Bauwerk
Museum für Kunst und Gewerbe - Schümann-Flügel
Alsop & Störmer - Hamburg (D) - 2000
Hanseatisches Bauen
Ein Neubau und eine Ausstellung in Hamburg
Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, das jüngst einen vom Architekturbüro Alsop & Störmer geplanten Erweiterungsbau beziehen konnte, zeigt derzeit eine Ausstellung über den hanseatischen Architekten Alexis de Chateauneuf (1799-1853), in der dieser Baumeister als ein «Neuerer auf dem Weg zur Moderne» vorgestellt wird.
24. Oktober 2000 - Mathias Remmele
Es ist eine Binsenwahrheit, dass man in Hamburg von vordergründigem Renommiergehabe nicht viel hält. Bisweilen zeigt sich das auch beim Bauen. Die Erweiterung des dortigen Museums für Kunst und Gewerbe, für deren Einweihung jüngst der Hamburger Architektursommer einen passenden Rahmen abgab, ist dafür ein vorzügliches Beispiel. Denn der nach seinen privaten Stiftern als Schümann-Flügel benannte Neubau gibt sich nicht nur formal einfach und auf seine Ausstellungszwecke hin konzipiert - er ist nachgerade unsichtbar. Von aussen zumindest, liegt er doch in einem der beiden Innenhöfe des 1877 als Gewerbeschule mit kleiner Schausammlung errichteten Gebäudes versteckt. Ein gebauter Beweis für hanseatisches Understatement und für das Fortbestehen des bürgerlichen Mäzenatentums.
Man kann die Sache indessen auch anders sehen. Der Umstand, dass das Museum seit Anfang des 20. Jahrhunderts bei den Stadtvätern einen immer dringlicheren Raumbedarf anmeldete, der erst jetzt mit privater Hilfe befriedigt werden konnte, legt die Vermutung nahe, die sprichwörtliche Pfeffersack-Mentalität sei in Hamburg noch nicht überwunden. Und hätte man einen Erweiterungsbau nicht auch als Chance nutzen können, um - was ja so unsinnig nicht wäre - nach aussen ein Zeichen zu setzen und damit die Attraktivität des Museums zu steigern?
Gut bespielbarer Erweiterungstrakt
Die Museumsleitung jedenfalls ist überglücklich, endlich die ärgste Raumnot überwunden zu haben. Der mit dem Anbau beauftragte Hamburger Architekt Jan Störmer und sein Londoner Partner Will Alsop schufen zwar kein atemberaubendes Juwel, wohl aber einen sehr ordentlichen, gut bespielbaren Gebäudetrakt, der - auch das ist ja beileibe keine Selbstverständlichkeit - vom Respekt gegenüber dem Bestand zeugt. Der L-förmige Neubau nimmt bei einer Fläche von rund 4500 m² vor allem eine dem Museum jüngst übereignete Sammlung historischer Tasteninstrumente auf. Daneben bietet er Raum für die Bibliothek, das Restaurant, ein grosszügiges Vestibül und das «Forum Gestaltung», wo von nun an in wechselnden Präsentationen neue Design-Tendenzen aufgezeigt werden sollen.
Spannender als der Neubau mag dem architekturinteressierten Publikum freilich die Sonderschau erscheinen, die das Museum derzeit dem Werk des hauptsächlich in Hamburg tätigen Architekten Alexis de Chateauneuf (1799-1853) widmet. Sein Name dürfte zwar selbst in der Hansestadt nur wenigen geläufig sein, doch es gibt einen hervorragenden Anknüpfungspunkt: Wer je auf dem Hamburger Rathausmarkt stand und von dort Richtung Jungfernstieg und Binnenalster blickte, wird sich an jene malerischen Arkadenreihe entlang der Kleinen Alster erinnern, die der Hansestadt an dieser Stelle ein fast schon mediterranes Flair verleiht. Die Alsterarkaden sind zweifellos das bekannteste Werk im umfangreichen und vielfältigen Schaffen Chateauneufs, den die Ausstellungsmacher als einen «der bedeutendsten Neuerer der europäischen Architektur auf dem Weg zur Moderne» vorstellen möchten. Eine Einschätzung, die zunächst überraschen mag, für die man aber mit Fritz Schumacher einen prominenten Kronzeugen vorweisen kann.
