Bauwerk
Beisheim Center - Ritz Carlton Tower
Hilmer Sattler Architekten Ahlers Albrecht - Berlin (D) - 2004
Geduckte Berliner Skyline
Das Beisheim-Center schliesst den Potsdamer Platz
2. April 2004 - Roman Hollenstein
Der Potsdamer Platz, einst Inbegriff des modernen Berlin, war nach dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs und dem Mauerbau weitgehend ausradiert; doch heute verkörpert er in ganz anderer Erscheinung erneut den Mythos der Metropole. Jüngst fand er nun mit der Einweihung des Beisheim-Centers seinen baulichen Abschluss.
Im Jahre 15 nach dem Mauerfall ist das Berliner Baufieber deutlich abgeklungen. Während die vielgeschmähte steinerne Architektur mit den Leibniz-Kolonnaden von Hans Kollhoff in Charlottenburg und mit Frank Gehrys DZ-Bank am Pariser Platz durchaus auch respektable Lösungen hervorgebracht hat, scheint es ungewiss, ob Günter Behnischs Akademiegebäude aus Glas und Stahl das historische Platzgeviert am Brandenburger Tor stärken wird, auch wenn es qualitativ die benachbarte Kulissenarchitektur des Hotels Adlon und vermutlich auch die gegenüberliegende französische Botschaft von Christian de Portzamparc in den Schatten stellen dürfte. Deren Schwäche offenbart sich im Vergleich mit dem Glanzlicht unter all den neuen Berliner Landesvertretungen: der unlängst vollendeten niederländischen Botschaft. Der von Rem Koolhaas konzipierte Bau darf wohl zusammen mit Daniel Libeskinds Jüdischem Museum als Höhepunkt der neuen Hauptstadtarchitektur bezeichnet werden. Neben diesen Einzelwerken ragt als Ensemble der Potsdamer Platz aus dem steinernen Berliner Alltagsgrau heraus. Gross angelegte Medienkampagnen und die inzwischen verschwundene Infobox machten das Ballett der Baukräne auf «Europas grösster Baustelle» zur Touristenattraktion.
Mythos Weltstadt
Die Anziehungskraft des historisch jungen Potsdamer Platzes hat Tradition. Schon in den wilden zwanziger Jahren schwärmten Flaneure und Feuilletonisten vom metropolitanen Flair der «verkehrsreichsten Kreuzung Europas». Mit ihren grossen Hotels, Vergnügungsetablissements und Lichtreklamen war sie das pulsierende Herz der Stadt. Dieses erhielt 1929 mit Erich Mendelsohns sachlich-modernem, durch gekurvte Bandfenster dynamisiertem Columbus-Haus ein zukunftsweisendes Wahrzeichen. Es hätte - nach einem urbanistischen Entwurf der Brüder Luckhardt - zusammen mit seinem südlich der Potsdamer Strasse zu errichtenden Spiegelbild einen 14-stöckigen Turm aus Glas und Stahl rahmen sollen. Doch bald schon erstarrten diese futuristischen Ideen im eisigen Wind der Nazidiktatur. In den fünfziger Jahren musste schliesslich das nach dem Krieg wieder hergerichtete Columbus-Haus zusammen mit anderen baulichen Überbleibseln der Mauer und dem Todesstreifen weichen.
Nach der Wiedervereinigung weckte die riesige Brache zwischen dem Westberliner Kulturforum und der Ostberliner Friedrichstadt als zentral gelegenes Scharnier sogleich die Aufmerksamkeit der Investoren. 1991 wurde ein städtebaulicher Ideenwettbewerb für den Leipziger und den Potsdamer Platz durchgeführt. Das Siegerprojekt von Hilmer & Sattler, das dem vom Senat propagierten Ideal der «Europäischen Stadt» verpflichtet war, sollte - obgleich von Kritik und Architektenschaft stark angefeindet - die Zukunft des neu zu bebauenden Areals bestimmen: Die sechs bis zu vier Hektaren grossen «Filetstücke» am Potsdamer Platz gingen an Grossinvestoren, wobei sich die Daimler-Benz-Tochter Debis gleich deren zwei sicherte. Im Realisierungswettbewerb für das seither dominierende Debis-Areal wurde 1993 der Masterplan von Renzo Piano gekürt, der mit Gassen, Strassen, Plätzen und Blockrandbauten die Vorgaben von Hilmer & Sattler berücksichtigte.
