Bauwerk
Wohnhaus Glaser
Boris Podrecca - Wien (A) - 1995
Wege in der Spirale
Hundert liebevolle Details, tausend ungenormte Kleinigkeiten: Boris Podreccas Einfamilienhaus in Wien-Liesing besticht durch Reichtum an Raumqualitäten - bei gleichzeitiger Beschränkung auf wenige Farben und Materialien.
8. April 1995 - Vera Purtscher
Liesing ist in Teilgebieten eine von Wiens besten Adressen für Wohnbauten. Schon fast bei Niederösterreich, wirkt die Gegend am Ende der Breitenfurter Straße beinahe ländlich. Vorbei an Rob Kriers postmodernem Wohnbau tröpfelt die Bebauung immer mehr in den Einfamilienhaustyp aus. Am Badfeld, einer kurzen Gasse inmitten eines kleinen Siedlungsteppichs, wurde nun ein Haus fertiggestellt. Ein namhafter Architekt hat es entworfen. Und doch schlägt es nicht mit formalen Aussagen um sich. Ganz bescheiden tut es.
Zur Straßenseite hin sind die Hinweise auf eine souveräne Entwurfshandschrift ganz subtil. Beim achtlosen Vorbeifahren könnte man es fast verpassen: Eine Putzfassade in hellem Grau sieht man da. Die wenigen Öffnungen sind in der Mitte der Fassade zusammengezogen, bilden dort eine kleine Fenster-Lisenen-Collage. Dann treppt sich ein fast filigranes Zugangsdächlein zum Eingang, und zwei – mit flachem Tonnendach gedeckte – Garagenboxen stehen da.
Umfriedet ist das Grundstück zur Straße hin mit einem Metallgitter. Spätestens jetzt entdeckt man hundert liebevolle Details, tausend ungenormte Kleinigkeiten: etwa wie die Wasserrinne zwischen den Garagentonnendächern an ihrem Austritt geformt ist – fast wie eine weit herausgestreckte Zunge –, um dann in einen Kupfereimer zu gleiten, der am Ende seines Rinnenfortsatzes ebenso kunstschlosserhaft skulptural wirkt; oder die Wahl einer massiven, aber schwach geneigten vertikalen Geländersprosse bei der Einfriedung; oder das Eingangstürchen aus massivem Nirosta, das ein großes rötliches Feld enthält. Wem diese Türe geöffnet wird, dem öffnet sich der fast zerbrechlich wirkende Vordachbereich in demselben pompejanischen Rot.
Generell entwickelt sich das Raumprogramm diese Hauses auf drei Hauptebenen. Doch schafft der Architekt – Boris Podrecca ist der Meister der geschilderten liebevollen Details – tatsächlich ein Raumkontinuum auf neun Niveaus. Eine tragende Pfeilerreihe läuft parallel zur Straße durchs Haus und weiter: Im Garten begleitet die Pfeilerreihe den Swimmingpool. Leicht gegen diese Reihe verschwenkt, steht mit rund eineinhalb Meter Abstand eine tragende Mittelmauer; deren tragende Funktion meint weniger das konstruktive Abtragen, das die Pfeilerreihe übernimmt, sondern mehr das Tragen von Bildern, Konsolen, Containern: im weitesten Sinne eine Gegenüberstellung des männlichen und des weiblichen Prinzips. Die Außenwände sind verputzt, weiß oder hellgrau gestrichen. Die Holzfenster sind in pompejanischem Rot lackiert, die Innenwände sind überall weiß, außer dort, wo sie von Ahornverkleidungen verdeckt sind. Aus Ahorn sind auch alle Möbel, entworfen von Podrecca, gefertigt von einem Murauer Tischler.
