Bauwerk
Schiestlhaus
POS architekten - St. Ilgen (A) - 2005
Der Bergfex ist die Heizung
Die außergewöhnlichste Berghütte Österreichs krönt den Hochschwab: Das neue Schiestlhaus ist Passivtechnologie pur und war konstruktives Bergabenteuer. Serie Holz, letzter Teil.
10. September 2005 - Ute Woltron
Freitag vergangener Woche erreichte ein außergewöhnlicher Ansturm den Gipfel des Hochschwab. Er kam in Schüben und in Form wohlgelaunter Bergfex-Scharen, die bei munteren Plaudereien wie die Gämsen von allen Seiten über Stock und Stein dem Gipfel zuhüpften. Pünktlich zu Mittag verzog sich der Nebel, dafür ballte sich alles, was Bergschuhe und Goretexjacken trug, zu einer kompakten, mit Jausenbroten und Thermosflaschen ausgerüsteten Menschenschwade zusammen.
Die Erwartungen waren groß, das neue ÖTK-Gipfelhaus des Hochschwab stand zur Eröffnung. Das lag zwischen den Menschenmassen gewissermaßen still in der Sonne und ging der Beschäftigung des Sonnenenergieeinfangens nach: Das Schiestlhaus ist die moderne Supervariante einer Berghütte, es funktioniert wie ein kleines Kraftwerk und liegt dabei auf einer Seehöhe von unwirtlichen 2154 Metern.
Die großteils hölzerne Konstruktion ist als Passivhaus ausgeführt, was bedeutet: Die Energie, die es zum Betrieb benötigt und die anderswo aus ökologisch verabscheuungswürdigen Dieselaggregaten kommt, generiert es mittels Sonneneinstrahlung, Sonnenkollektoren und der Abgabe der Wärme von Personen, die sich im Haus aufhalten. Nur im Härtefall wird Energie mittels eines rapsölbetriebenen Blockheizkraftwerks im Kellergeschoß zugeschossen.
Dieser Standard ist schon in flachen Landen nicht ganz einfach herzustellen, doch ein solches Haus im Hochgebirge zu bauen bedeutet Extremhandwerk und leidenschaftlichen Einsatz aller Beteiligten für Umweltschutz und Ökologie. Denn der Berg ist ein witterungsmäßiger Schweinehund und selbst im Hochsommer nicht zu unterschätzen. Seine Gipfel umtosen Winde, die mit Geschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern daherkommen und in denen man sich maximal kriechend fortbewegen kann. Außerdem verhängen Nebel, Schnee und Hagel blitzschnell jegliche Sicht, und wer dann nicht gut ausgerüstet ist, dem gnade der Berggott.
Zudem führen naturgemäß weder Straßen noch Lastenseilbahnen in die Höh', und aus diesem Grund verfügt derzeit eine ganze Truppe von Handwerkern, Architekten und anderen Fachingenieuren über äußerst stramme Wadeln. Die Extrembaustelle war nur zu Fuß erreichbar, den steilen Anstieg schaffen auch Geübte nur in mindestens drei Stunden. Baumaterialien und vorgefertigte, hochwärmegedämmte Wand- und Deckenelemente wurden in rund 1500 Hubschrauberflügen angeliefert, was nur bei guter Witterung möglich war.
Das Schiestlhaus ist, zumindest in seinen oberirdischen Teilen, fast ausschließlich aus Holz konstruiert. Die Form ist kompakt und streng nach Süden orientiert. Dort befindet sich eine beeindruckende Solaranlage, die einen Teil der Fassade bedeckt, die restliche Gebäudeeinhüllung besteht aus unbehandeltem Lärchenholz. Das wird bald schön silbergrau abwittern, wie es sich für eine Berghütte gehört, und stellt den optimalen Fassadenschutz dar. Architekt Martin Treberspurg, der gemeinsam mit den Kollegen Marie Rezac, Karin Stieldorf und Fritz Oettl die ARGE solar4alpin und somit das Kern-Planerteam bildete: „Holz war die beste Lösung, weil wir befürchteten, dass der Sturm zum Beispiel Blech wie Sardinendosen aufrollen könnte.“
Auch der Innenbereich des hochtechnologisierten Schutzhauses ist freundlich hölzern. Bis zu 70 Bergfexe können hier in ausgesprochen gut gestalteten Räumen im Obergeschoß übernachten, die sonst so unangenehmen vielstöckigen Betten sind bei geringstem Aufwand vorzüglich designt. Ein großer Gastraum bietet voll verglasten Panoramablick auf die demnächst zu bezwingenden Gipfel. Wenn man vielleicht etwas bemeckern darf, so ist das die blaue Lasur der Holzoberflächen, die eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre, aber über derlei Geschmacklichkeiten sollen die Wandersleute bei Zirbengeist streiten.
