Bauwerk

Konzerthaus Barcelona
Rafael Moneo - Barcelona (E)

Monolog eines Supertankers

„L'Auditori“ - Rafael Moneos Konzerthaus in Barcelona

Nur sechs Monate vor der Wiedereröffnung des Liceu, des im Januar 1994 abgebrannten Opernhauses, weiht Barcelona ein anderes, neues Zentrum des Musiklebens ein: «L'Auditori». Äusserlich ein in seiner Schroffheit kühner Container, birgt das vom spanischen Meisterarchitekten Rafael Moneo realisierte Auditorium einen der wohl schönsten Konzertsäle Europas.

26. März 1999 - Markus Jakob
Der längliche, über zwei Blöcke des Cerdà- Strassenrasters sich hinziehende Baukörper wirkt abweisend, autistisch. Die rigorose Betonstruktur, ausgefacht mit Corten-Stahlpaneelen und von spärlichen Fensteröffnungen durchbrochen, gibt lediglich durch eine unprätentiöse Betonmarkise an einer der Längsseiten zu erkennen, dass es sich um ein öffentliches Gebäude handelt. Der spanische Meisterarchitekt Rafael Moneo hat sich für einen Monolog entschieden. Wenn er mit seinem Auditorium auf etwas Bezug nimmt, dann auf die Industrieruinen in der Umgebung, deren herber Ausstrahlung es sich noch am ehesten annähert. Auf Designer-Schikanen kann dieser Baukünstler verzichten. Auch im – glanzvolleren – Innern lässt er ein irritierendes Understatement walten.

L'Auditori steht in der Nähe der Plaça de les Glories, des Schnittpunkts der drei Hauptachsen Barcelonas: Diagonal, Meridiana und Gran Vía. Der Platz ist indessen nie über den Status eines Verkehrsknotenpunkts in einem ausfransenden Stadtteil hinausgekommen. Die jüngste, 1992 abgeschlossene Reform hinterliess ein spektakulär über ein Parkhaus hinwegsetzendes Autobahn- Oval, in dessen Innern sich ein Park verbirgt: eine neuerdings heftig kritisierte Struktur, zumal sie die inzwischen bis ans Meer verlängerte Diagonale optisch unterbricht. Bereits beginnen die Planer sich wieder damit zu beschäftigen. Barcelona kommt urbanistisch nicht zur Ruhe: für seinen Erneuerungselan wurde es soeben vom Royal Institute of British Architects (RIBA) ausgezeichnet – das erste Mal überhaupt, dass eine Stadt und nicht ein einzelner Architekt dessen jährlich verliehene Goldmedaille erhielt.

Glories gehört zu den acht von der postolympischen Stadtplanung als «areas de nova centralitat» ausersehenen Stadtteilen. Neben dem Auditorium erhebt sich das später projektierte, aber früher eröffnete katalanische Nationaltheater (TNC), bei dem Ricardo Bofill einmal mehr seinen Hang zum Neoklassizismus auslebte, ist doch das TNC einem griechischen Tempel nachempfunden. Moneo verglich die beiden gegensätzlichen Nachbarn mit einem Tanker und einer Galeone. Einen Kritiker veranlasste Moneos extrem zurückhaltender Bau indessen zur Bemerkung, der Pritzker-Preisträger sei sich wohl nicht ganz bewusst gewesen, «dass eine dumb box nun einmal nicht mit einer dumb blonde rivalisieren kann».
Der Einwand, Moneo habe dem Bedürfnis der Konzertbesucher nach ein bisschen Glamour nicht Rechnung getragen, wird allerdings durch das Innere des Auditoriums widerlegt. Der grosse, 2340 Zuhörern Platz bietende Konzertsaal stand laut dem Architekten denn auch am Anfang der Planung. Erst danach habe die – zahlreichen weiteren musikalischen Funktionen dienende – Hülle Gestalt angenommen.

Dieser Saal ist ein Meisterwerk. In den Zugängen und Foyers liegt wie aussen die Betonstruktur offen, aber anstelle der Stahlausfachungen bestimmt hier die warme Helligkeit von Holzpaneelen die Stimmung. Es ist kanadischer Ahorn, mit dem im Saal selbst gleicherweise Böden, Wände und Decken verkleidet sind. Diese Einheit des Materials (abgesehen von den mattgrünen, gleichfalls von Moneo entworfenen Sesseln) bringt die Proportionen des rechtwinkligen, von streng ausgeschnittenen Logen flankierten Saals grossartig zur Geltung. Die Bühne, nur leicht erhöht und von den Sitzreihen umfasst, wirkt wie ein Teil des Zuschauerraums. Moneo vermied – hierin von Scharouns Berliner Philharmonie inspiriert – nach Möglichkeit hierarchische Abgrenzungen; am Eröffnungsabend nahm das spanische Königspaar nicht etwa auf der einzigen leicht vorkragenden Loge Platz, sondern weit hinten im zweiten Rang: Monarchen auf dem Flohboden. Die geometrische Präzision lässt den Saal wie ein Instrument erscheinen. Der Balkenraster an der Decke, nach hinten sich verdichtend, dient der Klangverteilung. Für die Akustik war der katalanische Spezialist Higini Arau zuständig.

L'Auditori ist das erste in öffentlichem Auftrag errichtete Konzerthaus Barcelonas. Wie das Liceu, das erst durch seine Zerstörung seinen Vereinsstatus verlor, entstand auch der 1905 vollendete Palau de la Música auf private Initiative. Zu diesem populären Jugendstil-Bau von Lluís Domènech i Montaner bildet Moneos Konzertsaal nun einen Gegenpol, wie er konträrer nicht sein könnte. Dort ein diffuses Klangbild – hier eine elastische, fügsame Akustik. Dort der Entwurf eines «Schwerverbrechers des Ornaments» – l'Auditori hingegen eine Übung in Purismus: nichts lenkt hier vom Hören ab. Und während man sich in Domènechs Bau in einem Sektentempel wähnt, wirkt Moneos Entwurf vor lauter Lauterkeit schon beinahe wieder lau.

L'Auditori soll so etwas wie Barcelonas Cité de la Musique werden. Der Bau verzögerte sich wegen des Finanzierungsunwillens der Behörden um mehrere Jahre; so ist die Struktur bereits renovierungsbedürftig, noch bevor der Innenausbau abgeschlossen ist. Immerhin hat jetzt hier die vom amerikanischen Dirigenten Lawrence Foster geleitete Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya (OBC) endlich ihren festen Sitz gefunden. Gleichzeitig mit dem Sinfoniesaal wurde im Untergeschoss ein Mehrzwecksaal für 300 bis 500 Zuhörer eröffnet, während ein Kammermusiksaal für 700 Zuhörer noch der Vollendung harrt. Zum Komplex gehören weiter zahlreiche Übungs- und Technikräume. Im Eingangsbereich, dem Moneo mit einem offenen quadratischen Glasschacht, dem Impluvium, einen prägnanten Charakter verliehen hat, soll Barcelonas Musikmuseum untergebracht werden. Dem Architekten hat es besonders die Aussicht angetan, dass auch das Konservatorium sich dereinst hier einrichten wird, damit auch tagsüber Leben in den Tanker kommt. – Für dieses Jahr sind bereits über 200 Konzerte gebucht. Zu den ersten Gastkünstlern gehörten Jessye Norman, Madredeus, Michael Nyman und Jordi Savall: ein Hinweis darauf, dass l'Auditori sich verschiedenen Musikrichtungen öffnet und nicht nur mit dem Palau und dem Liceu, sondern auch mit kleineren Konzertsälen in Konkurrenz tritt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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