Bauwerk
WHA Rauchfangkehrergasse
Anton Brenner - Wien (A) - 1925
Die Welt und ihre Fugen
Vor kurzem wurde sie wieder entdeckt: seine kleine Wiener „Wohnmaschine“ aus den Zwanzigerjahren. Doch wer war überhaupt ihr Schöpfer, dieser Anton Brenner? Plädoyer für einen Vergessenen.
19. März 2005 - Gabriele Reiterer
Auf dem Foto wirkt er wach, trotzig, ein wenig gequält. Eine Haltung wie auf dem Sprung, als hätte er sich eben nur für wenige Sekunden auf dem Stuhl niedergelassen. Hinter ihm lehnt die Ehefrau, neben ihm drängen sich zwei Kinder. Die Fotografie der Familie Brenner wurde in genau jener Wiener Wohnung aufgenommen, deren kürzliche Entdeckung den Protagonisten dieser Geschichte - nämlich Anton Brenner - nun wieder der Vergessenheit entreißt.
Anton Brenner ist ein Phänomen: jenes der seltsamen Dynamik der Geschichtsschreibung, die in scheinbarer Willkür Existenzen einfach schluckt oder verborgen hält, um sie manchmal Jahrzehnte oder Jahrhunderte später wieder freizugeben, wie der Gletscher seine Toten.
Anton Brenner war Architekt. Seine Biografie liest sich wie eine schillernde und gleichzeitig sehr unausgewogene Geschichte, seine Stationen waren erfolgsgekrönt, um dann doch wieder tragisch zu enden. Das Architekturstudium begleiteten frühe Wohnbaustudien im „Roten Wien“. Es folgte die Mitarbeit am Hochbauamt in Frankfurt bei Ernst May, einem der wichtigsten Zentren der Moderne. Den glanzvollen Höhepunkt der Architektenlaufbahn von Anton Brenner bildete seine Berufung an das Bauhaus in Dessau im Jahre 1929.
1896 in Wien geboren und aufgewachsen, war Brenners erste traumatische Erfahrung, wie die einer ganzen Generation, der Erste Weltkrieg. 1920 traf der Kriegsheimkehrer auf eine vollkommen veränderte Welt. In Österreich war nicht viel geblieben, wie es war, in diesem Österreich, „das nur noch als ein ungewisser, grauer und lebloser Schatten der früheren kaiserlichen Monarchie auf der Karte Europas dämmerte“, so Stefan Zweig in seiner „Welt von Gestern“.
Brenner begann sein Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule, zuerst bei Oskar Strnad und Josef Frank, später setzte er es an der Akademie der bildenden Künste bei Peter Behrens und schließlich Clemens Holzmeister fort. Über Josef Frank kam Brenner bald mit der Siedlungsbewegung in Berührung, eine Begegnung, die entscheidend für seine Architektenlaufbahn wurde. Die Experimente und Forschungen auf dem Gebiet des Wohnbaus prägten jene Jahre. Kostengünstig bauen, effizient planen und wohnen waren die Themen der „sozialen Frage“, die zum Ethos der Architekten avancierte.
Heinickegasse, Ecke Rauchfangkehrergasse, 15. Wiener Gemeindebezirk. Nichts scheint besonders auffällig an dem Bau aus den Zwanzigerjahren, der auf einem Eckgrundstück errichtet wurde. Von außen wirkt er kubisch, massig, mit schmuckloser Fassade. Eine kleine Treppe führt zur Eingangstüre hinauf, im Stiegenhaus stellt sich ein Gefühl der Kleinteiligkeit, ja Enge ein. Bereits hier befindet sich alles penibel genau an seinem Platz. Wer die Wohnungstüre im zweiten Stock öffnet und den Fuß über die Schwelle setzt, glaubt im ersten Moment seinen Augen nicht zu trauen. Was sich hier präsentiert, ist eine ausgeklügelte kleine Wohnmaschine im Geist der Zwanzigerjah-re. Puppenstubenhafte 38 Quadratmeter sind es genau, auf denen hier vier Personen lebten. Jeder Vorgang, jede Geste dieses Wohnens wurde vom Architekten des Hauses, nämlich Anton Brenner, durchdacht und entsprechend festgelegt. So galt die erste Handlung beim Betreten der Wohnung dem Ablegen des Hutes in das obere Fach des „Kleiderablageschranks“, der gleichzeitig „als Trennungswand von Vorraum und Besenkammer mit einem unteren Fach für Überschuhe“ diente. Seitlich befanden sich „Stock- und Schirmständer“. Im nächsten Raum gab es Klappbetten für die Kinder mit entsprechend einschwenkbaren Nachttischchen. Der winzige Raum des WCs funktionierte gleichzeitig als Dusche. Weiters verfügte die Wohnung über einen supermodernen zentralen Müllschlucker und vor allem jede Menge Einbaumöbel. Jeder Zentimeter in jedem Raum war bis ins Kleinste durchdacht und funktional geplant. Vor allem auch jener Arbeitsraum, der später durch Margarethe Schütte-Lihotzky eine aufsehenerregende Neukonzeption erfahren sollte: Hier, in der kleinen Küche der Wohnung in der Rauchfangkehrergasse, waren diese Gedanken bereits angelegt.
