Bauwerk
Armeeausbildungszentrum
Enzmann & Fischer - Luzern (CH) - 1999
Hybride Räume
Ein Bau für die Armee in Luzern von Enzmann & Fischer
3. Dezember 1999 - J. Christoph Bürkle
Die Fachwelt staunte nicht schlecht, als Ende 1994 der Wettbewerb für die Erweiterungsbauten des Armeeausbildungszentrums in Luzern entschieden war: Ausgerechnet zwei Frauen, die beiden Schwestern Christine und Evelyn Enzmann, sollten ein Gebäude für das Militär bauen. Inzwischen hat das Team - mittlerweile um Philipp Fischer ergänzt - das gläserne Haus und mit ihm seine Idee des geschlossenen Quaders realisiert. Als «Symbol der selbstverständlichen Notwendigkeit» lobte das Preisgericht vor fünf Jahren die minimalistisch präzise Sprache des Entwurfs. Für diese Aufgabe auf der Luzerner Allmend waren zwei Prämissen bestimmend: Einerseits die von der Pferderennbahn, einem Stadion und einer Messehalle gesäumte Parklandschaft mit ihrem alten Baumbestand und dem Blick auf den Pilatus, andererseits die denkmalgeschützte Kaserne, die Armin Meili in den dreissiger Jahren als kantigen Sichtbetonbau mit modernistischer Selbstverständlichkeit an den Waldrand stellte.
Umsetzung des Reduit-Prinzips
Mit der Armeereform 1995 wurde beschlossen, die Kaderschulung in einem neuen Armeeausbildungszentrum auf dem Areal der alten Kaserne in Luzern zusammenzufassen. Der Wettbewerb zeigte ein heterogenes Bild von Gebäude- und Raumzuordnungen - Symbol und Ausdruck einer Militärtypologie scheint es heute nicht mehr zu geben. Enzmann & Fischer verfolgten mit ihrer Strategie einer Verbindung eines minimalen Ausdrucks mit einer überaus komplexen Raumstruktur im Gebäudeinnern vielleicht eine ironische Umsetzung des Reduit-Prinzips. Zugleich tritt der Neubau in einen Dialog mit dem Bestehenden. Die an der Westseite des mittlerweile sanierten Altbaus gelegene Erweiterung führt dessen Situierung fort. Aus der Achse geschoben, formen die beiden Gebäude nun ein Ensemble, das die Schichtung des Geländes durch den alten Baumbestand widerspiegelt. Während der Altbau mit horizontalen Fensterreihen, scharfkantigen skulpturalen Bauteilen und Sichtbeton militärische Härte und Disziplin vermittelt, verbindet die diaphane Glashaut des Neubaus die neutrale Rasterfassade mit den grossen, vorkragenden Panoramafenstern, mit denen sich die Architektur zur Landschaft öffnet.
Mit Bronze gefasstes Strukturglas bildet den Abschluss der konventionell hinterlüfteten Fassade. Es reagiert auf unterschiedliche Lichteinwirkung. Je nach Wetterlage erscheint der kristalline Quader in einem anderen Farbton, was ihm eine überraschend expressive Wirkung verleiht. Dort wo die inneren Kastenfenster der Nutzräume liegen, lässt sich die äussere Haut mittels Wendeflügeln öffnen, wodurch an der Fassade ein zusätzlicher formaler Raster entsteht. Für die vielfältige Nutzung des fünfgeschossigen Gebäudes entwickelten die Architekten ein ebenso komplexes wie ungewöhnliches Raumsystem. Im Erdgeschoss befinden sich Restaurant- und Speisesäle für teils interne und teils öffentliche Nutzung. Die recht einfache Erschliessung mündet in eine steile Treppe, die in den ersten Stock und erst hier ist die weite, querliegende Eingangshalle führt, deren Panoramafenster den Blick auf die Landschaft freigibt. Um den weiten Raum stützenfrei zu halten, ist der Raumabschluss mit einer vorgespannten Flachdecke versehen. Zugleich nimmt die Scheibenkonstruktion des Innenhofes die vertikalen und horizontalen Kräfte auf.
Hybride Räume
Mit der erst nach einer Drehung erreichbaren Eingangshalle scheint sich eine Wiederbelebung des Raumplanes von Adolf Loos anzukündigen. Und in der Tat bilden die Freiräume und Höfe ein eigenes, übergeordnetes System, das sich horizontal und vertikal durch das ganze Gebäude zieht und eine eigene, tektonische Spannung erzeugt. Dieses selbständige Raumgefüge, das sich je nach Stockwerk mit einem grossen Panoramafenster durch eine andere Aussenwand öffnet, gibt dem gesamten Bauvolumen einen eigentümlichen Reiz. Jede Etage scheint eine andere Raumstruktur zu besitzen, es gibt Galerien, Durchblicke von einem Geschoss zum anderen und unterschiedliche Verbindungen der Niveaus.
