Bauwerk
Invalidenpark
- Berlin (D) - 1997
Eine Spur in die Zukunft
1. Mai 1999 - Udo Weilacher
«Für mich ist der Garten einer der seltenen übriggebliebenen Plätze auf dieser Erde, wo Erinnerungen, Emotionen, Leben und Tod sich vermischen. Er muss immer ein Platz bleiben, der beides, Herz und Geist, signifikant verändert.» Das schrieb 1966 der Pariser Landschaftsarchitekt Christophe Girot. Als Mitte des 18. Jahrhunderts vor den Toren Berlins mit dem Bau erster Invalidenhäuser begonnen und den preussischen Kriegsversehrten etwa 135 Hektaren Land zur gärtnerischen Bewirtschaftung bestimmt wurden, geschah dies nicht allein zum Zweck der Selbstversorgung. Mühselig verwandelten die Invaliden den unfruchtbaren Boden in eine Gartenlandschaft und verarbeiteten dabei die schrecklichen Erinnerungen an den Krieg.
Fast 100 Jahre später, 1843, wurde auf Anweisung des Kriegsministers ein Teil der Gartenlandschaft in den «Invalidenpark» umgewandelt. Damit wollte man sechs Hektaren vor der drohenden Überbauung durch die wachsende Friedrich-Wilhelm-Stadt sichern und den Invaliden zum Aufenthalt im Freien erhalten. Peter Joseph Lenné, der bedeutendste deutsche Gartenkünstler des 19. Jahrhunderts, gestaltete den Park landschaftlich und integrierte ihn in sein umfassendes Konzept der «Schmuck- und Grenzzüge» für Berlin. Im Mittelpunkt der nun öffentlich zugänglichen Anlage stand ab 1854 die monumentale Invalidensäule mit preussischem Adler, errichtet im Auftrag des preussischen Militärwesens zum Gedenken an die Gefallenen der Revolution von 1848. Der Bau des Hospitals im nördlichen und der Gnadenkirche im südlichen Teil halbierten die Parkfläche gegen Ende des Jahrhunderts nochmals. In völlige Bedeutungslosigkeit versank der Ort, als ihn der Zweite Weltkrieg verwüstet hatte und die historischen Bauruinen infolge der Teilung Berlins den Grenzanlagen weichen mussten.
Die Wiedervereinigung Deutschlands bot Berlin die Chance, dem verwahrlosten, teilweise als Lager- und Parkplatz genutzten Areal ein neues Gesicht zu geben. In Kenntnis der langen Militärgeschichte und unter Wahrung des alten Baumbestandes und der historischen Mauerfundamente sollte ein zeitgemässer städtischer Park entstehen. Dass im angrenzenden früheren Invalidenhospital bald das Bundeswirtschaftsministerium residieren würde, steigerte den Wunsch nach einer repräsentativen Anlage. Der Entwurf von Christophe Girot ging 1992 aus einem Wettbewerb als Gewinner hervor, weil er auf jegliche Rekonstruktion verzichtete und in einem klaren, zweiteiligen Gestaltungskonzept einen städtischen Platz geschickt mit einem landschaftlichen Park verknüpfte.
Den Blickfang bildet ein rechteckiges, 56 x 74 m grosses Wasserbecken, aus dem eine Granitwand als begehbare Skulptur auftaucht. Anstatt sich an der einstigen preussischen Mittelachse des Invalidenparks zu orientieren, richtet Girot Wasserbecken und Wandscheibe in Nord-Süd-Richtung aus. Er bezieht sich damit auf ein universales Koordinatensystem, schliesst aber die Erinnerung an die Trennung zwischen Ost und West nicht aus.
Neben dem Ausscheren aus ehemals militärischer Ordnung wird im Plan das markante geometrische Spiel von Belag und Vegetation deutlich, mit dem die Überblendung vom harten Stadtplatz an der verkehrsreichen Invalidenstrasse zur nördlichen, ruhigeren Parkhälfte, mit altem Baumbestand, Rhododendren und Liegewiese, gemeistert wird.
Eigentlich beginnt die Parkwiese bereits mitten im Granitbelag des Platzes, als etwa 50 cm breite «Rasenfuge». Nähert man sich dem Park, verbreitert sie sich stufenweise zum Rasenband und schliesslich zur Rasenfläche. Oder ist es die Granitfläche, die sich nach Norden hin immer mehr verjüngt und in der letzten Plattenreihe auflöst? Fächerblattbäume und schlichte Parkbänke, in Reihen angeordnet, ergänzen das reizvolle Spiel der Flächen um ein dreidimensionales, vom Bodenbelag unabhängiges Liniensystem. Im Gegensatz zur lockeren Stellung der alten Bäume werden die regelmässig gesetzten Ginkgos in Zukunft ihr unverwechselbares, schattenspendendes Blätterdach über dem Platz aufspannen.
