Bauwerk
Hauptbahnhof Berlin
von Gerkan, Marg und Partner - Berlin (D) - 2006
Bahnhof mit Aussicht
Das neue Eisenbahnkreuz verbindet Berlin mit der Welt und sucht den Anschluss an die Stadt
Bahnreisende werden in Zukunft am befremdlichsten Ort ankommen, den Berlin zu bieten hat. Der neue Hauptbahnhof liegt im Herzen der Stadt und gleichwohl im Niemandsland: Rund um den riesigen Kreuzungsbahnhof sieht es derzeit aus, als sei die Mauer erst gefallen.
26. Mai 2006 - Claudia Schwartz
Humboldthafen und Brachland machen die gläserne Space-Age-Röhre mit den aufgebockten Bürohäusern des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner zum High-Tech- Raumschiff inmitten einer innerstädtischen Mondlandschaft. Selbst im Spreebogenpark am anderen Ufer, jener ernüchternden Art leer gefegter Landschaftsarchitektur, sieht man kaum Menschen. Was ursprünglich ein Ort für Bürger mitten im Regierungsviertel sein sollte, lässt Jogger, Radfahrer und selbst Hunde zügig vorbeiziehen. Die Hauptstädter haben der unwirtlichen Gegend mit dem «Bundespressestrand», einem Open-Air-Restaurant mit aufgeschüttetem Sandboden und Strandkörben eine kleine Insel abgetrotzt. Dank der Weite, die sich nach Westen hin öffnet, gibt es hier an Sommerabenden den längsten Berliner Sonnenuntergang zu bewundern.
Nachzügler der Hauptstadtwerdung
Die Flusslandschaft inmitten der Metropole mit Kanzleramt, Schweizer Botschaft und dem Haus der Bundespressekonferenz ist Durchgangszone geblieben. Ein einsamer Ort, wären da nicht die Spreedampfer, welche die Touristen im Minutentakt zwischen den Betonkolossen von Bundestagsbibliothek und Abgeordnetenhäusern durchs Regierungsviertel transportieren. Wer in Zukunft mit der Bahn nach Berlin reist, steht nun plötzlich da: mitten im Nichts. Keine andere Stadt habe einen Bahnhof mit einer solchen Ruhezone rundherum, gibt die freundliche Kommunikationsbeauftragte der Deutschen Bahn AG zu bedenken. Aber die Menschen, die aus der Ferne mit dem Zug hier ankommen, wollen nur möglichst schnell nach Hause oder ins Hotel.
Der Berliner Hauptbahnhof, den die deutsche Bundeskanzlerin heute Freitag feierlich eröffnet, ist nicht nur aufgrund seiner Symbolik ein Nachzügler der Hauptstadtwerdung: ein Bahnhof nicht im Westen oder im Osten, sondern in der sogenannten neuen Mitte der Stadt geplant. Wo das «Band des Bundes» die deutsch-deutsche Wiedervereinigung symbolisiert, versinnbildlicht die Gestalt des Bahnhofs, dessen Ausläufer sich in alle vier Himmelsrichtungen strecken, noch einmal die Öffnung der Stadt nach vierzig Jahren im Abseits. Hier kreuzen sich die neue, unterirdische Nord-Süd-Fernverbindung und die bogenförmig geführte oberirdische West-Ost-Bahn. Der am historischen Standort des einstigen Lehrter Bahnhofes errichtete Gebäudekomplex bildet in der Vogelperspektive ein leicht geschwungenes, doppelgleisiges Eisenbahnkreuz. Über die oberirdische Bahnsteighalle, die sich als gläserne Röhre von Westen nach Osten ins Stadtbild schmiegt, schlagen zwei von Norden nach Süden ausgerichtete, schlanke Büroriegel eine Brücke und flankieren die zentrale Bahnhofshalle.
Eine solche Verpflichtung aufs Symbol hat ihren Preis. Wie beim Band des Bundes tritt auch hier die baukünstlerische Vision zurück hinter die Bild gewordene Idee: Ein Highlight zeitgenössischer Architektur ist der Berliner Kreuzungsbahnhof aus Stahl und Glas nicht geworden, zumindest nicht von aussen betrachtet. In seinem Inneren aber nimmt der transparente Gebäudekomplex durch eine klare, funktionelle Gliederung für sich ein, weil er dem Reisenden eine schnelle Orientierung ermöglicht.