Die Hülle dieses Wohnetuis bildeten die Nischen und Einbauschränke. Brenners genialste „Erfindung“ war eine Auflösung der Mittelmauern bei gegeneinander versetzten Wohnungen in Pfeiler und Träger. Durch eine versetzte Anordnung der die Wohnung abgrenzenden Füllwände entstanden Nischen, also zusätzlicher Raum, den Brenner für Möbeleinbauten nutzte. Das Tragwerk bestand - völlig unüblich für einen Gemeindewohnbau jener Zeit - aus einem Stahlbetonskelett.
Wie war dieses Projekt zustande gekommen? Der junge Anton Brenner hatte bereits während seiner Studienzeit an der Akademie der bildenden Künste auf sich aufmerksam gemacht. Noch als Student nahm er an einem von der Stadt Wien ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Wohnbau teil. Als ein wichtiger Punkt des Wettbewerbsprogramms waren zweckmäßige Grundrisslösungen gefordert. Als die Preisträger bekannt wurden, machte Brenner seinem Ärger in einem Artikel im „Wiener Tagblatt“ Luft. Denn der erste und zweite Preis wiesen seinem Ermessen nach in keiner Weise die verlangte Innovation und Qualität auf, ja Brenner bezeichnete sie als die mit Abstand schlechtesten Beiträge. Im intriganten und korrupten Wien schien dies der klare Fall eines geschobenen Wettbewerbs zu sein. Die Folge war eine beträchtliche mediale Aufmerksamkeit, in deren Zentrum Brenner und nolens volens auch sein eigener Wettbewerbsbeitrag rückten.
Seinen nächsten Wettbewerb, diesmal für die Berliner Zeitschrift „Bauwelt“, konnte er für sich entscheiden. Brenner reüssierte mit einer Fülle von Ideen, mittels Einbaumöbel „Volkswohnungsgrundrisse“ kostengünstig und raumökonomisch zu gestalten.
Mit diesem Erfolg in der Tasche meldete sich Brenner beim Wiener Stadtrat Siegel, seines Zeichens Baureferent, zur Sprechstunde an. Was nun folgte, beschreibt Brenner in seiner ungedruckten Autobiografie mit großem Pathos: Alsbald folgte ein Auftrag der Stadt Wien für einen Wohnbau mit eingebauten Möbeln. Anton Brenner fertigte innerhalb weniger Stunden einen Entwurf und zeichnete binnen vier Tagen den ganzen Plan des Hauses im Maßstab 1:200. Und dann trat, wie immer wieder in Brenners Leben, eine dramatische Wende ein. Alles schien sich plötzlich gegen Brenner zu verschwören. Tatsächlich dürfte er neben seinem schwierigen Charakter auch dem Wiener Intrigantentum zum Opfer gefallen sein. Während seine Grundrisse und Ausstattungen der Kleinstwohnungstypen in Berlin publiziert wurden und dort größte Anerkennung fanden, wurde deren erstmalige Umsetzung in Wien, in der Rauchfangkehrergasse, mehr als behindert.
Plötzlich tauchten Zweifel an der Urheberschaft des Architekten auf. In der Folge entbrannte ein heftiger Streit um die „Urheberrechte“ der Grundrisse und einiger „Erfindungen“ Brenners, der schließlich sogar in einen Rechtsstreit mündete. Für Brenner waren die Folgen mehr als problematisch. Das in Bau befindliche Haus sollte nun innen nicht mehr, wie ursprünglich geplant, von ihm ausgestattet werden. Schließlich gelang ihm ein genialer Handstreich. In einer Wiener Ausstellung über den „neuzeitlichen Haushalt“ brachte er ein perfektes Modell einer Wohnung im Maßstab 1:10 unter und präsentierte es vor großem Publikum. Mit der Ankündigung, er werde selbst in dieser Wohnung wohnen, pries er unaufhaltsam deren Vorzüge - und nahm seine Zuhörerschaft samt Stadtrat im Sturme. Sofort wurde ihm die Ausstattung einer Musterwohnung zugesagt.
Nach ihrer Fertigstellung 1925 durfte die Wohnung von Anton Brenner, die kleine Wohnmaschine, auch öffentlich besichtigt werden. Das Publikum kam in Scharen. Die Wohnung schaffte es sogar bis auf das Titelblatt der „Kronen Zeitung“. Wenig rühmlich, treffsicher genug, empfing das Wienerherz, wie oft, die neue Sache mit skeptischer Distanz: „Doch wird durch die Maschine kaum, die Not man übertauchen, denn was man hier erspart an Raum, wird man am Steinhof brauchen“, dichtete ein Anonymus. Von der ganzen Sache am meisten beeindruckt zeigten sich die Sowjets, die sogar eine eigene Delegation zur Besichtigung nach Wien sandten.
Im Frühjahr 1929 trat Brenner eine Lehrverpflichtung am Bauhaus in Dessau an. Hier schien er ein kongeniales Umfeld gefunden zu haben. Aber wie so oft drohten Neid und Intrige. Diesmal war es Hannes Meyer, der Direktor, der gemeinsam mit Ludwig Hilberseimer hinter dem Rücken von Brenner einen „geschobenen“ Wettbewerb plante. Die Konsequenzen waren fürchterlich. „Mit einem Schlage war alles zunichte“, notierte Brenner in seinen Memoiren. Er kündigte stante pede. Es folgte eine weitere Episode am Frankfurter Stadtbauamt. Brenner sah sich aber rasch wieder benutzt und witterte Neid und Missgunst allerorten. So ging auch diese Episode einem eher unrühmlichen Ende entgegen. Brenner reichte Klage gegen Ernst May ein und kehrte nach Wien zurück, wo er sich am Bau der Werkbundsiedlung beteiligte.
In Österreich plante Brenner noch einige Bauten. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte eine Berufung nach Kharagpur in Indien. Sein Name geriet jedoch trotz unbestrittener Leistungen auf dem Gebiete des Wohn- und Siedlungsbaues in Vergessenheit. Anton Brenner - der Verkannte, der Unglückliche? Warum besitzt sein Name nicht mehr die Präsenz eines Josef Frank oder Adolf Loos? War es seine unbequeme bis schwierige Art, die ihn zum allzu sperrigen Subjekt der Geschichtsschreibung degradierte?
Anton Brenner wollte die Welt verbessern, er wollte Ordnung und System. Seine ausgeklügelten Rationalisierungsideen jagten die Bewohner seiner Häuser durch ein fließbandähnliches Wohnregister, in dem jeder Handgriff vom Morgen bis zum Abend geordnet war. Da gab es kein Entrinnen. Und wenn - nur einmal - das Nachttischchen des Klappbetts seinen Haken verfehlte, dann drohte in Brenners teilpatentiertem System die Welt aus ihren Fugen zu geraten. Trotz alledem ist sein Beitrag zum menschenwürdigen Wohnen bis heute in vieler Hinsicht ein faszinierendes und unvergleichliches Experiment.
Die spektakuläre kleine Wiener Wohnmaschine wurde vor kurzem durch einen Zufall wieder entdeckt. Dem Umstand, dass Brenner selbst diese Wohnung bezogen hatte und Jahrzehnte mit seiner Familie dort wohnte, ist es zu verdanken, dass der Prototyp dieser Kleinstwohnung bis heute im Ansatz erhalten ist. Der Wiener Verein „Zeitraum“ hat mit Unterstützung des Bundesdenkmalamtes und der Kulturabteilung der Stadt Wien die behutsame Renovierung der Wohnung in der Rauchfangkehrergasse durchgeführt. Dieser Initiative ist es zu danken, dass das kleine Juwel erhalten bleibt. Ab Herbst wird die Wohnung als Museum öffentlich zugänglich sein.
[ Nähere Informationen beim Verein „Zeitraum“ unter Tel. 01/895-72-65. ]
Anton Brenner ist ein Phänomen: jenes der seltsamen Dynamik der Geschichtsschreibung, die in scheinbarer Willkür Existenzen einfach schluckt oder verborgen hält, um sie manchmal Jahrzehnte oder Jahrhunderte später wieder freizugeben, wie der Gletscher seine Toten.
Anton Brenner war Architekt. Seine Biografie liest sich wie eine schillernde und gleichzeitig sehr unausgewogene Geschichte, seine Stationen waren erfolgsgekrönt, um dann doch wieder tragisch zu enden. Das Architekturstudium begleiteten frühe Wohnbaustudien im „Roten Wien“. Es folgte die Mitarbeit am Hochbauamt in Frankfurt bei Ernst May, einem der wichtigsten Zentren der Moderne. Den glanzvollen Höhepunkt der Architektenlaufbahn von Anton Brenner bildete seine Berufung an das Bauhaus in Dessau im Jahre 1929.
1896 in Wien geboren und aufgewachsen, war Brenners erste traumatische Erfahrung, wie die einer ganzen Generation, der Erste Weltkrieg. 1920 traf der Kriegsheimkehrer auf eine vollkommen veränderte Welt. In Österreich war nicht viel geblieben, wie es war, in diesem Österreich, „das nur noch als ein ungewisser, grauer und lebloser Schatten der früheren kaiserlichen Monarchie auf der Karte Europas dämmerte“, so Stefan Zweig in seiner „Welt von Gestern“.
Brenner begann sein Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule, zuerst bei Oskar Strnad und Josef Frank, später setzte er es an der Akademie der bildenden Künste bei Peter Behrens und schließlich Clemens Holzmeister fort. Über Josef Frank kam Brenner bald mit der Siedlungsbewegung in Berührung, eine Begegnung, die entscheidend für seine Architektenlaufbahn wurde. Die Experimente und Forschungen auf dem Gebiet des Wohnbaus prägten jene Jahre. Kostengünstig bauen, effizient planen und wohnen waren die Themen der „sozialen Frage“, die zum Ethos der Architekten avancierte.
Heinickegasse, Ecke Rauchfangkehrergasse, 15. Wiener Gemeindebezirk. Nichts scheint besonders auffällig an dem Bau aus den Zwanzigerjahren, der auf einem Eckgrundstück errichtet wurde. Von außen wirkt er kubisch, massig, mit schmuckloser Fassade. Eine kleine Treppe führt zur Eingangstüre hinauf, im Stiegenhaus stellt sich ein Gefühl der Kleinteiligkeit, ja Enge ein. Bereits hier befindet sich alles penibel genau an seinem Platz. Wer die Wohnungstüre im zweiten Stock öffnet und den Fuß über die Schwelle setzt, glaubt im ersten Moment seinen Augen nicht zu trauen. Was sich hier präsentiert, ist eine ausgeklügelte kleine Wohnmaschine im Geist der Zwanzigerjah-re. Puppenstubenhafte 38 Quadratmeter sind es genau, auf denen hier vier Personen lebten. Jeder Vorgang, jede Geste dieses Wohnens wurde vom Architekten des Hauses, nämlich Anton Brenner, durchdacht und entsprechend festgelegt. So galt die erste Handlung beim Betreten der Wohnung dem Ablegen des Hutes in das obere Fach des „Kleiderablageschranks“, der gleichzeitig „als Trennungswand von Vorraum und Besenkammer mit einem unteren Fach für Überschuhe“ diente. Seitlich befanden sich „Stock- und Schirmständer“. Im nächsten Raum gab es Klappbetten für die Kinder mit entsprechend einschwenkbaren Nachttischchen. Der winzige Raum des WCs funktionierte gleichzeitig als Dusche. Weiters verfügte die Wohnung über einen supermodernen zentralen Müllschlucker und vor allem jede Menge Einbaumöbel. Jeder Zentimeter in jedem Raum war bis ins Kleinste durchdacht und funktional geplant. Vor allem auch jener Arbeitsraum, der später durch Margarethe Schütte-Lihotzky eine aufsehenerregende Neukonzeption erfahren sollte: Hier, in der kleinen Küche der Wohnung in der Rauchfangkehrergasse, waren diese Gedanken bereits angelegt.
Die Hülle dieses Wohnetuis bildeten die Nischen und Einbauschränke. Brenners genialste „Erfindung“ war eine Auflösung der Mittelmauern bei gegeneinander versetzten Wohnungen in Pfeiler und Träger. Durch eine versetzte Anordnung der die Wohnung abgrenzenden Füllwände entstanden Nischen, also zusätzlicher Raum, den Brenner für Möbeleinbauten nutzte. Das Tragwerk bestand - völlig unüblich für einen Gemeindewohnbau jener Zeit - aus einem Stahlbetonskelett.
Wie war dieses Projekt zustande gekommen? Der junge Anton Brenner hatte bereits während seiner Studienzeit an der Akademie der bildenden Künste auf sich aufmerksam gemacht. Noch als Student nahm er an einem von der Stadt Wien ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Wohnbau teil. Als ein wichtiger Punkt des Wettbewerbsprogramms waren zweckmäßige Grundrisslösungen gefordert. Als die Preisträger bekannt wurden, machte Brenner seinem Ärger in einem Artikel im „Wiener Tagblatt“ Luft. Denn der erste und zweite Preis wiesen seinem Ermessen nach in keiner Weise die verlangte Innovation und Qualität auf, ja Brenner bezeichnete sie als die mit Abstand schlechtesten Beiträge. Im intriganten und korrupten Wien schien dies der klare Fall eines geschobenen Wettbewerbs zu sein. Die Folge war eine beträchtliche mediale Aufmerksamkeit, in deren Zentrum Brenner und nolens volens auch sein eigener Wettbewerbsbeitrag rückten.
Seinen nächsten Wettbewerb, diesmal für die Berliner Zeitschrift „Bauwelt“, konnte er für sich entscheiden. Brenner reüssierte mit einer Fülle von Ideen, mittels Einbaumöbel „Volkswohnungsgrundrisse“ kostengünstig und raumökonomisch zu gestalten.
Mit diesem Erfolg in der Tasche meldete sich Brenner beim Wiener Stadtrat Siegel, seines Zeichens Baureferent, zur Sprechstunde an. Was nun folgte, beschreibt Brenner in seiner ungedruckten Autobiografie mit großem Pathos: Alsbald folgte ein Auftrag der Stadt Wien für einen Wohnbau mit eingebauten Möbeln. Anton Brenner fertigte innerhalb weniger Stunden einen Entwurf und zeichnete binnen vier Tagen den ganzen Plan des Hauses im Maßstab 1:200. Und dann trat, wie immer wieder in Brenners Leben, eine dramatische Wende ein. Alles schien sich plötzlich gegen Brenner zu verschwören. Tatsächlich dürfte er neben seinem schwierigen Charakter auch dem Wiener Intrigantentum zum Opfer gefallen sein. Während seine Grundrisse und Ausstattungen der Kleinstwohnungstypen in Berlin publiziert wurden und dort größte Anerkennung fanden, wurde deren erstmalige Umsetzung in Wien, in der Rauchfangkehrergasse, mehr als behindert.
Plötzlich tauchten Zweifel an der Urheberschaft des Architekten auf. In der Folge entbrannte ein heftiger Streit um die „Urheberrechte“ der Grundrisse und einiger „Erfindungen“ Brenners, der schließlich sogar in einen Rechtsstreit mündete. Für Brenner waren die Folgen mehr als problematisch. Das in Bau befindliche Haus sollte nun innen nicht mehr, wie ursprünglich geplant, von ihm ausgestattet werden. Schließlich gelang ihm ein genialer Handstreich. In einer Wiener Ausstellung über den „neuzeitlichen Haushalt“ brachte er ein perfektes Modell einer Wohnung im Maßstab 1:10 unter und präsentierte es vor großem Publikum. Mit der Ankündigung, er werde selbst in dieser Wohnung wohnen, pries er unaufhaltsam deren Vorzüge - und nahm seine Zuhörerschaft samt Stadtrat im Sturme. Sofort wurde ihm die Ausstattung einer Musterwohnung zugesagt.