Schumacher bezeichnete den Baumeister in seiner Schrift «Strömungen in deutscher Baukunst seit 1800» als «die wohl einzige architektonische Persönlichkeit, die in der Jahrhundertmitte mit Semper an Begabung wetteifern kann». Auch die Ehrenmitgliedschaft im Royal Institute of British Architects, die man Chateauneuf im Jahre 1835, übrigens gemeinsam mit keinen Geringeren als Karl Friedrich Schinkel und Leo von Klenze, antrug, ist ein starkes Indiz für die Wertschätzung, die dem Architekten selbst auf internationaler Ebene von verständigen Zeitgenossen zuteil wurde. Wenn Chateauneufs architekturgeschichtliche Bedeutung trotz seinem entwerferischen Talent, für das in der Ausstellung zahlreiche Proben zu sehen sind, nicht an die von Semper heranreicht, so dürfte dafür, abgesehen von seiner kürzeren Lebenszeit, eine Mischung aus ungünstigen äusseren Bedingungen und persönlichen Unzulänglichkeiten verantwortlich sein.
Katastrophe als Wendepunkt
Chateauneuf, Spross eines französischen Emigranten und einer Hamburgerin, wuchs in der Hansestadt auf. Seine Ausbildung, der eine Zimmermannslehre vorausging, erhielt er während eines dreijährigen Studiums beim Karlsruher Klassizisten Friedrich Weinbrenner. Bevor er sich anschliessend als Privatarchitekt in seiner Heimatstadt niederliess, unternahm er ausgedehnte Bildungsreisen, die ihn nicht nur nach Italien, sondern auch nach Lübeck führten, wo er sich intensiv mit der Backsteingotik beschäftigte. In Hamburg entwickelte sich Chateauneuf innerhalb weniger Jahre zu einer wichtigen Figur im städtischen Kulturleben. Da seine Bemühungen um grosse öffentliche Bauaufträge für längere Zeit vergeblich blieben, musste er sich zunächst mit wenig spektakulären Aufträgen begnügen. Unter seinen frühen Bauten sind vor allem die 1826 aus unverputzten Backsteinen errichteten Stadthäuser bemerkenswert, mit denen er die folgenreiche Renaissance dieses Baumaterials in der Hansestadt einläutete. Ein erster Markstein in seinem Schaffen bedeutete die 1836 fertiggestellte Stadtvilla Abendroth. Für diesen noblen, viel beachteten Bau am Jungfernstieg entwarf Chateauneuf auch das gesamte Interieur. Dabei blieb er jedoch, im Gegensatz zu seiner Architektur, für die er in ganz undogmatischer Weise Elemente anderer historischer Stilepochen, insbesondere der Gotik und der Renaissance, benutzte, dem Formenvokabular des Klassizismus verpflichtet.
Aus Frustration über seine unbefriedigende berufliche Situation verliess Chateauneuf 1838 Hamburg und versuchte einen Neuanfang in London. Doch trotz einigen Achtungserfolgen, etwa einem 2. Preis beim Wettbewerb für die Londoner Börse, gelang es ihm nicht, dort dauerhaft Fuss zu fassen. Den Wendepunkt in seiner Karriere verdankte Chateauneuf schliesslich einer Katastrophe. Ein Grossbrand zerstörte 1842 erhebliche Teile der Hamburger Innenstadt. In der darauf folgenden Wiederaufbauphase erlangte Chateauneuf als Städtebauer und Architekt einen massgeblichen Einfluss auf die Neugestaltung der Stadt. Er wurde zum Vorsitzenden der «Technischen Kommission» ernannt, die die Bauplanungen leitete, und konnte in dieser Funktion seinen Entwurf für das noch immer bestehende städtebauliche Ensemble um Börse und Rathaus durchsetzen. Als Privatarchitekt erhielt er Aufträge für die Alsterarkaden, die nahe gelegene alte Stadtpost und den Wiederaufbau der Petrikirche.
Nach den kurzen Hamburger Boomjahren konnte sich Chateauneuf in Oslo als Kirchenbauer noch einmal hervortun, ehe er, ausgebrannt und geistig zerrüttet, bereits 1853 verstarb. Nach jahrzehntelanger Missachtung wird sein durch Abrisswut und Kriegszerstörung dezimiertes Bauerbe heute an allen Orten seines Wirkens gepflegt. - Die thematisch, nach Baugattungen und wichtigen Einzelprojekten gegliederte Schau, deren Aufmachung etwas traditionell, in diesem Rahmen aber durchaus überzeugend ausfällt, präsentiert eine Vielzahl von Dokumenten zu annähernd 100 Arbeiten Chateauneufs. Neben kolorierten Zeichnungen, Plänen und Skizzenblättern vermitteln eigens angefertigte Modelle einen Eindruck von den bedeutendsten Bauten und Entwürfen.
