Bauwerk
Wochenendhaus
Johannes Baar-Baarenfels - Podersdorf am See (A) - 2003
Poesie in Flaschen
Umgeben von Truman-Show-artigem Familienglück ein plötzlicher Rhythmuswechsel: ein Wochenendhaus im burgenländischen Podersdorf. Ohne Fenster. Der Ausblick findet statt, wo Architektur ausgespart wird.
5. Juni 2004 - Wojciech Czaja
Der Nutzen des Weins kann der Kraft der Götter gleichgesetzt werden", wusste Plinius schon vor knapp 2000 Jahren. Wirft man einen Blick auf all die Bauten, die sich - wenn auch nur an der Peripherie ihres Nutzens - dem Weine widmen, so darf man Plinius heute einen neuen Wahrheitsgehalt zusprechen. In vino also veritas, denn seien es nun irgendwelche Weinwelten, eines der unzählig neuen Weingüter oder auch nur der Entwurf für ein fesches Flaschenetikett, so haben sich Gestaltung und Erschaffung rund um Bacchus mittlerweile zu einer neuen und feinen Nische in der architektonischen Disziplin hochgemausert.
Wein sei Poesie in Flaschen, meinte der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson. Nun, heute ist Wein vor allem die Poesie der Werbebranche und des Marktanteils. Architecture sells immer und überall: Wo eine Marke zu platzieren ist, ist das permanente Pochen auf Name, Logo, Standort und nicht zuletzt auf die Unverwechselbarkeit unverzichtbar. Umso beruhigender jeder Versuch, der sich dem Wein aus einer anderen Perspektive nähert.
Weingärten, grüne Streifen, eine linierte Landschaft. Ein Blick, eine Rahmung, ein eingefangenes Bild. Braun, Grün, Blau. Einmal im Jahr, während der Lese, knallblaue Bottiche auf den Rücken der Weinbauern. Idyllisch verklärt? Es ist die Landschaft, in die das burgenländische Podersdorf eingebettet ist. Dreht man sich kurz auf das Dorf zu, sehnt man sich gleich wieder nach der eingerahmten Idylle des Weins, möchte sich wieder abwenden vom Dorf. Zu Recht. Denn was sich hinter einem auftut, ist ein Truman-Show-artiges Spektrum an seriell aneinander gefügtem Familienglück. Das Orangerot der Tonziegeldächer (die Werbebranche war auf diesem Gebiet sehr erfolgreich) und die hellblauen und vanillegelben Putzfassaden ersticken jeden grünen Versuch der umliegenden Weingärten.
Doch: gegen Ende der Häuserzeile ein Rhythmuswechsel des Bebauten. Als Abschluss das Wochenendhaus eines Ärzteehepaares. Das Haus, es ist still. Der Architekt Johannes Baar-Baarenfels: „In diese ambivalente Situation zwischen banalem Gebauten und gekämmter Landschaft durfte nur ein sprachloses Haus gelegt werden.“ Zur Straße hin ist es nicht nur sprachlos, sondern geradezu stumm. Eine kurze Unterbrechung in der Baufluchtlinie ist eine deutliche Zäsur zum Nachbarhaus, markiert den Übergang zum Minimalistischen. Danach beginnt eine weiß verputzte Mauer. Kahl, allein drei vertikale Glaskiemen in der eigentlich fensterlos gedachten Fläche stellten sich als möglicher Kompromiss zwischen Bauherrschaft und Gemeinde heraus.
Wo die Fenster sind? Es gibt keine Fenster. Denn Architekt Baar-Baarenfels hat lediglich architektonische Elemente wie Körper, Säule, Wand und Dach aneinander gefügt. Teilweise sogar ohne Kontakt zueinander. Der Ausblick findet dort statt, wo Architektur ausgespart und daher mit Glasflächen abgeschlossen wurde. Fast könnte man meinen, man hätte dies einzig und allein den rauen Winterverhältnissen zum Trotz getan. Nicht zur Straße hin wird hinausgeblickt, sondern - als logische Konsequenz der prädestinierten Grundstückslage - auf die angrenzenden Weingärten und in den Himmel hinaus. Hier werden jene bewusst komponierten Bilder gerahmt, die die wenigen Hauptmotive während eines Wochenendes fernab großstädtischer Hektik sein sollen.