Aber gehen wir weiter durchs Haus: Im Eingangsbereich bieten sich bereits drei Wege an (ein ständig wiederkehrendes Motiv in diesem Haus: die Wahl der Richtung). Scharf links geht's an der schräg gearbeiteten Garderobe vorbei zum WC. Durch die Schräge des raumhohen Möbels entsteht eine perspektivische Verengung, die eine kleine Gasse signalisiert. Wendet man sich nur 90 Grad nach links, begleiten drei weitere Podeste in Terrazzo – mit eingelegten, eckigen, weißen Marmorstücken in strengem Muster – in den Wohnraum hinunter, schwach links steigt man zwei Stufen zum Eßbereich hinauf.
Von dort führt eine zweiflügelige Pendeltür in die Küche, die einerseits den Zugang zum Haus und die Eingangszone überblickt, anderseits in der Ostfassade ein kreisrundes Fenster hat. Vom Eßbereich führt eine Tür ins Freie. Eine Stufe höher befindet man sich im „Bereich der Frau“, von welchem man über ein Treppchen in den schon erwähnten Wohnbereich gelangt. Die offene Pfeilerreihe und der fast gänzliche Verzicht auf Türen oder sonstige eindeutige Raumteiler läßt überall hin-schauen. So überblickt die Dame alle besprochenen Bereiche – bis hin zum „Bereich des Herrn“, der vom Wohnbereich höher steigt, um hinter der pompejanisch-roten Mittelmauer seinen Tätigkeiten – immerhin teilweise verborgen – nachzugehen. Sie bemerken, daß ich nicht von „Räumen“ spreche, sondern von „Bereichen“. Podrecca strebt in diesem Haus eine „Neutralität“ der Räume an. Antihierarchisch sollen sie sein, austauschbar. Die Zonierung – auch mit den Mitteln des „Raumplanes“ – bewerkstelligt dies zum einen, die einheitliche Materialwahl und formale Entsprechung der Möbelstücke zum anderen.
Die Westfassade ist im Bereich der Wohnzone – bei Podrecca heißt sie „Piazetta“ – weit geöffnet. Der Blick fällt auf die weitergezogene Pfeilerreihe, das Schwimmbad, die begleitenden Terrakottatöpfe und den Baumbestand des Grundstücks. Wo das Sofa seinen Platz erhält, ist nur ein kleines quadratisches Fenster hoch genug gesetzt, um das Licht oberhalb der Sofalehne hereinfallen zu lassen. Das „große“ Licht des verglasten Bereiches gleitet noch in die nächst tiefer gelegene Ebene: Hier ist das Kaminzimmer, eine versteckte Welt im Bauch des Hauses.
Im Keller gibt es Platz für Wirtschafts- und Fitneßräume sowie für eine Einliegerwohnung, die nicht auf Tageslicht verzichten muß. Auch hier sind die Murauer Tischler am Werk gewesen. Fast unbewußt huscht man an der Privatheit der Einliegerwohnung vorbei, geht noch zwei Stufen tiefer. Selbst im Keller der Versuch, antihierarchisch zu sein und kein Ende zu finden in diesem „spiraligen“ Haus mit so vielen Wegen.
Zurück zum Ausgangspunkt beim Windfang: Nehmen wir nun die Treppe zum ersten Stock. „Tektonisch gewachsen“ nennt sie der Architekt. Eine massive Treppe hier, während die ins zweite Obergeschoß eine eingehängte Glastreppe ist – und somit wieder Lichtspender. Bleiben wir aber im ersten Stock: Das rechteckige Haus beginnt sich hier entlang der Pfeilerreihe plötzlich zu „teilen“, und es entwächst ihm ein im Grundriß kreissegmentförmiger Baukörper. Wie zur Straße hin aufgedrückt. Dort zeigt sich freilich einzig eine mächtige, kubische Ausladung: verschlossen, streng. Die gekurvte Seite jedoch öffnet sich in Glas – gegen das Grundstück und ins eigene Innere.
