckigen Dreirosenbrücke der Stadtautobahn über den Rhein. Auf der anderen Seite des Verkehrsbandes ist der Novartis-Campus im Entstehen; ein erster Bau von Diener, Federle und Wiederin ist soeben fertig geworden, ein weiterer, von Adolf Krischanitz, ist im Bau. Doch die Realität im Quartier beidseits der Straße, die geradeaus ins Elsass führt, ist eine andere.
Wegen des hohen Anteils an Kindern mit fremder Muttersprache werden - neben der deutschen - eben diese Sprachen unterrichtet, weil die Kinder so ein klareres Sprachgefühl entwickeln und in der Folge besser Schriftdeutsch lernen. Dies bedingte flexible Unterrichtsformen, ausreichend Gruppenräume neben den Klassenzimmern und ein neues Haus. Viel Platz gab es im Quartier allerdings nicht, sodass der Wegfall eines Teils der verpflichtenden Lagerkapazität für Schweröl des nahen Heizkraftwerks eine Chance bot. Der aus den 1960er-Jahren stammende Betonbau enthielt große Stahltanks in tiefen, wasserdichten Wannen. Nicht ganz die Hälfte stand zur Disposition. Ein Architektenwettbewerb sollte die Möglichkeiten klären.
Es gewann das Projekt der Basler Architekten Paola Maranta und Quintus Miller, das sie zusammen mit dem Bauingenieur Jürg Conzett aus Chur entwickelt hatten. Dabei ging es um die Frage, wie über der intakten Wanne ein Schulgebäude errichtet werden könnte. Als nicht eben harmlos erwiesen sich die Maße: 40 Meter Trakttiefe, 33,5 Meter Breite. Aber ebenso wenig ließen sich Punktlasten auf den Wannenboden aufsetzen. In solchen Fällen lohnt es sich für Architekten, frühzeitig mit einem Bauingenieur, der das Zeug und den Willen zum Tragwerksplaner hat, zusammenzuarbeiten.
Die Rolle des Bauingenieurs wird leider zu oft als die des „Statikers“ gesehen, der in Naviers Namen (Claude Louis Navier, 1785 bis 1836, Begründer der modernen Baustatik) eben berechnet, was ihm der Architektenentwurf vorgibt, und dabei in der Regel die Dimensionen erhöht. Sei es, weil der Architekt zu knapp geschätzt hat, sei es, weil der Statiker sich nicht plagen will. Mit einem Bauingenieur hingegen, der als Tragwerksplaner wirkt, lassen sich die Möglichkeiten viel umfassender ausloten. Vor allem aber kann das Tragwerk integraler Teil von Funktionsstruktur und Raumbildung werden.
Genau das ist im Volta-Schulhaus geschehen. In der Diskussion der Fachleute wurde ein vier Geschoße hohes räumliches Tragwerk aus Scheiben und Platten entwickelt, das die gesamten Gebäudelasten auf die Außenwände der Wanne überträgt. Das heißt: Einige der vertikalen Trennelemente aus Stahlbeton sind als Scheiben mit den ebenfalls betonierten Deckenplatten fest verbunden. Damit es jedoch nicht zu simpel werde, sah das Konzept im Binnenbereich vier Lichthöfe vor - bei der enormen Trakttiefe unumgänglich. Das betraf vor allem die Deckenplatten. Aber zwischen den einzelnen Schotten sollten die Menschen noch hin und her gehen können, die Betonscheiben mussten daher Öffnungen aufweisen. Das tun sie auch, und zwar nicht zu geizig, wie in der Plandarstellung zu erkennen ist. Drei derartige Schotten sind also über die darunter liegende Wanne gespannt, in der die Doppelturnhalle samt Garderoben und Nebenräumen Platz hat. Wer etwas tiefer in das komplexe Gebilde eindringt, stellt fest, dass unter der im Plan größeren Scheibe offenbar ein Querträger liegen muss, was auch stimmt, und bei der im Grundriss mittleren Schotte ist die große Öffnung spiegelgleich nach links gerückt, damit die Biegekräfte in den auf Druck beanspruchten Decken nicht unangenehm werden. Die zusätzlichen Öffnungen für die beiden quer liegenden Treppen und für die breiten Fenster sind dann bloß noch Kinkerlitzchen. Das Übrige ist Leichtbau.