Während auf dem Debis-Areal die im Wettbewerb auf die Plätze verwiesenen Architekten - Kollhoff, Moneo, Rogers und Isozaki - ebenfalls bauen durften, realisierte Helmut Jahn auf der nördlich anschliessenden Tranche für Sony im Alleingang einen amerikanisch anmutenden Geschäfts- und Unterhaltungskomplex aus Stahl und Glas. Bei den von Giorgio Grassi konzipierten Park-Kolonnaden schliesslich, die den Platz nach Süden hin begrenzen, überzeugen vor allem die beiden L-förmig einen Hof umschliessenden Wohnblocks von Roger Diener. Missglückt hingegen ist das prominenteste Gebäude der Kolonnaden: der direkt an den Potsdamer Platz vorstossende Kopfbau von Schweger & Partner, dessen verglaste Rundung an das einstige Haus «Vaterland» erinnern soll. Der 12-geschossige Hochhausstummel hat nun quer über den Platz hinweg mit Kollhoffs 17-geschossigem Delbrück-Haus und dem 18-geschossigen Beisheim-Tower von Hilmer & Sattler ein vornehmes Gegenüber erhalten. Zusammen mit den Debis-Türmen von Piano und Kollhoff sowie Jahns über 100 Meter hohem Sony-Tower bilden sie eine etwas geduckt wirkende Skyline im Herzen der Stadt.
Eine Insel des Konsums
Damit schliessen jetzt - knapp zehn Jahre nach Baubeginn und fünf Jahre nach der Teileröffnung des Debis-Centers - sechs die Spitze der jeweiligen «Tortenstücke» markierende Hochhäuser den Potsdamer Platz halbkreisförmig, während nach Osten hin der Leipziger Platz nur langsam seiner Vollendung entgegengeht. Blickt man vom Nobelhotel Ritz-Carlton, das die ersten elf Etagen des einem amerikanischen Art-déco-Hochhaus nachempfundenen Beisheim-Towers einnimmt, oder aus den darüber liegenden Luxuswohnungen auf den Potsdamer Platz, so schliesst sich dieser zu einem einprägsamen Grossstadtbild. Tagsüber rahmen die Türme aus Stein, Klinker, Terracotta und Glas ein pulsierendes Strassenleben, während nachts die leuchtenden Fassaden als Hauptdarsteller agieren. Hinter ihnen verbirgt sich das neue Quartier, das sich - ursprünglich als Gelenk zwischen Ost und West gedacht - wie eine isolierte Insel des Konsums im innerstädtischen Niemandsland von Tiergarten, Kulturforum und Gleisdreieck ausdehnt.
Obwohl Renzo Piano auf dem Debis-Areal einen Wohnen, Arbeiten und Freizeitvergnügen vereinenden städtischen Kosmos schaffen wollte, ist nicht viel mehr als eine riesige Shopping-Mall mit U- und S-Bahn-Anschluss in einer ebenso zentralen wie isolierten Lage entstanden. Sie wirkt trotz Kinos und Restaurants, Hotel, Musicaltheater und Spielcasino am Abend recht vorstädtisch. Wohl fühlt man sich an der von stattlichen Linden und historischen Randsteinen gefassten Alten Potsdamer Strasse durchaus in einem traditionellen Stadtraum. Doch die überwiegend mit gelboranger Terracotta verkleideten Fassaden erinnern an eine Retortenstadt, auch wenn das 100-jährige Weinhaus Hut als einziger weitgehend erhalten gebliebener historischer Bau und Kollhoffs abgetreppter Klinkerturm Geschichte vorgaukeln. Es sind denn auch diese beiden Bauten, welche der Strasse jene Festigkeit verleihen, die man nur wenige Schritte weiter am Marlene- Dietrich-Platz umso mehr vermisst.