Ingenieurtechnisches Meisterwerk
Das schwebende Auf und Ab von 54 Rolltreppen und 6 Aufzügen über 5 Ebenen erlaubt schwindelerregende Blicke in die Tiefe. Das durch dieses Leitsystem zu den unterirdischen Bahnsteigen dringende Tageslicht signalisiert den hier Ankommenden den Weg zu den Ausgängen. Die filigran anmutende Glasdach-Konstruktion der Bahnhofshalle und die mit Seilen übers Kreuz ausgespannte Gleisüberdachung stellen ingenieurtechnische Meisterleistungen dar und geben dem Ganzen eine luftige, technoide Anmutung. Dass der Bahnhofsbau mit seiner Gliederung von Haupthalle, Büroriegeln und Gleisröhre dennoch einen eher biederen Gesamteindruck hinterlässt, verdankt sich allerdings auch der Deutschen Bahn, die sich als Bauherrin wie als Planerin eines neuen Schienenverkehrskonzeptes zuweilen ignorant gebärdete. Erst kürzte Bahnchef Hartmut Mehdorn die ursprünglich über 400 Meter lange gläserne Bahnsteighalle um mehr als ein Drittel, dann plante er die kathedralenartigen, indirekt beleuchteten Gewölbe in den Untergeschossen in Flachdecken mit Neonröhren um. Mit der Kürzung des gläsernen Wurms blieb die ursprünglich futuristisch anmutende Gestalt des Bahnhofs auf der Strecke, die Proportionen zwischen der filigranen Bahnsteighalle und den kantigen Büroriegeln sind empfindlich gestört. Ein Entscheid des Berliner Landesgerichts in dem Urheberrechtsprozess zwischen dem Architekten und dem Bahnunternehmen ist noch hängig. - Wer am Hauptbahnhof Berlin den Zug verlässt, der hat die Wahl zwischen dem Ausgang in Richtung Süden über den neuen Washingtonplatz und jenem in Richtung Norden über den ebenso jungfräulichen Europaplatz. Berlin gibt sich mit der Welt verbunden und hat wieder einmal das Naheliegende vergessen: Ein Zentralbahnhof sollte eng ins Verkehrssystem der Stadt greifen. Davon kann derzeit allerdings noch nicht die Rede sein. Die eigentliche Bedeutung dieses neuen architektonischen Elementes im Stadtzentrum liegt in seiner städtebaulichen Funktion, da die gläserne Nord-Süd-Spange die riegelartige Wirkung des Regierungsviertels etwas abschwächt, das den Spreebogen brachial teilt. Der Bahnhof wird die innerstädtische Brache um ihn herum etwas weiter zusammenwachsen lassen.
Tatsächlich liegt aber der Masterplan, der eine Bebauung des Lehrter Stadtteils vorsieht, seit langem in den Schubladen. Der grosse Leerstand von Gebäuden im Berliner Zentrum macht seine Realisierung ungewiss. Hier zeigt sich einmal mehr, wie schwierig es nach der Wende war, Prognosen zu machen im Hinblick auf die Entwicklung des wiedervereinigten Berlin. Der Hauptbahnhof wurde in einer Zeit geplant, als man mit einem Zuwachs der Berliner Bevölkerung auf sechs Millionen Menschen rechnete. Heute lebt gerade einmal die Hälfte an der Spree. Die Abtrennung des Bahnhofs Zoo vom Fernverkehr dürfte nicht zuletzt in der Angst der Deutschen Bahn begründet sein, dass die Geschäfte am neuen Standort zu wenig Kunden finden könnten.
Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof
Wer mit der Fernbahn oder der S-Bahn über die Ost-West-Strecke ins Berliner Zentrum einschwebt, dem bietet sich im gläsernen Tunnel des neuen Berliner Hauptbahnhofes ein einzigartiges Panorama. Am anderen Ufer der Spree bauen sich Reichstagskuppel, Kanzleramt und Abgeordnetenhäuser zu einer atemberaubenden Kulisse auf. Aus der Distanz des leicht erhöhten Bahntrassees erscheint die ausgreifende Hauptstadt- Ikonographie, die die Menschen sonst klein macht, diskret in den Tiergarten gebettet. Wer im Untergrund ankommt, wo die Nord-Süd-Strecke verläuft, muss sich erst in einem der zylinderförmigen Lifte in die grosse Bahnhofshalle hinauf fahren lassen wie in einer gläsernen Rohrpost. Dann liegt auch ihm gen Süden die stadträumliche Skulptur des Regierungsviertels zu Füssen. Welche Metropole hat den Ankommenden eine solche Aussicht zu bieten? Den Berlinern wird dieser Anblick in Zukunft das Ende des Heimwehs ankünden, Berlinbesuchern bei der Abreise das Fernweh ins Herz pflanzen.