Den Hightechbereich der Anlage, der Temperatur, Zu- und Abluft kontrolliert, werden sie allerdings kaum je zu Gesicht bekommen, denn der befindet sich im betonierten Sockel des Hauses. Dort schaut's aus wie in einer Raffinerie. Die Schaltpulte gleichen den Cockpits von Düsenjets. Beglückenderweise ist der Hüttenwirt gelernter Maschinenbauer und somit fortgeschritteneren Bedienungsanforderungen gewachsen. Treberspurg: „Er muss das Haus im Schlaf beherrschen, er ist gewissermaßen der Pilot hier.“
Der Start dieses Projektes geht unter anderem auf eine viel beachtete Entwurfsarbeit an der TU Wien zurück: Die damalige Studentin Marie Rezac träumte vor sechs Jahren fern ihrer Tiroler Heimat im nebelverhangenen Flachland von einer solarbetriebenen Berghütte. Über die Programmlinie „Haus der Zukunft“ des Verkehrs- und Technologieministeriums fanden schließlich die Passiv-Spezialisten der ARGE zusammen, denn nur durch die Bündelung von Vision, Erfahrung und Spezialkompetenz konnte das Projekt letztlich abheben. Auch die Mitarbeiter der ausführenden Unternehmen leisteten volle Arbeit - nach vielen, vielen schweißtreibenden Aufstiegen.
Bleibt noch der Einsatz des Geldes: Die Baukosten von 1,6 Millionen Euro kamen vom ÖTK (Österreichischer Touristenklub), dem die Spitzentechnologie kräftig fördernden Ministerium (bm:vit), dem Land Steiermark sowie der Gemeinde Wien. Das Interesse der Länder an einem Schutzhaus, das Fäkalien und Abwässer biologisch reinigt, das Regenwasser nutzt und somit Hubschrauber-Versorgungsflüge auf ein Minimum drosselt, war insofern groß, als der Hochschwab eines der wichtigsten Trinkwasserreservoirs der Republik darstellt. Das alte Schiestlhaus mit seiner Senkgrube und anderen Umwelt-Unarten war aus diesen Gründen nicht immer in Betrieb, doch die Unberechenbarkeit des Hochgebirges erfordert eine funktionierende Schutzhütte, will man die Kraxler nicht extremen Gefahren aussetzen.
Die nahmen das neue Alpendomizil jedenfalls erfreut in ihre Routenpläne auf. Die „moderne“ Form dieses Hauses auf dem Gipfel mag dem einen oder anderen noch etwas ungewohnt sein, doch das Innenleben wird formal wie funktional überzeugen. Treberspurg: „Es war ein Abenteuer. Ich bin froh, dass nix passiert ist.“ Rezac; „Schade, dass es vorbei ist.“
Die Erwartungen waren groß, das neue ÖTK-Gipfelhaus des Hochschwab stand zur Eröffnung. Das lag zwischen den Menschenmassen gewissermaßen still in der Sonne und ging der Beschäftigung des Sonnenenergieeinfangens nach: Das Schiestlhaus ist die moderne Supervariante einer Berghütte, es funktioniert wie ein kleines Kraftwerk und liegt dabei auf einer Seehöhe von unwirtlichen 2154 Metern.
Die großteils hölzerne Konstruktion ist als Passivhaus ausgeführt, was bedeutet: Die Energie, die es zum Betrieb benötigt und die anderswo aus ökologisch verabscheuungswürdigen Dieselaggregaten kommt, generiert es mittels Sonneneinstrahlung, Sonnenkollektoren und der Abgabe der Wärme von Personen, die sich im Haus aufhalten. Nur im Härtefall wird Energie mittels eines rapsölbetriebenen Blockheizkraftwerks im Kellergeschoß zugeschossen.
Dieser Standard ist schon in flachen Landen nicht ganz einfach herzustellen, doch ein solches Haus im Hochgebirge zu bauen bedeutet Extremhandwerk und leidenschaftlichen Einsatz aller Beteiligten für Umweltschutz und Ökologie. Denn der Berg ist ein witterungsmäßiger Schweinehund und selbst im Hochsommer nicht zu unterschätzen. Seine Gipfel umtosen Winde, die mit Geschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern daherkommen und in denen man sich maximal kriechend fortbewegen kann. Außerdem verhängen Nebel, Schnee und Hagel blitzschnell jegliche Sicht, und wer dann nicht gut ausgerüstet ist, dem gnade der Berggott.
