Bauwerk
Jüdisches Museum Kopenhagen
Studio Daniel Libeskind - Kopenhagen (DK) - 2004
Sichere Höhle und schwankendes Schiff
Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Kopenhagen
18. Juni 2004 - Roman Hollenstein
Mit einer Architektur, deren Raumverschrankungen ebenso auf kabbalistische Zahlenmystik wie auf komplexe Erinnerungslinien verweisen, empfiehlt sich Daniel Libeskind seit geraumer Zeit als idealer Baumeister jüdischer Museen. Mehrere hat er bereits geplant; nun konnte er vor wenigen Tagen in Kopenhagen sein zweites eröffnen: das Dansk Jødisk Museum. Verwandtschaften lassen sich leicht ausmachen zwischen seinem Berliner Geniestreich und der Miniatur auf Slotsholmen. Doch die Stiftung für ein dänisches Jüdisches Museum, die sich seit 1985 für einen Ort der Geschichtsvermittlung stark machte, hat nicht einfach auf einen grossen Namen gesetzt.
Vielmehr nahm sie schon 1987, also bevor Libeskind den Berliner Wettbewerb gewonnen hatte, mit dem damals noch kaum bekannten Architekten Kontakt auf. Daraus ergab sich für ihn ein erster Studienauftrag für das geplante Jüdische Museum. - Eigene Ausstellungsräume hatten sich jüdische Kreise allerdings schon nach der ersten Judaica-Schau von 1908 gewünscht. Anlässlich der 300-Jahr-Feier der Jüdischen Gemeinde Dänemarks von 1984 hatten dann mehrere Veranstaltungen erneut gezeigt, wie reich das jüdische Erbe des Landes war. Mit dem Ziel, dieses Patrimonium permanent zugänglich zu machen, formierte sich im Jahr darauf die Stiftung für ein dänisches Jüdisches Museum. Realität wurde deren Traum am Ende einer langen Standortsuche aber erst, als der Staat das ehemalige, 1609 von Joseph Matzen realisierte Bootshaus von König Christian IV., das seit bald hundert Jahren ins Erdgeschoss der Königlichen Bibliothek von Hans J. Holm eingebaut ist, als Lokalität zur Verfügung stellte.
Neokubistisches Raumgefüge
Trotz der Denkmalwürdigkeit der aus der nordischen Spätrenaissance stammenden Halle erhielt die Stiftung die Erlaubnis, aufgrund der im Jahr 2001 von Libeskind vorgelegten Pläne einen ebenso sanften wie exzentrisch wirkenden Umbau des Interieurs vorzunehmen. Entstanden ist ein kleines neokubistisches Meisterwerk, das mit seinen abgewinkelten Wänden aus hellem Birkenholz, den blitzartig durch den Raum zuckenden Lichtbalken, den dunkel glühenden Vitrinen und den altehrwürdigen Backsteingewölben heiteres Geschichtsbewusstsein ausstrahlt. In seiner Atmosphäre unterscheidet es sich damit grundlegend von der düsteren Dramatik des Jüdischen Museums in Berlin. Anders als dieser Bau, bei dem sich alles um die Schrecken und Verbrechen des Holocausts dreht, ging Libeskind in Kopenhagen von der stark durch Ausgleich und Toleranz geprägten Geschichte der dänischen Juden aus. Diese setzte 1622 ein, als Christian IV. aus wirtschaftlichen Erwägungen sephardische Juden in das von ihm gegründete Glückstadt an der Elbe einlud.
Im Jahre 1675 erhielten sie in der auf Jütland neu angelegten Garnisonsstadt Fredericia sowie 1684 auch in Kopenhagen Aufenthaltsbewilligungen; und Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ihnen dann das Bürgerrecht zuerkannt. Obwohl es später durch Einwanderung zu innerjüdischen Spannungen kam, verlief die Integration so selbstverständlich wie kaum anderswo. Das zeigte sich während der deutschen Besetzung, als die Dänen im Oktober 1943 die meisten ihrer damals knapp 8000 jüdischen Mitbürger nach Schweden retteten. Diese beherzte Tat, die aber ohne schwedische Grosszügigkeit nicht möglich gewesen wäre, nahm Libeskind als Grundlage seiner Planung. Dabei verwob er die vier Buchstaben des hebräischen Wortes «Mitzwah», dessen Bedeutung von Gebot bis hin zu gute Tat reicht, zu einem Wegsystem, welches labyrinthartig durch die Schluchten des Museums führt.