Zu den Höhepunkten der von David Klemm zusammengestellten Schau zählen zwei im Museum original erhaltene beziehungsweise nach dem originalen Vorbild rekonstruierte Interieurs, die hier für einmal in einem neuen Licht zu erleben sind: ein kleines Kabinett aus dem Landhaus Sieveking und das berühmte, ganz offensichtlich von Schinkel inspirierte Balkonzimmer aus der Villa Abendroth. Die Begleitpublikation zur Ausstellung enthält ausser einer Reihe von Aufsätzen ein komplettes Werkverzeichnis.
[ Bis 19. November. Katalog: Alexis de Chateauneuf (1799- 1853). Architekt in Hamburg, London und Oslo. Hrsg. von David Klemm und Hartmut Frank. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 2000. 336 S., DM 48.- (in der Ausstellung). ]
Man kann die Sache indessen auch anders sehen. Der Umstand, dass das Museum seit Anfang des 20. Jahrhunderts bei den Stadtvätern einen immer dringlicheren Raumbedarf anmeldete, der erst jetzt mit privater Hilfe befriedigt werden konnte, legt die Vermutung nahe, die sprichwörtliche Pfeffersack-Mentalität sei in Hamburg noch nicht überwunden. Und hätte man einen Erweiterungsbau nicht auch als Chance nutzen können, um - was ja so unsinnig nicht wäre - nach aussen ein Zeichen zu setzen und damit die Attraktivität des Museums zu steigern?
Gut bespielbarer Erweiterungstrakt
Die Museumsleitung jedenfalls ist überglücklich, endlich die ärgste Raumnot überwunden zu haben. Der mit dem Anbau beauftragte Hamburger Architekt Jan Störmer und sein Londoner Partner Will Alsop schufen zwar kein atemberaubendes Juwel, wohl aber einen sehr ordentlichen, gut bespielbaren Gebäudetrakt, der - auch das ist ja beileibe keine Selbstverständlichkeit - vom Respekt gegenüber dem Bestand zeugt. Der L-förmige Neubau nimmt bei einer Fläche von rund 4500 m² vor allem eine dem Museum jüngst übereignete Sammlung historischer Tasteninstrumente auf. Daneben bietet er Raum für die Bibliothek, das Restaurant, ein grosszügiges Vestibül und das «Forum Gestaltung», wo von nun an in wechselnden Präsentationen neue Design-Tendenzen aufgezeigt werden sollen.
Spannender als der Neubau mag dem architekturinteressierten Publikum freilich die Sonderschau erscheinen, die das Museum derzeit dem Werk des hauptsächlich in Hamburg tätigen Architekten Alexis de Chateauneuf (1799-1853) widmet. Sein Name dürfte zwar selbst in der Hansestadt nur wenigen geläufig sein, doch es gibt einen hervorragenden Anknüpfungspunkt: Wer je auf dem Hamburger Rathausmarkt stand und von dort Richtung Jungfernstieg und Binnenalster blickte, wird sich an jene malerischen Arkadenreihe entlang der Kleinen Alster erinnern, die der Hansestadt an dieser Stelle ein fast schon mediterranes Flair verleiht. Die Alsterarkaden sind zweifellos das bekannteste Werk im umfangreichen und vielfältigen Schaffen Chateauneufs, den die Ausstellungsmacher als einen «der bedeutendsten Neuerer der europäischen Architektur auf dem Weg zur Moderne» vorstellen möchten. Eine Einschätzung, die zunächst überraschen mag, für die man aber mit Fritz Schumacher einen prominenten Kronzeugen vorweisen kann.
Schumacher bezeichnete den Baumeister in seiner Schrift «Strömungen in deutscher Baukunst seit 1800» als «die wohl einzige architektonische Persönlichkeit, die in der Jahrhundertmitte mit Semper an Begabung wetteifern kann». Auch die Ehrenmitgliedschaft im Royal Institute of British Architects, die man Chateauneuf im Jahre 1835, übrigens gemeinsam mit keinen Geringeren als Karl Friedrich Schinkel und Leo von Klenze, antrug, ist ein starkes Indiz für die Wertschätzung, die dem Architekten selbst auf internationaler Ebene von verständigen Zeitgenossen zuteil wurde. Wenn Chateauneufs architekturgeschichtliche Bedeutung trotz seinem entwerferischen Talent, für das in der Ausstellung zahlreiche Proben zu sehen sind, nicht an die von Semper heranreicht, so dürfte dafür, abgesehen von seiner kürzeren Lebenszeit, eine Mischung aus ungünstigen äusseren Bedingungen und persönlichen Unzulänglichkeiten verantwortlich sein.
