Bauwerk
Lichtskulptur
Michelangelo Pistoletto - Krems an der Donau (A) - 1998
1. Juni 1999 - ORTE
Die Lichtskulptur am neugestalteten Kremser Bahnhofplatz mit einer Gesamthöhe von über 8 m und einer Auskragung von fast 6 m weist die stilisierte Form eines Flügels auf und weckt damit Assoziationen mit Reisen und dem nahen Bahnhof. Prof. Michelangelo Pistoletto, ein Hauptvertreter der Kunstrichtung „arte povera“, verwendet auf den quadratischen Glasfeldern Zeichen und Ornamente, die von Kremser Bürgern und Schülern als persönliche Signets gestaltet wurden (segno arte). Die Skulptur wurde im Jänner 1999 eröffnet.
Von allem Anfang an setzte Michelangelo Pistoletto auf kreative Zusammenarbeit mit seinem Publikum, und genauso wie der Spiegel die wichtigste Konstante seiner Arbeit ist, genauso ist eine Interaktion im Sinne von Kunst und Leben, auch im Sinne von Wirklichkeit, sein Dispositiv: Seit den sechziger Jahren gibt es Theaterprojekte, beginnend mit seiner Theatergruppe LO ZOO bis zum derzeit laufenden PROGETTO ARTE, einem spartenübergreifenden, großangelegten, kollektiven Projekt, das seine wesentliche Forderung an Kunst enthält, wenn er sagt: „An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend betrachte ich Kunst als Projekt der Annäherung und Vereinigung all dessen, was getrennt ist und auseinanderstrebt, und ich bin davon überzeugt, daß die Kunst ihre Präsenz auf universaler Ebene wiedergewinnen wird. Progetto Arte geht von der Vorstellung aus, daß die Kunst die genaueste und umfassendste Ausdrucksform des Denkens ist. Der Künstler hat darin die Aufgabe, Verbindungen zwischen den verschiedenen Formen menschlicher Aktivität zu schaffen, zwischen Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Religion, Erziehung und Sozialverhalten, kurz zwischen allen Bereichen des sozialen Gefüges.“
Auch die für Krems geschaffene Arbeit „L'ala di Krems“, welche die erste Arbeit ist, die Pistoletto für Niederösterreich realisiert hat, stellt sich diesen Anforderungen und enthält nicht nur das SEGNO ARTE als Zeichen des Künstlers, sondern auch andere Zeichen anderer Menschen, wie hier eben die von Kremser Bürgern, die gleichwertig die Felder der Flügelkonstruktion bedecken. Hier werden die Forderungen des Künstlers nach einem erweiterten Kunstbegriff Praxis und demonstrieren die eben erwähnten verschiedenen Formen menschlicher Aktivität.
Vom PROGETTO ARTE verlangt Michelangelo Pistoletto, ein öffentliches Forum der Kommunikation im urbanen Raum zu sein, ein Schnittpunkt verschiedener Kunstformen. Er fordert auf, festgefahrene Formen zu verlassen, wie er sich früh vom überhöhten Künstlermythos im Sinne des platonischen gottgleichen Schöpfers trennte und den Künstler als Autor, als Individualität hinterfragte und kritisierte. Seine OGETTI IN MENO, zu deutsch Minusobjekte, sind Ausdruck dieser Haltung. Sie wollen keine Repräsentationsobjekte sein, sie sind - wie er sagte - keine Konstruktionen, sondern Befreiungen, nicht hinzugefügt, sondern eben Minusobjekte, die eine Wahrnehmungserfahrung in sich bergen. Sie ließen eine künstlerische Handschrift hinter sich, die er später zur Gänze abgab, an Studenten, an andere, eben an das Publikum wie hier in Krems.