Der mit schrägen Metallplatten camouflierte Doppelbau von Musicaltheater und Casino, dessen mehrfach gebrochene Form auf die dahinter sich verbergende Staatsbibliothek von Hans Scharoun anspielt, möchte die städtebaulich schwierige Situation am Ende der kurzen Alten Potsdamer Strasse zu einer Plaza formen, doch versperrt er den Übergang zum Kulturforum, das man nun nur an einem kleinen See vorbei erreichen kann. In diesem spiegelt sich Pianos gelungenster Bau, die in einem Hochhaus kulminierende Debis-Verwaltungszentrale mit ihrer kathedralartigen Galerie, die sich jenseits einer tristen Stichstrasse in der glasüberdachten Einkaufswelt der «Arkaden» fortsetzt. Hier treffen sich jetzt täglich Zehntausende von Touristen und Berlinern aus Ost und West zum Shopping-Spass, während gleichzeitig die meisten Strassen und Hintergassen des Quartiers veröden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass man für das ganze Potsdamer-Platz-Viertel nur einen Wohnanteil von 20 Prozent vorgeschrieben hat und nun viele der raren Apartments als temporäre Wohnungen für Firmenmitarbeiter genutzt werden. Dabei gäbe es genügend Platz für Wohnhäuser - im Bereich des locker bebauten Kulturforums ebenso wie auf dem von den Amsterdamer Landschaftsarchitekten Bruno Doedens und Maike van Stiphout geschaffenen Tilla-Durieux- Park, der im Grunde nichts anderes ist als eine künstlich geböschte Rasenskulptur von 450 Metern Länge, die das Debis-Areal städtebaulich wenig sinnvoll von den Park-Kolonnaden trennt.
Luxus im Beisheim-Center
Verglichen mit der Vergnügungswelt des Debis-Areals, dessen Pop-Tech sich zumindest zeitweise zu einem städtischen Raum verdichtet, erscheint das Sony-Quartier wie ein metropolitaner Themenpark, der mit seinen anonymen Fassaden und dem völlig unmotiviert gekurvten Glasturm den Glamour eines amerikanischen Business District zelebriert. Bei Dunkelheit aber herrscht im riesigen Innenhof, der von einer gigantischen, stets die Farbe wechselnden Zeltkonstruktion überfangen ist, ein magisches Halbdunkel, in welchem raffinierte Lichteffekte und Sphärenklänge etwas Surreal-Science-Fiction-Artiges evozieren.
Eine ganz andere Atmosphäre herrscht auf dem jüngst erst eingeweihten, weitgehend nach den 1991 von Hilmer & Sattler erstellten Vorgaben realisierten Lenné-Areal, das von der Gebäudegruppe des nach Otto Beisheim, dem Investor und Gründer der Metro-Handelsgruppe, benannten Beisheim-Centers dominiert wird. Den Eingang ins Quartier markieren die beiden durch platzseitige Ecktürme akzentuierten Blockrandbebauungen des Beisheim-Towers und des Delbrück-Hauses, die mit ihren reich gegliederten Steinfassaden die Tradition des amerikanischen Hochhausbaus fortschreiben. Sie bilden den Auftakt zur kurzen Auguste-Hauschner-Strasse, die sich vor dem im «Chicago-Stil» errichteten Bürohaus von Hilmer & Sattler und dem sich durch eine spektakuläre Lobby auszeichnenden «Marriott» von Bernd Albers zum kleinen Inge-Beisheim-Platz weitet. Danach atmet die von zwei stimmungsvollen Hofgärten gesäumte Strasse etwas vom Geist eines noblen Mailänder Wohnquartiers aus dem frühen 20. Jahrhundert. Dass hier nicht nur prestigebewusste Firmen, sondern auch zahlungskräftige Bewohner einziehen sollen, zeigen neben den Luxusapartments im Beisheim- Tower die nahezu fertiggestellten grossbürgerlichen Eigentumswohnungen in den zehngeschossigen «Parkside Apartments» von David Chipperfield, von denen aus man über die ebenfalls von Doedens und van Stiphout als «Gartenkunstwerk» gestaltete Henriette-Herz-Anlage auf den Tiergarten blickt. Architektonisch weniger interessant als Chipperfields wuchtiger Steinbau, der mit seinen burgartig abgerundeten Ecken entfernt an Mendelsohns Anglo-Palestine-Bank in Jerusalem erinnert, sind die ebenfalls zehnstöckigen, jedoch von zweitrangigen Architekten errichteten «Stadtvillen» mit Wohn- und Bürogeschossen.
So bietet denn der neue Potsdamer Platz die unterschiedlichsten Bilder: vom traditionsbewussten Nobelviertel bei Beisheim über die Futureworld bei Sony und den Jahrmarkt bei Debis bis hin zur rationalistischen Strenge der Park-Kolonnaden. Allen architektonischen und urbanistischen Ungereimtheiten zum Trotz ist hier - gleichsam als Quintessenz von Moderne und Postmoderne - ein interessantes Stück Stadt des frühen 21. Jahrhunderts entstanden, das auf vielfältige Weise immer wichtiger werdende städtebauliche Aspekte wie Entertainment, Shopping und die damit einhergehende Verwandlung der Innenstadt in einen Themenpark, aber auch das Verschwinden des öffentlichen Raums veranschaulicht.