Die komplexe Raumstruktur verleiht dem Haus seinen individuellen Charakter, durch den es sich von herkömmlichen, als einfache Zweibünder angelegten Verwaltungsgebäuden unterscheidet. Diese hybriden Räume, die an Formationen von Rem Koolhaas erinnern, finden sich seit einiger Zeit bei jüngeren Schweizer Architekten. Sie resultieren aus einer Systematik, bei der das Gebäude zumeist durch die Erschliessungs- oder Zirkulationsräume gleichsam aufgeschnitten wird. Mit verschiedenen, auch vertikalen Achsen können so Raumbezüge durch das ganze Gebäude entwickelt werden. Diese Entwurfspraxis wurde erstmals im Gemeindehaus von Müller und Truniger in Jona auch baulich realisiert.
Obwohl sie die grösste Fläche einnehmen, wirken die Nutzräume durch diese Inszenierung zunächst wie eine räumliche Nebensache. Finden sich die gastronomischen Einrichtungen im Erdgeschoss, so sind die grossen Vortragssäle, die Aula und das Foyer im ersten Stock untergebracht. Das zweite Obergeschoss nimmt neben den Schlafräumen der Rekruten auch Verwaltungseinheiten auf, während die oberen Stockwerke den Büro- und Wohnräumen des Lehrkörpers vorbehalten sind. Besprechungs- und Sitzungszimmer befinden sich an den Innenseiten mit Sichtverbindung zum grossen, durch alle Geschosse durchgehenden Lichthof.
Souveränes Raumkonzept
Der Neubau von Enzmann & Fischer überzeugt durch sein souveränes Raumkonzept ebenso wie durch die gezielte Materialisierung. Bei der Farbgebung der schlichten Betonwände in den öffentlichen Bereichen hätte der eine oder andere Akzent sicher gutgetan. Hier müssen deshalb die Installationen der Künstlerin Silvie Defraoui Kontrapunkte setzen. Überzeugend ist der Dialog mit dem Altbau ausgefallen. Dessen skulpturale Baumasse mit den nüchternen Innenräumen wird nun durch einen Zweckbau mit neutraler Fassade ergänzt, dessen vielschichtige, diskursive und offene Struktur im Inneren zu finden ist - keine schlechte Voraussetzung für eine Militärakademie. Am 10. Dezember wird der Luzerner Neubau eröffnet. Er markierte für das Büro Enzmann & Fischer, das bereits mit mehreren Wettbewerbserfolgen auf sich aufmerksam machte, den fulminanten Start in die Baupraxis. Die Ausführung eines weiteren Projektes, des Kirchgemeindehauses in Adliswil, für das sie vor einem Jahr mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurden, hängt noch von einer Abstimmung ab. Vielleicht lassen sich die Stimmberechtigten nun überzeugen, dass ihr Geld für einen Neubau von Enzmann & Fischer gut angelegt ist.
[ Enzmann & Fischer stellen ihre Arbeiten am 8. Dezember um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 15 vor. ]
Umsetzung des Reduit-Prinzips
Mit der Armeereform 1995 wurde beschlossen, die Kaderschulung in einem neuen Armeeausbildungszentrum auf dem Areal der alten Kaserne in Luzern zusammenzufassen. Der Wettbewerb zeigte ein heterogenes Bild von Gebäude- und Raumzuordnungen - Symbol und Ausdruck einer Militärtypologie scheint es heute nicht mehr zu geben. Enzmann & Fischer verfolgten mit ihrer Strategie einer Verbindung eines minimalen Ausdrucks mit einer überaus komplexen Raumstruktur im Gebäudeinnern vielleicht eine ironische Umsetzung des Reduit-Prinzips. Zugleich tritt der Neubau in einen Dialog mit dem Bestehenden. Die an der Westseite des mittlerweile sanierten Altbaus gelegene Erweiterung führt dessen Situierung fort. Aus der Achse geschoben, formen die beiden Gebäude nun ein Ensemble, das die Schichtung des Geländes durch den alten Baumbestand widerspiegelt. Während der Altbau mit horizontalen Fensterreihen, scharfkantigen skulpturalen Bauteilen und Sichtbeton militärische Härte und Disziplin vermittelt, verbindet die diaphane Glashaut des Neubaus die neutrale Rasterfassade mit den grossen, vorkragenden Panoramafenstern, mit denen sich die Architektur zur Landschaft öffnet.
