Bauwerk
Stadtentwicklungskonzept KDAG-Gründe
rainer pirker ARCHItexture, the POOR BOYs ENTERPRISE - Wien (A) - 1998
Partituren der Unschärfe
Ob sich die neueren Wiener Siedlungsinseln je in das Stadtganze integrieren lassen, ist fraglich: Sie bieten zu wenige Optionen für eine durchgreifende Verstädterung. In Wien-Meidling setzt man jetzt auf eine längerfristige Aneignungsdynamik.
16. Januar 1999 - Walter Chramosta
Stadt ist nicht planbar, sie stellt sich über kurz oder lang ein. Der Städter er zeugt seine Stadt, indem er sich auf vorbereitete Strukturen einläßt oder zufällige Konstellationen nutzt und in seinem Sinne verändert. Stadtplanung kann diese Selbstdefinition eines dicht genutzten Raums kanalisieren, aber nicht erzwingen. Richtige Ausgangsbedingungen können die Ausdifferenzierung der Stadt beschleunigen, falsche können sie verzögern.
Viele Definitionsversuche von Stadt operieren sinnfällig mit dem Begriff „Organismus“. Da mit ist das Wesen der Stadt angesprochen, ihre stetige Veränderung, die Unumkehrbarkeit ihrer Entwicklung, die Ungleichzeitigkeit von Stadtidee und Stadtkörper. Städte räumen Chancen ein und bilden gleichzeitig Entwicklungsbarrieren. Für Stadträume könnten Klassen des Widerstands gegen Eingriffe angegeben werden, um zu erklären, wo und wann Interventionen in die bestehenden Verhältnisse chancenreich sind.
Eine weitsichtige Stadtplanung sollte die Widerstände gegen die individualistische Dynamik der Stadtentwicklung generell senken, aber das Gedeihen des Öffentlichen nicht außer acht lassen. Methodendiskussionen in der Stadtplanung kreisen daher immer um die Art der minimalen Festlegungen, die stadträumliche Entwicklungen noch steuern können. In Wien neigt man nach Abklingen des Erweiterungsschubes der frühen neunziger Jahre rückblickend zur Auffassung, daß sich städtischer Charakter in den Quartieren nur an vielen architektonischen Handschriften manifestiert, ohne wirklich flexible, variable, vielfältige und zukunftsoffene Strukturen zu etablieren. Die planerische Selbstfesselung entspricht jahrzehntelanger Tradition und ist maximal.
Das wäre akzeptabel, wenn die Viertel strategische Raumreserven enthielten und diese von einem Stadtteilmanagement weiterentwickelt würden. Da kein komplexer Prozeß zonierter Verstädterung begonnen, sondern mit den bekannten Planungs und Finanzierungsinstrumenten manchmal durchaus erfreuliche Wohnanlagen gebaut wurden, ist der erträgliche Anfangs auch schon gleich der einer Stadt definitionsgemäß nicht zuträgliche Endzustand.
Die eingeschliffene Praxis der Stadtplanung legt also längst eine Reform der Stadterzeugung nahe, die beim theoretischen Überbau und bei ganzheitlicheren Entwicklungszielen ansetzen muß. 1996 wird dieses Problembündel vom Wiener Magistrat im Millenniumsworkshop „Die konkrete Utopie – Strukturelemente der Stadt“ gemeinsam mit Fachleuten aufgeschnürt.
Die teilweise sehr konkreten Ansätze wurden gleich auf eine interessante Industriebrache in Wien-Meidling, das von der U6 gut erschlossene, von heterogenen Wohnquartieren umgebene Gelände der Kabel und Draht werke AG, projiziert. In der abschließenden Publikation zeichnet sich bereits ein politisch und planerisch, aber auch von Anrainern und Bauträgern akzeptierter Handlungsrahmen für eine „Stadt der Zukunft“ ab. Mit dem kürzlich entschiedenen Ideenwettbewerb „Stadt 2000“ wurde die Probe aufs Exempel gemacht, die Fachwelt auf ihre ortsbezogenen Strategien zur Stadtraumbildung befragt.