Im Jahre 15 nach dem Mauerfall ist das Berliner Baufieber deutlich abgeklungen. Während die vielgeschmähte steinerne Architektur mit den Leibniz-Kolonnaden von Hans Kollhoff in Charlottenburg und mit Frank Gehrys DZ-Bank am Pariser Platz durchaus auch respektable Lösungen hervorgebracht hat, scheint es ungewiss, ob Günter Behnischs Akademiegebäude aus Glas und Stahl das historische Platzgeviert am Brandenburger Tor stärken wird, auch wenn es qualitativ die benachbarte Kulissenarchitektur des Hotels Adlon und vermutlich auch die gegenüberliegende französische Botschaft von Christian de Portzamparc in den Schatten stellen dürfte. Deren Schwäche offenbart sich im Vergleich mit dem Glanzlicht unter all den neuen Berliner Landesvertretungen: der unlängst vollendeten niederländischen Botschaft. Der von Rem Koolhaas konzipierte Bau darf wohl zusammen mit Daniel Libeskinds Jüdischem Museum als Höhepunkt der neuen Hauptstadtarchitektur bezeichnet werden. Neben diesen Einzelwerken ragt als Ensemble der Potsdamer Platz aus dem steinernen Berliner Alltagsgrau heraus. Gross angelegte Medienkampagnen und die inzwischen verschwundene Infobox machten das Ballett der Baukräne auf «Europas grösster Baustelle» zur Touristenattraktion.
Mythos Weltstadt
Die Anziehungskraft des historisch jungen Potsdamer Platzes hat Tradition. Schon in den wilden zwanziger Jahren schwärmten Flaneure und Feuilletonisten vom metropolitanen Flair der «verkehrsreichsten Kreuzung Europas». Mit ihren grossen Hotels, Vergnügungsetablissements und Lichtreklamen war sie das pulsierende Herz der Stadt. Dieses erhielt 1929 mit Erich Mendelsohns sachlich-modernem, durch gekurvte Bandfenster dynamisiertem Columbus-Haus ein zukunftsweisendes Wahrzeichen. Es hätte - nach einem urbanistischen Entwurf der Brüder Luckhardt - zusammen mit seinem südlich der Potsdamer Strasse zu errichtenden Spiegelbild einen 14-stöckigen Turm aus Glas und Stahl rahmen sollen. Doch bald schon erstarrten diese futuristischen Ideen im eisigen Wind der Nazidiktatur. In den fünfziger Jahren musste schliesslich das nach dem Krieg wieder hergerichtete Columbus-Haus zusammen mit anderen baulichen Überbleibseln der Mauer und dem Todesstreifen weichen.
Nach der Wiedervereinigung weckte die riesige Brache zwischen dem Westberliner Kulturforum und der Ostberliner Friedrichstadt als zentral gelegenes Scharnier sogleich die Aufmerksamkeit der Investoren. 1991 wurde ein städtebaulicher Ideenwettbewerb für den Leipziger und den Potsdamer Platz durchgeführt. Das Siegerprojekt von Hilmer & Sattler, das dem vom Senat propagierten Ideal der «Europäischen Stadt» verpflichtet war, sollte - obgleich von Kritik und Architektenschaft stark angefeindet - die Zukunft des neu zu bebauenden Areals bestimmen: Die sechs bis zu vier Hektaren grossen «Filetstücke» am Potsdamer Platz gingen an Grossinvestoren, wobei sich die Daimler-Benz-Tochter Debis gleich deren zwei sicherte. Im Realisierungswettbewerb für das seither dominierende Debis-Areal wurde 1993 der Masterplan von Renzo Piano gekürt, der mit Gassen, Strassen, Plätzen und Blockrandbauten die Vorgaben von Hilmer & Sattler berücksichtigte.