Mit Bronze gefasstes Strukturglas bildet den Abschluss der konventionell hinterlüfteten Fassade. Es reagiert auf unterschiedliche Lichteinwirkung. Je nach Wetterlage erscheint der kristalline Quader in einem anderen Farbton, was ihm eine überraschend expressive Wirkung verleiht. Dort wo die inneren Kastenfenster der Nutzräume liegen, lässt sich die äussere Haut mittels Wendeflügeln öffnen, wodurch an der Fassade ein zusätzlicher formaler Raster entsteht. Für die vielfältige Nutzung des fünfgeschossigen Gebäudes entwickelten die Architekten ein ebenso komplexes wie ungewöhnliches Raumsystem. Im Erdgeschoss befinden sich Restaurant- und Speisesäle für teils interne und teils öffentliche Nutzung. Die recht einfache Erschliessung mündet in eine steile Treppe, die in den ersten Stock und erst hier ist die weite, querliegende Eingangshalle führt, deren Panoramafenster den Blick auf die Landschaft freigibt. Um den weiten Raum stützenfrei zu halten, ist der Raumabschluss mit einer vorgespannten Flachdecke versehen. Zugleich nimmt die Scheibenkonstruktion des Innenhofes die vertikalen und horizontalen Kräfte auf.
Hybride Räume
Mit der erst nach einer Drehung erreichbaren Eingangshalle scheint sich eine Wiederbelebung des Raumplanes von Adolf Loos anzukündigen. Und in der Tat bilden die Freiräume und Höfe ein eigenes, übergeordnetes System, das sich horizontal und vertikal durch das ganze Gebäude zieht und eine eigene, tektonische Spannung erzeugt. Dieses selbständige Raumgefüge, das sich je nach Stockwerk mit einem grossen Panoramafenster durch eine andere Aussenwand öffnet, gibt dem gesamten Bauvolumen einen eigentümlichen Reiz. Jede Etage scheint eine andere Raumstruktur zu besitzen, es gibt Galerien, Durchblicke von einem Geschoss zum anderen und unterschiedliche Verbindungen der Niveaus.
Die komplexe Raumstruktur verleiht dem Haus seinen individuellen Charakter, durch den es sich von herkömmlichen, als einfache Zweibünder angelegten Verwaltungsgebäuden unterscheidet. Diese hybriden Räume, die an Formationen von Rem Koolhaas erinnern, finden sich seit einiger Zeit bei jüngeren Schweizer Architekten. Sie resultieren aus einer Systematik, bei der das Gebäude zumeist durch die Erschliessungs- oder Zirkulationsräume gleichsam aufgeschnitten wird. Mit verschiedenen, auch vertikalen Achsen können so Raumbezüge durch das ganze Gebäude entwickelt werden. Diese Entwurfspraxis wurde erstmals im Gemeindehaus von Müller und Truniger in Jona auch baulich realisiert.
Obwohl sie die grösste Fläche einnehmen, wirken die Nutzräume durch diese Inszenierung zunächst wie eine räumliche Nebensache. Finden sich die gastronomischen Einrichtungen im Erdgeschoss, so sind die grossen Vortragssäle, die Aula und das Foyer im ersten Stock untergebracht. Das zweite Obergeschoss nimmt neben den Schlafräumen der Rekruten auch Verwaltungseinheiten auf, während die oberen Stockwerke den Büro- und Wohnräumen des Lehrkörpers vorbehalten sind. Besprechungs- und Sitzungszimmer befinden sich an den Innenseiten mit Sichtverbindung zum grossen, durch alle Geschosse durchgehenden Lichthof.
Souveränes Raumkonzept
Der Neubau von Enzmann & Fischer überzeugt durch sein souveränes Raumkonzept ebenso wie durch die gezielte Materialisierung. Bei der Farbgebung der schlichten Betonwände in den öffentlichen Bereichen hätte der eine oder andere Akzent sicher gutgetan. Hier müssen deshalb die Installationen der Künstlerin Silvie Defraoui Kontrapunkte setzen. Überzeugend ist der Dialog mit dem Altbau ausgefallen. Dessen skulpturale Baumasse mit den nüchternen Innenräumen wird nun durch einen Zweckbau mit neutraler Fassade ergänzt, dessen vielschichtige, diskursive und offene Struktur im Inneren zu finden ist - keine schlechte Voraussetzung für eine Militärakademie. Am 10. Dezember wird der Luzerner Neubau eröffnet. Er markierte für das Büro Enzmann & Fischer, das bereits mit mehreren Wettbewerbserfolgen auf sich aufmerksam machte, den fulminanten Start in die Baupraxis. Die Ausführung eines weiteren Projektes, des Kirchgemeindehauses in Adliswil, für das sie vor einem Jahr mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurden, hängt noch von einer Abstimmung ab. Vielleicht lassen sich die Stimmberechtigten nun überzeugen, dass ihr Geld für einen Neubau von Enzmann & Fischer gut angelegt ist.
[ Enzmann & Fischer stellen ihre Arbeiten am 8. Dezember um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 15 vor. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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