Wir erinnern uns: Da gibt es im Obermurtal eine Holzbrücke über die Mur, die ebenso frech in der Mitte eine breite Öffnung aufweist, flankiert von zwei außermittig angeordneten Scheiben. Ja, genau die. Auch hier hieß der entwerfende Bauingenieur Jürg Conzett.
Mit ähnlichen Überlegungen, aber anderem Material und komplexer spielt es sich im Volta-Schulhaus in Basel ab. Aber was heißt das für die Architektur? Für die räumliche und die funktionale Struktur bedeutet das vorerst, dass man davon wenig merkt. Man betritt das Gebäude von der Hofseite und gelangt in eine die gesamte Breite einnehmende Querhalle.
Von dieser Aula, die bei Schlechtwetter als Pausenhalle dient, führt vom Eingang aus geradewegs eine Treppe ins erste Obergeschoß, das mit den anderen drei Obergeschoßen weit gehend deckungsgleich ist. Der Aufgang lässt sich mit einem Rollbalken schließen, da die Turnhallen am Abend und an Wochenenden Vereinen offen stehen.
In den eigentlichen Schulgeschoßen reihen sich die Zimmer und Gruppenräume wegen der Belichtung vorn und hinten an der Fassade. Den Binnenbereich teilen sich die vier alternierend gegeneinander versetzten Lichthöfe und die von ihnen mit Tageslicht versorgten Ganghallen. Zwei Treppen dienen als Vertikalverbindungen, und natürlich gibt es für Gehbehinderte einen Aufzug.
Der Stahlbeton der Scheiben und Deckenuntersichten liegt offen, die Tragstruktur wird gezeigt. Die übrigen Wände in Leichtbauweise sind in einem warmen Grauton gleicher Helligkeit gehalten, sodass der Unterschied nicht sofort auffällt. Die einzelnen Teile über die vier Geschoße zu verbinden ist anhand der Pläne einfacher als im Bauwerk selbst. Das Tragwerk ist daher keineswegs in den Vordergrund gerückt, es ist vielmehr ein integraler Teil der Architektur.
Im Gegensatz zu kammartigen Grundriss-Typologien liegt hier eine offene Gitterstruktur vor. Sie hat mehr mit einem urbanen Gefüge zu tun, das eine nicht hierarchische Struktur aufweist. Dies wäre generell für große öffentliche Gebäude und Wohnanlagen angezeigt, aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls erschöpft sich das architektonische Genießen im Volta-Schulhaus nicht an den Äußerlichkeiten.
Wegen des hohen Anteils an Kindern mit fremder Muttersprache werden - neben der deutschen - eben diese Sprachen unterrichtet, weil die Kinder so ein klareres Sprachgefühl entwickeln und in der Folge besser Schriftdeutsch lernen. Dies bedingte flexible Unterrichtsformen, ausreichend Gruppenräume neben den Klassenzimmern und ein neues Haus. Viel Platz gab es im Quartier allerdings nicht, sodass der Wegfall eines Teils der verpflichtenden Lagerkapazität für Schweröl des nahen Heizkraftwerks eine Chance bot. Der aus den 1960er-Jahren stammende Betonbau enthielt große Stahltanks in tiefen, wasserdichten Wannen. Nicht ganz die Hälfte stand zur Disposition. Ein Architektenwettbewerb sollte die Möglichkeiten klären.
Es gewann das Projekt der Basler Architekten Paola Maranta und Quintus Miller, das sie zusammen mit dem Bauingenieur Jürg Conzett aus Chur entwickelt hatten. Dabei ging es um die Frage, wie über der intakten Wanne ein Schulgebäude errichtet werden könnte. Als nicht eben harmlos erwiesen sich die Maße: 40 Meter Trakttiefe, 33,5 Meter Breite. Aber ebenso wenig ließen sich Punktlasten auf den Wannenboden aufsetzen. In solchen Fällen lohnt es sich für Architekten, frühzeitig mit einem Bauingenieur, der das Zeug und den Willen zum Tragwerksplaner hat, zusammenzuarbeiten.
Die Rolle des Bauingenieurs wird leider zu oft als die des „Statikers“ gesehen, der in Naviers Namen (Claude Louis Navier, 1785 bis 1836, Begründer der modernen Baustatik) eben berechnet, was ihm der Architektenentwurf vorgibt, und dabei in der Regel die Dimensionen erhöht. Sei es, weil der Architekt zu knapp geschätzt hat, sei es, weil der Statiker sich nicht plagen will. Mit einem Bauingenieur hingegen, der als Tragwerksplaner wirkt, lassen sich die Möglichkeiten viel umfassender ausloten. Vor allem aber kann das Tragwerk integraler Teil von Funktionsstruktur und Raumbildung werden.