Was im Plan kaum ersichtlich ist, hat in Realität besondere Bedeutung: Girots gekonnte Modellierung des ursprünglich fast ebenen Geländes. Vom Gehweg an der Invalidenstrasse führen vier Stufen hinab zur Platzfläche, während der zentrale Wasserspiegel etwa auf Strassenniveau aufgespannt wird. Der Platz steigt gleichmässig nach Norden hin an und geht in den ebenerdigen Park über. Vier Meter breite, den Platz flankierende Rampen führen die Steigung der Granitfläche fort und enden am Nordrand des Parks in etwa 60 cm Höhe über dem Niveau des Parks. Christophe Girot grenzte den Park mit einem schützenden Rahmen gegen sein Umfeld ab. In Abweichung vom Wettbewerbsentwurf ist der Kinderspielplatz nicht in den Wald eingebettet. Das intelligent und farbenfroh gestaltete Kinderparadies befindet sich, mit einer niedrigen Betonmauer vom Park abgetrennt, an dessen Nordrand.
Die Kinder haben jedoch längst den gesamten Park erobert, plantschen vergnügt im flachen Wasserbecken oder kraxeln an der «Sprungschanze», wie sie Girots Mauerskulptur nennen. Der Landschaftsarchitekt spricht lieber von einer «Spur in die Zukunft» und erläutert, dass der Aufstieg bereits 20 Meter vor der eigentlichen Mauer, mit einem ins Erdreich gegrabenen Weg, beginnt. In exakter Verlängerung der Mauer liess Girot einen Streifen der historischen Grundmauern der Gnadenkirche freilegen, öffnete ein begehbares Fenster in die Vergangenheit. Die rampenartig angelegte «Spur in die Zukunft» führt von hier direkt zum höchsten Punkt der Mauer, 3,2 m über dem Wasserspiegel. Man überblickt noch einmal den dialektisch gestalteten Invalidenpark. Girot ahnte bereits zu Beginn der Projektarbeit, dass seine Skulptur nach der Einweihung am Tag der deutschen Einheit 1997 eines der vielen Symbole deutscher Wiedervereinigung in Berlin werden würde.
Tatsächlich erschwert die mittlerweile allzu oft bemühte Wiedervereinigungs- und Politsymbolik in Berlin die unbefangene Begegnung mit Girots Mauerobjekt. Erst in der Nacht verwandelt sich die Skulptur vollends zum glanzvollen Mittelpunkt des Parks und vertreibt letzte vordergründige Symbolik. Dann wird der über die Stirnseite der Wand ins Becken rauschende Wasserschleier von Bodenstrahlern effektvoll illuminiert, und die polierte Granitverkleidung reflektiert die Lichter der Stadt. Ein ehemals mit Militärgeschichte beladener, zeitweise vergessener Ort ist unter altem Namen mit neuem Gesicht ins öffentliche Leben einer Stadt mit Zukunft zurückgekehrt.
Fast 100 Jahre später, 1843, wurde auf Anweisung des Kriegsministers ein Teil der Gartenlandschaft in den «Invalidenpark» umgewandelt. Damit wollte man sechs Hektaren vor der drohenden Überbauung durch die wachsende Friedrich-Wilhelm-Stadt sichern und den Invaliden zum Aufenthalt im Freien erhalten. Peter Joseph Lenné, der bedeutendste deutsche Gartenkünstler des 19. Jahrhunderts, gestaltete den Park landschaftlich und integrierte ihn in sein umfassendes Konzept der «Schmuck- und Grenzzüge» für Berlin. Im Mittelpunkt der nun öffentlich zugänglichen Anlage stand ab 1854 die monumentale Invalidensäule mit preussischem Adler, errichtet im Auftrag des preussischen Militärwesens zum Gedenken an die Gefallenen der Revolution von 1848. Der Bau des Hospitals im nördlichen und der Gnadenkirche im südlichen Teil halbierten die Parkfläche gegen Ende des Jahrhunderts nochmals. In völlige Bedeutungslosigkeit versank der Ort, als ihn der Zweite Weltkrieg verwüstet hatte und die historischen Bauruinen infolge der Teilung Berlins den Grenzanlagen weichen mussten.
Die Wiedervereinigung Deutschlands bot Berlin die Chance, dem verwahrlosten, teilweise als Lager- und Parkplatz genutzten Areal ein neues Gesicht zu geben. In Kenntnis der langen Militärgeschichte und unter Wahrung des alten Baumbestandes und der historischen Mauerfundamente sollte ein zeitgemässer städtischer Park entstehen. Dass im angrenzenden früheren Invalidenhospital bald das Bundeswirtschaftsministerium residieren würde, steigerte den Wunsch nach einer repräsentativen Anlage. Der Entwurf von Christophe Girot ging 1992 aus einem Wettbewerb als Gewinner hervor, weil er auf jegliche Rekonstruktion verzichtete und in einem klaren, zweiteiligen Gestaltungskonzept einen städtischen Platz geschickt mit einem landschaftlichen Park verknüpfte.
Den Blickfang bildet ein rechteckiges, 56 x 74 m grosses Wasserbecken, aus dem eine Granitwand als begehbare Skulptur auftaucht. Anstatt sich an der einstigen preussischen Mittelachse des Invalidenparks zu orientieren, richtet Girot Wasserbecken und Wandscheibe in Nord-Süd-Richtung aus. Er bezieht sich damit auf ein universales Koordinatensystem, schliesst aber die Erinnerung an die Trennung zwischen Ost und West nicht aus.
Neben dem Ausscheren aus ehemals militärischer Ordnung wird im Plan das markante geometrische Spiel von Belag und Vegetation deutlich, mit dem die Überblendung vom harten Stadtplatz an der verkehrsreichen Invalidenstrasse zur nördlichen, ruhigeren Parkhälfte, mit altem Baumbestand, Rhododendren und Liegewiese, gemeistert wird.
Eigentlich beginnt die Parkwiese bereits mitten im Granitbelag des Platzes, als etwa 50 cm breite «Rasenfuge». Nähert man sich dem Park, verbreitert sie sich stufenweise zum Rasenband und schliesslich zur Rasenfläche. Oder ist es die Granitfläche, die sich nach Norden hin immer mehr verjüngt und in der letzten Plattenreihe auflöst? Fächerblattbäume und schlichte Parkbänke, in Reihen angeordnet, ergänzen das reizvolle Spiel der Flächen um ein dreidimensionales, vom Bodenbelag unabhängiges Liniensystem. Im Gegensatz zur lockeren Stellung der alten Bäume werden die regelmässig gesetzten Ginkgos in Zukunft ihr unverwechselbares, schattenspendendes Blätterdach über dem Platz aufspannen.
Was im Plan kaum ersichtlich ist, hat in Realität besondere Bedeutung: Girots gekonnte Modellierung des ursprünglich fast ebenen Geländes. Vom Gehweg an der Invalidenstrasse führen vier Stufen hinab zur Platzfläche, während der zentrale Wasserspiegel etwa auf Strassenniveau aufgespannt wird. Der Platz steigt gleichmässig nach Norden hin an und geht in den ebenerdigen Park über. Vier Meter breite, den Platz flankierende Rampen führen die Steigung der Granitfläche fort und enden am Nordrand des Parks in etwa 60 cm Höhe über dem Niveau des Parks. Christophe Girot grenzte den Park mit einem schützenden Rahmen gegen sein Umfeld ab. In Abweichung vom Wettbewerbsentwurf ist der Kinderspielplatz nicht in den Wald eingebettet. Das intelligent und farbenfroh gestaltete Kinderparadies befindet sich, mit einer niedrigen Betonmauer vom Park abgetrennt, an dessen Nordrand.
Die Kinder haben jedoch längst den gesamten Park erobert, plantschen vergnügt im flachen Wasserbecken oder kraxeln an der «Sprungschanze», wie sie Girots Mauerskulptur nennen. Der Landschaftsarchitekt spricht lieber von einer «Spur in die Zukunft» und erläutert, dass der Aufstieg bereits 20 Meter vor der eigentlichen Mauer, mit einem ins Erdreich gegrabenen Weg, beginnt. In exakter Verlängerung der Mauer liess Girot einen Streifen der historischen Grundmauern der Gnadenkirche freilegen, öffnete ein begehbares Fenster in die Vergangenheit. Die rampenartig angelegte «Spur in die Zukunft» führt von hier direkt zum höchsten Punkt der Mauer, 3,2 m über dem Wasserspiegel. Man überblickt noch einmal den dialektisch gestalteten Invalidenpark. Girot ahnte bereits zu Beginn der Projektarbeit, dass seine Skulptur nach der Einweihung am Tag der deutschen Einheit 1997 eines der vielen Symbole deutscher Wiedervereinigung in Berlin werden würde.
Tatsächlich erschwert die mittlerweile allzu oft bemühte Wiedervereinigungs- und Politsymbolik in Berlin die unbefangene Begegnung mit Girots Mauerobjekt. Erst in der Nacht verwandelt sich die Skulptur vollends zum glanzvollen Mittelpunkt des Parks und vertreibt letzte vordergründige Symbolik. Dann wird der über die Stirnseite der Wand ins Becken rauschende Wasserschleier von Bodenstrahlern effektvoll illuminiert, und die polierte Granitverkleidung reflektiert die Lichter der Stadt. Ein ehemals mit Militärgeschichte beladener, zeitweise vergessener Ort ist unter altem Namen mit neuem Gesicht ins öffentliche Leben einer Stadt mit Zukunft zurückgekehrt.
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