Bauwerk
Stadt- und Landesbibliothek
Mario Botta - Dortmund (D) - 1999
Bücher am Bahnhof
Mario Bottas Stadt- und Landesbibliothek in Dortmund
Für Dortmunder Massstäbe kann Mario Bottas Neubau der Stadt- und Landesbibliothek durchaus als herausragend gelten. Gleichwohl vermag die gegenüber dem Hauptbahnhof gelegene Buchfestung nicht recht zu überzeugen: Konzeptionelle Schwächen sind unverkennbar, und überdies ist dem Architekten zur Bauaufgabe Bibliothek nichts wirklich Neues eingefallen.
23. August 1999 - Hubertus Adam
Nach dem Krieg wandelte sich Dortmund, die alte, nunmehr weitgehend zerstörte Hansestadt am westlichen Rand des Ruhrgebiets, zum Einkaufsparadies. Kaufhäuser entstanden, die obligatorischen Fussgängerzonen wurden angelegt, und in den Büro- und Verwaltungsbauten der City schien sich schon die postmontane Ära anzudeuten, welche die Stadt nach dem Niedergang der Zechen und Stahlwerke in eine Identitätskrise stürzte. Zimperlich ging und geht man mit dem baulichen Erbe in Dortmund nicht um: Nachdem die Zeugnisse der Industriekultur weitgehend aus dem Stadtbild gesprengt worden sind, steht nun die bescheidene Wiederaufbaumoderne der fünfziger und sechziger Jahre dem wirtschaftlichen Kalkül im Wege. So beendete eine Dynamitladung 1995 die Existenz der am Hansaplatz gelegenen Stadtbibliothek, weil ein Investor der Stadt versprochen hatte, das Grundstück für 28,5 Millionen Mark zu erwerben und überdies mit einem «Freizeitkaufhaus» zu garnieren. Als die Kommune das Grundstück indes besenrein übergeben wollte, gab es von dem ursprünglichen Ansinnen des Investors keine Spur mehr, und der Hansaplatz präsentiert sich seitdem als innerstädtische Brache.
Entwicklungsgebiet Hauptbahnhof
Auch wenn der erhoffte finanzielle Zuschuss für den Neubau der Stadt- und Landesbibliothek fehlte, gab es nun kein Zurück: In einem Gutachterverfahren für den neuen Standort vis-à-vis dem Hauptbahnhof konnte sich Mario Botta gegen Hansen & Petersen aus Dortmund, Horst Haag aus Stuttgart sowie Gustav Peichl und Jo Coenen durchsetzen. An die Stelle einstiger Pavillonbauten der fünfziger Jahre gesetzt, versucht Bottas Bibliotheksriegel, die Stadtkante an dieser Stelle neu zu fassen. Geht es nach dem Willen der Stadtväter, wird allerdings bald ein gigantisches, blasenartiges, 54 Meter hohes Shopping-Center der Hamburger Architekten Bothe, Richter, Teherani über den Gleisanlagen des Hauptbahnhofs niedergehen und die gebaute Umgebung zur Spielzeugarchitektur degradieren; Bottas Bibliothek geriete ins städtebauliche Abseits.
Wo die Fussgänger nach Überwinden der dem Bahnhof vorgelagerten Verkehrsschneise jetzt noch eine breite Freitreppe zum Niveau der City hinaufsteigen, fungiert die neue Bibliothek als Entrée zum Zentrum. Fast wirkt es so, als habe die Stadtbefestigung, die sich einst hier ausdehnte, den Tessiner inspiriert: Während das aus einem Kegelabschnitt entwickelte Halbrund der Lesesäle seiner Verglasung zum Trotz an eine Bastion erinnert, wirkt das in einen niedrigeren (westlichen) und einen höheren (östlichen) Baukörper gegliederte Volumen der Büro- und Magazinbereiche mit seiner seriellen Reihung von schartenartigen Fenstern mauerhaft streng. Wieso der Architekt rosarote Quarzitplatten zur Verkleidung verwendete und nicht den für die meisten seiner Bauten - und überdies für Dortmund - charakteristischen Ziegel, bleibt unerklärlich.
Architektonisch wenig überzeugend
Auch wenn die städtebauliche Lösung durchaus plausibel ist, vermögen essentielle Teile der Gestaltung nicht zu überzeugen - die ungegliederten Fassaden der Stirnseiten ebensowenig wie die Disposition des Haupteingangs, der sich in der dunklen Erdgeschosszone unterhalb der Verbindungsbrücken zwischen Lesesaal und Bürotrakt verbirgt. Wer einen Lichthof à la Botta in dem trommelförmigen Vorbau erwartet, sieht sich getäuscht: Rolltreppen zwischen den drei Ebenen des Freihandbereichs warten mit dem Charme eines Kaufhauses auf und verhindern vertikale Sichtbezüge. Nur auf der obersten Ebene des Lesesaals ergibt sich ein freier Blick auf die vorgelagerte Glaskonstruktion, obwohl die massigen Stahlrohre des Tragwerks deutlich überinstrumentiert erscheinen. Radial aufgestellte Regale und USM-Haller-Tische zeichnen die Kreisform nach.