Genau das ist im Volta-Schulhaus geschehen. In der Diskussion der Fachleute wurde ein vier Geschoße hohes räumliches Tragwerk aus Scheiben und Platten entwickelt, das die gesamten Gebäudelasten auf die Außenwände der Wanne überträgt. Das heißt: Einige der vertikalen Trennelemente aus Stahlbeton sind als Scheiben mit den ebenfalls betonierten Deckenplatten fest verbunden. Damit es jedoch nicht zu simpel werde, sah das Konzept im Binnenbereich vier Lichthöfe vor - bei der enormen Trakttiefe unumgänglich. Das betraf vor allem die Deckenplatten. Aber zwischen den einzelnen Schotten sollten die Menschen noch hin und her gehen können, die Betonscheiben mussten daher Öffnungen aufweisen. Das tun sie auch, und zwar nicht zu geizig, wie in der Plandarstellung zu erkennen ist. Drei derartige Schotten sind also über die darunter liegende Wanne gespannt, in der die Doppelturnhalle samt Garderoben und Nebenräumen Platz hat. Wer etwas tiefer in das komplexe Gebilde eindringt, stellt fest, dass unter der im Plan größeren Scheibe offenbar ein Querträger liegen muss, was auch stimmt, und bei der im Grundriss mittleren Schotte ist die große Öffnung spiegelgleich nach links gerückt, damit die Biegekräfte in den auf Druck beanspruchten Decken nicht unangenehm werden. Die zusätzlichen Öffnungen für die beiden quer liegenden Treppen und für die breiten Fenster sind dann bloß noch Kinkerlitzchen. Das Übrige ist Leichtbau.
Wir erinnern uns: Da gibt es im Obermurtal eine Holzbrücke über die Mur, die ebenso frech in der Mitte eine breite Öffnung aufweist, flankiert von zwei außermittig angeordneten Scheiben. Ja, genau die. Auch hier hieß der entwerfende Bauingenieur Jürg Conzett.
Mit ähnlichen Überlegungen, aber anderem Material und komplexer spielt es sich im Volta-Schulhaus in Basel ab. Aber was heißt das für die Architektur? Für die räumliche und die funktionale Struktur bedeutet das vorerst, dass man davon wenig merkt. Man betritt das Gebäude von der Hofseite und gelangt in eine die gesamte Breite einnehmende Querhalle.
Von dieser Aula, die bei Schlechtwetter als Pausenhalle dient, führt vom Eingang aus geradewegs eine Treppe ins erste Obergeschoß, das mit den anderen drei Obergeschoßen weit gehend deckungsgleich ist. Der Aufgang lässt sich mit einem Rollbalken schließen, da die Turnhallen am Abend und an Wochenenden Vereinen offen stehen.
In den eigentlichen Schulgeschoßen reihen sich die Zimmer und Gruppenräume wegen der Belichtung vorn und hinten an der Fassade. Den Binnenbereich teilen sich die vier alternierend gegeneinander versetzten Lichthöfe und die von ihnen mit Tageslicht versorgten Ganghallen. Zwei Treppen dienen als Vertikalverbindungen, und natürlich gibt es für Gehbehinderte einen Aufzug.
Der Stahlbeton der Scheiben und Deckenuntersichten liegt offen, die Tragstruktur wird gezeigt. Die übrigen Wände in Leichtbauweise sind in einem warmen Grauton gleicher Helligkeit gehalten, sodass der Unterschied nicht sofort auffällt. Die einzelnen Teile über die vier Geschoße zu verbinden ist anhand der Pläne einfacher als im Bauwerk selbst. Das Tragwerk ist daher keineswegs in den Vordergrund gerückt, es ist vielmehr ein integraler Teil der Architektur.
Im Gegensatz zu kammartigen Grundriss-Typologien liegt hier eine offene Gitterstruktur vor. Sie hat mehr mit einem urbanen Gefüge zu tun, das eine nicht hierarchische Struktur aufweist. Dies wäre generell für große öffentliche Gebäude und Wohnanlagen angezeigt, aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls erschöpft sich das architektonische Genießen im Volta-Schulhaus nicht an den Äußerlichkeiten.
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