Diese Kurve wird fortgeführt bis zum „gläsernen“ Treppenansatz – und zwar in runden, kobaltblauen, raumhohen Säulen. Im annähernd viertelkreisförmigen Bereich ist Platz für Klavier und Kontemplation. Die Fensterfront hinter den blauen Säulen zieht sich tiefer ins Haus, als es dem Gebäudegrundriß entspricht. So entsteht im freibleibenden Zwickel zur Pfeilerreihe ein Balkon für den Sohn des Hauses, dessen Zimmer am Treppenende liegt. Zwischen seinem Zimmer und dem seiner Schwester, die sich eine kleine Loggia wünschte und oberhalb des Windfangs auch bekam, ist das Kinderbad plaziert. Mittels Mosaiken werden hier „Teppiche“ an die Wand „gehängt“. Umlaufend leuchtend farbige Bänder, die große, hellgraue Flächen umgarnen, vorher noch eine Abstufung in Dunkelgrau.
Eine einfache, konisch nach unten zulaufende Lampe wurde speziell für dieses Haus entwickelt. Die Möbel im Kinderzimmer sind aus Ahorn, aber partiell lackiert: einzige, vorsichtige Unterscheidung, um der Austauschbarkeit der Räume keinen Abbruch zu tun. Diese Zimmer der Rückzugsmöglichkeiten sind mehr „verschlossen“ als die anderen Räume. Eine durchgehende, horizontale Linie, 50 Zentimeter unter der Decke, ist hier holzverkleidet, im Musikzimmer und im Elternschlafzimmer hingegen verglast – eine handwerkliche Meisterleistung, waren doch in diesen Bereichen radial gelegte Sparren entsprechend mittig mit dem Glas anzuschneiden beziehungsweise dann normal darauf wieder Glasfelder anzufügen. Daß es offensichtlich noch gutes Handwerk in Österreich gibt, beweist dieses Haus in allen Gewerken.
Weiter zur Glasstiege, die ins zweite Dachgeschoß führt. So viele Glastreppen habe ich schon gesehen, aber diese ist besonders geglückt. Die Glasbrüstungen, ein schlanker Nirostahandlauf, die freigespielte Spindel lassen viel Licht hinuntergleiten. Das Mittelfeld der Trittstufe ist mattiert, die Nirostaanschlüsse und Halterungen sind schlank dimensioniert: So gleitet man zur Terrasse. Diese ist südorientiert, läßt aber auch zur Straße einen kleinen Durchblick frei. Pergolen werden bald verwachsen sein, und dann werden der Nordfassade sozusagen „Locken in die Stirn fallen“. Denn in dieser Wand „kleben“ an den oberen zwei Eckpunkten die Fenster der Kinderzimmer wie große Glupschaugen. Ein bescheidenes Badezimmerfenster sitzt dazwischen, verschoben darunter die Tür vom Eßbereich in den Garten, geschützt durch ein kleines, steiles Glasdach, das mit vielen, regelmäßig plazierten Nirostastöpseln – als Schneerechen – versehen wurde.
Die Dreiteilung des Hauses wird besonders an der Westfassade deutlich: die abweisende Straßenwand, in Putz, eingeschoßig; die mittlere Zone des Stiegenhauses – höher, pompejanisch rot, als tragende Mitte gegen die Anonymität der Straßenansicht. Und zuletzt der zweigeschoßige Körper, der sich Richtung Kalksburg weit öffnet.
Dieser Trakt wird wie ein Bild gefaßt: Putzlisenen ziehen sich allseitig der Terrasse entlang, die gegen West und Ost verschlossen bleibt. Und wo sich in der ganzen edlen Zurückhaltung nun die gekurvte Glaswand des Musikzimmers, der Balkon im entstehenden Zwickel, die Glaswand zum Stiegenhaus im ersten Obergeschoß und zum Wohnbereich im Erdgeschoß zeigen, scheint der freudige Funke plötzlich überzuspringen, wird doch die Wand unter der auskragend gekurvten mit Cipollino verkleidet. Ein stark gefladerter, grünlicher Marmor steht hier in dicken Platten über die Wand. Es genügen ja zehn Zentimeter seitlicher Überstand, um deutlich zu machen, daß der Stein hier Ver- oder Bekleidung ist. Im Zentrum dieses fast expressiv anmutenden Wandstücks sitzt jenes kleine Fenster, das im Inneren dem beispielsweise Zeitungslesenden das Licht über die Schulter aufs Blatt wirft.