Ob auch immer er Skulpturen oder Bilder schuf oder eine Performance veranstaltete, er verwendete verschiedene Materialien, verschiedene Formen, doch standen sie alle im Zeichen einer Idee. Diese war durch die sowohl reale als auch metaphorische Verwendung des Spiegels gegeben. Wie er selbst sagte: „Ich glaube, daß man den Anfang der Geschichte an dem Punkt finden sollte, an dem der Mensch sein eigenes Bild im Spiegel als ein von ihm getrenntes Abbild wiedererkennt als sein doppeltes, das heißt als Zeichen seiner eigenen Verkörperung.“ Die seit den frühen sechziger Jahren entstandenen Spiegelbilder brachten das Bild, das Tafelbild einen Schritt weiter in Richtung Realbild, denn das Spiegelbild ist zeitgleich mit dem Realbild. Zusätzlich verwendete er in diesen das Medium der Photographie mit Figuren, oft Rückenfiguren, die sich am Rande der Spiegel befanden und wie zufällig noch Platz für den Betrachter ließen, der auf diese Art in die Bilder kippte und Wirklichkeit in das Bild brachte. Pistolettos Bilder registrieren und senden vor Ort, sie stellen nicht dar, sie sind, wie hier in Krems. Das alte Dispositiv des Spiegels hat sich von der Enge des Bildes gelöst, es hat sich vervielfältigt in einen weiteren metaphorischen, in einen Spiegel der Gesellschaft, in einen erweiterten Horizont von kollektivem Miteinander. 34 Jahre innerhalb des Spiegels nannte Pistoletto seine im Jahre 1995 gezeigte Retrospektive im Museum moderner Kunst, immer noch mit der Absicht und dem Resultat der Spiegelbilder, nämlich die Kunst an den Rand des Lebens zu bringen, um das ganze System zu identifizieren, indem sich beide aufeinander zubewegen.
In zahlreichen programmatischen Schriften hat Pistoletto die Wechselwirkung zwischen Künstler und Publikum programmatisch ins Auge gefaßt. Sei es Skulptur, Bild, Aktion oder Performance, es geht nie um das unwiederholbare Einzelwerk, sondern um die dahinterliegende intellektuelle Auseinandersetzung, die eben verschiedene Formen annehmen kann. Der Spiegel ist dazu Metapher und Wirklichkeit zugleich.
Wie er selbst sagt: „Unterdessen geht meine Geschichte mit der Setzung von Spiegelpunkten weiter, um, wo auch immer, die kunstinternen und -externen Phänomene zu sammeln, mit der Verrückung von Orten und der Erweiterung von Räumen.“ Zeichen dieses Ausdrucks ist das SEGNO ARTE: Zeichen Kunst. Jedesmal, wenn ein Kunstwerk geschaffen wird, wird ein Zeichen Kunst gesetzt. Das Segno Arte bezeichnet die Berührung zweier durch einen Spiegelungseffekt hergestellten Dreiecke. Es ist auch Zeichen der Arbeit für Krems, in der Pistoletto wie immer nach der Fähigkeit des Kunstwerks fragt, Subjektivität oder Objektivität zusammenzuhalten. Es ist nicht nur die Idee des Ausdrucks, sondern vor allem die der Vermittlung, die - wie hier in Krems - das Oeuvre von Michelangelo Pistoletto auszeichnen.
Susanne Neuburger, Eröffnungsrede, 19. Jänner 1999 (Text: Susanne Neuburger, Eröffnungsrede, 19. Jänner 1999)
Von allem Anfang an setzte Michelangelo Pistoletto auf kreative Zusammenarbeit mit seinem Publikum, und genauso wie der Spiegel die wichtigste Konstante seiner Arbeit ist, genauso ist eine Interaktion im Sinne von Kunst und Leben, auch im Sinne von Wirklichkeit, sein Dispositiv: Seit den sechziger Jahren gibt es Theaterprojekte, beginnend mit seiner Theatergruppe LO ZOO bis zum derzeit laufenden PROGETTO ARTE, einem spartenübergreifenden, großangelegten, kollektiven Projekt, das seine wesentliche Forderung an Kunst enthält, wenn er sagt: „An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend betrachte ich Kunst als Projekt der Annäherung und Vereinigung all dessen, was getrennt ist und auseinanderstrebt, und ich bin davon überzeugt, daß die Kunst ihre Präsenz auf universaler Ebene wiedergewinnen wird. Progetto Arte geht von der Vorstellung aus, daß die Kunst die genaueste und umfassendste Ausdrucksform des Denkens ist. Der Künstler hat darin die Aufgabe, Verbindungen zwischen den verschiedenen Formen menschlicher Aktivität zu schaffen, zwischen Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Religion, Erziehung und Sozialverhalten, kurz zwischen allen Bereichen des sozialen Gefüges.“
Auch die für Krems geschaffene Arbeit „L'ala di Krems“, welche die erste Arbeit ist, die Pistoletto für Niederösterreich realisiert hat, stellt sich diesen Anforderungen und enthält nicht nur das SEGNO ARTE als Zeichen des Künstlers, sondern auch andere Zeichen anderer Menschen, wie hier eben die von Kremser Bürgern, die gleichwertig die Felder der Flügelkonstruktion bedecken. Hier werden die Forderungen des Künstlers nach einem erweiterten Kunstbegriff Praxis und demonstrieren die eben erwähnten verschiedenen Formen menschlicher Aktivität.
