Bauwerk

Festspielhaus
Wilhelm Holzbauer - Baden-Baden (D) - 1998
Festspielhaus, Foto: Michael Christian Peters
Festspielhaus, Foto: Michael Christian Peters
Festspielhaus, Foto: Michael Christian Peters

Sparkasse? Schwimmbad?

„Musiktempel“ wäre eine verniedlichende Bezeichnung für das neue Baden-Badener Festspielhaus von Wilhelm Holzbauer. „Kultodrom“ würde dem monumentalen Megapalast, der bar jeglicher gestalterischer Ambition ist, schon eher gerecht.

4. April 1998 - Cornelia Fröschl
Bis zu 2650 Hörer werden ab dem 18. April den 25 Meter hohen, 700 Quadratmeter großen Saal auf zwei Balkonen und fünf Seitenrängen füllen, um die bekanntesten Pultstars die bekanntesten Werke des Abendlandes zelebrieren zu sehen. Welch ein Enthusiasmus ist nötig, um in diesem Konzertsaal unter Hunderten in der oberen Loge zu sitzen, wenn einsam dort unten Mischa Maisky die Saiten seines Cellos streicht, eine winzige Figur, der am Ende der ohrenbetäubende Beifall der 2500 entgegenprasseln wird; und wo auf den Rängen einer neben dem anderen unvermeidlich das Opernglas auf die Bühne richten muß, um einen Blick zu erhaschen und irgendwie das Gefühl zu haben, „live“ dabeizusein?

„Ich habe versucht, trotz der Größe des Saales eine intime Atmosphäre zu schaffen“, sagt Wilhelm Holzbauer. Dafür sollen der rote Farbton der gespachtelten Betonwände (Stucco antico) sorgen und ein für 2,5 Millionen Schilling (180.000 Euro) gestifteter Lüster aus 10.000 handgeschliffenen Kristallprismen, der gleichzeitig als Lichtträger für Reflektoren dient. Doch die Anonymität eines Massenspektakels bleibt. Es gibt keine abgehängten Decken, die Beleuchtungstechnik ist sichtbar, für eine Verkleidung fehlte das Geld.

Zum Ausgleich pocht Holzbauer auf die Vorteile der leichten Dachschale und die hervorragende Akustik, die der rechteckige Saal wegen seiner Idealmaße von 28 mal 38 Metern haben soll: Kein Sänger muß vor halbleerem Saal singen, wenn „nur“ 1000 Leute da sind. Mit Hilfe akustischer Trennwände kann der Zuschauerraum innerhalb von zehn Minuten auf 1800, 1300 oder 1000 Plätze verkleinert werden. Die Bühne ist, mit drei seitlich fahrbaren Portalen ausgestattet, variabel von fünf bis zehn Meter Höhe und 14 bis 21,5 Meter Breite. Der Orchestergraben kann auf das Niveau des Parketts hochgefahren werden, sodaß die Bühne vom Kammermusikabend bis zum 140köpfigen Richard-Strauss-Orchester eingerichtet werden kann.

Nach amerikanischem Muster geht Baden-Baden neue, auf das Geschäft mit der Masse gerichtete Wege der Kulturpolitik. Der gesamte künstlerische Betrieb wird erstmals rein privat verantwortet und finanziert. Nicht so jedoch der Bau selbst. Das Festspielhaus erhält 22 Jahre lang 38 Millionen Schilling (2,7 Millionen Euro) Zuschuß jährlich aus der Baden-Württemberger Landeskasse.

Event-Kultur ist ein Zeichen der Zeit. Trotz kultureller Rezession sind Festspiele immer noch ein kassenfüllendes Ereignis. Um ein internationales Publikum in die Stadt an der Oos zu bewegen, setzen die „Herbert-von-Karajan-Festspiele“ in der traditionellen Kur- und Spielstadt Baden-Baden nicht auf Programmatik, sondern auf die Namen von Musikstars.

Das „dritt- oder viertgrößte Opernhaus der Welt“, so der Baden-Badener Oberbürgermeister, verschlang nicht mehr als 840 Millionen Schilling (60 Millionen Euro); die reinen Baukosten belaufen sich nach Walther Veyhle, dem Generalbevollmächtigten, auf 609 Millionen Schilling (43,5 Millionen Euro), ein Zehntel etwa der Pariser Opéra de Bastille. Dreifach zeichnet sich das Haus durch Superlative aus: durch seine Größe (Renditeberechnungen ergaben eine Notwendigkeit von mindestens 2500 Sitzplätzen); durch sein sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis: das pro Sitzplatz billigste Theater Europas; und durch seine Unerbittlichkeit gegenüber allen Ansprüchen, die Architektur als kultureller Beitrag hätte leisten können. O-Ton Veyhle: Das Haus sei „nicht für Kenner und Architekturkritiker gebaut“. Das ist nicht zu übersehen.

Die Idee für ein neues Festspielhaus entstand 1994 aus der Überlegung, die Salzburger Pfingstfestspiele nach Baden-Baden zu verlegen. Sechs weltbekannte Architekten aus Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz hat Veyhle zumindest gedanklich in die engere Wahl gezogen, Namen nennt er nicht. Wettbewerb gab es keinen, statt dessen einen Wettlauf mit der Zeit.