Podrecca versuchte, des Bauherrn Beglückung durchs Einfamilienhaus mit einer rangfreien Neutralität der Räume zu kombinieren. Trotz der Selbstbeschränkung auf wenige Materialien und Farben gelang ihm eine Vielfalt, ja ein Reichtum an Raumqualitäten. Für den Besucher sind diese gepaart mit einem emotional unbekümmerten Zugang. So fein, gediegen, subtil diese Architektur ist – sie drängt sich niemals auf.
Zur Straßenseite hin sind die Hinweise auf eine souveräne Entwurfshandschrift ganz subtil. Beim achtlosen Vorbeifahren könnte man es fast verpassen: Eine Putzfassade in hellem Grau sieht man da. Die wenigen Öffnungen sind in der Mitte der Fassade zusammengezogen, bilden dort eine kleine Fenster-Lisenen-Collage. Dann treppt sich ein fast filigranes Zugangsdächlein zum Eingang, und zwei – mit flachem Tonnendach gedeckte – Garagenboxen stehen da.
Umfriedet ist das Grundstück zur Straße hin mit einem Metallgitter. Spätestens jetzt entdeckt man hundert liebevolle Details, tausend ungenormte Kleinigkeiten: etwa wie die Wasserrinne zwischen den Garagentonnendächern an ihrem Austritt geformt ist – fast wie eine weit herausgestreckte Zunge –, um dann in einen Kupfereimer zu gleiten, der am Ende seines Rinnenfortsatzes ebenso kunstschlosserhaft skulptural wirkt; oder die Wahl einer massiven, aber schwach geneigten vertikalen Geländersprosse bei der Einfriedung; oder das Eingangstürchen aus massivem Nirosta, das ein großes rötliches Feld enthält. Wem diese Türe geöffnet wird, dem öffnet sich der fast zerbrechlich wirkende Vordachbereich in demselben pompejanischen Rot.
Generell entwickelt sich das Raumprogramm diese Hauses auf drei Hauptebenen. Doch schafft der Architekt – Boris Podrecca ist der Meister der geschilderten liebevollen Details – tatsächlich ein Raumkontinuum auf neun Niveaus. Eine tragende Pfeilerreihe läuft parallel zur Straße durchs Haus und weiter: Im Garten begleitet die Pfeilerreihe den Swimmingpool. Leicht gegen diese Reihe verschwenkt, steht mit rund eineinhalb Meter Abstand eine tragende Mittelmauer; deren tragende Funktion meint weniger das konstruktive Abtragen, das die Pfeilerreihe übernimmt, sondern mehr das Tragen von Bildern, Konsolen, Containern: im weitesten Sinne eine Gegenüberstellung des männlichen und des weiblichen Prinzips. Die Außenwände sind verputzt, weiß oder hellgrau gestrichen. Die Holzfenster sind in pompejanischem Rot lackiert, die Innenwände sind überall weiß, außer dort, wo sie von Ahornverkleidungen verdeckt sind. Aus Ahorn sind auch alle Möbel, entworfen von Podrecca, gefertigt von einem Murauer Tischler.
Aber gehen wir weiter durchs Haus: Im Eingangsbereich bieten sich bereits drei Wege an (ein ständig wiederkehrendes Motiv in diesem Haus: die Wahl der Richtung). Scharf links geht's an der schräg gearbeiteten Garderobe vorbei zum WC. Durch die Schräge des raumhohen Möbels entsteht eine perspektivische Verengung, die eine kleine Gasse signalisiert. Wendet man sich nur 90 Grad nach links, begleiten drei weitere Podeste in Terrazzo – mit eingelegten, eckigen, weißen Marmorstücken in strengem Muster – in den Wohnraum hinunter, schwach links steigt man zwei Stufen zum Eßbereich hinauf.
