Bauwerk
Röm.-kath. Pfarrkirche St. Laurentius
Friedrich Kurrent - Kirchham bei Vorchdorf (A) - 1998
Langhaus und Breithaus
Kirchham, Oberösterreich: Die spätgotische Kirche war zu klein geworden. Friedrich Kurrent verschaffte der Gemeinde Platz, indem er dem alten einen neuen Andachtsraum gleichwertig an die Seite stellte.
12. Dezember 1998 - Walter Zschokke
Der Kirchturm überragt mit seinen gut drei Dutzend Meter Höhe sämtliche Gebäude des Dorfes Kirchham. Dahinter schließt, von dem mächtigen, in Naturstein gemauerten Prisma fast verdeckt, das hohe Langhaus an, das im Inneren eine mit Netzgewölben überspannte Halle birgt. Der in weiterer Folge nach Osten ansetzende, quadratische Chor weist einen durch die Maßwerkfenster hell belichteten Fünf-Achtel-Abschluß auf und teilt sich mit der Halle das steile, leicht verzogene Dach.
Die Ausrüstung der spätgotischen Kirche wurde in der Barockzeit erneuert, und wegen Platzmangels erfuhr die Empore eine hölzerne Erweiterung nach vorn. Dennoch war die Kirche zu klein geworden, und die Gemeinde befaßte sich seit Jahren mit Erweiterungsplänen.
Nun ist die Veränderung eines spätmittelalterlichen Bauwerks kein harmloses Unterfangen, vor allem, wenn dieses formal geschlossen ist. Man beschränkte sich daher auf die dringend notwendige statische Sicherung und errichtete neben der alten Kirche, mit dieser über eine verglaste Zwischenzone verbunden, einen neuen, größeren Andachtsraum für die Gemeinde.
Friedrich Kurrent, Architekt, Holzmeisterschüler und emeritierter Professor der TU München, schlug ein „Breithaus“ vor, das im Grundriß das Verhältnis vier zu drei aufweist. Die Richtung erhält der Raum durch eine flache Konche an der nach Osten orientierten langen Seite. Den eher gedrungenen Baukörper schützt ein gegenüber dem Altbau deutlich weniger steiles Zeltdach mit von unten sichtbarer Tragkonstruktion aus schichtverleimtem Fichtenholz. Von außen wirkt das Bauwerk bescheiden und überläßt dem Altbau die zeichenhafte Fernwirkung. Aus der Nähe weisen allerdings die hochliegende Fensterzeile und eine Dachlaterne auf die Besonderheit des Gebäudes hin. Man sicherte also den Bestand, wird ihn im Inneren noch herrichten, und zum Alten kommt das Neue als ein weiteres Kapitel gleichwertig hinzu. In der größeren Gesamtanlage wurden die Funktionen neu verteilt: Sonntagsmessen finden im Neubau statt; als Werktagskapelle, für Hochzeiten und Taufen dient der spätgotische Altbau, wo sich auch weiterhin der Tabernakel befindet.
Diese Haltung, bei dem das Neue das Alte nicht verdrängt sondern klug ergänzt, erweitert das Feld der Nutzungsmöglichkeiten. Sie unterscheidet sich in diesem Fall auch von jener der Transformation wie auch von der des Gegensatzes. Der Altbau - lang und hoch - und der Neubau - breit und geräumig - bilden eine Dualität, die gemeinsam auf nachhaltigen Weiterbestand ausgerichtet ist.
Das bescheidene Äußere des Neubaus, selbst die eigenwillige Form der Dachlaterne würden wohl kaum einen vorbeifahrenden Fremden zum Anhalten bewegen. Das Besondere des Bauwerks verbirgt sich vielmehr im Innenraum, den man von einem gepflasterten Vorplatz und der glasüberdeckten Zwischenzone durch drei gleich große Öffnungen von der Seite her betritt.
Sofort wird man umfangen von der warmen, meditativen Raumstimmung. Die Mauern, mit einem dreiviertel Meter ebenso stark wie jene des Altbaus, sind innen mit sichtbarem Ziegelmauerwerk versehen. Der hochliegende Halbkranz quadratischer Fenster versieht den Raum in angenehmer Weise mit Tageslicht. Die Chorwand ist geschlossen, nur um den Dachfuß zieht sich allseitig ein dünner, verglaster Lichtschlitz und betont den schirmenden Charakter des Zeltdachs. Die schrägen inneren Fensterlaibungen sind mit weißem Marmor verkleidet. Dieser unterstützt als Reflektor das einfallende Licht und hebt die Öffnungen von der bescheideneren Sichtziegelmauer ab, ja verleiht ihnen auratischen Charakter.