„Die Funktion muss auf die wesentlichen Dinge beschränkt sein“, so die Bauherren, „eine reduzierte Architektur wie diese war die einzig mögliche Konsequenz unserer Vorstellungen.“ Der Architekt fasst seine Methode noch präziser und spricht von „stripped to bare“. (Allein schon dem Begriff zuliebe müsste man an dieser Stelle jeden auch nur annähernd intellektuellen Diskurs über das Haus beenden.) Bis auf die nackte Haut also ausgezogen, war die Poesie des Ortes wichtiger als das Feilschen mit architektonischen und technischen Feinjustagen, die nun weder aufdringlich noch erkennbar sind. Das Pultdach beispielsweise - eine Art halbes Satteldach und mit 30 Grad die flachstmögliche Interpretation der hiesigen Baubestimmungen - ist zwar (bauphysikalisch bedingt) stolze 45 Zentimeter dick, doch wo die Auskragungen auf Wärmedämmung verzichten konnten, haben Isokörbe ihren Part übernommen und das Dach an seinen Kanten somit auf gerade einmal ein Viertel der Dicke verringert. Understatement als Planungsprämisse?
Jede Zurückhaltung der architektonischen Komponente ist Gewinn für den Bauherrn. Das macht das Projekt allen ELK-Fertighausvarianten und cool designten Architekturalternativen (schwebenden Kartoffeln, lindgrünen, windschief verzerrten Wohngebilden und aufdringlichen Selbstdarstellungsikonen) gegenüber höchst sympathisch. In letzter Instanz hat das auch die Gemeinde erkannt, die nach einem dreijährigen Kampf um die Baugenehmigung zu guter Letzt all ihre Vetos zurückgezogen hat. Doch es war nicht nur ein Kampf mit juristischen Details, sondern auch mit Spenglern, Glasern und Steinmetzen. Wie auch immer, am Ende sind die auskragenden Steinstufen nun vorgespannt, die großen Glasflächen selbst am Eck rahmenlos, die Spenglerdetails auf das Minimum reduziert oder gar entfallen. Ungewöhnlich auch die Innenraumbeleuchtung im Wohnzimmer, denn die konvexe Dachuntersicht wird indirekt beleuchtet. Und zwar durch wetterfeste Halogenleuchten von außen. Das bringt erstens die nötige Distanz, um auf der gewölbten Fläche eine schöne Lichtstreuung zu erzielen, zweitens bleiben selbst bei geöffneten Türen sämtliche fliegenden, blutsaugenden kleinen Ungeheuer draußen, wenn sie den hellen Quell ihrer Freude umwerben.
Lichtführung, Material und Raumklima senken Geschwindigkeit und Puls beim Betreten des Hauses. Die brodelnde Ruhe ist das Außergewöhnlichste in diesen Räumen, wo - in der zeitgenössischen Architektur selten genug der Fall - das architektonische Auge mit dem Genius Loci Freundschaft schließen kann. Glas, weißer Putz und heller Naturstein bilden sowohl im Innenraum als auch von außen betrachtet den zurückhaltenden Hintergrund für das Rundherum. Man wird das Gefühl nicht los, man stehe in einer dreidimensionalen Fotografie, in der ein verspielter Grafiker die Farbsättigung bis auf den Grad eines Schwarzweißfotos verringert hätte. Mehr noch: „Anfangs wollten wir um das Haus weißen Carrara-Marmor streuen“, so Johannes Baar-Baarenfels, „doch die Blendung wäre im Sommer unerträglich geworden.“
Stattdessen griff man nun zum grauen Kies der örtlichen Schottergrube. Das Material, das recht unverfroren bis über die Grundstücksflächen hinaus verstreut wurde und unter dem selbst der flächenwidmungstechnische Gehsteig spurlos verschwunden ist, lässt genug Raum für Interpretationen: Etwas gröber als der feine Sand am Meer, ist es die Projektionsfläche für den hier aufgesuchten Freizeitgedanken; etwas feiner als steiniges Geröll, ist es die überschwänglich ausgestreute Barrikade, um die Grausamkeiten des Traditionellen bereits ante portas abzuwürgen. Ein Freizeitdomizil als kleiner, aber feiner heterotoper Mikrokosmos in und gleichzeitig außerhalb von Podersdorf? Eine starke Geste, eine Gratwanderung zwischen Aggressivität und Poesie.