Während auf dem Debis-Areal die im Wettbewerb auf die Plätze verwiesenen Architekten - Kollhoff, Moneo, Rogers und Isozaki - ebenfalls bauen durften, realisierte Helmut Jahn auf der nördlich anschliessenden Tranche für Sony im Alleingang einen amerikanisch anmutenden Geschäfts- und Unterhaltungskomplex aus Stahl und Glas. Bei den von Giorgio Grassi konzipierten Park-Kolonnaden schliesslich, die den Platz nach Süden hin begrenzen, überzeugen vor allem die beiden L-förmig einen Hof umschliessenden Wohnblocks von Roger Diener. Missglückt hingegen ist das prominenteste Gebäude der Kolonnaden: der direkt an den Potsdamer Platz vorstossende Kopfbau von Schweger & Partner, dessen verglaste Rundung an das einstige Haus «Vaterland» erinnern soll. Der 12-geschossige Hochhausstummel hat nun quer über den Platz hinweg mit Kollhoffs 17-geschossigem Delbrück-Haus und dem 18-geschossigen Beisheim-Tower von Hilmer & Sattler ein vornehmes Gegenüber erhalten. Zusammen mit den Debis-Türmen von Piano und Kollhoff sowie Jahns über 100 Meter hohem Sony-Tower bilden sie eine etwas geduckt wirkende Skyline im Herzen der Stadt.
Eine Insel des Konsums
Damit schliessen jetzt - knapp zehn Jahre nach Baubeginn und fünf Jahre nach der Teileröffnung des Debis-Centers - sechs die Spitze der jeweiligen «Tortenstücke» markierende Hochhäuser den Potsdamer Platz halbkreisförmig, während nach Osten hin der Leipziger Platz nur langsam seiner Vollendung entgegengeht. Blickt man vom Nobelhotel Ritz-Carlton, das die ersten elf Etagen des einem amerikanischen Art-déco-Hochhaus nachempfundenen Beisheim-Towers einnimmt, oder aus den darüber liegenden Luxuswohnungen auf den Potsdamer Platz, so schliesst sich dieser zu einem einprägsamen Grossstadtbild. Tagsüber rahmen die Türme aus Stein, Klinker, Terracotta und Glas ein pulsierendes Strassenleben, während nachts die leuchtenden Fassaden als Hauptdarsteller agieren. Hinter ihnen verbirgt sich das neue Quartier, das sich - ursprünglich als Gelenk zwischen Ost und West gedacht - wie eine isolierte Insel des Konsums im innerstädtischen Niemandsland von Tiergarten, Kulturforum und Gleisdreieck ausdehnt.
Obwohl Renzo Piano auf dem Debis-Areal einen Wohnen, Arbeiten und Freizeitvergnügen vereinenden städtischen Kosmos schaffen wollte, ist nicht viel mehr als eine riesige Shopping-Mall mit U- und S-Bahn-Anschluss in einer ebenso zentralen wie isolierten Lage entstanden. Sie wirkt trotz Kinos und Restaurants, Hotel, Musicaltheater und Spielcasino am Abend recht vorstädtisch. Wohl fühlt man sich an der von stattlichen Linden und historischen Randsteinen gefassten Alten Potsdamer Strasse durchaus in einem traditionellen Stadtraum. Doch die überwiegend mit gelboranger Terracotta verkleideten Fassaden erinnern an eine Retortenstadt, auch wenn das 100-jährige Weinhaus Hut als einziger weitgehend erhalten gebliebener historischer Bau und Kollhoffs abgetreppter Klinkerturm Geschichte vorgaukeln. Es sind denn auch diese beiden Bauten, welche der Strasse jene Festigkeit verleihen, die man nur wenige Schritte weiter am Marlene- Dietrich-Platz umso mehr vermisst.
Der mit schrägen Metallplatten camouflierte Doppelbau von Musicaltheater und Casino, dessen mehrfach gebrochene Form auf die dahinter sich verbergende Staatsbibliothek von Hans Scharoun anspielt, möchte die städtebaulich schwierige Situation am Ende der kurzen Alten Potsdamer Strasse zu einer Plaza formen, doch versperrt er den Übergang zum Kulturforum, das man nun nur an einem kleinen See vorbei erreichen kann. In diesem spiegelt sich Pianos gelungenster Bau, die in einem Hochhaus kulminierende Debis-Verwaltungszentrale mit ihrer kathedralartigen Galerie, die sich jenseits einer tristen Stichstrasse in der glasüberdachten Einkaufswelt der «Arkaden» fortsetzt. Hier treffen sich jetzt täglich Zehntausende von Touristen und Berlinern aus Ost und West zum Shopping-Spass, während gleichzeitig die meisten Strassen und Hintergassen des Quartiers veröden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass man für das ganze Potsdamer-Platz-Viertel nur einen Wohnanteil von 20 Prozent vorgeschrieben hat und nun viele der raren Apartments als temporäre Wohnungen für Firmenmitarbeiter genutzt werden. Dabei gäbe es genügend Platz für Wohnhäuser - im Bereich des locker bebauten Kulturforums ebenso wie auf dem von den Amsterdamer Landschaftsarchitekten Bruno Doedens und Maike van Stiphout geschaffenen Tilla-Durieux- Park, der im Grunde nichts anderes ist als eine künstlich geböschte Rasenskulptur von 450 Metern Länge, die das Debis-Areal städtebaulich wenig sinnvoll von den Park-Kolonnaden trennt.