Zwar ist die neue Institution auch als Treffpunkt und Identifikationsort der heute überwiegend laizistischen jüdischstämmigen Dänen gedacht. Doch nach aussen tritt sie weniger als Begegnungszentrum denn als Schatzkammer in Erscheinung. Der kleine, mit Zacken und Linien zum Bibliotheksgarten sich weitende Vorplatz weist die Ankommenden in Richtung einer Tresortüre mit der Aufschrift «Mitzwah». Dahinter öffnet sich Libeskinds Welt, in der es auf knapp bemessenen 400 Quadratmetern neben dem Ausstellungsbereich auch Platz gibt für Kasse, Garderobe, Buchladen, Café-Ecke und Videoraum. Dennoch fühlt man sich nie eingeengt. Dies ist einerseits der spannungsvollen Rauminszenierung, anderseits den raffiniert in die stürzenden Wände eingebauten Vitrinen zu verdanken. In ihnen sind die Exponate - historische Dokumente, Bücher, Fotografien, Alltags- und Kultobjekte - nach den fünf Themenbereichen «Ankunft», «Standortfindung», «Flucht», «Dänemark und Israel» sowie «Tradition» geordnet.
Schätze jüdischer Kultur
Selbst wenn es die wenigen zum Stichwort «Tradition» gezeigten Kunstgegenstände, die teilweise aus den aufgelösten Synagogen in der Provinz stammen, kaum ahnen lassen, so können die jüdischen Dänen doch auf ein beachtliches künstlerisches Erbe zurückblicken. Nicht nur besitzt Kopenhagen mit dem 1833 eingeweihten ägyptisierenden Gotteshaus von Gustav Friedrich Hetsch eine der architektonisch bedeutendsten Synagogen Europas. Auch im Bereich der jüdischen Silberkunst wurde Grosses geschaffen. Dies veranschaulicht die von Mirjam Gelfer-Jørgensen herausgegebene Publikation über «Danish Jewish Art», in der sich auch Entwürfe berühmter Architekten und Künstlern finden. Mit Libeskinds meisterhafter Miniatur setzt nun das neue Museum die Tradition fort, und zwar in Form eines architektonischen Aufbruchzeichens. Dass diesem demnächst weitere Bauten folgen werden, welche der in Theorie und Ausformung etwas festgefahrenen Baukunst Kopenhagens neue Impulse verleihen dürften, zeigt noch bis zum 15. August die Ausstellung «Grænseløs Arkitektur» im Kopenhagener Architekturzentrum Gammeldok, in welcher auch Libeskinds Arbeit dokumentiert ist.
Vielmehr nahm sie schon 1987, also bevor Libeskind den Berliner Wettbewerb gewonnen hatte, mit dem damals noch kaum bekannten Architekten Kontakt auf. Daraus ergab sich für ihn ein erster Studienauftrag für das geplante Jüdische Museum. - Eigene Ausstellungsräume hatten sich jüdische Kreise allerdings schon nach der ersten Judaica-Schau von 1908 gewünscht. Anlässlich der 300-Jahr-Feier der Jüdischen Gemeinde Dänemarks von 1984 hatten dann mehrere Veranstaltungen erneut gezeigt, wie reich das jüdische Erbe des Landes war. Mit dem Ziel, dieses Patrimonium permanent zugänglich zu machen, formierte sich im Jahr darauf die Stiftung für ein dänisches Jüdisches Museum. Realität wurde deren Traum am Ende einer langen Standortsuche aber erst, als der Staat das ehemalige, 1609 von Joseph Matzen realisierte Bootshaus von König Christian IV., das seit bald hundert Jahren ins Erdgeschoss der Königlichen Bibliothek von Hans J. Holm eingebaut ist, als Lokalität zur Verfügung stellte.
