Bauwerk
Narrenturm – Pathologisch-anatomische Sammlung
Carl Pruscha, Sepp Müller - Wien (A) - 1999
Elfenbeinturmhocker im Irrenhaus
Der Narrenturm, das absonderlichste historische Gebäude Wiens, wird zu einem Leuchtturm des Geistes und einem Museum des Wahnsinns umfunktioniert
15. Januar 2000 - Ute Woltron
Seit knapp zwei Jahren gehört das Gelände des Alten Allgemeinen Krankenhauses in Wien nicht mehr den Alten, Kranken und Siechen, sondern den Studenten. Die ausladenden Gebäudekomplexe aus dem 18. Jahrhundert zeigen sich säuberlich zu einem Uni-Campus saniert, über die frisch getünchten Höfe wieseln die Wissbegierigen von Hörsaal zu Beisl und wieder zurück.
Am Rande dieses flott belebten Geländes franst die Sanierung ein wenig aus, wird es stiller, und da und dort bröckelt noch der Putz. In einer dieser letzten, für den unbeteiligten Betrachter überaus idyllischer AKH-Hof-Biosphären wächst aus einer Unkrautgstätten ein eigentümliches rundliches Turmgebäude empor, das scheinbar nichts mit seiner kantigen Umgebung gemein hat: fünf Geschoße hoch, die schroffe Rustika-Fassade von regelmäßig angeordneten Schießschartenfensterchen durchbrochen, im Gesamteindruck seltsam breit und plump proportioniert, von kugelrundem Ringgrundriss, und alles in allem eine finsterliche Gefängnisatmosphäre verbreitend. Der Volksmund nennt dieses Ding seit Generationen seiner Napfkuchenform wegen respektlos „Guglhupf“.
Das feiste Turmgebäude ist eine erstrangige historische Spezialität: Es stellt das allererste Irrenhaus dar, das jemals explizit für besagten Zweck errichtet wurde, und entstand in den Jahren 1783/84 als das einzige heimische Architekturbeispiel für Revolutionsklassizismus. Als Architekten und Planer werden Isidor Canevale und J. Gerl genannt. Als Bauherr und Finanzier des Narrenturms tritt Kaiser Joseph II. höchstpersönlich auf, dem die Errichtung der Aufbewahrungsstätte für „theils verrückte, theils ganz sinnlose Personen“ einen tiefen Griff in seine Privatschatulle wert war. Im Zuge der immer noch voranschreitenden AKH-Sanierung soll das über zweihundert Jahre alte Gemäuer nun ebenfalls restauriert und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Der Altrektor der Universität Wien, Wolfgang Greisenegger, in dessen Ägide die Umwandlung des Spitalsgeländes in einen Universitätscampus fiel, ist der Spiritus Rector der Idee, aus der ehemaligen Narrenburg ein „Synoptikum“, eine wissenschaftliche Austauschstätte erster Güte, zu machen.
Auf ringförmigem Grundriss reiht sich hier in jedem Geschoß hinter einem verwirrend eintönigen Ringgang eine Zelle neben die andere. In den bewegtesten Zeiten lebten hier bis zu 300 psychisch Kranke, eingesperrt und aufeinander gepfercht in 139 Einheiten zu je zwölf Quadratmetern. Sie alle öffnen sich als kleine Kreiszwickel, der Eingangstüre gegenüber liegt in Achse je ein Schlitzfenster. 28 dieser Irrenzellen gibt es pro Geschoß - eine Struktur, so Greisenegger, die sich trefflich dafür eignet, als „Think-Tower“ von einem summenden Bienenstaat miteinander kommunizierender Wissenschafter, Denker und Studenten bevölkert zu werden.
„Ich stelle mir ein wissenschaftliches Hochleistungszentrum vor“, sagt der Altrektor, „wie es in anderen Städten bereits existiert, wo alle modernsten Kommunikationsmöglichkeiten intern und extern genutzt werden, wo sich geistige Prozesse miteinander auch über Kaffee und Kuchen vernetzen.“ Den alten wissenschaftlichen Elfenbeinturmsitzer, sagt Greisenegger, gäbe es heute nicht mehr, dafür aber offene, lebendige Kontaktknotenpunkte, wo Nobelpreisträger und Studenten, internationale Professoren und interessierte Laien zum fruchtbaren Wissens- und Ideenaustausch aufeinander träfen. Eine solche Einrichtung wird von der Wiener Universität zurzeit noch schmerzlich vermisst.
