Bauwerk

Wohnhaus Balderichgasse
CPPArchitektur ZT KG - Wien (A)
Wohnhaus Balderichgasse, Foto: Paul Giuliani
Wohnhaus Balderichgasse, Foto: Paul Giuliani

Vom Charme des Ornaments

Markenzeichen von Eva Ceska & Fritz Priesner sind nicht technologisch avancierte Materialien, sondern solche mit einem besonderen Erinnerungswert. Auch ihr jüngster Bau, ein Wohnhaus in Wien-Hernals, entzieht sich modischen Tendenzen.

14. März 1998 - Margit Ulama
Was ist eigentlich die Funktion einer Architekturkritik? Scheinbar einfach, ist diese Frage in ihrer Komplexität hier jedoch kaum zu beantworten. Immerhin kann auf den eigenen Blickwinkel hingewiesen werden, und gleich drängt sich die nächste Frage auf: Was berechtigt eigentlich zur Architekturkritik?

Doch natürlich hängt beides zusammen. Was die Funktion betrifft, wird der Terminus Kritik meist im gängigen, negativen Sinn verstanden. Man weist auf Beispiele hin und begründet, warum man sie für schlecht hält. Doch es gibt auch die Kritik im positiven Sinn, wie sie Walter Benjamin an Hand eines spezifischen philosophischen Kontextes formulierte.

Eine Kritik entwickelt dieser Auffassung folgend die Idee, die der jeweiligen Architektur zugrunde liegt, sie geht dabei auch über die Ansätze der Architekten hinaus, stellt Zusammenhänge dar und öffnet somit ein komplexes ideelles Spektrum. Am Ende sollte sich vermitteln, worin die über die bloße Pragmatik hinausgehende Qualität der Architektur liegt, mehr noch, worin deren Faszination liegt. Doch für diese Art der Wahrnehmung muß der Blick geschult sein, und damit wird die Frage nach der Berechtigung, über Architektur zu schreiben, berührt.

Die beiden möglichen Formen der Architekturkritik könnte man auch unter diesem Blickwinkel sehen: Die eine Haltung will Entwicklungen verhindern, indem sie negative Beispiele kritisiert. Doch um produktiv zu werden, braucht es immer den positiven Gedanken, und oft - in Gesprächen, in Diskussionen unter Architekten - bleibt es beim Lamento, das letztlich auf der Stelle tritt. Der Hinweis der Kritik auf negative Entwicklungen ist sicher notwendig, doch noch wichtiger ist die Formulierung beziehungsweise Forcierung von positiven Ansätzen, die doch vorhanden sind, man braucht sie nur zu sehen.

In diesem Sinn sei im folgenden die Stadtentwicklung an der Peripherie nur gestreift. Egal ob man den Leberberg oder die neuen Wohngebiete nördlich der Donau betrachtet - architektonische Qualität muß man suchen, und man findet sie leider nur punktuell. Wiederum eine Gretchenfrage: Warum beauftragt man denn nicht bessere Architekten? Da gibt es natürlich den komplexen, oft auch rigiden Bauprozeß mit den immer wieder angeführten ökonomischen Rahmenbedingungen oder auch die rein ökonomischen Ambitionen; da gibt es aber auch eine weite Unsicherheit, was denn nun wirklich architektonische Qualität sei, und je avancierter die Architektur, umso größer die Unsicherheit. Und hier schließt sich der Kreis zur Funktion der Architekturkritik, nämlich die Qualität in ihren unterschiedlichsten Facetten zu sehen und darauf aufmerksam zu machen.

Eva Ceska & Fritz Priesner zählen zu jenen Architekten der jüngeren Generation, die Qualität in einem pragmatischen Sinn anstreben und bei der Realisierung ihrer bisherigen Wohnbauten außerdem sowohl einen eigenen Sprachduktus als auch besondere Grundrisse entwickelten. Das Wohnen, also die Benutzbarkeit, stellt für sie einen primären Faktor dar. Ihr Wohnbau in der Balderichgasse, eine konventionelle Schließung einer Baulücke, veranschaulicht dabei die unterschiedlichen Dimensionen ihrer Haltung, nämlich eine spezifische Form einer rauhen, herben Ästhetik, kombiniert mit einem charmanten Gestus.

Das Rauhe drückt sich besonders an der Fassade auf Grund der Farbgebung, einer Differenzierung von Grautönen, aus. Das übergeordnete Element ist ein länglicher, verputzter Rahmen, der den Mittelteil der Fassade einfaßt, darunter liegt ein Sockelgeschoß, darüber das Dachgeschoß. Die Stirnseiten von Wand- und Deckenelementen strukturieren die innere Fläche kreuzförmig, was durch die Aluprofile der Fenster fortgesetzt wird.

Eternitelemente dienen als Balkonbrüstungen, das Pendant zu diesen flächigen Teilen sind einerseits die Aluminiumelemente als Ergänzung der Glasscheiben, andererseits die niederen Heizkörper im Inneren. Breite Jalousien stellen dann je nach Verwendung die feinste Strukturierung dar. Dieses in sich logische Konzept der Fassade korrespondiert schließlich mit dem Rahmenmotiv um die Fenster des Nachbarhauses.

Die Logik dieser Konzeption und die damit verbundene Materialverwendung machen die architektonische Qualität aus, doch dies auch sinnlich so zu empfinden bedarf - beinahe wie bei einem hermetischen Tafelbild - längerer Betrachtung. Im Inneren wechselt dann die Stimmung. Im Hausflur findet man eine Betonbrüstung und einen lapidaren Gummibelag auf dem Boden, die Postkästen bergen in der Art, wie sie auf der Brüstung sitzen, sogar einen Hauch von Witz und Ironie. Das Auffällige ist hier aber eine heute kaum mehr gebräuchliche Wandgestaltung, das feine, rötliche Walzenmuster, das seitlich ansetzt und sich entlang der Treppe weiterzieht. Ein dünner Handlauf und eine Brüstung im Fensterbereich ergänzen die Wandgestaltung im gleichen Farbton, und gerade in ihrem Minimalismus entwickelt die leichte Ornamentierung ihren besonderen Charme.

So zeigt sich bei diesem Wohnbau eine Dichotomie der Architektur: Auf der einen Seite liegt der rauhe Ausdruck des Materials, auf der anderen Seite konstituiert sich bei der Wandgestaltung das Thema Bekleidung, doch in beiden Fällen ist der Ausdruck unmittelbar. Die Malerei im Stiegenhaus bedient sich - im Semperschen Sinn - nicht nur des immateriellsten Bekleidungsmittels, der Farbe, diese bedeckt zusätzlich nur ganz zart den weißen Untergrund.

Man könnte auch von einer lakonischen Haltung sprechen, die die Entwürfe der Architekten in verschiedenster Hinsicht durchzieht. Parallel zum Wohnhaus in der Balderichgasse realisierten Ceska & Priesner einen Wohnbau in der Ludwiggasse, und da übernahmen sie einfach einen Grundriß von Paul Baumgarten aus dem Jahr 1957, der sich den Bedingungen entsprechend anbot - wiederum eine sehr direkte Lösung.

Gerade bei diesem zweiten Wohnbau findet man eine zeittypische Collage unterschiedlicher Materialien, und mit dem Profilitglas gibt es wiederum ein Element, das früher gängig war. Ceska & Priesner spielen auch auf diese Weise mit der architektonischen Oberfläche. Sie distanzieren sich in ihrer direkten Art jedoch von einer ästhetischen Haltung und greifen sowohl mit dem Glas als auch mit dem rötlichen Walzenmuster in die Vergangenheit zurück. Sie setzen also nicht, wie heute oft üblich, technologisch avancierte Produkte ein, sondern solche, die einen besonderen Erinnerungswert haben.

Diese Materialverwendung steht in Verbindung mit einem grundsätzlichen Interesse für Strukturen. Eva Ceska experimentiert mit dem Medium der Photographie und löst dabei aus dem Kontext des Alltags und der Kunst Materialstrukturen heraus, um Anregungen für die eigene architektonische Arbeit zu bekommen.

Im Gegensatz zu den perfekt gegliederten Grundrissen bei ihrem Wohnbau in der Braunhirschengasse findet man in der Balderichgasse loftartige, also offene Wohnbereiche an der Straßenseite, die die Kreativität der Bewohner herausfordern, die aber auch in konventionelle Räume teilbar sind. Und wieder gibt es auch bei dem jüngsten Wohnbau eine Sonderlösung: ein Atelier im Erdgeschoß, das sich in der Art einer Maisonette mit einem Wohnbereich darüber verbindet.

Im Prinzip stellt der Bau in der Balderichgasse ein konventionelles Wohnhaus in einer Baulücke dar, ungewöhnlich ist die architektonische Ausformulierung. Wie sich Ceska & Priesner im weiteren eine Innenraumgestaltung vorstellen, vermittelt sowohl ihr eigenes Atelier in der Nelkengasse als auch das Geschäft „eva fuchs einkleidung“ in der Neubaugasse. Bei letzterem tritt der rauhe Gestus in den Hintergrund, die Gestaltung wird beinahe nobel, trotzdem bleiben die direkte Ästhetik und die damit verbundene unmittelbare Materialwirkung erhalten. Gerade in der Zusammenschau der verschiedenen Beispiele erkennt man schließlich das gestalterische Spektrum der Architekten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Fotografie