Bauwerk

Forum 2004
Herzog & de Meuron - Barcelona (E) - 2004
Forum 2004, Foto: Monika Nikolic / ARTUR IMAGES
Forum 2004, Foto: Monika Nikolic / ARTUR IMAGES

Katalanischer Riesenkäse

Die Party in Barcelona ist fast vorbei, aber das Kongresszentrum von Herzog & de Meuron bleibt.

4. September 2004 - Axel Simon
El quesito - kleiner Käse, nennen die Angestellten des Forums in Barcelona ihr Haus. Auch wenn einem das Adjektiv bei einer Fassadenlänge von 180 Metern einigermaßen unpassend vorkommt: Das Gebäude hat Löcher, stammt von Schweizer Architekten und ist dreieckig, wie die Käsescheiben auf dem Frühstücksbuffet des unmittelbar angrenzenden Forumhotels.

Doch beginnen wir von vorn: Am meerseitigen Ende der berühmten Avenida Diagonal, wo nun das Edificio Forum den Anfang eines neuen öffentlichen Raumes markiert. Vor drei Jahren war hier noch der Mülleimer der Stadt: Zwischen aufgelassenen Industriebrachen wurde Abfall verbrannt, Abwasser geklärt und Energie gewonnen, während das angrenzende Einwandererquartier verslumte. Heute erinnern an diese Zeit nur noch die drei Kraftwerkschlote, die unmittelbar an der Mündung des Rio Besòs noch immer rauchen. Zu ihren Füßen jedoch tat sich in kürzester Zeit eine neue Welt auf. Seit dem Frühjahr diesen Jahres wird sie mit einem bunten Kulturprogramm bespielt, dem „Forum Barcelona 2004“, dessen multikulturelles Programm aber letztlich dazu dient, ein neues Viertel mit den Weihen der Kultur zu eröffnen, im dem ab kommendem Jahr mit Kongressen sehr viel Geld verdient wird. Mit einer großen Geste hat sich Barcelona seiner Sorgenecke entledigt, sie zu einem der „Schlüsselorte“ der Stadt umgestaltet.

Motor dieser Anlage ist ein Kongresszentrum, unmittelbar vor dem Edificio Forum gelegen. Von dort schwingt sich eine 15 Hektar große, Esplanada genannte Betonplatte über Kläranlage und Küstenautobahn, um anschließend auf den Dächern der Bauten eines neuen Sporthafens zu enden und mit breiten Treppen zu ihm hinunterzuführen. Über zwei große, ambitioniert gestaltete Parkanlagen gelangt man zu Badebucht oder Strand, darüber blickt ein 4000 Quadratmeter großes Fotovoltaik-Segel aufs Meer. Als ökologisches Symbol spendet es nicht nur Strom und Schatten, sondern auch Legitimation für den baulichen Kraftakt. Für viele Kritiker der Planung ist deren Nachhaltigkeit jedoch zuallererst eine ökonomische: Die Luxuswohnungen und -hotels, die rund um das Kongresszentrum aus dem Boden schießen, treiben die Immobilienpreise in ungeahnte Höhen - unmittelbar neben einem Quartier voller Armut. Die tausend Anlegeplätze der Marina sind schon jetzt vergeben und an der Avenida Diagonal eröffnete ein Shoppingcenter nach amerikanischem Vorbild.

Zurück zum Käse. Dem Ankommenden präsentiert sich Herzog & de Meurons Vortrags-, Konzert- und Ausstellungsgebäude wundersam schwebend. Eine hermetische Fassade aus blauem Grobputz und verspiegelten Fensterschlitzen verbirgt das frei einteilbare Obergeschoß. Darunter fließt die Esplanada hindurch, nur ab und zu unterbrochen von einem der Zugänge und dem Auditorium als Kern des Ganzen - alles transparent und offen für Blicke hinein und hinaus. Der 3200 Personen fassende Saal wölbt sich vom Untergeschoß bis unters Dach und ist unterirdisch mit dem Kongresszentrum verbunden. Auch wenn der Platzraum unter dem schwebenden Volumen sich von neun Meter Höhe auf wenig mehr als zwei Meter reduziert, kommt nie Beklemmung auf. Der Grund ist die spiegelnde Decke - die Architekten nennen auch sie Fassade -, in deren dreieckige Edelstahlpanele ein unregelmäßiges Ornament geprägt ist, das sich ohne Unterbrechung fortsetzt. Keines der 28.000 Panele gleicht einem anderen.

Das in der Struktur der unteren Fassade abstrahierte Wolkenmuster findet man auf dem Dach wieder: nicht nur am Himmel, sondern auch auf einer Wasserfläche gespiegelt, die verschiedene Inseln und Einschnitte umschließt. In einem der Höfe läuft das Wasser die Fassade hinab und tröpfelt in ein Becken, ein anderer dient als Hochzeitskapelle, einen dritten betritt man vom Untergeschoß aus und blickt überrascht nach oben: Er setzt sich leicht verschoben und verspiegelt durch das Ausstellungsgeschoß hindurch in den Himmel fort, von oben schauen Touristen herunter.

Wer bei der Fassade nicht an Blauschimmel denkt, der assoziiert womöglich Wasser: Grob aufgespritzter Putz, den man von Tunnelwänden kennt, wurde mit leuchtend blauem Pigment nobilitiert. Je nach Lichteinfall wirken die drei Fassaden ultramarin-hart oder violett und dann wieder weich wie ein Schwamm oder auch fast schwarz, immer unterbrochen durch die scharf spiegelnden Fensterblitze.

Dass ein solches Stahlgebilde mit 180 Metern Länge, bis zu 30 Meter weiten Auskragungen und lediglich 17 Stützen aufwändig zu erstellen ist, kann man sich denken. Dass dieses Gebäude nach bloß einem Jahr Planungs- und zwei Jahren Bauzeit entstand, macht staunen. Doch das „Forum Barcelona 2004“ drängte, das als Mischung aus Expo und Weltsozialgipfel nun mit Großausstellungen und Hunderten von Veranstaltungen das gesamte Gelände 141 Tage bespielt und besetzt. Mit mäßigem Erfolg - die allzu optimistische Zahl von fünf Millionen erwarteten Besucher musste erst kürzlich auf drei Millionen korrigiert werden. Ende September wird die Esplanade von allen Zelten, Gerüsten und Containern geräumt und das Edificio Forum und der Zugang zum Meer werden frei betretbar sein. Momentan kostet die Eintrittskarte 20 Euro. Erst dann wird sich weisen, ob Barcelona hier tatsächlich einen lebendigen neuen Teil der Stadt erhalten hat.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Ayuntamiento de Barcelona

Tragwerksplanung

Fotografie

Bildagentur

ARTUR IMAGES