Bauwerk
Dulwich Picture Gallery
Rick Mather Architects - London (GB) - 2000
Atmosphärischer Klassizismus
Wiedereröffnung der Dulwich Picture Gallery in London
Die 1811-13 von dem Architekten John Soane errichtete Dulwich Picture Gallery im Süden Londons beherbergt nicht nur eine der schönsten Gemäldesammlungen Englands, sondern sie besticht auch als Bau: die Museumsarchitektur der Gegenwart verdankt ihr wichtige Impulse. Durch das Londoner Büro Rick Mather Architects grundlegend renoviert und mit einem diskreten Erweiterungsbau versehen, ist die Galerie vor kurzem wiedereröffnet worden.
7. Juli 2000 - Ursula Seibold-Bultmann
«Warum bewundern wir die Dulwich Picture Gallery und lernen so viel von ihr? Wohl, weil ihr Klassizismus Konvention und Abweichung vom Konventionellen verbindet . . . Sie ist ein kleines Gebäude in grosszügigem Massstab, ein architektonisches Oxymoron», schrieben vor vierzehn Jahren Robert Venturi und Denise Scott Brown. Für den 1985-91 von ihnen entworfenen Sainsbury Wing der National Gallery in London übernahmen die beiden amerikanischen Architekten von Soane den Gedanken einer durch kämpferlose Bögen verbundenen Enfilade von Sälen. Und das berühmte Oberlichtsystem der Dulwich Picture Gallery wirkte inspirierend nicht nur auf sie, sondern etwa auch auf Henry Cobb (Portland Museum of Art, 1978-82) und Richard Meier (Getty Center, 1984-97).
Architektur und Kunst
Gleichzeitig verblüfft die Galerie ihre Besucher als bauliches Kuriosum. Ihr Äusseres erinnert an die Ziegelarchitektur der römischen Antike ebenso wie an alte Lagerhäuser in den Docks von London oder Liverpool, an ägyptische Tempel und die Stallgebäude englischer Landhäuser. In ihrer Mitte findet man ein von gelbem Licht durchströmtes Mausoleum, in dem der 1807 verstorbene Londoner Kunsthändler Noël Desenfans und seine Frau Margaret sowie der Maler Sir Francis Bourgeois begraben sind. Desenfans und Bourgeois hatten für den letzten König von Polen, Stanislaus II., den Grundstock zu einer polnischen Nationalgalerie zusammengetragen. Da aber der Monarch 1795 zur Abdankung gezwungen wurde, verblieben die kapitalen Kunstwerke - darunter Poussins «Rinaldo und Armida» und Guido Renis «Johannes der Täufer in der Wildnis» - in London. 1811 vermachte Bourgeois die Mehrzahl von ihnen dem Dulwich College, einer im 17. Jahrhundert gestifteten wohltätigen Institution. Der erfindungsreiche Soane brachte in der nun nötig gewordenen neuen Galerie ausser den Bildern auch noch Wohnräume für sozial benachteiligte Frauen unter.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Museum mehrfach vergrössert und musste nach einem 1944 erlittenen Bombenschaden teilweise rekonstruiert werden. Aber der chronische Platzmangel blieb bestehen, und weder die Licht- noch die Sicherheitsverhältnisse genügten modernen Ansprüchen. Die jüngste Renovierung und Erweiterung (Gesamtkosten 8,3 Millionen Pfund) wurde durch substanzielle finanzielle Beteiligung des britischen Heritage Lottery Fund möglich. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Voran im Innern des Altbaus: Soanes fünf zentrale Säle strahlen jetzt wieder jene warme Nüchternheit aus, die man mit britischen Kulturinstitutionen des frühen 19. Jahrhunderts assoziiert. Nach Originalbefunden von 1823 wurden die Wände mit dunkel gebrochenem «picture gallery red» gestrichen, während der schräge Deckenansatz mit seinen grossen Stichkappen hellgrau gehalten ist. Bei den Oberlichtern dieser Räume handelt es sich nun um weitgehend getreue, aber auf heutige konservatorische Anforderungen abgestimmte Repliken von Soanes Originalen. Ein Eichenboden ersetzt die Korkfliesen der Nachkriegszeit. Auf etwas vergrösserter Ausstellungsfläche kommt die vertraute, nur leicht veränderte Hängung nach nationalen Schulen zu bester Geltung.
Um- und Neubauten
Die energischsten Neuerungen betreffen das Äussere: Der Londoner Architekt Rick Mather hat nicht bloss die während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark umgewandelte Ostfassade in freier Anlehnung an Soanes ursprünglichen Aufriss vereinfacht, sondern ihr gegenüber und im rechten Winkel zu dem angrenzenden alten College-Gebäude einen niedrigen neuen Trakt mit Café und Auditorium errichtet (da die zuständigen Denkmalpfleger die Aura einer abgerissenen Gartenmauer aus dem 18. Jahrhundert bewahren wollten, besteht er leider aus rotem statt aus dem von Soane verwendeten gelben Backstein). Ein verglaster Gang, der an zwei Flügel eines Kreuzganges erinnert und durch eine vorgelagerte Bronze-Pergola rhythmisiert wird, verbindet den Neubau mit dem College und Soanes Galerie.