Von dort führt eine zweiflügelige Pendeltür in die Küche, die einerseits den Zugang zum Haus und die Eingangszone überblickt, anderseits in der Ostfassade ein kreisrundes Fenster hat. Vom Eßbereich führt eine Tür ins Freie. Eine Stufe höher befindet man sich im „Bereich der Frau“, von welchem man über ein Treppchen in den schon erwähnten Wohnbereich gelangt. Die offene Pfeilerreihe und der fast gänzliche Verzicht auf Türen oder sonstige eindeutige Raumteiler läßt überall hin-schauen. So überblickt die Dame alle besprochenen Bereiche – bis hin zum „Bereich des Herrn“, der vom Wohnbereich höher steigt, um hinter der pompejanisch-roten Mittelmauer seinen Tätigkeiten – immerhin teilweise verborgen – nachzugehen. Sie bemerken, daß ich nicht von „Räumen“ spreche, sondern von „Bereichen“. Podrecca strebt in diesem Haus eine „Neutralität“ der Räume an. Antihierarchisch sollen sie sein, austauschbar. Die Zonierung – auch mit den Mitteln des „Raumplanes“ – bewerkstelligt dies zum einen, die einheitliche Materialwahl und formale Entsprechung der Möbelstücke zum anderen.
Die Westfassade ist im Bereich der Wohnzone – bei Podrecca heißt sie „Piazetta“ – weit geöffnet. Der Blick fällt auf die weitergezogene Pfeilerreihe, das Schwimmbad, die begleitenden Terrakottatöpfe und den Baumbestand des Grundstücks. Wo das Sofa seinen Platz erhält, ist nur ein kleines quadratisches Fenster hoch genug gesetzt, um das Licht oberhalb der Sofalehne hereinfallen zu lassen. Das „große“ Licht des verglasten Bereiches gleitet noch in die nächst tiefer gelegene Ebene: Hier ist das Kaminzimmer, eine versteckte Welt im Bauch des Hauses.
Im Keller gibt es Platz für Wirtschafts- und Fitneßräume sowie für eine Einliegerwohnung, die nicht auf Tageslicht verzichten muß. Auch hier sind die Murauer Tischler am Werk gewesen. Fast unbewußt huscht man an der Privatheit der Einliegerwohnung vorbei, geht noch zwei Stufen tiefer. Selbst im Keller der Versuch, antihierarchisch zu sein und kein Ende zu finden in diesem „spiraligen“ Haus mit so vielen Wegen.
Zurück zum Ausgangspunkt beim Windfang: Nehmen wir nun die Treppe zum ersten Stock. „Tektonisch gewachsen“ nennt sie der Architekt. Eine massive Treppe hier, während die ins zweite Obergeschoß eine eingehängte Glastreppe ist – und somit wieder Lichtspender. Bleiben wir aber im ersten Stock: Das rechteckige Haus beginnt sich hier entlang der Pfeilerreihe plötzlich zu „teilen“, und es entwächst ihm ein im Grundriß kreissegmentförmiger Baukörper. Wie zur Straße hin aufgedrückt. Dort zeigt sich freilich einzig eine mächtige, kubische Ausladung: verschlossen, streng. Die gekurvte Seite jedoch öffnet sich in Glas – gegen das Grundstück und ins eigene Innere.
Diese Kurve wird fortgeführt bis zum „gläsernen“ Treppenansatz – und zwar in runden, kobaltblauen, raumhohen Säulen. Im annähernd viertelkreisförmigen Bereich ist Platz für Klavier und Kontemplation. Die Fensterfront hinter den blauen Säulen zieht sich tiefer ins Haus, als es dem Gebäudegrundriß entspricht. So entsteht im freibleibenden Zwickel zur Pfeilerreihe ein Balkon für den Sohn des Hauses, dessen Zimmer am Treppenende liegt. Zwischen seinem Zimmer und dem seiner Schwester, die sich eine kleine Loggia wünschte und oberhalb des Windfangs auch bekam, ist das Kinderbad plaziert. Mittels Mosaiken werden hier „Teppiche“ an die Wand „gehängt“. Umlaufend leuchtend farbige Bänder, die große, hellgraue Flächen umgarnen, vorher noch eine Abstufung in Dunkelgrau.
Eine einfache, konisch nach unten zulaufende Lampe wurde speziell für dieses Haus entwickelt. Die Möbel im Kinderzimmer sind aus Ahorn, aber partiell lackiert: einzige, vorsichtige Unterscheidung, um der Austauschbarkeit der Räume keinen Abbruch zu tun. Diese Zimmer der Rückzugsmöglichkeiten sind mehr „verschlossen“ als die anderen Räume. Eine durchgehende, horizontale Linie, 50 Zentimeter unter der Decke, ist hier holzverkleidet, im Musikzimmer und im Elternschlafzimmer hingegen verglast – eine handwerkliche Meisterleistung, waren doch in diesen Bereichen radial gelegte Sparren entsprechend mittig mit dem Glas anzuschneiden beziehungsweise dann normal darauf wieder Glasfelder anzufügen. Daß es offensichtlich noch gutes Handwerk in Österreich gibt, beweist dieses Haus in allen Gewerken.
Weiter zur Glasstiege, die ins zweite Dachgeschoß führt. So viele Glastreppen habe ich schon gesehen, aber diese ist besonders geglückt. Die Glasbrüstungen, ein schlanker Nirostahandlauf, die freigespielte Spindel lassen viel Licht hinuntergleiten. Das Mittelfeld der Trittstufe ist mattiert, die Nirostaanschlüsse und Halterungen sind schlank dimensioniert: So gleitet man zur Terrasse. Diese ist südorientiert, läßt aber auch zur Straße einen kleinen Durchblick frei. Pergolen werden bald verwachsen sein, und dann werden der Nordfassade sozusagen „Locken in die Stirn fallen“. Denn in dieser Wand „kleben“ an den oberen zwei Eckpunkten die Fenster der Kinderzimmer wie große Glupschaugen. Ein bescheidenes Badezimmerfenster sitzt dazwischen, verschoben darunter die Tür vom Eßbereich in den Garten, geschützt durch ein kleines, steiles Glasdach, das mit vielen, regelmäßig plazierten Nirostastöpseln – als Schneerechen – versehen wurde.
Die Dreiteilung des Hauses wird besonders an der Westfassade deutlich: die abweisende Straßenwand, in Putz, eingeschoßig; die mittlere Zone des Stiegenhauses – höher, pompejanisch rot, als tragende Mitte gegen die Anonymität der Straßenansicht. Und zuletzt der zweigeschoßige Körper, der sich Richtung Kalksburg weit öffnet.
Dieser Trakt wird wie ein Bild gefaßt: Putzlisenen ziehen sich allseitig der Terrasse entlang, die gegen West und Ost verschlossen bleibt. Und wo sich in der ganzen edlen Zurückhaltung nun die gekurvte Glaswand des Musikzimmers, der Balkon im entstehenden Zwickel, die Glaswand zum Stiegenhaus im ersten Obergeschoß und zum Wohnbereich im Erdgeschoß zeigen, scheint der freudige Funke plötzlich überzuspringen, wird doch die Wand unter der auskragend gekurvten mit Cipollino verkleidet. Ein stark gefladerter, grünlicher Marmor steht hier in dicken Platten über die Wand. Es genügen ja zehn Zentimeter seitlicher Überstand, um deutlich zu machen, daß der Stein hier Ver- oder Bekleidung ist. Im Zentrum dieses fast expressiv anmutenden Wandstücks sitzt jenes kleine Fenster, das im Inneren dem beispielsweise Zeitungslesenden das Licht über die Schulter aufs Blatt wirft.
Podrecca versuchte, des Bauherrn Beglückung durchs Einfamilienhaus mit einer rangfreien Neutralität der Räume zu kombinieren. Trotz der Selbstbeschränkung auf wenige Materialien und Farben gelang ihm eine Vielfalt, ja ein Reichtum an Raumqualitäten. Für den Besucher sind diese gepaart mit einem emotional unbekümmerten Zugang. So fein, gediegen, subtil diese Architektur ist – sie drängt sich niemals auf.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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