Nach ihrer Fertigstellung 1925 durfte die Wohnung von Anton Brenner, die kleine Wohnmaschine, auch öffentlich besichtigt werden. Das Publikum kam in Scharen. Die Wohnung schaffte es sogar bis auf das Titelblatt der „Kronen Zeitung“. Wenig rühmlich, treffsicher genug, empfing das Wienerherz, wie oft, die neue Sache mit skeptischer Distanz: „Doch wird durch die Maschine kaum, die Not man übertauchen, denn was man hier erspart an Raum, wird man am Steinhof brauchen“, dichtete ein Anonymus. Von der ganzen Sache am meisten beeindruckt zeigten sich die Sowjets, die sogar eine eigene Delegation zur Besichtigung nach Wien sandten.
Im Frühjahr 1929 trat Brenner eine Lehrverpflichtung am Bauhaus in Dessau an. Hier schien er ein kongeniales Umfeld gefunden zu haben. Aber wie so oft drohten Neid und Intrige. Diesmal war es Hannes Meyer, der Direktor, der gemeinsam mit Ludwig Hilberseimer hinter dem Rücken von Brenner einen „geschobenen“ Wettbewerb plante. Die Konsequenzen waren fürchterlich. „Mit einem Schlage war alles zunichte“, notierte Brenner in seinen Memoiren. Er kündigte stante pede. Es folgte eine weitere Episode am Frankfurter Stadtbauamt. Brenner sah sich aber rasch wieder benutzt und witterte Neid und Missgunst allerorten. So ging auch diese Episode einem eher unrühmlichen Ende entgegen. Brenner reichte Klage gegen Ernst May ein und kehrte nach Wien zurück, wo er sich am Bau der Werkbundsiedlung beteiligte.
In Österreich plante Brenner noch einige Bauten. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte eine Berufung nach Kharagpur in Indien. Sein Name geriet jedoch trotz unbestrittener Leistungen auf dem Gebiete des Wohn- und Siedlungsbaues in Vergessenheit. Anton Brenner - der Verkannte, der Unglückliche? Warum besitzt sein Name nicht mehr die Präsenz eines Josef Frank oder Adolf Loos? War es seine unbequeme bis schwierige Art, die ihn zum allzu sperrigen Subjekt der Geschichtsschreibung degradierte?
Anton Brenner wollte die Welt verbessern, er wollte Ordnung und System. Seine ausgeklügelten Rationalisierungsideen jagten die Bewohner seiner Häuser durch ein fließbandähnliches Wohnregister, in dem jeder Handgriff vom Morgen bis zum Abend geordnet war. Da gab es kein Entrinnen. Und wenn - nur einmal - das Nachttischchen des Klappbetts seinen Haken verfehlte, dann drohte in Brenners teilpatentiertem System die Welt aus ihren Fugen zu geraten. Trotz alledem ist sein Beitrag zum menschenwürdigen Wohnen bis heute in vieler Hinsicht ein faszinierendes und unvergleichliches Experiment.
Die spektakuläre kleine Wiener Wohnmaschine wurde vor kurzem durch einen Zufall wieder entdeckt. Dem Umstand, dass Brenner selbst diese Wohnung bezogen hatte und Jahrzehnte mit seiner Familie dort wohnte, ist es zu verdanken, dass der Prototyp dieser Kleinstwohnung bis heute im Ansatz erhalten ist. Der Wiener Verein „Zeitraum“ hat mit Unterstützung des Bundesdenkmalamtes und der Kulturabteilung der Stadt Wien die behutsame Renovierung der Wohnung in der Rauchfangkehrergasse durchgeführt. Dieser Initiative ist es zu danken, dass das kleine Juwel erhalten bleibt. Ab Herbst wird die Wohnung als Museum öffentlich zugänglich sein.
[ Nähere Informationen beim Verein „Zeitraum“ unter Tel. 01/895-72-65. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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