Bauwerk

Walker Art Center
Herzog & de Meuron - Minneapolis (USA) - 2005
Walker Art Center, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Walker Art Center, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES

Ideenschmiede am Mississippi

Das spektakuläre neue Walker Art Center in Minneapolis

Das Walker Art Center in Minneapolis ist seit den sechziger Jahren eine der innovativsten und kreativsten Ideenschmieden der USA. Durch den von Herzog & de Meuron entworfenen Museumsanbau ist es nun auch von aussen so aufregend, wie es von innen schon immer war - eine geglückte Symbiose aus dem strengen Geist der klassischen Moderne und dem freieren Atem eines unbefangenen zeitgenössischen Temperaments.

23. Mai 2005 - Andrea Köhler
«Ich fliege nach Minneapolis», habe ich Doug im Aufzug erzählt, und er: «O, Minneapolis - fun city.» Das klang ironisch, obschon Doug zur Ironie nicht neigt. Schon gar nicht, wenn es um «fun» geht, dieses Hauptwort unserer nachbarschaftlichen Kommunikation. Meine andere Nachbarin, Jodie, kommt aus Minneapolis, und so habe ich sie um Auskunft gebeten. «You will have fun», schrieb sie mir zurück, dass Minneapolis ein tolles Nachtleben habe, die Suburbs zu meiden seien und ich einen Regenschirm einpacken solle. Das Hotel, das mir Jodie ans Herz legte, ist berühmt bei Hochzeitsreisenden, und einen Moment lang habe ich tatsächlich mit dem annoncierten «romantischen Blick auf den majestätischen Mississippi-River» geliebäugelt. Meine Recherche in der Reiseabteilung der Buchhandlung Barnes & Noble war dann allerdings nicht sehr vielversprechend: jede Menge Führer zum Wandern und Campen in Minnesota, diesem mit zehntausend Seen gesegneten Gliedstaat im Norden der USA. Doch die Kapitel zu seiner Hauptstadt fielen eher schmal aus. Offenbar reisen nicht viele Leute von New York aus in die «Twin City». Dafür gibt es täglich Billigflüge von Frankfurt am Main. Minneapolis hat die grösste Shopping-Mall der Welt.

Wolkenkratzer und Autobahnen

Es gibt bessere Gründe, die Zwillingsstadt zu besuchen. Zum Beispiel das Walker Art Center, das eines der zehn meistfrequentierten Museen Amerikas ist. Von oben sieht Minneapolis eher grün aus, so grün, dass man sich sogleich der entmutigenden Wetterprognosen entsinnt. Die Anfahrt vom Flughafen St. Paul (das ist der andere Teil der «Zwillingsstadt») nach Downtown Minneapolis führt durch die übliche Wüstenei aus Tankstellen, Billig-Motels, Taco-Ketten und Pizza Huts. Es gibt amerikanische Städte, und Minneapolis gehört dazu, da nimmt die Vorstadt kein Ende. Das Hotel offeriert statt des romantischen Mississippi-Blicks ein Panorama der Skyline; sie sieht ganz genauso aus wie eine der anderen typischen amerikanischen Städte mit 400 000 Einwohnern und riesigen Ausfallstrassen: eine groteske Mixtur aus frühem Industriedesign und klotzigen Wolkenkratzern, gesichtslosen Wohnkästen und neobarocken Kirchen. Wo einstmals die legendäre Hennepin Avenue die frühe Blüte des Kapitalismus in eleganten Warenhäusern ausstellte, hat die vierspurige Autobahn eine brutale Schneise in die Stadt geschlagen. An ihrem Ufer thront, nein: schwebt das Walker Art Center.

Thronen und schweben - dass solches zusammengeht, ist das Werk von Herzog & de Meuron: Das Basler Architektenduo hat dem grimmigen Backsteinbau von Edward Larrabee Barnes einen luftigen Anbau beschert. Es ist nach der Dominus Winery im Napa Valley das erste grosse Projekt der Schweizer Designer auf amerikanischem Boden; nächsten Herbst soll auch das New de Young Museum in San Francisco fertig werden. «The über-hip Euro-guys» («Newsweek»), die 2001 den renommierten Pritzker-Preis erhalten haben, gelten in den USA als «sexy» und «hot»; ihre Reputation stand ihnen hier allerdings anfangs eher im Weg. Das Walker hält sich viel darauf zugute, eine Brutstätte der Avantgarde zu sein.

Eiskubus für die Eisstadt

Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die für dieses Projekt mit ihrer Partnerin Christine Binswanger zusammengearbeitet haben, schienen dem Chefkurator Richard Flood (wie er der «New York Times» anvertraute) anfangs gar «gemütlich with us, too soon». Von Gemütlichkeit kann allerdings keine Rede sein; «einen grossen Eiskubus für die Eisstadt» nannte Herzog selbst diese Kreation.