Die vernetzte Zellengrundstruktur der Architektur, die um den symbolischen Schilling in Universitätsbesitz übergegangen war, ist bereits da. Einen entsprechenen Adaptierungsentwurf lieferte nun Architekt Carl Pruscha. Gemeinsam mit Sepp Müller hat der Rektor der Akademie der bildenden Künste einen Vorschlag ausgearbeitet, der am Bestand kaum kratzt und ihn mit einfachsten Mitteln benutzbar macht. Die einzelnen Zellen werden mit bescheidener, aber hochfunktionaler Meublage ausgestattet, die aus einem Kastenelement, einem Sofateil und einem Schreibtisch samt versenkbarem Terminal besteht. Die vormals blickdichten Türen werden verglast, so dass Tageslicht bis in die Ringgänge fallen kann. Zwischen diesen einzelnen - selbstverständlich intern und nach außen an jegliche Informationsnetze angeschlossenen - Denkerzellen befinden sich immer wieder Regenerationszellen.
Im ehemaligen Aufsehertrakt, der sich quer durch das Gebäude und seinen Kreismittelpunkt zieht, sind Sanitäreinrichtungen, Stiegenhaus und Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht. Im ersten und im Erdgeschoß befindet sich ein über einen zusätzlichen neuen Eingang erschlossenes „Museum des Wahnsinns“. So bleibt der Narrenturm der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich, durch eine teilweise Öffnung der Decken werden Wissenschaft und Museum, das Lebendige und das Alte ebenfalls miteinander vernetzt.
Auch der Bebauungsvorschlag für das umliegende Gelände ist sanft und behutsam ausgefallen: Ein Kindergarten für Unipersonal und Studenten rahmt den Turm sozusagen mit begrünten, von den Kindern benutzbaren Dächern gegen Süden ein. Im Norden soll ein Restaurant entstehen. Noch im Frühjahr will man über den weiteren Projektverlauf entscheiden.
Im Moment gastiert jedenfalls noch die weltweit größte und wichtigste anatomisch-pathologische Sammlung diverser konservierter, teils fast 200 Jahre alter Menschenteile auf beengtem Raum im Narrenturm. Sie könnte unter Umständen bald Part eines großzügigen Museums zur Geschichte der Medizin sein, das all die über die Stadt verstreuten Medizin-Sammlungen im Josephinum einen würde.
Eine entsprechende Studie wurde vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegeben und von Museumsfachmann Dieter Bogner ausgearbeitet. Für ihn ist eine Übersiedelung der Pathologiesammlung, die allerdings dem Unterrichtsministerium untersteht, in ein adäquates Quartier eine Kostenfrage, für Altrektor Greisenegger eine wissenschaftliche Notwendigkeit: „Der Narrenturm eignet sich höchstens zur Ausstellung eines Kuriositätenkabinetts. Was die Museen anbelangt, brauchen wir eine großzügige Lösung, die europäische Bedeutung hat, sowie eine Studiensammlung, die wirklich wissenschaftlich arbeiten kann.“ Die Finanzierung des „Synoptikums“ könnte dann über eine Stiftung erfolgen. Greisenegger ist zuversichtlich: „Es wäre schön, wenn es würde.“
Am Rande dieses flott belebten Geländes franst die Sanierung ein wenig aus, wird es stiller, und da und dort bröckelt noch der Putz. In einer dieser letzten, für den unbeteiligten Betrachter überaus idyllischer AKH-Hof-Biosphären wächst aus einer Unkrautgstätten ein eigentümliches rundliches Turmgebäude empor, das scheinbar nichts mit seiner kantigen Umgebung gemein hat: fünf Geschoße hoch, die schroffe Rustika-Fassade von regelmäßig angeordneten Schießschartenfensterchen durchbrochen, im Gesamteindruck seltsam breit und plump proportioniert, von kugelrundem Ringgrundriss, und alles in allem eine finsterliche Gefängnisatmosphäre verbreitend. Der Volksmund nennt dieses Ding seit Generationen seiner Napfkuchenform wegen respektlos „Guglhupf“.
Das feiste Turmgebäude ist eine erstrangige historische Spezialität: Es stellt das allererste Irrenhaus dar, das jemals explizit für besagten Zweck errichtet wurde, und entstand in den Jahren 1783/84 als das einzige heimische Architekturbeispiel für Revolutionsklassizismus. Als Architekten und Planer werden Isidor Canevale und J. Gerl genannt. Als Bauherr und Finanzier des Narrenturms tritt Kaiser Joseph II. höchstpersönlich auf, dem die Errichtung der Aufbewahrungsstätte für „theils verrückte, theils ganz sinnlose Personen“ einen tiefen Griff in seine Privatschatulle wert war. Im Zuge der immer noch voranschreitenden AKH-Sanierung soll das über zweihundert Jahre alte Gemäuer nun ebenfalls restauriert und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Der Altrektor der Universität Wien, Wolfgang Greisenegger, in dessen Ägide die Umwandlung des Spitalsgeländes in einen Universitätscampus fiel, ist der Spiritus Rector der Idee, aus der ehemaligen Narrenburg ein „Synoptikum“, eine wissenschaftliche Austauschstätte erster Güte, zu machen.