Neokubistisches Raumgefüge
Trotz der Denkmalwürdigkeit der aus der nordischen Spätrenaissance stammenden Halle erhielt die Stiftung die Erlaubnis, aufgrund der im Jahr 2001 von Libeskind vorgelegten Pläne einen ebenso sanften wie exzentrisch wirkenden Umbau des Interieurs vorzunehmen. Entstanden ist ein kleines neokubistisches Meisterwerk, das mit seinen abgewinkelten Wänden aus hellem Birkenholz, den blitzartig durch den Raum zuckenden Lichtbalken, den dunkel glühenden Vitrinen und den altehrwürdigen Backsteingewölben heiteres Geschichtsbewusstsein ausstrahlt. In seiner Atmosphäre unterscheidet es sich damit grundlegend von der düsteren Dramatik des Jüdischen Museums in Berlin. Anders als dieser Bau, bei dem sich alles um die Schrecken und Verbrechen des Holocausts dreht, ging Libeskind in Kopenhagen von der stark durch Ausgleich und Toleranz geprägten Geschichte der dänischen Juden aus. Diese setzte 1622 ein, als Christian IV. aus wirtschaftlichen Erwägungen sephardische Juden in das von ihm gegründete Glückstadt an der Elbe einlud.
Im Jahre 1675 erhielten sie in der auf Jütland neu angelegten Garnisonsstadt Fredericia sowie 1684 auch in Kopenhagen Aufenthaltsbewilligungen; und Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ihnen dann das Bürgerrecht zuerkannt. Obwohl es später durch Einwanderung zu innerjüdischen Spannungen kam, verlief die Integration so selbstverständlich wie kaum anderswo. Das zeigte sich während der deutschen Besetzung, als die Dänen im Oktober 1943 die meisten ihrer damals knapp 8000 jüdischen Mitbürger nach Schweden retteten. Diese beherzte Tat, die aber ohne schwedische Grosszügigkeit nicht möglich gewesen wäre, nahm Libeskind als Grundlage seiner Planung. Dabei verwob er die vier Buchstaben des hebräischen Wortes «Mitzwah», dessen Bedeutung von Gebot bis hin zu gute Tat reicht, zu einem Wegsystem, welches labyrinthartig durch die Schluchten des Museums führt.
Zwar ist die neue Institution auch als Treffpunkt und Identifikationsort der heute überwiegend laizistischen jüdischstämmigen Dänen gedacht. Doch nach aussen tritt sie weniger als Begegnungszentrum denn als Schatzkammer in Erscheinung. Der kleine, mit Zacken und Linien zum Bibliotheksgarten sich weitende Vorplatz weist die Ankommenden in Richtung einer Tresortüre mit der Aufschrift «Mitzwah». Dahinter öffnet sich Libeskinds Welt, in der es auf knapp bemessenen 400 Quadratmetern neben dem Ausstellungsbereich auch Platz gibt für Kasse, Garderobe, Buchladen, Café-Ecke und Videoraum. Dennoch fühlt man sich nie eingeengt. Dies ist einerseits der spannungsvollen Rauminszenierung, anderseits den raffiniert in die stürzenden Wände eingebauten Vitrinen zu verdanken. In ihnen sind die Exponate - historische Dokumente, Bücher, Fotografien, Alltags- und Kultobjekte - nach den fünf Themenbereichen «Ankunft», «Standortfindung», «Flucht», «Dänemark und Israel» sowie «Tradition» geordnet.
Schätze jüdischer Kultur
Selbst wenn es die wenigen zum Stichwort «Tradition» gezeigten Kunstgegenstände, die teilweise aus den aufgelösten Synagogen in der Provinz stammen, kaum ahnen lassen, so können die jüdischen Dänen doch auf ein beachtliches künstlerisches Erbe zurückblicken. Nicht nur besitzt Kopenhagen mit dem 1833 eingeweihten ägyptisierenden Gotteshaus von Gustav Friedrich Hetsch eine der architektonisch bedeutendsten Synagogen Europas. Auch im Bereich der jüdischen Silberkunst wurde Grosses geschaffen. Dies veranschaulicht die von Mirjam Gelfer-Jørgensen herausgegebene Publikation über «Danish Jewish Art», in der sich auch Entwürfe berühmter Architekten und Künstlern finden. Mit Libeskinds meisterhafter Miniatur setzt nun das neue Museum die Tradition fort, und zwar in Form eines architektonischen Aufbruchzeichens. Dass diesem demnächst weitere Bauten folgen werden, welche der in Theorie und Ausformung etwas festgefahrenen Baukunst Kopenhagens neue Impulse verleihen dürften, zeigt noch bis zum 15. August die Ausstellung «Grænseløs Arkitektur» im Kopenhagener Architekturzentrum Gammeldok, in welcher auch Libeskinds Arbeit dokumentiert ist.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom