Bauwerk
Future University Hakodate
Riken Yamamoto - Hakodate (J) - 2000
Kommunikativer Kosmos
Die Future University Hakodate von Riken Yamamoto
2. Februar 2001 - Hubertus Adam
Die Future University Hakodate im Norden Japans versucht der Hermetik des japanischen Bildungssystems mit einem innovativen Lehrangebot zu begegnen. Das durch den Strukturalismus der siebziger Jahre inspirierte Universitätsgebäude des Tokioter Architekten Riken Yamamoto schafft dafür den adäquaten Rahmen.
Ohne Zweifel: Japan ist bis heute hierarchisch gegliedert und weitgehend konservativ verfasst. Doch auch der ostasiatische Inselstaat bleibt nicht unberührt von den gesellschaftlichen Veränderungen, denen die Wohn- und Arbeitswelten in den Industriestaaten unterliegen. Der Architekt Riken Yamamoto, der 1945 in Peking geboren wurde und 1973 in Tokio sein Büro Riken Yamamoto & Field Shop eröffnete, beschäftigt sich mit baulichen Strukturen, die auf diesen Wandel reagieren. Hauptfelder seiner Tätigkeit sind der Bau von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden - ob Universität, Feuerwache oder Altersheim. Seit 1997 besteht auch eine Partnerschaft mit dem in Zug tätigen Architekten Beda Faessler.
Baulicher Rahmen für innovative Lehre
Eines der jüngsten Projekte Yamamotos befindet sich in Hakodate an der Südküste von Hokkaido. Charakteristisch für die Stadt mit ihren 300 000 Einwohnern, die sich als eine der ersten 1854 Richtung Westen öffnete, ist ihr ausgedehntes Siedlungsgebiet, das sich von dem ins Meer ragenden Mount Hakodate Richtung Norden und Osten bis zu einer Hügelkette erstreckt, welche eine natürliche Begrenzung bildet. Die neue Universität der Stadt befindet sich in dieser Randlage, mit grossartigem Blick auf den Mount Hakodate, das Stadtgebiet und die Meeresbucht. FUN, Future University Hakodate, nennt sich die Einrichtung; ein Name, der mehr ist als ein modischer Titel. Denn FUN ist nicht nur ein Ort «zukunftsorientierter» Studiengänge, sondern zugleich der Versuch, eine Alternative zu dem petrifizierten Universitätssystem Japans anzubieten. Complex-System-Science und Information-Architecture werden in Hakodate gelehrt. Während Complex-System-Science bis anhin getrennte Fachbereiche wie Mathematik, Biologie und Ökonomie im Sinne eines komplexen Systems zu vernetzen sucht, vereint Information-Architecture Robotik, Network-Systems und Design.
Ungewohnt für japanische Verhältnisse ist nicht nur das Lehrangebot, sondern auch dessen Umsetzung. Die Studierenden besitzen eine grössere Wahlfreiheit und werden in ihrer Selbständigkeit unterstützt. Um die übliche Hermetik zu durchbrechen, können viele der Veranstaltungen auch von der interessierten Öffentlichkeit besucht werden. Ein derart ambitioniertes Konzept verlangte nach einem adäquaten baulichen Rahmen, der die Umsetzung erst ermöglichte. Durch die Konzeption der experimentellen Junior High School von Iwadeyama (1996) mit diesem Metier vertraut, gewannen Riken Yamamoto & Field Shop im Jahre 1997 den Wettbewerb für die vor wenigen Monaten vollendete Future University.
Der planerische Grundgedanke bestand darin, die einzelnen Labors, Forschungseinrichtungen und Unterrichtsräume nicht im Sinne einer Campusuniversität über eine grosse Fläche zu verstreuen, sondern in einem kompakten Volumen zu konzentrieren. Das hatte zwei Vorteile: Zum einen ergab sich die Möglichkeit, den gesamten landschaftlichen Umraum (nach einem Entwurf von Kazuyo Sejima) grosszügig zu gestalten; zum anderen aber liess sich eine Verdichtung von Funktionen erzielen, die überhaupt erst Kommunikation ermöglicht.