Der hie und da aus den Fugen ausscherende quadratische Korpus, der an einer Stelle frei schwebend über die Strasse ragt, steht in apartem Kontrast zu der gestrengen Festung des Ursprungsgebäudes, dessen pflaumenfarbener Backstein im Boden des Neubaus wieder aufgenommen wird. Das ist mehr als bloss ein Zitat: nämlich die bis ins Detail gehende quasi-organische Verbindung zweier Extreme. Die Aussenhaut des Erweiterungsbaus besteht aus einem silbrig schimmernden Aluminium; seine fragile Struktur reflektiert das ständig wechselnde Wetter. Wenn es bedeckt ist, ist er vom Himmel beinahe nicht zu unterscheiden.

92 Millionen Dollar hat die Expansion des Zentrums gekostet, eine geglückte Symbiose aus kompromissloser Moderne und einem verspielten, dem Dekorativen huldigenden Temperament. Sehr schön kehrt diese Kombination auch im Inneren wieder, wo eine labyrinthische Anlage und verschachtelte Treppenaufgänge die Undurchlässigkeit des alten Gebäudes akzentuieren und zugleich ständig auf neue Räume öffnen. Das passt zu dem innovativen Geist, dem sich das Walker seit je verpflichtet fühlt - dem Impuls, den verschiedenen Künsten ein Forum für Experimente und Interaktionen zu bieten. Neben den funktional und schlicht gehaltenen Galerien, Video-Nischen und einem Konferenzraum mit spektakulärem Blick auf die ferne Skyline beherbergt das Museum ein Feinschmeckerrestaurant, das von dem zum Kunst-Gastronomen avancierten Starkoch Wolfgang Puck betrieben wird.

Die asymmetrischen, zum Teil bis auf den Boden gezogenen Fenster, die der Chefkurator mit «Schnitzeln» verglich, holen mit ihren Aussichten die Stadt ins Haus; zugleich gewinnt man durch sie auch einen Einblick von aussen. Überhaupt scheint die Inversion eines der Grundprinzipien dieses Neubaus zu sein; das florale Muster des weissen Gitterschmucks in der Eingangshalle kehrt - in Form von schwarzen Reliefs - im dunklen Bauch des Museums wieder: Sieht das Gebäude von aussen aus wie von knitternder Seide, so haben die Stahlwände des Theaters die Struktur von durchbrochenem Samt. Selbst die Einfahrt zur Tiefgarage hat den Charakter einer Lochstickerei. Jacques Herzog ist der Sohn einer Schneiderin.

Multimediales Gesamtkunstwerk

Das Unangestrengte dieses Designs gibt den Räumen den freien Atem, den es für eine Ideenschmiede braucht. Weit abgelegen von den Bastionen der Kunstwelt an der Ost- und Westküste, ist das Walker Art Center eine der ambitioniertesten Kulturinstitutionen der USA. Seine systematisch aufgebaute Sammlung enthält die ersten Kreationen des Minimalismus, der Pop-Art und der Arte povera; sie umfasst Fluxus und abstrakten Expressionismus, Videokunst und die Grossmeister der zeitgenössischen Fotografie. Vor allem aber ist das Walker bekannt für seine spartenübergreifenden Produktionen, die Geburt des multimedialen Gesamtkunstwerks aus dem Geist der Kooperation. Film und Theater, Tanz und bildende Kunst sind hier schon immer eine inspirierende Liaison eingegangen. Merce Cunningham und John Cage haben an diesem Ort in den sechziger Jahren gemeinsam experimentiert, und Jasper Johns hat ihnen die Bühnenbilder geschaffen; Janis Joplin und Led Zeppelin sind hier ebenso aufgetreten wie Philip Glass.

Der neue Erweiterungsbau bietet nun die Möglichkeit, den Schatz im Depot auch zu zeigen. In sieben sorgfältig komponierten Sonderausstellungen sind über 300 Stücke der ständigen Sammlung zu sehen. Besonders überzeugend ist die Gegenüberstellung zweier «Quartette», die mit Robert Motherwell, Joan Mitchell, Ellsworth Kelly und Jasper Johns auf der einen Seite und Matthew Barney, Sherrie Levine, Kara Walker und Robert Gober auf der anderen zwei Generationen von Künstlern in einen überraschenden Dialog verwickelt.

Der Dialog ist denn vielleicht überhaupt das Stichwort - das neue Walker ist dazu angetan, zu einem Publikumsmagnet zu werden, in dem Kommunikation gross geschrieben wird. Man muss die allgemeine Tendenz zum musealen Erlebnispark nicht in allen Fällen begrüssen. Doch für eine Stadt wie Minneapolis, in der die Strassen seit dem Bau der riesigen Shopping-Mall noch leerer sind als in anderen amerikanischen Städten, ist die Hoffnung auf ein soziales Zentrum nur allzu nachvollziehbar - zumal es sich, was das Programm angeht, nicht mit Zugeständnissen an die Spassgesellschaft kompromittiert. Doch Spass darf sein. In einer Nische wartet ein Leinwand-Delphin auf das Gespräch. Wer eine Frage hat, kann sie in den Computer tippen. Das zweidimensionaler Säugetier, dem man in natura nachsagt, menschenfreundlich und intelligent zu sein, ist in der Tat erstaunlich gewitzt; fast ist man geneigt, einen Animateur hinter der Leinwand zu orten. Woher er so viel wisse, habe ich den Delphin schliesslich gefragt. «Ich verbringe den ganzen Tag im Walker Art Center», hat er geantwortet. «It's fun!»

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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