Die Berliner werden in den Eröffnungstagen geduldig Schlange stehen, um ihren Bahnhof erstmals zu begehen, wie sie es in den vergangenen Jahren bei allen neuen Gebäuden taten. Am Ende wird es ihnen gefallen, auch wenn keiner versteht, warum der Bahnhof Zoo, an dem nun keine Fernzüge mehr halten sollen, aufs Abstellgleis gestellt wird. Zudem hätten die Hauptstädter lieber den Namen des historischen Standortes Lehrter Bahnhof behalten. So künden einem nun zwar die Tafeln auf den Gleisen der Fernbahn die Station «Berlin Hauptbahnhof» an. Aber ein paar Etagen weiter oben wechselt man im gleichen Gebäude am «Lehrter Bahnhof» in die S-Bahn. Sie verstehen nur Bahnhof? Willkommen in Berlin!
Nachzügler der Hauptstadtwerdung
Die Flusslandschaft inmitten der Metropole mit Kanzleramt, Schweizer Botschaft und dem Haus der Bundespressekonferenz ist Durchgangszone geblieben. Ein einsamer Ort, wären da nicht die Spreedampfer, welche die Touristen im Minutentakt zwischen den Betonkolossen von Bundestagsbibliothek und Abgeordnetenhäusern durchs Regierungsviertel transportieren. Wer in Zukunft mit der Bahn nach Berlin reist, steht nun plötzlich da: mitten im Nichts. Keine andere Stadt habe einen Bahnhof mit einer solchen Ruhezone rundherum, gibt die freundliche Kommunikationsbeauftragte der Deutschen Bahn AG zu bedenken. Aber die Menschen, die aus der Ferne mit dem Zug hier ankommen, wollen nur möglichst schnell nach Hause oder ins Hotel.
Der Berliner Hauptbahnhof, den die deutsche Bundeskanzlerin heute Freitag feierlich eröffnet, ist nicht nur aufgrund seiner Symbolik ein Nachzügler der Hauptstadtwerdung: ein Bahnhof nicht im Westen oder im Osten, sondern in der sogenannten neuen Mitte der Stadt geplant. Wo das «Band des Bundes» die deutsch-deutsche Wiedervereinigung symbolisiert, versinnbildlicht die Gestalt des Bahnhofs, dessen Ausläufer sich in alle vier Himmelsrichtungen strecken, noch einmal die Öffnung der Stadt nach vierzig Jahren im Abseits. Hier kreuzen sich die neue, unterirdische Nord-Süd-Fernverbindung und die bogenförmig geführte oberirdische West-Ost-Bahn. Der am historischen Standort des einstigen Lehrter Bahnhofes errichtete Gebäudekomplex bildet in der Vogelperspektive ein leicht geschwungenes, doppelgleisiges Eisenbahnkreuz. Über die oberirdische Bahnsteighalle, die sich als gläserne Röhre von Westen nach Osten ins Stadtbild schmiegt, schlagen zwei von Norden nach Süden ausgerichtete, schlanke Büroriegel eine Brücke und flankieren die zentrale Bahnhofshalle.
Eine solche Verpflichtung aufs Symbol hat ihren Preis. Wie beim Band des Bundes tritt auch hier die baukünstlerische Vision zurück hinter die Bild gewordene Idee: Ein Highlight zeitgenössischer Architektur ist der Berliner Kreuzungsbahnhof aus Stahl und Glas nicht geworden, zumindest nicht von aussen betrachtet. In seinem Inneren aber nimmt der transparente Gebäudekomplex durch eine klare, funktionelle Gliederung für sich ein, weil er dem Reisenden eine schnelle Orientierung ermöglicht.
Ingenieurtechnisches Meisterwerk
Das schwebende Auf und Ab von 54 Rolltreppen und 6 Aufzügen über 5 Ebenen erlaubt schwindelerregende Blicke in die Tiefe. Das durch dieses Leitsystem zu den unterirdischen Bahnsteigen dringende Tageslicht signalisiert den hier Ankommenden den Weg zu den Ausgängen. Die filigran anmutende Glasdach-Konstruktion der Bahnhofshalle und die mit Seilen übers Kreuz ausgespannte Gleisüberdachung stellen ingenieurtechnische Meisterleistungen dar und geben dem Ganzen eine luftige, technoide Anmutung. Dass der Bahnhofsbau mit seiner Gliederung von Haupthalle, Büroriegeln und Gleisröhre dennoch einen eher biederen Gesamteindruck hinterlässt, verdankt sich allerdings auch der Deutschen Bahn, die sich als Bauherrin wie als Planerin eines neuen Schienenverkehrskonzeptes zuweilen ignorant gebärdete. Erst kürzte Bahnchef Hartmut Mehdorn die ursprünglich über 400 Meter lange gläserne Bahnsteighalle um mehr als ein Drittel, dann plante er die kathedralenartigen, indirekt beleuchteten Gewölbe in den Untergeschossen in Flachdecken mit Neonröhren um. Mit der Kürzung des gläsernen Wurms blieb die ursprünglich futuristisch anmutende Gestalt des Bahnhofs auf der Strecke, die Proportionen zwischen der filigranen Bahnsteighalle und den kantigen Büroriegeln sind empfindlich gestört. Ein Entscheid des Berliner Landesgerichts in dem Urheberrechtsprozess zwischen dem Architekten und dem Bahnunternehmen ist noch hängig. - Wer am Hauptbahnhof Berlin den Zug verlässt, der hat die Wahl zwischen dem Ausgang in Richtung Süden über den neuen Washingtonplatz und jenem in Richtung Norden über den ebenso jungfräulichen Europaplatz. Berlin gibt sich mit der Welt verbunden und hat wieder einmal das Naheliegende vergessen: Ein Zentralbahnhof sollte eng ins Verkehrssystem der Stadt greifen. Davon kann derzeit allerdings noch nicht die Rede sein. Die eigentliche Bedeutung dieses neuen architektonischen Elementes im Stadtzentrum liegt in seiner städtebaulichen Funktion, da die gläserne Nord-Süd-Spange die riegelartige Wirkung des Regierungsviertels etwas abschwächt, das den Spreebogen brachial teilt. Der Bahnhof wird die innerstädtische Brache um ihn herum etwas weiter zusammenwachsen lassen.
Tatsächlich liegt aber der Masterplan, der eine Bebauung des Lehrter Stadtteils vorsieht, seit langem in den Schubladen. Der grosse Leerstand von Gebäuden im Berliner Zentrum macht seine Realisierung ungewiss. Hier zeigt sich einmal mehr, wie schwierig es nach der Wende war, Prognosen zu machen im Hinblick auf die Entwicklung des wiedervereinigten Berlin. Der Hauptbahnhof wurde in einer Zeit geplant, als man mit einem Zuwachs der Berliner Bevölkerung auf sechs Millionen Menschen rechnete. Heute lebt gerade einmal die Hälfte an der Spree. Die Abtrennung des Bahnhofs Zoo vom Fernverkehr dürfte nicht zuletzt in der Angst der Deutschen Bahn begründet sein, dass die Geschäfte am neuen Standort zu wenig Kunden finden könnten.
Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof
Wer mit der Fernbahn oder der S-Bahn über die Ost-West-Strecke ins Berliner Zentrum einschwebt, dem bietet sich im gläsernen Tunnel des neuen Berliner Hauptbahnhofes ein einzigartiges Panorama. Am anderen Ufer der Spree bauen sich Reichstagskuppel, Kanzleramt und Abgeordnetenhäuser zu einer atemberaubenden Kulisse auf. Aus der Distanz des leicht erhöhten Bahntrassees erscheint die ausgreifende Hauptstadt- Ikonographie, die die Menschen sonst klein macht, diskret in den Tiergarten gebettet. Wer im Untergrund ankommt, wo die Nord-Süd-Strecke verläuft, muss sich erst in einem der zylinderförmigen Lifte in die grosse Bahnhofshalle hinauf fahren lassen wie in einer gläsernen Rohrpost. Dann liegt auch ihm gen Süden die stadträumliche Skulptur des Regierungsviertels zu Füssen. Welche Metropole hat den Ankommenden eine solche Aussicht zu bieten? Den Berlinern wird dieser Anblick in Zukunft das Ende des Heimwehs ankünden, Berlinbesuchern bei der Abreise das Fernweh ins Herz pflanzen.
Die Berliner werden in den Eröffnungstagen geduldig Schlange stehen, um ihren Bahnhof erstmals zu begehen, wie sie es in den vergangenen Jahren bei allen neuen Gebäuden taten. Am Ende wird es ihnen gefallen, auch wenn keiner versteht, warum der Bahnhof Zoo, an dem nun keine Fernzüge mehr halten sollen, aufs Abstellgleis gestellt wird. Zudem hätten die Hauptstädter lieber den Namen des historischen Standortes Lehrter Bahnhof behalten. So künden einem nun zwar die Tafeln auf den Gleisen der Fernbahn die Station «Berlin Hauptbahnhof» an. Aber ein paar Etagen weiter oben wechselt man im gleichen Gebäude am «Lehrter Bahnhof» in die S-Bahn. Sie verstehen nur Bahnhof? Willkommen in Berlin!
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom
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Deutsche Bahn AG
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