Bauwerk
Gästehaus der Wiener Universitäten
Schwalm-Theiss & Gressenbauer - Wien (A) - 2000
Die Treppe ist schon erfunden
Zimmer in praktikabler Größe und brauchbarem Zuschnitt, nutzerfreundliche Gemeinschafts- und Freibereiche: Schwalm-Theiss' „Gästehaus der Wiener Universitäten“ in der Josefstadt. Eine Visitenkarte, die die „Erasmus“-Stipendiaten in alle Welt weiterreichen.
28. Juli 2001 - Liesbeth Waechter-Böhm
Er nennt sich „Gästehaus der Wiener Universitäten“, der kleine Neubau in der Wiener Tigergasse. Und er behauptet sich in höchst beengten, eben typisch innerstädtischen Verhältnissen, die obendrein keinen einheitlichen architektonischen Charakter mehr haben. Da kann man ganz leicht ablesen, wann eine Lücke im gründerzeitlichen Raster geschlossen wurde . . . Insofern ist er jedenfalls ein Highlight im Straßenbild, der Neubau aus dem Architekturbüro Schwalm- Theiss. Seine grünlich beziehungsweise bläulich schimmernde Glasmosaik-Fassade - ein eingeschnittenes, gläsernes Stiegenhaus gliedert den Bau - setzt einen spannenden Akzent, ohne sich aber unbotmäßig vorzudrängen.
„Gästehaus“ soll heißen: Studentenheim. Ein Studentenheim durchwegs für Ausländer, die ihr „Erasmus“-Jahr in Wien absolvieren. Gleich vorweg: In diesem Haus können sie das gut. Denn unter dem nüchternen Nutzungsaspekt betrachtet, kann man ohne weiteres postulieren, daß die Wohnsituation in der Tigergasse angenehm ist. Da teilen sich im südlichen Trakt zwei Zimmer in einen Gemeinschafts- bereich, im nördlichen vier Zimmer; es gibt einige Zwei-Bett-Zimmer, denn - wie ich mir habe sagen lassen - besonders japanische Studenten wohnen gern zusammen. Und es gibt Freibereiche an der Hofseite - im Terrassengeschoß von besonders großzügigem Zuschnitt -, die allen Bewohnern zugute kommen.
So komisch es klingt - wichtig dabei ist: Die Zimmer haben alle eine nicht übertriebene, aber praktikable Größe, einen aus-gesprochen brauchbaren Zuschnitt. Sie sind hell, sie sind freundlich. Das ist ja immer die Frage, mit der sich ein Architekt auseinandersetzen muß, wenn er so etwas baut: Setzt er auf die herkömmlichen Wohnbedürfnisse, entwirft er ein neues Konzept, oder findet er sich mit irgendwelchen Zwängen ab, die eine zweifelhafte Lösung zur Folge haben. All dies immer unter dem Vorzeichen der ja nur temporären Lebenssituation, der Durchgangssituation, für die ein Studentenheim den gebauten Rahmen abgibt.
Schwalm-Theiss ist, aus dieser Perspektive betrachtet, ganz der konservative Pragmatiker. In des Wortes positiver Bedeutung allerdings. Er hat sich offensichtlich überlegt, was man als Architekt bieten muß, damit sich die Nutzer in der gebauten Hülle wohl fühlen können. Das heißt, er hat Zimmer gebaut, in denen man schlafen und arbeiten und zur Not auch noch einen Besucher empfangen kann, außerdem Gemeinschaftsbereiche, die auf einem keineswegs überzogenen, sondern auf einem vertretbaren Minimallevel Komfort bieten.
Anton Schweighofer, um ein Gegenbeispiel zu nennen, ist diese Aufgabe bei seinem Studentenheim in Favoriten ganz anders angegangen. Er hat minimierte Mönchszellen gebaut für die beiden „Grundbedürfnisse“ des Studentendaseins: Schlafen und Arbeiten. Schon räumlich macht er den Bewohnern bewußt, was in dieser Phase ihres Lebens eigentlich ihre Aufgabe ist. Die, sagen wir, sinnliche Komponente dieses Lebensabschnitts wird durch die überbordenden Gemeinschaftsbereiche architektonisch artikuliert.