Zudem führen naturgemäß weder Straßen noch Lastenseilbahnen in die Höh', und aus diesem Grund verfügt derzeit eine ganze Truppe von Handwerkern, Architekten und anderen Fachingenieuren über äußerst stramme Wadeln. Die Extrembaustelle war nur zu Fuß erreichbar, den steilen Anstieg schaffen auch Geübte nur in mindestens drei Stunden. Baumaterialien und vorgefertigte, hochwärmegedämmte Wand- und Deckenelemente wurden in rund 1500 Hubschrauberflügen angeliefert, was nur bei guter Witterung möglich war.
Das Schiestlhaus ist, zumindest in seinen oberirdischen Teilen, fast ausschließlich aus Holz konstruiert. Die Form ist kompakt und streng nach Süden orientiert. Dort befindet sich eine beeindruckende Solaranlage, die einen Teil der Fassade bedeckt, die restliche Gebäudeeinhüllung besteht aus unbehandeltem Lärchenholz. Das wird bald schön silbergrau abwittern, wie es sich für eine Berghütte gehört, und stellt den optimalen Fassadenschutz dar. Architekt Martin Treberspurg, der gemeinsam mit den Kollegen Marie Rezac, Karin Stieldorf und Fritz Oettl die ARGE solar4alpin und somit das Kern-Planerteam bildete: „Holz war die beste Lösung, weil wir befürchteten, dass der Sturm zum Beispiel Blech wie Sardinendosen aufrollen könnte.“
Auch der Innenbereich des hochtechnologisierten Schutzhauses ist freundlich hölzern. Bis zu 70 Bergfexe können hier in ausgesprochen gut gestalteten Räumen im Obergeschoß übernachten, die sonst so unangenehmen vielstöckigen Betten sind bei geringstem Aufwand vorzüglich designt. Ein großer Gastraum bietet voll verglasten Panoramablick auf die demnächst zu bezwingenden Gipfel. Wenn man vielleicht etwas bemeckern darf, so ist das die blaue Lasur der Holzoberflächen, die eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre, aber über derlei Geschmacklichkeiten sollen die Wandersleute bei Zirbengeist streiten.
Den Hightechbereich der Anlage, der Temperatur, Zu- und Abluft kontrolliert, werden sie allerdings kaum je zu Gesicht bekommen, denn der befindet sich im betonierten Sockel des Hauses. Dort schaut's aus wie in einer Raffinerie. Die Schaltpulte gleichen den Cockpits von Düsenjets. Beglückenderweise ist der Hüttenwirt gelernter Maschinenbauer und somit fortgeschritteneren Bedienungsanforderungen gewachsen. Treberspurg: „Er muss das Haus im Schlaf beherrschen, er ist gewissermaßen der Pilot hier.“
Der Start dieses Projektes geht unter anderem auf eine viel beachtete Entwurfsarbeit an der TU Wien zurück: Die damalige Studentin Marie Rezac träumte vor sechs Jahren fern ihrer Tiroler Heimat im nebelverhangenen Flachland von einer solarbetriebenen Berghütte. Über die Programmlinie „Haus der Zukunft“ des Verkehrs- und Technologieministeriums fanden schließlich die Passiv-Spezialisten der ARGE zusammen, denn nur durch die Bündelung von Vision, Erfahrung und Spezialkompetenz konnte das Projekt letztlich abheben. Auch die Mitarbeiter der ausführenden Unternehmen leisteten volle Arbeit - nach vielen, vielen schweißtreibenden Aufstiegen.
Bleibt noch der Einsatz des Geldes: Die Baukosten von 1,6 Millionen Euro kamen vom ÖTK (Österreichischer Touristenklub), dem die Spitzentechnologie kräftig fördernden Ministerium (bm:vit), dem Land Steiermark sowie der Gemeinde Wien. Das Interesse der Länder an einem Schutzhaus, das Fäkalien und Abwässer biologisch reinigt, das Regenwasser nutzt und somit Hubschrauber-Versorgungsflüge auf ein Minimum drosselt, war insofern groß, als der Hochschwab eines der wichtigsten Trinkwasserreservoirs der Republik darstellt. Das alte Schiestlhaus mit seiner Senkgrube und anderen Umwelt-Unarten war aus diesen Gründen nicht immer in Betrieb, doch die Unberechenbarkeit des Hochgebirges erfordert eine funktionierende Schutzhütte, will man die Kraxler nicht extremen Gefahren aussetzen.
Die nahmen das neue Alpendomizil jedenfalls erfreut in ihre Routenpläne auf. Die „moderne“ Form dieses Hauses auf dem Gipfel mag dem einen oder anderen noch etwas ungewohnt sein, doch das Innenleben wird formal wie funktional überzeugen. Treberspurg: „Es war ein Abenteuer. Ich bin froh, dass nix passiert ist.“ Rezac; „Schade, dass es vorbei ist.“
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