Auf ringförmigem Grundriss reiht sich hier in jedem Geschoß hinter einem verwirrend eintönigen Ringgang eine Zelle neben die andere. In den bewegtesten Zeiten lebten hier bis zu 300 psychisch Kranke, eingesperrt und aufeinander gepfercht in 139 Einheiten zu je zwölf Quadratmetern. Sie alle öffnen sich als kleine Kreiszwickel, der Eingangstüre gegenüber liegt in Achse je ein Schlitzfenster. 28 dieser Irrenzellen gibt es pro Geschoß - eine Struktur, so Greisenegger, die sich trefflich dafür eignet, als „Think-Tower“ von einem summenden Bienenstaat miteinander kommunizierender Wissenschafter, Denker und Studenten bevölkert zu werden.
„Ich stelle mir ein wissenschaftliches Hochleistungszentrum vor“, sagt der Altrektor, „wie es in anderen Städten bereits existiert, wo alle modernsten Kommunikationsmöglichkeiten intern und extern genutzt werden, wo sich geistige Prozesse miteinander auch über Kaffee und Kuchen vernetzen.“ Den alten wissenschaftlichen Elfenbeinturmsitzer, sagt Greisenegger, gäbe es heute nicht mehr, dafür aber offene, lebendige Kontaktknotenpunkte, wo Nobelpreisträger und Studenten, internationale Professoren und interessierte Laien zum fruchtbaren Wissens- und Ideenaustausch aufeinander träfen. Eine solche Einrichtung wird von der Wiener Universität zurzeit noch schmerzlich vermisst.
Die vernetzte Zellengrundstruktur der Architektur, die um den symbolischen Schilling in Universitätsbesitz übergegangen war, ist bereits da. Einen entsprechenen Adaptierungsentwurf lieferte nun Architekt Carl Pruscha. Gemeinsam mit Sepp Müller hat der Rektor der Akademie der bildenden Künste einen Vorschlag ausgearbeitet, der am Bestand kaum kratzt und ihn mit einfachsten Mitteln benutzbar macht. Die einzelnen Zellen werden mit bescheidener, aber hochfunktionaler Meublage ausgestattet, die aus einem Kastenelement, einem Sofateil und einem Schreibtisch samt versenkbarem Terminal besteht. Die vormals blickdichten Türen werden verglast, so dass Tageslicht bis in die Ringgänge fallen kann. Zwischen diesen einzelnen - selbstverständlich intern und nach außen an jegliche Informationsnetze angeschlossenen - Denkerzellen befinden sich immer wieder Regenerationszellen.
Im ehemaligen Aufsehertrakt, der sich quer durch das Gebäude und seinen Kreismittelpunkt zieht, sind Sanitäreinrichtungen, Stiegenhaus und Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht. Im ersten und im Erdgeschoß befindet sich ein über einen zusätzlichen neuen Eingang erschlossenes „Museum des Wahnsinns“. So bleibt der Narrenturm der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich, durch eine teilweise Öffnung der Decken werden Wissenschaft und Museum, das Lebendige und das Alte ebenfalls miteinander vernetzt.
Auch der Bebauungsvorschlag für das umliegende Gelände ist sanft und behutsam ausgefallen: Ein Kindergarten für Unipersonal und Studenten rahmt den Turm sozusagen mit begrünten, von den Kindern benutzbaren Dächern gegen Süden ein. Im Norden soll ein Restaurant entstehen. Noch im Frühjahr will man über den weiteren Projektverlauf entscheiden.
Im Moment gastiert jedenfalls noch die weltweit größte und wichtigste anatomisch-pathologische Sammlung diverser konservierter, teils fast 200 Jahre alter Menschenteile auf beengtem Raum im Narrenturm. Sie könnte unter Umständen bald Part eines großzügigen Museums zur Geschichte der Medizin sein, das all die über die Stadt verstreuten Medizin-Sammlungen im Josephinum einen würde.
Eine entsprechende Studie wurde vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegeben und von Museumsfachmann Dieter Bogner ausgearbeitet. Für ihn ist eine Übersiedelung der Pathologiesammlung, die allerdings dem Unterrichtsministerium untersteht, in ein adäquates Quartier eine Kostenfrage, für Altrektor Greisenegger eine wissenschaftliche Notwendigkeit: „Der Narrenturm eignet sich höchstens zur Ausstellung eines Kuriositätenkabinetts. Was die Museen anbelangt, brauchen wir eine großzügige Lösung, die europäische Bedeutung hat, sowie eine Studiensammlung, die wirklich wissenschaftlich arbeiten kann.“ Die Finanzierung des „Synoptikums“ könnte dann über eine Stiftung erfolgen. Greisenegger ist zuversichtlich: „Es wäre schön, wenn es würde.“
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