Obwohl das abgesenkte, durch einen umlaufenden Oberlichtstreifen akzentuierte Deckenelement im neuen Auditorium von dem berühmten Baldachin im Frühstückszimmer des Londoner Sir John Soane Museum abgeleitet ist, hat Mathers Anbau mehr mit dem Ambiente seiner eigenen Zen- Restaurants in London und Montreal zu tun als mit Soanes vitaler Atmosphärik. Dennoch ist die Galerie inmitten des malerischen noch immer dörflich anmutenden Dulwich durch den Umbau zweifellos attraktiver geworden. Die Wiedereröffnung wird mit einer Ausstellung gefeiert, welche die komplizierte Baugeschichte des Museums, von Soanes ersten Entwürfen bis hin zu Mather, durch rund 120 Exponate veranschaulicht.
Ursula Seibold-Bultmann
Bis 30. Juli; Katalog £ 10.-. Nach zwölf Minuten Bahnfahrt und anschliessendem kurzem Fussmarsch erreicht man die Dulwich Picture Gallery von den Londoner Bahnhöfen Victoria (bis Haltestelle West Dulwich) oder London Bridge (bis Haltestelle North Dulwich).
Architektur und Kunst
Gleichzeitig verblüfft die Galerie ihre Besucher als bauliches Kuriosum. Ihr Äusseres erinnert an die Ziegelarchitektur der römischen Antike ebenso wie an alte Lagerhäuser in den Docks von London oder Liverpool, an ägyptische Tempel und die Stallgebäude englischer Landhäuser. In ihrer Mitte findet man ein von gelbem Licht durchströmtes Mausoleum, in dem der 1807 verstorbene Londoner Kunsthändler Noël Desenfans und seine Frau Margaret sowie der Maler Sir Francis Bourgeois begraben sind. Desenfans und Bourgeois hatten für den letzten König von Polen, Stanislaus II., den Grundstock zu einer polnischen Nationalgalerie zusammengetragen. Da aber der Monarch 1795 zur Abdankung gezwungen wurde, verblieben die kapitalen Kunstwerke - darunter Poussins «Rinaldo und Armida» und Guido Renis «Johannes der Täufer in der Wildnis» - in London. 1811 vermachte Bourgeois die Mehrzahl von ihnen dem Dulwich College, einer im 17. Jahrhundert gestifteten wohltätigen Institution. Der erfindungsreiche Soane brachte in der nun nötig gewordenen neuen Galerie ausser den Bildern auch noch Wohnräume für sozial benachteiligte Frauen unter.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Museum mehrfach vergrössert und musste nach einem 1944 erlittenen Bombenschaden teilweise rekonstruiert werden. Aber der chronische Platzmangel blieb bestehen, und weder die Licht- noch die Sicherheitsverhältnisse genügten modernen Ansprüchen. Die jüngste Renovierung und Erweiterung (Gesamtkosten 8,3 Millionen Pfund) wurde durch substanzielle finanzielle Beteiligung des britischen Heritage Lottery Fund möglich. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Voran im Innern des Altbaus: Soanes fünf zentrale Säle strahlen jetzt wieder jene warme Nüchternheit aus, die man mit britischen Kulturinstitutionen des frühen 19. Jahrhunderts assoziiert. Nach Originalbefunden von 1823 wurden die Wände mit dunkel gebrochenem «picture gallery red» gestrichen, während der schräge Deckenansatz mit seinen grossen Stichkappen hellgrau gehalten ist. Bei den Oberlichtern dieser Räume handelt es sich nun um weitgehend getreue, aber auf heutige konservatorische Anforderungen abgestimmte Repliken von Soanes Originalen. Ein Eichenboden ersetzt die Korkfliesen der Nachkriegszeit. Auf etwas vergrösserter Ausstellungsfläche kommt die vertraute, nur leicht veränderte Hängung nach nationalen Schulen zu bester Geltung.
Um- und Neubauten
Die energischsten Neuerungen betreffen das Äussere: Der Londoner Architekt Rick Mather hat nicht bloss die während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark umgewandelte Ostfassade in freier Anlehnung an Soanes ursprünglichen Aufriss vereinfacht, sondern ihr gegenüber und im rechten Winkel zu dem angrenzenden alten College-Gebäude einen niedrigen neuen Trakt mit Café und Auditorium errichtet (da die zuständigen Denkmalpfleger die Aura einer abgerissenen Gartenmauer aus dem 18. Jahrhundert bewahren wollten, besteht er leider aus rotem statt aus dem von Soane verwendeten gelben Backstein). Ein verglaster Gang, der an zwei Flügel eines Kreuzganges erinnert und durch eine vorgelagerte Bronze-Pergola rhythmisiert wird, verbindet den Neubau mit dem College und Soanes Galerie.
Obwohl das abgesenkte, durch einen umlaufenden Oberlichtstreifen akzentuierte Deckenelement im neuen Auditorium von dem berühmten Baldachin im Frühstückszimmer des Londoner Sir John Soane Museum abgeleitet ist, hat Mathers Anbau mehr mit dem Ambiente seiner eigenen Zen- Restaurants in London und Montreal zu tun als mit Soanes vitaler Atmosphärik. Dennoch ist die Galerie inmitten des malerischen noch immer dörflich anmutenden Dulwich durch den Umbau zweifellos attraktiver geworden. Die Wiedereröffnung wird mit einer Ausstellung gefeiert, welche die komplizierte Baugeschichte des Museums, von Soanes ersten Entwürfen bis hin zu Mather, durch rund 120 Exponate veranschaulicht.
Ursula Seibold-Bultmann
Bis 30. Juli; Katalog £ 10.-. Nach zwölf Minuten Bahnfahrt und anschliessendem kurzem Fussmarsch erreicht man die Dulwich Picture Gallery von den Londoner Bahnhöfen Victoria (bis Haltestelle West Dulwich) oder London Bridge (bis Haltestelle North Dulwich).
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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