Vom PROGETTO ARTE verlangt Michelangelo Pistoletto, ein öffentliches Forum der Kommunikation im urbanen Raum zu sein, ein Schnittpunkt verschiedener Kunstformen. Er fordert auf, festgefahrene Formen zu verlassen, wie er sich früh vom überhöhten Künstlermythos im Sinne des platonischen gottgleichen Schöpfers trennte und den Künstler als Autor, als Individualität hinterfragte und kritisierte. Seine OGETTI IN MENO, zu deutsch Minusobjekte, sind Ausdruck dieser Haltung. Sie wollen keine Repräsentationsobjekte sein, sie sind - wie er sagte - keine Konstruktionen, sondern Befreiungen, nicht hinzugefügt, sondern eben Minusobjekte, die eine Wahrnehmungserfahrung in sich bergen. Sie ließen eine künstlerische Handschrift hinter sich, die er später zur Gänze abgab, an Studenten, an andere, eben an das Publikum wie hier in Krems.
Ob auch immer er Skulpturen oder Bilder schuf oder eine Performance veranstaltete, er verwendete verschiedene Materialien, verschiedene Formen, doch standen sie alle im Zeichen einer Idee. Diese war durch die sowohl reale als auch metaphorische Verwendung des Spiegels gegeben. Wie er selbst sagte: „Ich glaube, daß man den Anfang der Geschichte an dem Punkt finden sollte, an dem der Mensch sein eigenes Bild im Spiegel als ein von ihm getrenntes Abbild wiedererkennt als sein doppeltes, das heißt als Zeichen seiner eigenen Verkörperung.“ Die seit den frühen sechziger Jahren entstandenen Spiegelbilder brachten das Bild, das Tafelbild einen Schritt weiter in Richtung Realbild, denn das Spiegelbild ist zeitgleich mit dem Realbild. Zusätzlich verwendete er in diesen das Medium der Photographie mit Figuren, oft Rückenfiguren, die sich am Rande der Spiegel befanden und wie zufällig noch Platz für den Betrachter ließen, der auf diese Art in die Bilder kippte und Wirklichkeit in das Bild brachte. Pistolettos Bilder registrieren und senden vor Ort, sie stellen nicht dar, sie sind, wie hier in Krems. Das alte Dispositiv des Spiegels hat sich von der Enge des Bildes gelöst, es hat sich vervielfältigt in einen weiteren metaphorischen, in einen Spiegel der Gesellschaft, in einen erweiterten Horizont von kollektivem Miteinander. 34 Jahre innerhalb des Spiegels nannte Pistoletto seine im Jahre 1995 gezeigte Retrospektive im Museum moderner Kunst, immer noch mit der Absicht und dem Resultat der Spiegelbilder, nämlich die Kunst an den Rand des Lebens zu bringen, um das ganze System zu identifizieren, indem sich beide aufeinander zubewegen.
In zahlreichen programmatischen Schriften hat Pistoletto die Wechselwirkung zwischen Künstler und Publikum programmatisch ins Auge gefaßt. Sei es Skulptur, Bild, Aktion oder Performance, es geht nie um das unwiederholbare Einzelwerk, sondern um die dahinterliegende intellektuelle Auseinandersetzung, die eben verschiedene Formen annehmen kann. Der Spiegel ist dazu Metapher und Wirklichkeit zugleich.
Wie er selbst sagt: „Unterdessen geht meine Geschichte mit der Setzung von Spiegelpunkten weiter, um, wo auch immer, die kunstinternen und -externen Phänomene zu sammeln, mit der Verrückung von Orten und der Erweiterung von Räumen.“ Zeichen dieses Ausdrucks ist das SEGNO ARTE: Zeichen Kunst. Jedesmal, wenn ein Kunstwerk geschaffen wird, wird ein Zeichen Kunst gesetzt. Das Segno Arte bezeichnet die Berührung zweier durch einen Spiegelungseffekt hergestellten Dreiecke. Es ist auch Zeichen der Arbeit für Krems, in der Pistoletto wie immer nach der Fähigkeit des Kunstwerks fragt, Subjektivität oder Objektivität zusammenzuhalten. Es ist nicht nur die Idee des Ausdrucks, sondern vor allem die der Vermittlung, die - wie hier in Krems - das Oeuvre von Michelangelo Pistoletto auszeichnen.
Susanne Neuburger, Eröffnungsrede, 19. Jänner 1999 (Text: Susanne Neuburger, Eröffnungsrede, 19. Jänner 1999)
Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich
Ansprechpartner:in für diese Seite: Heidrun Schlögl