Bauwerk

Wohnbau Mariahilf
Margarethe Cufer - Wien (A) - 2000
Wohnbau Mariahilf, Foto: Pez Hejduk
Wohnbau Mariahilf, Foto: Pez Hejduk

Wie eine Partitur aus Fensterstangen

Sie weiß, was geht; und sie weiß, wie es sich rechnet: Margarethe Cufer. DasThema, das sie vor Jahren mir dem Oberhuber-Haus in Wien-Mariahilf anriß, hat sie nun mit einem Wohnbau gleich dahinter fortgeführt. Ohne zu plagiieren, erreicht sie damit eine Ensemble-Wirkung - ein Glücksfall.

Ein ganz normaler Wohnbau, mitten in der Stadt. Kein „innovatives Konzept“, formal eine eher stille Angelegenheit, nichts Auffälliges also. Trotzdem lohnt es sich, manchmal auch solche Wohnbauten etwas genauer zu betrachten. Denn wenn sich der Planer etwas denkt bei seiner Arbeit, dann kann es sein, daß die städtebauliche Lösung und der Gesamtausdruck des Hauses für das Umfeld ein Gewinn sind und die Wohnungen für die Bewohner sehr komfortabel.

Ein Glücksfall ist das Wohnhaus sowieso. Denn vorne, an der Ecke Esterházygasse/Wienzeile steht das markante Oberhuber-Haus, das Margarethe Cufer schon vor ein paar Jahren realisierte. Dahinter war ein niedriger Altbau, wie er für diese Gegend (noch) typisch ist, der abgebrochen und durch das viel höhere neue Haus ersetzt wurde. Das Glück daran: Es war wieder Margarethe Cufer, die - nach mehreren anderen Projekten für den Bauplatz - mit der Planung beauftragt wurde.

Man muß eines sagen: Sie hat nicht den Fehler gemacht, die formale Besonderheit des Oberhuber-Hauses, die versetzten und ganz unterschiedlich dimensionierten Fenster weiterzuführen. Die waren eine Oberhuber-Idee, und diese Idee hat sie nicht plagiiert. Aber das Eckhaus trägt natürlich auch ihre Handschrift. Und die hat sie beibehalten, sodaß jetzt ein Ensemble dasteht, das gleichzeitig differenziert und irgendwie einheitlich wirkt.

Die Fassade des neuen Hauses ist ruhiger. Cufer nutzt zwar alle Möglichkeiten des Bauplatz-Zuschnittes zur Gliederung ihrer Fassade aus - etwa indem sie einen auch seitlich verglasten Mini-Erker einplante, der für den Ausblick aus den Wohnungen tatsächlich etwas bringt. Auch indem sie die beiden Stiegenhäuser in einem sehr blassen, dezenten Lachston gefärbelt, sie also lesbar gemacht hat (Zitat Bauherr: „Alle meine Häuser sind rosa“), während die Fassaden der Wohnungen weiß sind. Auch durch unterschiedliche Fenster, runde zum Beispiel, und ein scheinbar umlaufendes Fensterband im obersten Geschoß, das aber Fassadenspiel ist - Emailglas vor den Wandanteilen wechselt mit durchsichtigem Fensterglas ab. Von der Straße sieht man das aber nicht gleich, weil das Emailglas den Eindruck vermittelt, als wären dahinter heruntergelassene Jalousien.

Und schließlich durch den - ebenfalls spielerischen - Umgang mit einem so geringfügigen Detail wie den Fensterstangen. Sie sind gewissermaßen willkürlich gesetzt - „fast wie eine Partitur“, sagt die Architektin -, aber man kann sie auch als nachträgliche, sehr übersetzte Interpretation der Oberhuberschen Fensterlösung auffassen.

Ein ganz normaler Wohnbau. Aber so normal auch wieder nicht, wenn man die Ausgangslage - frei finanziertes Eigentum - bedenkt. Andererseits: Die Kosten-Nutzen-Rechnung fiel deswegen nicht weniger straff aus. Es liegt zwar Naturstein auf dem Boden in den Foyers und den Gängen, und in den Wohnungen gibt es durchwegs Eichenparkett. Außerdem sind die Wohnungen 2,60 Meter hoch, also zehn Zentimeter höher, als sie unbedingt sein müßten, was sich sehr, sehr angenehm bemerkbar macht. Aber im wesentlichen ist es das schon.

Natürlich hat die Architektin im Wissen, daß es sich um Eigentumswohnungen handelt, alle Möglichkeiten weidlich ausgenutzt, um „Qualität“ zu schaffen. Das fängt unter dem Haus an - bei den Garagen und dem Keller mit seinen Stahlabteilen, das setzt sich bei den durchgesteckten Foyers fort, die mit dem Blick zum begrünten Hof angenehm überschaubar sind. Und das gilt auch für die Wohnungen selbst, die über höchst angenehme, gut nutzbare Freiräume verfügen und einen sehr großzügigen Zuschnitt haben.

Man mußte dabei höchst flexibel sein: Da wünscht sich einer ein Zimmer mehr, und aus der Zwei-Zimmer-Wohnung daneben wird unversehens eine Garçonniére mit einem eigentlich unverhältnismäßig großen Terrassenanteil, sodaß jetzt daran gedacht wird, diese Einheit mit dem unteren Geschoß zu verbinden. Aber solche Möglichkeiten, sollte man meinen, müßten im heutigen Wohnbau ohnehin selbstverständlich sein.

Maßarbeit ist das Haus in jedem Fall. Von der Ecke bis zum Anschluß an das Oberhuber-Haus fällt das Gelände um einen Meter. Den mußte man ausgleichen, der verschwindet jetzt auch, fast unbemerkt. Außerdem kann man im Erdgeschoß hier nicht wohnen, obwohl auf die Nutzfläche nicht zu verzichten ist. Daher gibt es ein kleines, ebenfalls durchgestecktes Lokal, das sowohl als Geschäft wie auch als Büro geeignet scheint.

Cufer ist - ein bißchen auch zu ihrem eigenen Leidwesen, denn kein Architekt möchte immer nur Wohnbau machen - auf diesem Gebiet inzwischen eine erfahrene Architektin. Sie weiß, was geht, und sie weiß, wie es sich rechnet. Aber sie weiß auch, was angemessen ist. Es gibt an dieser Stelle, neben dem Oberhuber-Haus, keinen Anlaß, architektonische Selbstverwirklichung der „skulpturalen“ Spielart zu betreiben. Das Besondere ist das Künstler-Haus, und das sollte es bleiben. Was jetzt daneben steht, das ist die Arbeit eines Profis, der sich vor allem darum bekümmert, wie das Haus in seinem städtischen Umfeld steht und wie sich, trotz aller Kostenlimits, möglichst komfortabler Wohnraum herstellen läßt.
Beides ist ganz ausgezeichnet gelungen: Von welcher der umliegenden Gassen man auch immer das Haus betrachtet, es steht hervorragend da. Das Argument, daß wieder eines der alten, niedrigen Häuser gefallen ist, will nicht greifen. Durch das Oberhuber-Haus ist ein Thema angerissen worden, das nach einer Fortsetzung geradezu verlangt hat. Und diese Fortsetzung ist hier mit Mitteln erfolgt, gegen die sich nichts sagen läßt. Sie stimmt einfach.

Ein Architekt, der jammert, weil geblümte Markisen und Rattan-Sitzgarnituren sein puristisches Konzept entweihen, ist im normalen Wohnbau fehl am Platz.

Für die alltägliche Praxis des Wiener Wohnbaus kann man daraus ein paar Lehren ziehen. Die wichtigste betrifft den Aberglauben, daß mit dem Scheibchenschneiden von Bauaufgaben architektonischer Gewinn zu erzielen ist. Zwischen den Aberhunderten Wohnungen, die ein Architekturbüro in den sechziger und siebziger Jahren in Wien geplant hat, und der „Atomisierung“ von Bauaufgaben im Sinne der Abwechslung besteht ein gravierender Unterschied. Abwechslung ist erstens nicht immer gefragt und zweitens im dicht verbauten Stadtgebiet ohnehin ein Unsinn. Nicht auszudenken, was herausgekommen wäre, wenn irgendein Architekt hier gebaut hätte. Eigentlich mußte es Cufer sein, alles andere wäre sehr, sehr wahrscheinlich danebengegangen. Oder es hätte in dieses unspektakuläre, sympathische Stadtambiente einen Akzent eingebracht, der das Oberhuber-Haus konkurrenziert - und damit womöglich geschwächt hätte. Aber wozu hätte das gut sein sollen?

Übrigens: Das Oberhuber-Haus ist gut gealtert. Der Touch des „Künstler“-Hauses steht ihm nach wie vor wohl an. Auch wenn inzwischen die Graffiti-„Künstler“ zugeschlagen haben. Wobei sich ihre Aktivitäten mittlerweile sogar auf das neue Haus erstrecken. Damit muß man heutzutage allerdings leben, es gehört zur Großstadt. Und jeder Architekt, der damit nicht umgehen kann, der nicht schon vorweg an solche Möglichkeiten denkt, macht einen gravierenden Fehler. Es ist genau wie mit den Freiräumen und ihrer - nach außen weithin sichtbaren - individuellen Nutzung. Ein Architekt, der dasteht und jammert, weil von der Schilfmatte bis zur geblümten Markise, von der Rattan-Sitzgarnitur bis zu den Plastiksesseln alles mögliche und unmögliche sein ursprünglich angedachtes, womöglich puristisches Bild pervertiert, der sollte sich besser ein anderes Tätigkeitsfeld suchen, für den normalen Wohnbau liegt er falsch.

Schon deswegen ist die Bauträger-Idee der neuen Färbelung in der Sockelzone des Oberhuber-Hauses falsch. Cufer hatte da eine viel bessere Idee. Sie schlägt vor, daß Oberhuber selbst eingreift und zum Graffiti-„Künstler“ wird (der er irgendwo ja auch tatsächlich ist). Das Ergebnis wäre ein „Künstler“-Haus, wie es sich Helmut Zilk, der Erfinder der Wiener „Künstler“-Häuser, zwar nicht hätte träumen lassen, mit dem wir aber alle wunderbar leben könnten.

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