Während es dem niederländischen Team Mecanoo in Delft mit dem ein fliessendes Raumgefüge durchstossenden kegelförmigen Lesesaal gelungen ist, den seit der British Library geläufigen Typus der Lesesaalrunde ironisch in die Gegenwart zu transponieren, und auch die Bibliothek von Bolles & Wilson in Münster Originalität beanspruchen kann, ist Botta zur Bauaufgabe Bibliothek wenig eingefallen. Was man um so mehr bedauert, als er im heimatlichen Lugano mit der Bibliothek des Kapuzinerklosters (1976) einen sensiblen und wegweisenden Bau realisiert hat. Indes: Wir leben in einer Informationsgesellschaft, in einer digitalen Ära. Bibliotheken in heutiger Zeit zu bauen sollte bedeuten, die Frage nach der zukünftigen Organisation des Wissens zu stellen. Wer aber die Frage nicht stellt, kann die Antwort nicht finden.
Entwicklungsgebiet Hauptbahnhof
Auch wenn der erhoffte finanzielle Zuschuss für den Neubau der Stadt- und Landesbibliothek fehlte, gab es nun kein Zurück: In einem Gutachterverfahren für den neuen Standort vis-à-vis dem Hauptbahnhof konnte sich Mario Botta gegen Hansen & Petersen aus Dortmund, Horst Haag aus Stuttgart sowie Gustav Peichl und Jo Coenen durchsetzen. An die Stelle einstiger Pavillonbauten der fünfziger Jahre gesetzt, versucht Bottas Bibliotheksriegel, die Stadtkante an dieser Stelle neu zu fassen. Geht es nach dem Willen der Stadtväter, wird allerdings bald ein gigantisches, blasenartiges, 54 Meter hohes Shopping-Center der Hamburger Architekten Bothe, Richter, Teherani über den Gleisanlagen des Hauptbahnhofs niedergehen und die gebaute Umgebung zur Spielzeugarchitektur degradieren; Bottas Bibliothek geriete ins städtebauliche Abseits.
Wo die Fussgänger nach Überwinden der dem Bahnhof vorgelagerten Verkehrsschneise jetzt noch eine breite Freitreppe zum Niveau der City hinaufsteigen, fungiert die neue Bibliothek als Entrée zum Zentrum. Fast wirkt es so, als habe die Stadtbefestigung, die sich einst hier ausdehnte, den Tessiner inspiriert: Während das aus einem Kegelabschnitt entwickelte Halbrund der Lesesäle seiner Verglasung zum Trotz an eine Bastion erinnert, wirkt das in einen niedrigeren (westlichen) und einen höheren (östlichen) Baukörper gegliederte Volumen der Büro- und Magazinbereiche mit seiner seriellen Reihung von schartenartigen Fenstern mauerhaft streng. Wieso der Architekt rosarote Quarzitplatten zur Verkleidung verwendete und nicht den für die meisten seiner Bauten - und überdies für Dortmund - charakteristischen Ziegel, bleibt unerklärlich.
Architektonisch wenig überzeugend
Auch wenn die städtebauliche Lösung durchaus plausibel ist, vermögen essentielle Teile der Gestaltung nicht zu überzeugen - die ungegliederten Fassaden der Stirnseiten ebensowenig wie die Disposition des Haupteingangs, der sich in der dunklen Erdgeschosszone unterhalb der Verbindungsbrücken zwischen Lesesaal und Bürotrakt verbirgt. Wer einen Lichthof à la Botta in dem trommelförmigen Vorbau erwartet, sieht sich getäuscht: Rolltreppen zwischen den drei Ebenen des Freihandbereichs warten mit dem Charme eines Kaufhauses auf und verhindern vertikale Sichtbezüge. Nur auf der obersten Ebene des Lesesaals ergibt sich ein freier Blick auf die vorgelagerte Glaskonstruktion, obwohl die massigen Stahlrohre des Tragwerks deutlich überinstrumentiert erscheinen. Radial aufgestellte Regale und USM-Haller-Tische zeichnen die Kreisform nach.
Während es dem niederländischen Team Mecanoo in Delft mit dem ein fliessendes Raumgefüge durchstossenden kegelförmigen Lesesaal gelungen ist, den seit der British Library geläufigen Typus der Lesesaalrunde ironisch in die Gegenwart zu transponieren, und auch die Bibliothek von Bolles & Wilson in Münster Originalität beanspruchen kann, ist Botta zur Bauaufgabe Bibliothek wenig eingefallen. Was man um so mehr bedauert, als er im heimatlichen Lugano mit der Bibliothek des Kapuzinerklosters (1976) einen sensiblen und wegweisenden Bau realisiert hat. Indes: Wir leben in einer Informationsgesellschaft, in einer digitalen Ära. Bibliotheken in heutiger Zeit zu bauen sollte bedeuten, die Frage nach der zukünftigen Organisation des Wissens zu stellen. Wer aber die Frage nicht stellt, kann die Antwort nicht finden.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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