Der Altar steht im Drittelspunkt des Raumes, auf den der Viertelkreis der Konche bezogen ist. In konzentrischen Halbkreisen ordnen sich die Sitzbänke darum herum auf dem leicht zur Mitte abfallenden Boden, sodaß der Altar, obwohl auf gleichem Niveau wie die Eingangsschwelle liegend, um zwei Stufen erhaben ist. Dem offenen Halbkreis der Gemeinde ist der ebenfalls zu dieser gehörende Viertelkreis für den Chor zugeordnet, sodaß der Altar in die Mitte der Gemeinde zu stehen kommt. Hoch darüber, an der Unterseite des Laternendaches, schwebt das Bild der Taube des Heiligen Geistes nach Entwürfen der vor wenigen Jahren verstorbenen Künstlerin Maria Biljan-Bilger. - Die komplexe Geometrie dieser Anordnung ist nicht auf den ersten Blick durchschaubar, der geistige Schwerpunkt des Raumes ist vom Schnittpunkt der Diagonalen etwas nach Osten verlegt, Zentrierung und Ausrichtung sind überlagert, woraus sich eine spannungsvolle Mehrdeutigkeit ergibt.
Mit diesen gestalterischen Maßnahmen werden die besonderen Anforderungen an einen zeitgemäßen Andachtsraum: (Ver-)Sammlung und Konzentration, aber auch das vorsichtige Bezeichnen einer gemeinsamen Richtung einfühlsam interpretiert. Demgegenüber haben reine Zentralbautypen immer etwas Herrisches, und achsiale Anordnungen leiden unter der Hierarchie der räumlichen Abfolge.
Das naturbelassene Fichtenholz der Dachkonstruktion mit seiner warmen Materialfarbe kontrastiert zum dunklen, bruchrohen Schiefer des Bodens, aus dem der helle Kalkstein der Stufen herausleuchtet. Den Altar aus dunklem Waldviertler Diorit hat der Bildhauer Franz Xaver Ölzant gestaltet; als weiterer Künstler wirkte der Eisenplastiker Sepp Auer für das Vortragkreuz und den Gitter-Rost vor dem solitären Laurentius-Fenster, dessen nach Süden orientierte Alabasterscheiben im Sonnenlicht zu lodern beginnen.
Friedrich Kurrent hat einen besinnlichen, unaufdringlichen Sakralraum für die Liturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschaffen. Mit Sorgfalt ist die Material- und Raumwirkung abgestimmt, etwa beim Übergang von der Zwischenzone in den Kirchenraum oder bei der komplex komponierten Zonierung in dem scheinbar einfachen Breithaus.
Es ist eine wichtige kulturelle Leistung unserer Zeit, daß wir Dinge verschiedenen Alters nebeneinander bestehen lassen können, ohne sofort nach vereinheitlichender Überformung zu rufen. Eine solche Gelassenheit hat den unangenehm eifernden Charakterzug des Modernismus überwunden, lehnt die Moderne jedoch nicht als Ganzes ab. Mit dem Einarbeiten berechtigter Kritik an dieser Moderne gelingt es, sowohl die Architektur in differenzierter Weise weiter zu entwickeln als auch das Verständnis der lokalen Bevölkerung für neue Ausdrucksformen zu gewinnen.
Die Ausrüstung der spätgotischen Kirche wurde in der Barockzeit erneuert, und wegen Platzmangels erfuhr die Empore eine hölzerne Erweiterung nach vorn. Dennoch war die Kirche zu klein geworden, und die Gemeinde befaßte sich seit Jahren mit Erweiterungsplänen.
Nun ist die Veränderung eines spätmittelalterlichen Bauwerks kein harmloses Unterfangen, vor allem, wenn dieses formal geschlossen ist. Man beschränkte sich daher auf die dringend notwendige statische Sicherung und errichtete neben der alten Kirche, mit dieser über eine verglaste Zwischenzone verbunden, einen neuen, größeren Andachtsraum für die Gemeinde.
Friedrich Kurrent, Architekt, Holzmeisterschüler und emeritierter Professor der TU München, schlug ein „Breithaus“ vor, das im Grundriß das Verhältnis vier zu drei aufweist. Die Richtung erhält der Raum durch eine flache Konche an der nach Osten orientierten langen Seite. Den eher gedrungenen Baukörper schützt ein gegenüber dem Altbau deutlich weniger steiles Zeltdach mit von unten sichtbarer Tragkonstruktion aus schichtverleimtem Fichtenholz. Von außen wirkt das Bauwerk bescheiden und überläßt dem Altbau die zeichenhafte Fernwirkung. Aus der Nähe weisen allerdings die hochliegende Fensterzeile und eine Dachlaterne auf die Besonderheit des Gebäudes hin. Man sicherte also den Bestand, wird ihn im Inneren noch herrichten, und zum Alten kommt das Neue als ein weiteres Kapitel gleichwertig hinzu. In der größeren Gesamtanlage wurden die Funktionen neu verteilt: Sonntagsmessen finden im Neubau statt; als Werktagskapelle, für Hochzeiten und Taufen dient der spätgotische Altbau, wo sich auch weiterhin der Tabernakel befindet.