Wein sei Poesie in Flaschen, meinte der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson. Nun, heute ist Wein vor allem die Poesie der Werbebranche und des Marktanteils. Architecture sells immer und überall: Wo eine Marke zu platzieren ist, ist das permanente Pochen auf Name, Logo, Standort und nicht zuletzt auf die Unverwechselbarkeit unverzichtbar. Umso beruhigender jeder Versuch, der sich dem Wein aus einer anderen Perspektive nähert.
Weingärten, grüne Streifen, eine linierte Landschaft. Ein Blick, eine Rahmung, ein eingefangenes Bild. Braun, Grün, Blau. Einmal im Jahr, während der Lese, knallblaue Bottiche auf den Rücken der Weinbauern. Idyllisch verklärt? Es ist die Landschaft, in die das burgenländische Podersdorf eingebettet ist. Dreht man sich kurz auf das Dorf zu, sehnt man sich gleich wieder nach der eingerahmten Idylle des Weins, möchte sich wieder abwenden vom Dorf. Zu Recht. Denn was sich hinter einem auftut, ist ein Truman-Show-artiges Spektrum an seriell aneinander gefügtem Familienglück. Das Orangerot der Tonziegeldächer (die Werbebranche war auf diesem Gebiet sehr erfolgreich) und die hellblauen und vanillegelben Putzfassaden ersticken jeden grünen Versuch der umliegenden Weingärten.
Doch: gegen Ende der Häuserzeile ein Rhythmuswechsel des Bebauten. Als Abschluss das Wochenendhaus eines Ärzteehepaares. Das Haus, es ist still. Der Architekt Johannes Baar-Baarenfels: „In diese ambivalente Situation zwischen banalem Gebauten und gekämmter Landschaft durfte nur ein sprachloses Haus gelegt werden.“ Zur Straße hin ist es nicht nur sprachlos, sondern geradezu stumm. Eine kurze Unterbrechung in der Baufluchtlinie ist eine deutliche Zäsur zum Nachbarhaus, markiert den Übergang zum Minimalistischen. Danach beginnt eine weiß verputzte Mauer. Kahl, allein drei vertikale Glaskiemen in der eigentlich fensterlos gedachten Fläche stellten sich als möglicher Kompromiss zwischen Bauherrschaft und Gemeinde heraus.
Wo die Fenster sind? Es gibt keine Fenster. Denn Architekt Baar-Baarenfels hat lediglich architektonische Elemente wie Körper, Säule, Wand und Dach aneinander gefügt. Teilweise sogar ohne Kontakt zueinander. Der Ausblick findet dort statt, wo Architektur ausgespart und daher mit Glasflächen abgeschlossen wurde. Fast könnte man meinen, man hätte dies einzig und allein den rauen Winterverhältnissen zum Trotz getan. Nicht zur Straße hin wird hinausgeblickt, sondern - als logische Konsequenz der prädestinierten Grundstückslage - auf die angrenzenden Weingärten und in den Himmel hinaus. Hier werden jene bewusst komponierten Bilder gerahmt, die die wenigen Hauptmotive während eines Wochenendes fernab großstädtischer Hektik sein sollen.
„Die Funktion muss auf die wesentlichen Dinge beschränkt sein“, so die Bauherren, „eine reduzierte Architektur wie diese war die einzig mögliche Konsequenz unserer Vorstellungen.“ Der Architekt fasst seine Methode noch präziser und spricht von „stripped to bare“. (Allein schon dem Begriff zuliebe müsste man an dieser Stelle jeden auch nur annähernd intellektuellen Diskurs über das Haus beenden.) Bis auf die nackte Haut also ausgezogen, war die Poesie des Ortes wichtiger als das Feilschen mit architektonischen und technischen Feinjustagen, die nun weder aufdringlich noch erkennbar sind. Das Pultdach beispielsweise - eine Art halbes Satteldach und mit 30 Grad die flachstmögliche Interpretation der hiesigen Baubestimmungen - ist zwar (bauphysikalisch bedingt) stolze 45 Zentimeter dick, doch wo die Auskragungen auf Wärmedämmung verzichten konnten, haben Isokörbe ihren Part übernommen und das Dach an seinen Kanten somit auf gerade einmal ein Viertel der Dicke verringert. Understatement als Planungsprämisse?
Jede Zurückhaltung der architektonischen Komponente ist Gewinn für den Bauherrn. Das macht das Projekt allen ELK-Fertighausvarianten und cool designten Architekturalternativen (schwebenden Kartoffeln, lindgrünen, windschief verzerrten Wohngebilden und aufdringlichen Selbstdarstellungsikonen) gegenüber höchst sympathisch. In letzter Instanz hat das auch die Gemeinde erkannt, die nach einem dreijährigen Kampf um die Baugenehmigung zu guter Letzt all ihre Vetos zurückgezogen hat. Doch es war nicht nur ein Kampf mit juristischen Details, sondern auch mit Spenglern, Glasern und Steinmetzen. Wie auch immer, am Ende sind die auskragenden Steinstufen nun vorgespannt, die großen Glasflächen selbst am Eck rahmenlos, die Spenglerdetails auf das Minimum reduziert oder gar entfallen. Ungewöhnlich auch die Innenraumbeleuchtung im Wohnzimmer, denn die konvexe Dachuntersicht wird indirekt beleuchtet. Und zwar durch wetterfeste Halogenleuchten von außen. Das bringt erstens die nötige Distanz, um auf der gewölbten Fläche eine schöne Lichtstreuung zu erzielen, zweitens bleiben selbst bei geöffneten Türen sämtliche fliegenden, blutsaugenden kleinen Ungeheuer draußen, wenn sie den hellen Quell ihrer Freude umwerben.
Lichtführung, Material und Raumklima senken Geschwindigkeit und Puls beim Betreten des Hauses. Die brodelnde Ruhe ist das Außergewöhnlichste in diesen Räumen, wo - in der zeitgenössischen Architektur selten genug der Fall - das architektonische Auge mit dem Genius Loci Freundschaft schließen kann. Glas, weißer Putz und heller Naturstein bilden sowohl im Innenraum als auch von außen betrachtet den zurückhaltenden Hintergrund für das Rundherum. Man wird das Gefühl nicht los, man stehe in einer dreidimensionalen Fotografie, in der ein verspielter Grafiker die Farbsättigung bis auf den Grad eines Schwarzweißfotos verringert hätte. Mehr noch: „Anfangs wollten wir um das Haus weißen Carrara-Marmor streuen“, so Johannes Baar-Baarenfels, „doch die Blendung wäre im Sommer unerträglich geworden.“
Stattdessen griff man nun zum grauen Kies der örtlichen Schottergrube. Das Material, das recht unverfroren bis über die Grundstücksflächen hinaus verstreut wurde und unter dem selbst der flächenwidmungstechnische Gehsteig spurlos verschwunden ist, lässt genug Raum für Interpretationen: Etwas gröber als der feine Sand am Meer, ist es die Projektionsfläche für den hier aufgesuchten Freizeitgedanken; etwas feiner als steiniges Geröll, ist es die überschwänglich ausgestreute Barrikade, um die Grausamkeiten des Traditionellen bereits ante portas abzuwürgen. Ein Freizeitdomizil als kleiner, aber feiner heterotoper Mikrokosmos in und gleichzeitig außerhalb von Podersdorf? Eine starke Geste, eine Gratwanderung zwischen Aggressivität und Poesie.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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