Die dritte Variante, die architektonische Notlösung - charakterlos, gedankenlos und unfair, wenn man sie unter dem Vorzeichen unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft betrachtet -, kann man im Gasometer zwei
in Wien-Simmering in Augenschein nehmen.
Zurück in die Tigergasse. Dort sind die Dinge im Lot. Die Geschoße sind noch durch Treppen und Lifte, auch mit Laubengängen erschlossen, aber es gibt dort keine verschnittenen Geschoße, keine schrägen Ebenen und keine Rampen. Wozu auch? Die Treppe ist erfunden. Und sie ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Niveaus.
Schwalm-Theiss hatte ein Grundstück zur Verfügung, das von der Albertgasse durchgeht bis zur Tigergasse, all dies im achten Wiener Gemeindebezirk. In der Albertgasse steht eine Schule - ein Gymnasium aus dem Jahr 1908 -, die er renoviert und erweitert hat. Unter anderem mit einem Turnsaal, der jetzt gewissermaßen den Sockel für den einen Trakt des Studentenheims bildet. Wobei sich Schwalm-Theiss vorgestellt hatte, den gläsernen Turnsaal-Sockel, über dem ein Teil des Studentenheims steht, wirklich in Glas auszuführen. Aber heutzutage turnt man nicht vor - potentiellem - Straßenpublikum, es gibt also emaillierte Glaspaneele zur Straße hin und nur ganz oben schmale Scheiben, die das Licht durchlassen.
Wie gesagt, im Straßenbild ist das Haus ein Highlight. Und wenn man hineingeht, dann spürt man auch gleich, daß es nutzerfreundlich ist. Es läßt sich ja in Wirklichkeit mit den einfachsten Mitteln echte Qualität erzielen. Ein wenig plastisch ausgeformte Zugänge zu den einzelnen Wohneinheiten, farbliche Akzente - schon sind alle glücklich. Wir haben damit eine wunderbare Visitenkarte zur Hand, die alle ausländischen „Erasmus“-Stipendiaten weiterreichen werden.
Der Punkt ist wohl doch, daß Architektur, speziell wenn sie mit Wohnen zu tun hat, gewisse Grundbedürfnisse befriedigen muß. Wenn sie das nicht tut, dann ist es auch nicht mehr interessant, ob ein Bau architektonisch etwas verspricht. Denn die formale beziehungsweise individuelle Verwirklichung des Architekten ist immer nur von sekundärer Bedeutung. Das ist ja das Spezielle an der Architektur: Sie muß wirklich mehr können.
Also: Die Zeiten, da ein Corbusier sein Papierschiffchen auf der Pfütze in seiner Villa Savoie schwimmen ließ, die sind vorbei. Diese Art von Poesie können wir heute nicht brauchen. Und kein Tränenstrom irgendwelcher Architekten wird etwas daran ändern.
„Gästehaus“ soll heißen: Studentenheim. Ein Studentenheim durchwegs für Ausländer, die ihr „Erasmus“-Jahr in Wien absolvieren. Gleich vorweg: In diesem Haus können sie das gut. Denn unter dem nüchternen Nutzungsaspekt betrachtet, kann man ohne weiteres postulieren, daß die Wohnsituation in der Tigergasse angenehm ist. Da teilen sich im südlichen Trakt zwei Zimmer in einen Gemeinschafts- bereich, im nördlichen vier Zimmer; es gibt einige Zwei-Bett-Zimmer, denn - wie ich mir habe sagen lassen - besonders japanische Studenten wohnen gern zusammen. Und es gibt Freibereiche an der Hofseite - im Terrassengeschoß von besonders großzügigem Zuschnitt -, die allen Bewohnern zugute kommen.
So komisch es klingt - wichtig dabei ist: Die Zimmer haben alle eine nicht übertriebene, aber praktikable Größe, einen aus-gesprochen brauchbaren Zuschnitt. Sie sind hell, sie sind freundlich. Das ist ja immer die Frage, mit der sich ein Architekt auseinandersetzen muß, wenn er so etwas baut: Setzt er auf die herkömmlichen Wohnbedürfnisse, entwirft er ein neues Konzept, oder findet er sich mit irgendwelchen Zwängen ab, die eine zweifelhafte Lösung zur Folge haben. All dies immer unter dem Vorzeichen der ja nur temporären Lebenssituation, der Durchgangssituation, für die ein Studentenheim den gebauten Rahmen abgibt.