Beim sogenannten „amerikanischen Verfahren“, einem Interview zur Wahl des Architekten, sprach Veyhle im Mai 1995 zumindest mit dem für seinen großformatigen Gestus bekannten Wilhelm Holzbauer, der durch seinen Opern- und Rathausbau in Amsterdam (1986) einschlägig erfahren ist und für das Salzburger Festspielhaus einen Saal und mehrere Umarbeitungen realisiert hat. „Kein Aushängeschild“ wollte Veyhle, sondern „einen Bau, in dem man optimalen Inhalt produzieren kann“.

Bei einem, wie beide bestätigen, „erfreulichen Gespräch“ konnte Holzbauer offensichtlich die Bedenken des Ingenieurs ausräumen, daß ein Architekt „nur seine Architektur im Kopf“ haben müsse. 14 Tage später lieferte er pünktlich den ersten Ideenentwurf. Und schon im Juli 1995 wurde das Gebäude termingerecht im Gemeinderat vorgestellt, im Mai 1996 tat Hannelore Kohl den ersten Spatenstich.

Das Grundstück, von der Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt, liegt direkt hinter dem neoklassizistischen Bahnhof an der B 500. Die Gäste kommen vorne durch den Haupteingang des 1977 stillgelegten Bahnhofs, in dem Verwaltung, Garderoben, Kassen und ein Restaurant untergebracht sind.

Über die ganze Breite an die Rückfront des alten Bahnhofs geschoben, steigt, dreifach gestuft, ein gigantischer Block aus Beton auf eine Höhe von 33 Metern auf. Als einzige Gliederung der Fassade sind efeuberankte Obelisken mit goldenen Spitzen in zwei Reihen auf die ansteigenden Stufen des monotonen Riegels gestellt, wie Immergrün auf einem Balkon. Der türkisblaue Bühnenturm dahinter möchte vielleicht lieber Himmel sein, unauffälliger ist er durch die Farbgebung, die an ein Schwimmbad erinnert, kaum.

Als Funktionskiste gedacht, hat der mit horizontalen Fugen verputzte Betonbau mitnichten den Anspruch, etwas Eigenes zu sagen. Hinter die Kulisse des denkmalgeschützten Bahnhofs gesetzt, übernimmt er dessen Farben, Gelb mit rötlichem Sockel. Wären die Dimensionen kleiner, könnte man die rückwärtige Fassade mit Balkonen auf den Hinterhof hinaus für die Fassade eines Wohnbaus halten.

Als Fenster mit grandiosem Ausblick zur Stadt präsentiert sich die monumentale Glasfassade des fünfgeschoßigen Treppenhauses auf der Südseite mit dem Charme einer Sparkasse. Weder Horizontale noch Vertikale überwiegen in der Konstruktion aus Stahl und Glas, nur die Diagonalen der dahinter liegenden Treppen und der Panoramaaufzug lockern das einförmige Raster nach außen auf.

Wenn kein Geld für die Architektur übrigbleibt, ist Atmosphäre eine Frage der Dekoration. Die Stützen und Wände hinter der glasüberdeckten Fuge zwischen Alt- und Neubau sind schlicht weiß. Dahinter beginnt der Einsatz von Farben und Material. Wände, Stützen und Unterzüge aus Beton sind im gesamten Gebäude in unterschiedlichen Farben gestrichen, gespachtelt oder falscher Marmor.

In Baden-Baden wird Reichtum in Szene gesetzt. Auf rotem Teppich wandeln die VIP-Club-Mitglieder, die es sich leisten, 105.000 Schilling (7500 Euro) für ein Jahresabonnement hinzublättern, eine nur für sie geschaffene ovale Freitreppe zu einer exklusiv für sie geschaffenen Lounge hinauf und wieder herunter ins allgemeine Foyer, während der Bau mit falschem Marmor und spürbarer Sparsamkeit die Geste konterkariert.

Ein beigegelber Farbton dominiert beim Stucco antico der Stützen, Wände und Unterzüge im Foyer, kombiniert mit hellem Kalksteinboden und dem Birkenholz der Saaleingänge. Rot gespachtelt präsentiert sich der Konzertsaal, rot gestrichen ein Probenraum, rot ausgelegt der Teppich in der Lounge des Clubs. Der helle Kalkstein des Bodens im Foyer kehrt in den Stockwerken des Foyers als Brüstung wieder und wird in den Toiletten in Form von Waschmulden variiert.

Als Metapher paßt der Bahnhof zum Festspielhaus. John Eliot Gardiner reist an, Vladimir Ashkenazy reist ab, Anne Sophie Mutter reist an, Seiji Ozawa reist ab. Im Kulturbahnhof steigen nur Erste-Klasse-Reisende aus, die da spielen und wieder gehen. Aus architektonischer Sicht ist der Neubau ambitionslos und angepaßt, seine Sprache konservativ. Daß es an dieser Architektur kein Zeichen gibt, daß etwas Zeitgenössisches stattfinden könnte, ist schade. In diesem Saal wird keine Musik gespielt werden, die wirklich neu ist. Es sei denn, sie ist kommerziell.

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