Wie eine hangarähnliche Struktur wirkt die gleissende Kiste oberhalb der Stadt, wenn man sich Hakodate nähert. Yamamoto hat eine streng rechteckige, mit 101 mal 113 Metern beinahe quadratische Lernbox in den sanft abfallenden Rasenhang integriert. Seitlich mit verzinkten Stahlplatten verkleidet, öffnet sich das Gebäude mit einer verglasten Front Richtung Süden. Doch das Dogma der Protagonisten gläsernen Bauens, Glas sei transparent und bedeute Offenheit, erweist sich auch hier als Ideologem - es gilt von innen, nicht jedoch von aussen. Was im Gebäude vor sich geht, vermag der Passant nicht zu erraten. Mit dem klaren Raster der Glasfront und den seitlichen Gerüsten der Fluchttreppen bedient sich Yamamoto der Gestaltungsprinzipien der Hightech-Ästhetik eines Norman Foster. Doch der elaborierten Perfektion, die längst zum Markenzeichen des weltweit operierenden Briten geworden ist, weiss der Architekt aus Yokohama wenig abzugewinnen; dass er keineswegs der Ästhetik einer geschmeidigen Eleganz huldigt, beweist die Konzeption des Inneren.
Herzstück ist die grosse Halle auf der Südseite, die ungefähr die Hälfte des gesamten Bauvolumens einnimmt. Durch vier sich zurückstaffelnde Geschossebenen ist ein gewaltiger Raum entstanden, der sich durch die Verglasung vollständig zum Hang hin öffnet und eine grandiose Aussicht ermöglicht. In der Halle tritt das Konstruktionsprinzip deutlich zutage: Präfabrizierte Stahlbetonpfeiler von quadratischem Querschnitt tragen die durch Lichtbänder gegliederte Dachkonstruktion; lamellenähnliche Strukturen in den abgehängten Deckenfeldern fungieren als «brise-soleils». Der durch die Spannweite der Träger vorgegebene Konstruktionsraster bestimmt die räumliche Einteilung ebenso wie die Staffelung der Geschosse. So ist jeder Ebene eine vom Architekten als «Studio» bezeichnete Terrasse vorgelagert, die als Arbeitsfläche dient. Mobiliar und Stellwände können frei bewegt und jeweils neu konfiguriert werden; hier ist für den Einzelnen genauso Platz wie für kleine Arbeitsteams oder für Gruppenpräsentationen. Dabei ergeben sich Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Ebenen.
Wiederentdeckung der Struktur
Japanische Architekten, vor allem Tadao Ando, haben die Verwendung von Ortbeton kultiviert und mit diesem Material eine Qualität erzielt, die weltweit ohne Vergleich ist. Wenn Yamamoto nun präfabrizierte Betonelemente einsetzt, so knüpft er an den architektonischen Strukturalismus der sechziger und siebziger Jahre an. Nicht der ausgetüftelten Einzellösung gilt seine Aufmerksamkeit, sondern einem - durchaus spröden - baulichen Rahmen, der Freiheit lässt für die Aktivitäten des Einzelnen. Es ist eine Architektur, die primär Hülle sein will und der Aneignung bedarf; eine Architektur, die aber zugleich ein Angebot zur Kommunikation darstellt. So prägt eine Vielzahl von Wegen die Future University; allen voran die innere Erschliessungsstrasse der Mall, die mit ihren Treppentürmen und den sie verbindenden Brücken und Plattformen als kommunikative Aufenthaltszone, als Laufsteg, Bühne und Belvedere dient. Offene und öffentliche Bereiche sind eine Notwendigkeit, um der autistischen Monotonie der Bildschirmarbeit zu begegnen.
Der Haupteingang befindet sich auf der Höhe des dritten Niveaus auf der Ostseite, an der sich auch die Zufahrt befindet; Studenten und Besucher gelangen zunächst in eine den Komplex in Querrichtung durchmessende interne Erschliessungsstrasse, von der aus man die auf drei Ebenen organisierten Vorlesungssäle, Büros und Computerarbeitssäle erreicht. Die Bibliothek befindet sich nahe dem Eingang in einem entlang der Ostwand organisierten und die grosse Halle begrenzenden Funktionsriegel, der in seinem untersten Geschoss eine Cafeteria und oben das Auditorium maximum enthält.