Klar erstgereiht und zur Konkretisierung vorgesehen wurde das Konzept der Wiener Projektgemeinschaft aus RainerPirkers ARCHItextureteam und the POOR BOYs ENTER PRISE, der Architektengruppe bestehend aus Ernst J. Fuchs, Marie Therese Harnoncourt und Florian Haydn. Ihr von sprachlicher wie bildlicher Poesie getragenes Projekt imaginiert das 6 Hektar große Gebietals „dyn@mosphäre“, als „Infrafragment“ des Stadtorganismus. Flexibler als in der schon gefestigten Umgebung soll ausgehend von einer möglichst allgemein gehaltenen Raummatrix Selbstorganisation im Sozioökonomischen induziert werden.
Die Suche nach einer spezifischen Sehnsuchtsform des Städtischen beschränkt sich naturgemäß nicht auf eine pragmatische Planungstechnik: Vorgeschlagen und in seiner Tiefe noch gar nicht auslotbar, aber erfolgversprechend wird ein kompositer Ansatz der Stadt(er)gründung aus wissenschaftlicher Forschung und künstlerischer Einfühlung. Theodor W. Adornos Ansage aus der Ästhetischen Theorie klingt durch: „Kunst berichtigt die begriffliche Erkenntnis, weil sie, abgespalten, vollbringt, was jene von der unbildlichen Subjekt-Objekt-Relation vergebens erwartet: daß durch subjektive Leistung ein Objektives sich enthüllt.“
Was hier in Gang gesetzt wird, ist ein Strategiespiel mit strengen Regeln und ernsthaftem, aber nicht absehbarem Ausgang. Geschrieben steht vorerst eine primäre Partitur der Unschärfen, die verhindert, daß voreilige Festlegungen das Prinzip Stadt im Endgültigen der Nutzungen ersticken. Das Ziel, in einer nie vollständigen Detaillierung entlang stetig verfolgter „Leitlinien“ Stadt zu schaffen, mutet abstrakt an, bedarf aber einer Vielzahl konkreter Einlassungen, einer Hierarchie der Eingriffe, einer Logistik der Problemlösungen.
In die urbanistischen Anfangsbedingungen werden „Keime“, „Relais“ und „Felder“ ein gebracht, um den „Organismus zum Wachsen zu bringen“, das „Agitationsfeld der Benutzer“ zu erweitern. Dem Ort immanent ist eine „unsichtbare Ordnungsstruktur“, die sich als dichtes Geflecht aus Grundstücksgrenzen, Bau und Höhenschichtlinien, Wirkungskreisen et cetera abzeichnet. Dieses Spielfeld wird weiter akzentuiert durch Baukörper und Freiräume unterschiedlicher Privatheit und Öffentlichkeit: „Impulsatoren“ ziehen Passanten an, „Lungen“laden zum Spiel und Flanieren im Grünen ein, „Attraktoren“ fördern Sozialkontakte, „Schaltzonen“ puffern temporären Raumbedarf der Bewohner ab, „Transformatoren“ lenken Bewegungen im Stadtraum.
Mit solchen Spielfiguren, die bezeichnenderweise noch keine Entsprechung in der Planungs- und Alltagssprache haben, werden die Regeln deutlicher, nach denen das Stadtspiel stattfinden wird. Klar sind schon die Teilnehmer: alle, die Hoffnungen auf das Territorium projizieren. Damit ist es keine alleinige Fachplanung mehr, sondern ein politischer Akt, ein Bürgerforum neuen Typs, das auf die Verdichtung der kollektiven, mentalen Stadtkarte und deren Verräumlichung abzielt.