Schwalm-Theiss ist, aus dieser Perspektive betrachtet, ganz der konservative Pragmatiker. In des Wortes positiver Bedeutung allerdings. Er hat sich offensichtlich überlegt, was man als Architekt bieten muß, damit sich die Nutzer in der gebauten Hülle wohl fühlen können. Das heißt, er hat Zimmer gebaut, in denen man schlafen und arbeiten und zur Not auch noch einen Besucher empfangen kann, außerdem Gemeinschaftsbereiche, die auf einem keineswegs überzogenen, sondern auf einem vertretbaren Minimallevel Komfort bieten.
Anton Schweighofer, um ein Gegenbeispiel zu nennen, ist diese Aufgabe bei seinem Studentenheim in Favoriten ganz anders angegangen. Er hat minimierte Mönchszellen gebaut für die beiden „Grundbedürfnisse“ des Studentendaseins: Schlafen und Arbeiten. Schon räumlich macht er den Bewohnern bewußt, was in dieser Phase ihres Lebens eigentlich ihre Aufgabe ist. Die, sagen wir, sinnliche Komponente dieses Lebensabschnitts wird durch die überbordenden Gemeinschaftsbereiche architektonisch artikuliert.
Die dritte Variante, die architektonische Notlösung - charakterlos, gedankenlos und unfair, wenn man sie unter dem Vorzeichen unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft betrachtet -, kann man im Gasometer zwei
in Wien-Simmering in Augenschein nehmen.
Zurück in die Tigergasse. Dort sind die Dinge im Lot. Die Geschoße sind noch durch Treppen und Lifte, auch mit Laubengängen erschlossen, aber es gibt dort keine verschnittenen Geschoße, keine schrägen Ebenen und keine Rampen. Wozu auch? Die Treppe ist erfunden. Und sie ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Niveaus.
Schwalm-Theiss hatte ein Grundstück zur Verfügung, das von der Albertgasse durchgeht bis zur Tigergasse, all dies im achten Wiener Gemeindebezirk. In der Albertgasse steht eine Schule - ein Gymnasium aus dem Jahr 1908 -, die er renoviert und erweitert hat. Unter anderem mit einem Turnsaal, der jetzt gewissermaßen den Sockel für den einen Trakt des Studentenheims bildet. Wobei sich Schwalm-Theiss vorgestellt hatte, den gläsernen Turnsaal-Sockel, über dem ein Teil des Studentenheims steht, wirklich in Glas auszuführen. Aber heutzutage turnt man nicht vor - potentiellem - Straßenpublikum, es gibt also emaillierte Glaspaneele zur Straße hin und nur ganz oben schmale Scheiben, die das Licht durchlassen.
Wie gesagt, im Straßenbild ist das Haus ein Highlight. Und wenn man hineingeht, dann spürt man auch gleich, daß es nutzerfreundlich ist. Es läßt sich ja in Wirklichkeit mit den einfachsten Mitteln echte Qualität erzielen. Ein wenig plastisch ausgeformte Zugänge zu den einzelnen Wohneinheiten, farbliche Akzente - schon sind alle glücklich. Wir haben damit eine wunderbare Visitenkarte zur Hand, die alle ausländischen „Erasmus“-Stipendiaten weiterreichen werden.
Der Punkt ist wohl doch, daß Architektur, speziell wenn sie mit Wohnen zu tun hat, gewisse Grundbedürfnisse befriedigen muß. Wenn sie das nicht tut, dann ist es auch nicht mehr interessant, ob ein Bau architektonisch etwas verspricht. Denn die formale beziehungsweise individuelle Verwirklichung des Architekten ist immer nur von sekundärer Bedeutung. Das ist ja das Spezielle an der Architektur: Sie muß wirklich mehr können.
Also: Die Zeiten, da ein Corbusier sein Papierschiffchen auf der Pfütze in seiner Villa Savoie schwimmen ließ, die sind vorbei. Diese Art von Poesie können wir heute nicht brauchen. Und kein Tränenstrom irgendwelcher Architekten wird etwas daran ändern.
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