Luxus im Beisheim-Center
Verglichen mit der Vergnügungswelt des Debis-Areals, dessen Pop-Tech sich zumindest zeitweise zu einem städtischen Raum verdichtet, erscheint das Sony-Quartier wie ein metropolitaner Themenpark, der mit seinen anonymen Fassaden und dem völlig unmotiviert gekurvten Glasturm den Glamour eines amerikanischen Business District zelebriert. Bei Dunkelheit aber herrscht im riesigen Innenhof, der von einer gigantischen, stets die Farbe wechselnden Zeltkonstruktion überfangen ist, ein magisches Halbdunkel, in welchem raffinierte Lichteffekte und Sphärenklänge etwas Surreal-Science-Fiction-Artiges evozieren.
Eine ganz andere Atmosphäre herrscht auf dem jüngst erst eingeweihten, weitgehend nach den 1991 von Hilmer & Sattler erstellten Vorgaben realisierten Lenné-Areal, das von der Gebäudegruppe des nach Otto Beisheim, dem Investor und Gründer der Metro-Handelsgruppe, benannten Beisheim-Centers dominiert wird. Den Eingang ins Quartier markieren die beiden durch platzseitige Ecktürme akzentuierten Blockrandbebauungen des Beisheim-Towers und des Delbrück-Hauses, die mit ihren reich gegliederten Steinfassaden die Tradition des amerikanischen Hochhausbaus fortschreiben. Sie bilden den Auftakt zur kurzen Auguste-Hauschner-Strasse, die sich vor dem im «Chicago-Stil» errichteten Bürohaus von Hilmer & Sattler und dem sich durch eine spektakuläre Lobby auszeichnenden «Marriott» von Bernd Albers zum kleinen Inge-Beisheim-Platz weitet. Danach atmet die von zwei stimmungsvollen Hofgärten gesäumte Strasse etwas vom Geist eines noblen Mailänder Wohnquartiers aus dem frühen 20. Jahrhundert. Dass hier nicht nur prestigebewusste Firmen, sondern auch zahlungskräftige Bewohner einziehen sollen, zeigen neben den Luxusapartments im Beisheim- Tower die nahezu fertiggestellten grossbürgerlichen Eigentumswohnungen in den zehngeschossigen «Parkside Apartments» von David Chipperfield, von denen aus man über die ebenfalls von Doedens und van Stiphout als «Gartenkunstwerk» gestaltete Henriette-Herz-Anlage auf den Tiergarten blickt. Architektonisch weniger interessant als Chipperfields wuchtiger Steinbau, der mit seinen burgartig abgerundeten Ecken entfernt an Mendelsohns Anglo-Palestine-Bank in Jerusalem erinnert, sind die ebenfalls zehnstöckigen, jedoch von zweitrangigen Architekten errichteten «Stadtvillen» mit Wohn- und Bürogeschossen.
So bietet denn der neue Potsdamer Platz die unterschiedlichsten Bilder: vom traditionsbewussten Nobelviertel bei Beisheim über die Futureworld bei Sony und den Jahrmarkt bei Debis bis hin zur rationalistischen Strenge der Park-Kolonnaden. Allen architektonischen und urbanistischen Ungereimtheiten zum Trotz ist hier - gleichsam als Quintessenz von Moderne und Postmoderne - ein interessantes Stück Stadt des frühen 21. Jahrhunderts entstanden, das auf vielfältige Weise immer wichtiger werdende städtebauliche Aspekte wie Entertainment, Shopping und die damit einhergehende Verwandlung der Innenstadt in einen Themenpark, aber auch das Verschwinden des öffentlichen Raums veranschaulicht.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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