Katastrophe als Wendepunkt
Chateauneuf, Spross eines französischen Emigranten und einer Hamburgerin, wuchs in der Hansestadt auf. Seine Ausbildung, der eine Zimmermannslehre vorausging, erhielt er während eines dreijährigen Studiums beim Karlsruher Klassizisten Friedrich Weinbrenner. Bevor er sich anschliessend als Privatarchitekt in seiner Heimatstadt niederliess, unternahm er ausgedehnte Bildungsreisen, die ihn nicht nur nach Italien, sondern auch nach Lübeck führten, wo er sich intensiv mit der Backsteingotik beschäftigte. In Hamburg entwickelte sich Chateauneuf innerhalb weniger Jahre zu einer wichtigen Figur im städtischen Kulturleben. Da seine Bemühungen um grosse öffentliche Bauaufträge für längere Zeit vergeblich blieben, musste er sich zunächst mit wenig spektakulären Aufträgen begnügen. Unter seinen frühen Bauten sind vor allem die 1826 aus unverputzten Backsteinen errichteten Stadthäuser bemerkenswert, mit denen er die folgenreiche Renaissance dieses Baumaterials in der Hansestadt einläutete. Ein erster Markstein in seinem Schaffen bedeutete die 1836 fertiggestellte Stadtvilla Abendroth. Für diesen noblen, viel beachteten Bau am Jungfernstieg entwarf Chateauneuf auch das gesamte Interieur. Dabei blieb er jedoch, im Gegensatz zu seiner Architektur, für die er in ganz undogmatischer Weise Elemente anderer historischer Stilepochen, insbesondere der Gotik und der Renaissance, benutzte, dem Formenvokabular des Klassizismus verpflichtet.
Aus Frustration über seine unbefriedigende berufliche Situation verliess Chateauneuf 1838 Hamburg und versuchte einen Neuanfang in London. Doch trotz einigen Achtungserfolgen, etwa einem 2. Preis beim Wettbewerb für die Londoner Börse, gelang es ihm nicht, dort dauerhaft Fuss zu fassen. Den Wendepunkt in seiner Karriere verdankte Chateauneuf schliesslich einer Katastrophe. Ein Grossbrand zerstörte 1842 erhebliche Teile der Hamburger Innenstadt. In der darauf folgenden Wiederaufbauphase erlangte Chateauneuf als Städtebauer und Architekt einen massgeblichen Einfluss auf die Neugestaltung der Stadt. Er wurde zum Vorsitzenden der «Technischen Kommission» ernannt, die die Bauplanungen leitete, und konnte in dieser Funktion seinen Entwurf für das noch immer bestehende städtebauliche Ensemble um Börse und Rathaus durchsetzen. Als Privatarchitekt erhielt er Aufträge für die Alsterarkaden, die nahe gelegene alte Stadtpost und den Wiederaufbau der Petrikirche.
Nach den kurzen Hamburger Boomjahren konnte sich Chateauneuf in Oslo als Kirchenbauer noch einmal hervortun, ehe er, ausgebrannt und geistig zerrüttet, bereits 1853 verstarb. Nach jahrzehntelanger Missachtung wird sein durch Abrisswut und Kriegszerstörung dezimiertes Bauerbe heute an allen Orten seines Wirkens gepflegt. - Die thematisch, nach Baugattungen und wichtigen Einzelprojekten gegliederte Schau, deren Aufmachung etwas traditionell, in diesem Rahmen aber durchaus überzeugend ausfällt, präsentiert eine Vielzahl von Dokumenten zu annähernd 100 Arbeiten Chateauneufs. Neben kolorierten Zeichnungen, Plänen und Skizzenblättern vermitteln eigens angefertigte Modelle einen Eindruck von den bedeutendsten Bauten und Entwürfen.
Zu den Höhepunkten der von David Klemm zusammengestellten Schau zählen zwei im Museum original erhaltene beziehungsweise nach dem originalen Vorbild rekonstruierte Interieurs, die hier für einmal in einem neuen Licht zu erleben sind: ein kleines Kabinett aus dem Landhaus Sieveking und das berühmte, ganz offensichtlich von Schinkel inspirierte Balkonzimmer aus der Villa Abendroth. Die Begleitpublikation zur Ausstellung enthält ausser einer Reihe von Aufsätzen ein komplettes Werkverzeichnis.
[ Bis 19. November. Katalog: Alexis de Chateauneuf (1799- 1853). Architekt in Hamburg, London und Oslo. Hrsg. von David Klemm und Hartmut Frank. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 2000. 336 S., DM 48.- (in der Ausstellung). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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