Der Erfolg dieses Freispielens wird von der Disziplin der Spieler und der Regelfestigkeit der Schiedsrichter abhängen. Jean François Lyotards „postmodernes Wissen“ hilft hier: „Die Gerechtigkeit wäre folgende: der Vielfalt und Unübersetzbarkeit der ineinander verschachtelten Sprachspiele ihre Autonomie, ihre Spezifität zuzuerkennen, sie nicht aufeinander zu reduzieren; mit einer Regel, die trotzdem eine allgemeine Regel wäre, nämlich ,lasst spielen ...und lasst uns in Ruhe spielen.‘“
Viele Definitionsversuche von Stadt operieren sinnfällig mit dem Begriff „Organismus“. Da mit ist das Wesen der Stadt angesprochen, ihre stetige Veränderung, die Unumkehrbarkeit ihrer Entwicklung, die Ungleichzeitigkeit von Stadtidee und Stadtkörper. Städte räumen Chancen ein und bilden gleichzeitig Entwicklungsbarrieren. Für Stadträume könnten Klassen des Widerstands gegen Eingriffe angegeben werden, um zu erklären, wo und wann Interventionen in die bestehenden Verhältnisse chancenreich sind.
Eine weitsichtige Stadtplanung sollte die Widerstände gegen die individualistische Dynamik der Stadtentwicklung generell senken, aber das Gedeihen des Öffentlichen nicht außer acht lassen. Methodendiskussionen in der Stadtplanung kreisen daher immer um die Art der minimalen Festlegungen, die stadträumliche Entwicklungen noch steuern können. In Wien neigt man nach Abklingen des Erweiterungsschubes der frühen neunziger Jahre rückblickend zur Auffassung, daß sich städtischer Charakter in den Quartieren nur an vielen architektonischen Handschriften manifestiert, ohne wirklich flexible, variable, vielfältige und zukunftsoffene Strukturen zu etablieren. Die planerische Selbstfesselung entspricht jahrzehntelanger Tradition und ist maximal.
Das wäre akzeptabel, wenn die Viertel strategische Raumreserven enthielten und diese von einem Stadtteilmanagement weiterentwickelt würden. Da kein komplexer Prozeß zonierter Verstädterung begonnen, sondern mit den bekannten Planungs und Finanzierungsinstrumenten manchmal durchaus erfreuliche Wohnanlagen gebaut wurden, ist der erträgliche Anfangs auch schon gleich der einer Stadt definitionsgemäß nicht zuträgliche Endzustand.
Die eingeschliffene Praxis der Stadtplanung legt also längst eine Reform der Stadterzeugung nahe, die beim theoretischen Überbau und bei ganzheitlicheren Entwicklungszielen ansetzen muß. 1996 wird dieses Problembündel vom Wiener Magistrat im Millenniumsworkshop „Die konkrete Utopie – Strukturelemente der Stadt“ gemeinsam mit Fachleuten aufgeschnürt.
Die teilweise sehr konkreten Ansätze wurden gleich auf eine interessante Industriebrache in Wien-Meidling, das von der U6 gut erschlossene, von heterogenen Wohnquartieren umgebene Gelände der Kabel und Draht werke AG, projiziert. In der abschließenden Publikation zeichnet sich bereits ein politisch und planerisch, aber auch von Anrainern und Bauträgern akzeptierter Handlungsrahmen für eine „Stadt der Zukunft“ ab. Mit dem kürzlich entschiedenen Ideenwettbewerb „Stadt 2000“ wurde die Probe aufs Exempel gemacht, die Fachwelt auf ihre ortsbezogenen Strategien zur Stadtraumbildung befragt.