Die Hoffnungen, Architektur könne Gesellschaft verändern, muten am Ende des 20. Jahrhunderts naiv an. Alle sozialen Ansprüche an das Bauen indes auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern, wäre fatal. Projekte wie die Future University Hakodate beweisen, dass Architektur sehr wohl die Fähigkeit besitzt, Kommunikation zu ermöglichen, die anderenorts nicht stattfände.
Ohne Zweifel: Japan ist bis heute hierarchisch gegliedert und weitgehend konservativ verfasst. Doch auch der ostasiatische Inselstaat bleibt nicht unberührt von den gesellschaftlichen Veränderungen, denen die Wohn- und Arbeitswelten in den Industriestaaten unterliegen. Der Architekt Riken Yamamoto, der 1945 in Peking geboren wurde und 1973 in Tokio sein Büro Riken Yamamoto & Field Shop eröffnete, beschäftigt sich mit baulichen Strukturen, die auf diesen Wandel reagieren. Hauptfelder seiner Tätigkeit sind der Bau von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden - ob Universität, Feuerwache oder Altersheim. Seit 1997 besteht auch eine Partnerschaft mit dem in Zug tätigen Architekten Beda Faessler.
Baulicher Rahmen für innovative Lehre
Eines der jüngsten Projekte Yamamotos befindet sich in Hakodate an der Südküste von Hokkaido. Charakteristisch für die Stadt mit ihren 300 000 Einwohnern, die sich als eine der ersten 1854 Richtung Westen öffnete, ist ihr ausgedehntes Siedlungsgebiet, das sich von dem ins Meer ragenden Mount Hakodate Richtung Norden und Osten bis zu einer Hügelkette erstreckt, welche eine natürliche Begrenzung bildet. Die neue Universität der Stadt befindet sich in dieser Randlage, mit grossartigem Blick auf den Mount Hakodate, das Stadtgebiet und die Meeresbucht. FUN, Future University Hakodate, nennt sich die Einrichtung; ein Name, der mehr ist als ein modischer Titel. Denn FUN ist nicht nur ein Ort «zukunftsorientierter» Studiengänge, sondern zugleich der Versuch, eine Alternative zu dem petrifizierten Universitätssystem Japans anzubieten. Complex-System-Science und Information-Architecture werden in Hakodate gelehrt. Während Complex-System-Science bis anhin getrennte Fachbereiche wie Mathematik, Biologie und Ökonomie im Sinne eines komplexen Systems zu vernetzen sucht, vereint Information-Architecture Robotik, Network-Systems und Design.
Ungewohnt für japanische Verhältnisse ist nicht nur das Lehrangebot, sondern auch dessen Umsetzung. Die Studierenden besitzen eine grössere Wahlfreiheit und werden in ihrer Selbständigkeit unterstützt. Um die übliche Hermetik zu durchbrechen, können viele der Veranstaltungen auch von der interessierten Öffentlichkeit besucht werden. Ein derart ambitioniertes Konzept verlangte nach einem adäquaten baulichen Rahmen, der die Umsetzung erst ermöglichte. Durch die Konzeption der experimentellen Junior High School von Iwadeyama (1996) mit diesem Metier vertraut, gewannen Riken Yamamoto & Field Shop im Jahre 1997 den Wettbewerb für die vor wenigen Monaten vollendete Future University.
Der planerische Grundgedanke bestand darin, die einzelnen Labors, Forschungseinrichtungen und Unterrichtsräume nicht im Sinne einer Campusuniversität über eine grosse Fläche zu verstreuen, sondern in einem kompakten Volumen zu konzentrieren. Das hatte zwei Vorteile: Zum einen ergab sich die Möglichkeit, den gesamten landschaftlichen Umraum (nach einem Entwurf von Kazuyo Sejima) grosszügig zu gestalten; zum anderen aber liess sich eine Verdichtung von Funktionen erzielen, die überhaupt erst Kommunikation ermöglicht.