Diese Haltung, bei dem das Neue das Alte nicht verdrängt sondern klug ergänzt, erweitert das Feld der Nutzungsmöglichkeiten. Sie unterscheidet sich in diesem Fall auch von jener der Transformation wie auch von der des Gegensatzes. Der Altbau - lang und hoch - und der Neubau - breit und geräumig - bilden eine Dualität, die gemeinsam auf nachhaltigen Weiterbestand ausgerichtet ist.
Das bescheidene Äußere des Neubaus, selbst die eigenwillige Form der Dachlaterne würden wohl kaum einen vorbeifahrenden Fremden zum Anhalten bewegen. Das Besondere des Bauwerks verbirgt sich vielmehr im Innenraum, den man von einem gepflasterten Vorplatz und der glasüberdeckten Zwischenzone durch drei gleich große Öffnungen von der Seite her betritt.
Sofort wird man umfangen von der warmen, meditativen Raumstimmung. Die Mauern, mit einem dreiviertel Meter ebenso stark wie jene des Altbaus, sind innen mit sichtbarem Ziegelmauerwerk versehen. Der hochliegende Halbkranz quadratischer Fenster versieht den Raum in angenehmer Weise mit Tageslicht. Die Chorwand ist geschlossen, nur um den Dachfuß zieht sich allseitig ein dünner, verglaster Lichtschlitz und betont den schirmenden Charakter des Zeltdachs. Die schrägen inneren Fensterlaibungen sind mit weißem Marmor verkleidet. Dieser unterstützt als Reflektor das einfallende Licht und hebt die Öffnungen von der bescheideneren Sichtziegelmauer ab, ja verleiht ihnen auratischen Charakter.
Der Altar steht im Drittelspunkt des Raumes, auf den der Viertelkreis der Konche bezogen ist. In konzentrischen Halbkreisen ordnen sich die Sitzbänke darum herum auf dem leicht zur Mitte abfallenden Boden, sodaß der Altar, obwohl auf gleichem Niveau wie die Eingangsschwelle liegend, um zwei Stufen erhaben ist. Dem offenen Halbkreis der Gemeinde ist der ebenfalls zu dieser gehörende Viertelkreis für den Chor zugeordnet, sodaß der Altar in die Mitte der Gemeinde zu stehen kommt. Hoch darüber, an der Unterseite des Laternendaches, schwebt das Bild der Taube des Heiligen Geistes nach Entwürfen der vor wenigen Jahren verstorbenen Künstlerin Maria Biljan-Bilger. - Die komplexe Geometrie dieser Anordnung ist nicht auf den ersten Blick durchschaubar, der geistige Schwerpunkt des Raumes ist vom Schnittpunkt der Diagonalen etwas nach Osten verlegt, Zentrierung und Ausrichtung sind überlagert, woraus sich eine spannungsvolle Mehrdeutigkeit ergibt.
Mit diesen gestalterischen Maßnahmen werden die besonderen Anforderungen an einen zeitgemäßen Andachtsraum: (Ver-)Sammlung und Konzentration, aber auch das vorsichtige Bezeichnen einer gemeinsamen Richtung einfühlsam interpretiert. Demgegenüber haben reine Zentralbautypen immer etwas Herrisches, und achsiale Anordnungen leiden unter der Hierarchie der räumlichen Abfolge.
Das naturbelassene Fichtenholz der Dachkonstruktion mit seiner warmen Materialfarbe kontrastiert zum dunklen, bruchrohen Schiefer des Bodens, aus dem der helle Kalkstein der Stufen herausleuchtet. Den Altar aus dunklem Waldviertler Diorit hat der Bildhauer Franz Xaver Ölzant gestaltet; als weiterer Künstler wirkte der Eisenplastiker Sepp Auer für das Vortragkreuz und den Gitter-Rost vor dem solitären Laurentius-Fenster, dessen nach Süden orientierte Alabasterscheiben im Sonnenlicht zu lodern beginnen.
Friedrich Kurrent hat einen besinnlichen, unaufdringlichen Sakralraum für die Liturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschaffen. Mit Sorgfalt ist die Material- und Raumwirkung abgestimmt, etwa beim Übergang von der Zwischenzone in den Kirchenraum oder bei der komplex komponierten Zonierung in dem scheinbar einfachen Breithaus.
Es ist eine wichtige kulturelle Leistung unserer Zeit, daß wir Dinge verschiedenen Alters nebeneinander bestehen lassen können, ohne sofort nach vereinheitlichender Überformung zu rufen. Eine solche Gelassenheit hat den unangenehm eifernden Charakterzug des Modernismus überwunden, lehnt die Moderne jedoch nicht als Ganzes ab. Mit dem Einarbeiten berechtigter Kritik an dieser Moderne gelingt es, sowohl die Architektur in differenzierter Weise weiter zu entwickeln als auch das Verständnis der lokalen Bevölkerung für neue Ausdrucksformen zu gewinnen.
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