Klar erstgereiht und zur Konkretisierung vorgesehen wurde das Konzept der Wiener Projektgemeinschaft aus RainerPirkers ARCHItextureteam und the POOR BOYs ENTER PRISE, der Architektengruppe bestehend aus Ernst J. Fuchs, Marie Therese Harnoncourt und Florian Haydn. Ihr von sprachlicher wie bildlicher Poesie getragenes Projekt imaginiert das 6 Hektar große Gebietals „dyn@mosphäre“, als „Infrafragment“ des Stadtorganismus. Flexibler als in der schon gefestigten Umgebung soll ausgehend von einer möglichst allgemein gehaltenen Raummatrix Selbstorganisation im Sozioökonomischen induziert werden.
Die Suche nach einer spezifischen Sehnsuchtsform des Städtischen beschränkt sich naturgemäß nicht auf eine pragmatische Planungstechnik: Vorgeschlagen und in seiner Tiefe noch gar nicht auslotbar, aber erfolgversprechend wird ein kompositer Ansatz der Stadt(er)gründung aus wissenschaftlicher Forschung und künstlerischer Einfühlung. Theodor W. Adornos Ansage aus der Ästhetischen Theorie klingt durch: „Kunst berichtigt die begriffliche Erkenntnis, weil sie, abgespalten, vollbringt, was jene von der unbildlichen Subjekt-Objekt-Relation vergebens erwartet: daß durch subjektive Leistung ein Objektives sich enthüllt.“
Was hier in Gang gesetzt wird, ist ein Strategiespiel mit strengen Regeln und ernsthaftem, aber nicht absehbarem Ausgang. Geschrieben steht vorerst eine primäre Partitur der Unschärfen, die verhindert, daß voreilige Festlegungen das Prinzip Stadt im Endgültigen der Nutzungen ersticken. Das Ziel, in einer nie vollständigen Detaillierung entlang stetig verfolgter „Leitlinien“ Stadt zu schaffen, mutet abstrakt an, bedarf aber einer Vielzahl konkreter Einlassungen, einer Hierarchie der Eingriffe, einer Logistik der Problemlösungen.
In die urbanistischen Anfangsbedingungen werden „Keime“, „Relais“ und „Felder“ ein gebracht, um den „Organismus zum Wachsen zu bringen“, das „Agitationsfeld der Benutzer“ zu erweitern. Dem Ort immanent ist eine „unsichtbare Ordnungsstruktur“, die sich als dichtes Geflecht aus Grundstücksgrenzen, Bau und Höhenschichtlinien, Wirkungskreisen et cetera abzeichnet. Dieses Spielfeld wird weiter akzentuiert durch Baukörper und Freiräume unterschiedlicher Privatheit und Öffentlichkeit: „Impulsatoren“ ziehen Passanten an, „Lungen“laden zum Spiel und Flanieren im Grünen ein, „Attraktoren“ fördern Sozialkontakte, „Schaltzonen“ puffern temporären Raumbedarf der Bewohner ab, „Transformatoren“ lenken Bewegungen im Stadtraum.
Mit solchen Spielfiguren, die bezeichnenderweise noch keine Entsprechung in der Planungs- und Alltagssprache haben, werden die Regeln deutlicher, nach denen das Stadtspiel stattfinden wird. Klar sind schon die Teilnehmer: alle, die Hoffnungen auf das Territorium projizieren. Damit ist es keine alleinige Fachplanung mehr, sondern ein politischer Akt, ein Bürgerforum neuen Typs, das auf die Verdichtung der kollektiven, mentalen Stadtkarte und deren Verräumlichung abzielt.
Der Erfolg dieses Freispielens wird von der Disziplin der Spieler und der Regelfestigkeit der Schiedsrichter abhängen. Jean François Lyotards „postmodernes Wissen“ hilft hier: „Die Gerechtigkeit wäre folgende: der Vielfalt und Unübersetzbarkeit der ineinander verschachtelten Sprachspiele ihre Autonomie, ihre Spezifität zuzuerkennen, sie nicht aufeinander zu reduzieren; mit einer Regel, die trotzdem eine allgemeine Regel wäre, nämlich ,lasst spielen ...und lasst uns in Ruhe spielen.‘“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom