Bauwerk

Neues Museum Nürnberg
Volker Staab - Nürnberg (D) - 1999
Neues Museum Nürnberg, Foto: Margherita Spiluttini
Neues Museum Nürnberg, Foto: Margherita Spiluttini

Absage an die Butzenscheibe

Abstrakte Kunst im Neuen Museum in Nürnberg

1. Juli 2000 - Birgit Sonna
Sichtlich stolz ist man in Nürnberg auf den Spätheimkehrer Richard Lindner. Als ginge es darum, der Öffentlichkeit feierlich zu beweisen, dass man zumindest postum eine abtrünnige Berühmtheit wiedergewonnen hat. So viel zur Erklärung: Mit der Stadt seiner Kindheit und Jugend verband der nach Amerika emigrierte Maler (1901-1978) erklärtermassen kaum positive Erinnerungen. Noch fünf Jahre vor seinem Tod weigerte er sich kategorisch, in Nürnberg auszustellen. Allzu düster erschien dem jüdischstämmigen Lindner das Lebkuchendorado nicht nur im Rückblick auf die hier in Nazizeiten abgehaltenen Reichsparteitage. - Nun hat ausgerechnet Lindners martialisch in der Manier der Pop-Art zum Geschlechterkampf aufgerüstetes «Telephone»- Paar (1966) ein dauerhaftes und lichtes Domizil erhalten: Im kürzlich eröffneten Neuen Museum (NZZ 15. 1. 00), das sich wie ein elegant tranchiertes Filetstück in die verwinkelte Altstadt einschneidet, wird das plakativ-bunte Bild «Telephone» wie eine seltene Trophäe dargeboten.

Der Berliner Architekt Volker Staab rang dem zwischen halbseidenen Etablissements und Touristenfallen gelegenen keilförmigen Grundstück ein an raffinierten Blickachsen und unerwarteten Raumerlebnissen reiches Museum ab. Interdisziplinär vereint das Neue Museum Kunst und Design von der Nachkriegszeit bis heute. Traditionell bleibt dennoch die hierarchische Abfolge der angewandten und freien Künste gewahrt. Im Erdgeschoss finden sich die Designobjekte auf offenen Hochregalen placiert, die in leichter Schräglage ihren Inhalt über dem Betrachter auszukippen drohen. So effektvoll diese Inszenierung wirkt, so vorbildlich diskret ist die Beschriftung gehalten. Matt heben sich die Lettern von den Metallgestängen der Regale ab. Bei der Bestückung konnte man aus dem Vollen der überbordenden Designbestände der in München untergebrachten Neuen Sammlung schöpfen. Ob monumentale Reklamelabels aus den Pionierzeiten von Coca-Cola oder Fetische der heutigen Kommunikationsgesellschaft, als Pars pro toto gelingt die Erzählung von einem halben Jahrhundert Designgeschichte mit Chuzpe. Dass dabei teilweise auch die Photographie dem angewandten Bereich zugeschlagen wird, hat zumindest im Falle von Peter Keetmans Industriephotographien aus den Fünfzigern Sinn.

Kunst und Design sollen «nicht vermischt, sondern in zwei eigenen Etagen nach jeweils eigener Ordnung» gezeigt werden. Direktor Lucius Grisebach setzt sich damit von dem Konzept einer Crossover-Präsentation ab, wie es beispielsweise für die neuralgischen Knotenpunkte in der künftigen Münchner Pinakothek der Moderne anvisiert ist. Auch dort wird man sich aus dem reichen Designbestand der Neuen Sammlung bedienen. Auf ein gleichermassen unversiegbares Depot kann das Neue Museum im Bereich der mehr oder minder freien Künste leider nicht zurückgreifen. In den letzten drei Jahren kaufte das Neue Museum in Nürnberg unter sichtbar werdendem Zeitdruck vor allem aktuelle Kunst an. Darunter auch einen schönen panoramatischen Fotoporträtzyklus von Roni Horn und ein audiovisuelles Chaosgebilde Matthew McCaslins zur Reizüberflutung unserer Tage. Die Neonlichtinstallationen von François Morellet spannen den Bogen zur Op-Art und zu der auch regional verankerten konkreten Kunst. Umfangreichere Werkkomplexe von Gerhard Richter, der Gruppe Zero, Nam June Paik, Gotthard Graubner markieren hingegen schwer verknüpfbare Sammlungsakzente. Radikale Zäsuren setzen vor allem raumfüllende Installationen der jungen Kunst. Ein an schierer plumper Grösse überwältigendes, schwerlich fahrtüchtiges DKW-Chassis von Christiane Möbus ist als skulpturaler Blickfang in einen Zwickel im Obergeschoss eingepasst.

Mit den Wechselausstellungen in dem weitläufigen quaderförmigen Oberlichtsaal im ersten Geschoss wird sich erst peu à peu zeigen, was dieses Museum programmatisch für die in Nürnberg traditionell unterrepräsentierte Gegenwartskunst zu leisten vermag. Ein denkbar variables und doch wie gemauert wirkendes Stellwandsystem wurde eigens für den Raum ersonnen. Den frappierenden Auftakt macht nun eine Ausstellung mit abstrakter Malerei und Skulptur. Ihr grösster Vorzug liegt in der sinnenhaften Überzeugungskraft, mit der junge Künstler als durchaus würdige Neuinterpreten des Informels und Konstruktivismus angeführt werden. Gesteht man einerseits den unterschiedlichen Vertretern der Abstraktion wie etwa Lucio Fontana, Hans Hartung, Jean- Paul Riopelle, Sigmar Polke, Daniel Richter intime Kabinette zu, so kommt es im zentralen Saal zu einer wohlüberlegten Gruppenchoreographie. Rupprecht Geigers magisch leuchtende Kreisformen werden durch Rupprecht Matthies' gemalte Designschablonen der Fünfziger unversehens aktiviert. Und Ernst Wilhelm Nay findet in Günther Förg einen kaum erwarteten Widerpart der abstrakten Akrobatik. Den Konflikt zwischen den Generationen überbrückt diese Ausstellung leichthändig, ohne opportunistisch die Haarrisse im historischen Blick auf die Abstraktion zu übertünchen.

Dass die Parameter der konkreten Kunst gerade bei der jüngeren Künstlergeneration neu ausgelotet werden, zeichnet sich auch in dem Museumscafé «Proun» auf vergnügliche Weise ab. Ebenso wie das Design-Forum ist es in dem kruderen, mit Sandstein verkleideten Annexbau Volker Staabs beherbergt. Die Künstlerin Leni Hoffmann hatte die kuratorische Verantwortung für die homöopathischen Eingriffe in das Café- Inventar. In Erinnerung an den russischen Konstruktivisten macht man El Lissitzkys «Proun»- Raum und seiner Vorstellung von einer Synthese zwischen Leben und Kunst alle Ehre. So werden beispielsweise Stefan Saffers geometrische Farbbilder unter einem Bodenraster fast mit Füssen getreten. Irritierend vor allem auch Manuel Frankes Eingriff: Halbtransparent ist sein der Fensterfront vorgelagertes, aber ziemlich starres Vorgangkonstrukt aus Giessharz.

Keine Frage, mit dem neu gewonnenen Museumskomplex wird ein animierender Kontrapunkt zur Butzenscheibenidyllik des benachbarten, allerliebst dem Mittelalter nachempfundenen «Handwerkerhofs» entstehen.


[ Bis zum 9. Juli, Katalog 39 Mark ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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