Wie eine hangarähnliche Struktur wirkt die gleissende Kiste oberhalb der Stadt, wenn man sich Hakodate nähert. Yamamoto hat eine streng rechteckige, mit 101 mal 113 Metern beinahe quadratische Lernbox in den sanft abfallenden Rasenhang integriert. Seitlich mit verzinkten Stahlplatten verkleidet, öffnet sich das Gebäude mit einer verglasten Front Richtung Süden. Doch das Dogma der Protagonisten gläsernen Bauens, Glas sei transparent und bedeute Offenheit, erweist sich auch hier als Ideologem - es gilt von innen, nicht jedoch von aussen. Was im Gebäude vor sich geht, vermag der Passant nicht zu erraten. Mit dem klaren Raster der Glasfront und den seitlichen Gerüsten der Fluchttreppen bedient sich Yamamoto der Gestaltungsprinzipien der Hightech-Ästhetik eines Norman Foster. Doch der elaborierten Perfektion, die längst zum Markenzeichen des weltweit operierenden Briten geworden ist, weiss der Architekt aus Yokohama wenig abzugewinnen; dass er keineswegs der Ästhetik einer geschmeidigen Eleganz huldigt, beweist die Konzeption des Inneren.
Herzstück ist die grosse Halle auf der Südseite, die ungefähr die Hälfte des gesamten Bauvolumens einnimmt. Durch vier sich zurückstaffelnde Geschossebenen ist ein gewaltiger Raum entstanden, der sich durch die Verglasung vollständig zum Hang hin öffnet und eine grandiose Aussicht ermöglicht. In der Halle tritt das Konstruktionsprinzip deutlich zutage: Präfabrizierte Stahlbetonpfeiler von quadratischem Querschnitt tragen die durch Lichtbänder gegliederte Dachkonstruktion; lamellenähnliche Strukturen in den abgehängten Deckenfeldern fungieren als «brise-soleils». Der durch die Spannweite der Träger vorgegebene Konstruktionsraster bestimmt die räumliche Einteilung ebenso wie die Staffelung der Geschosse. So ist jeder Ebene eine vom Architekten als «Studio» bezeichnete Terrasse vorgelagert, die als Arbeitsfläche dient. Mobiliar und Stellwände können frei bewegt und jeweils neu konfiguriert werden; hier ist für den Einzelnen genauso Platz wie für kleine Arbeitsteams oder für Gruppenpräsentationen. Dabei ergeben sich Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Ebenen.
Wiederentdeckung der Struktur
Japanische Architekten, vor allem Tadao Ando, haben die Verwendung von Ortbeton kultiviert und mit diesem Material eine Qualität erzielt, die weltweit ohne Vergleich ist. Wenn Yamamoto nun präfabrizierte Betonelemente einsetzt, so knüpft er an den architektonischen Strukturalismus der sechziger und siebziger Jahre an. Nicht der ausgetüftelten Einzellösung gilt seine Aufmerksamkeit, sondern einem - durchaus spröden - baulichen Rahmen, der Freiheit lässt für die Aktivitäten des Einzelnen. Es ist eine Architektur, die primär Hülle sein will und der Aneignung bedarf; eine Architektur, die aber zugleich ein Angebot zur Kommunikation darstellt. So prägt eine Vielzahl von Wegen die Future University; allen voran die innere Erschliessungsstrasse der Mall, die mit ihren Treppentürmen und den sie verbindenden Brücken und Plattformen als kommunikative Aufenthaltszone, als Laufsteg, Bühne und Belvedere dient. Offene und öffentliche Bereiche sind eine Notwendigkeit, um der autistischen Monotonie der Bildschirmarbeit zu begegnen.
Der Haupteingang befindet sich auf der Höhe des dritten Niveaus auf der Ostseite, an der sich auch die Zufahrt befindet; Studenten und Besucher gelangen zunächst in eine den Komplex in Querrichtung durchmessende interne Erschliessungsstrasse, von der aus man die auf drei Ebenen organisierten Vorlesungssäle, Büros und Computerarbeitssäle erreicht. Die Bibliothek befindet sich nahe dem Eingang in einem entlang der Ostwand organisierten und die grosse Halle begrenzenden Funktionsriegel, der in seinem untersten Geschoss eine Cafeteria und oben das Auditorium maximum enthält.
Die Hoffnungen, Architektur könne Gesellschaft verändern, muten am Ende des 20. Jahrhunderts naiv an. Alle sozialen Ansprüche an das Bauen indes auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern, wäre fatal. Projekte wie die Future University Hakodate beweisen, dass Architektur sehr wohl die Fähigkeit besitzt, Kommunikation zu ermöglichen, die anderenorts nicht stattfände.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom