Bauwerk

Wohnanlage
Heinz Lutter - Pressbaum (A) - 1996
Wohnanlage, Foto: Margherita Spiluttini
Wohnanlage, Foto: Margherita Spiluttini

Zwei ungleiche Schwestern

Zwei Reihenhausanlagen, ein Architekt: kein Vergleich! Was passiert, wenn die Behörde in ein durchdachtes architektonisches Konzept eingreift: Überlegungen zum verdichteten Siedlungsbau anhand der Anlagen von Heinz Lutter in Preßbaum.

23. August 1997 - Walter Zschokke
Bei der Durchsicht interessanter Bauten in Niederösterreich aus dem vergangenen Jahrzehnt stößt man in Preßbaum auf eine Wohnanlage, die einem Rätsel aufgibt. An einem mittelsteilen Nordhang liegen nebeneinander zwei kleine Reihenhausanlagen, die von der unten vorbeiführenden Quartierstraße her erschlossen sind. Die östliche weist zwei senkrecht zum Hang verlaufende Zeilen auf, die westliche ist in zwei Trakte parallel zum Hang organisiert. Der botanisch vielfältige Altbaumbestand läßt auf ehemalige Villengärten schließen, die sich streifenartig den Hang hinaufzogen. Da und dort steht denn auch in der Nachbarschaft noch das eine oder andere frühgründerzeitliche Bürgerhaus mit steilem Dach, dunkel gebeiztem Holz und einladender Veranda.

Die beiden westlichen, hangparallelen Zeilen wirken etwas biederer; jeweils drei schmale Reihenhäuser sind zu einem Baukörper zusammengefaßt. Auf den ersten Blick wirken sie älter als ihre östliche Schwesteranlage, deren architektonisch spritzig instrumentierte Bauvolumen die Hanglage geschickt interpretieren.

Bei genauem Hinsehen wird man aber an den aktueller wirkenden Häusern einen stärkeren Verwitterungsgrad der Holzteile feststellen können. Ein Nachfragen bei Architekt Heinz Lutter, der für den Entwurf beider Anlagen verantwortlich zeichnet, schafft Klarheit: Jene mit den Zeilen in der Fallinie entstand 1988 bis 1992. Die hangparallelen Zeilen wurden anschließend begonnen und 1996 fertiggestellt.

Weshalb dieser scheinbare Widerspruch? - Der Baubehörde erschien der architektonisch-siedlungsbauliche Charakter der ersten Anlage nicht passend, weshalb sie für die zweite Etappe eine andere Anordnung vorschrieb. Der Architekt kann bis heute keinen Gefallen an der neu vorgeschriebenen Anordnung finden. Im folgenden soll näher auf diese Problematik eingegangen werden.

Ein Nordhang gilt nicht als bevorzugtes Wohngebiet, doch die über 100 Jahre alten Häuser in der Nachbarschaft lassen schließen, daß die konkrete Lage so schlecht nicht sein kann. Jedenfalls gilt es beim Entwerfen besonders darauf zu achten, daß die Wohnräume ausreichend besonnt werden. Erschwerend wirkt sich aus, daß die Aussichtsseite keine Sonne erhält, dafür ist das Panorama immer ins richtige Licht gerückt.

Wenn nun die Zeilen, wie bei der älteren Anlage, in der Fallinie verlaufen, erhalten sie jedenfalls Morgen- und Abendsonne. Im konkreten Fall sind sie relativ nahe aneinander gerückt - im schmalen Zwischenraum verläuft die Erschließung - , sodaß die eine vormittags, die andere nachmittags besonnt wird, klarer Himmel vorausgesetzt. Entsprechend sind die Grundrisse gespiegelt, und als weitere Maßnahme ist ein Gartenzimmer flügelartig herausgezogen, auf dessen Dach ein vom Wohnraum zugänglicher Sitzplatz im Freien angeordnet ist, der natürlich Mittagssonne erhält. Wegen der geringen Trakttiefe wurden die einzelnen Einheiten in die Länge gezogen. Es blieb daher noch Platz für einen privaten Gartenhof vor den Kinderzimmern, die sich ein Geschoß tiefer befinden.

Im obersten Stockwerk ist dem Elternzimmer eine Dachterrasse vorgelagert, die eine privatere Nutzung des Außenraums erlaubt. Es ist denkbar, daß die Eltern, solange die Kinder noch sehr klein sind, ihren Schlafraum ebenfalls auf der Ebene unter dem Wohngeschoß haben und daß oben ein Großelternteil über einen autonomen Wohnbereich verfügt. Die seitlich an der Wand zur Erschließungsgasse hinaufführende Kaskadentreppe verbindet alle drei Ebenen.

Der Windfang in Form einer Kiste aus Sperrholz, zu der eine Metallstiege hochführt, ist gassenseitig jeweils mittig dem Hauptgeschoß vorgelagert. Die Hangsituation nützend, führt ein weiterer Zugang ein Geschoß tiefer zu den Kinderzimmern. Wer die Mineralwasserkisten in den dahinter liegenden Keller zu tragen hat, wird ihn zu schätzen wissen. Und die herangewachsenen Kinder werden sich über den Status relativer Autonomie freuen.

Abgesehen von der bei Schneelage nicht ganz unproblematischen, weil steilen Mittelgasse - sie wird jeweils sofort geräumt werden müssen oder wäre vielleicht sogar zu heizen - weist die Siedlung zahlreiche wertvolle, das Wohnen verbessernde Komponenten auf. Die einzelnen Häuser sind relativ gleichwertig, der Außenraumbezug ist vielfältig und von abgestufter Privatheit. Dem dient auch die klare Unterscheidung der Eingangs- von der Gartenseite. Die Gestaltung zeichnet sich durch einen intensiven Flirt mit den fünfziger Jahren aus; er wirkt unbeschwert-fröhlich, wie es verklärte Erinnerungen so an sich haben. Nach außen wird durch die Zäsuren der Dachterrassen eine deutliche Trennung der einzelnen Einheiten erreicht. Obwohl kompakt, wird die Siedlung damit sinnfällig strukturiert. Insgesamt handelt es sich um gut durchgearbeitete, vielfältig und auf individuelle Art und Weise nutzbare Häuser, die den gewichtigen Vorteil geschlossener Bauweise und eines sparsamen Landverbrauchs aufweisen. Daß die alte Linde zuoberst exakt in der Achse der Erschließungsgasse steht, mag als Geschenk des Ortes an die Bewohner interpretiert werden.

Der jüngere Teil der Anlage mit den beiden parallel zum Hang stehenden Zeilen ist wohl deshalb in dieser Form entstanden, weil die kurzen Trakte, obwohl sie gut doppelt so groß sind wie die nachbarlichen Gründerzeitvillen, ein wenig an die von diesen geprägte lockere Baumassenverteilung erinnern. Eine typologische Verwandtschaft besteht jedoch nicht.

Ein nicht geringes Problem stellt die für einen Südtyp relativ große, von der Grundstückskonfiguration erzwungene Trakttiefe dar. Sie wird in der Regel vorzugsweise für Ost-West-Typen verwendet. In der etwas dunkleren Mittelzone verläuft quer die Stiege, daran anschließend stapeln sich über die Stockwerke die installationsintensiven Räume wie Küche, Bad und Toilette. Schlafzimmer und Wohnküche sind nach Süden gelegt, im Norden befindet sich der Wohnraum, aufgewertet durch doppelte Höhe und eine galerieartige Diele vor den Kinderzimmern. Die Lage am Hang hat zur Folge, daß wegen der zulässigen Bauhöhe die Dachterrasse auf die Nordseite zu liegen kommen mußte; das Elternzimmer auf demselben Niveau schaut nach Süden. Die geringe, aus der Drittelung der möglichen Traktlänge sich ergebende Breite der einzelnen Einheiten erzwingt beim Außenwohnen, im Garten oder auf der Terrasse, ein dichtes Nebeneinander, was nicht unbedingt als angenehm empfunden werden muß.

Zwar ist wegen der am Nordhang höheren Ansprüche an den Sonneneinfallswinkel der Abstand der Zeilen ausreichend, dennoch stoßen eine Eingangs- und eine Hauptwohnseite zusammen. Und von oben ist das untere Haus einsehbar. Ost-West-Typen werden in der Regel Rücken zu Rücken angeordnet, damit ein halböffentlicher Zwischen- und Vorgartenbereich für die Erschließung und ein privaterer für das Außenwohnen entstehen kann. Bei Südorientierung funktioniert dies jedoch nicht. Während die an den Stirnseiten liegenden Einheiten je nach Osten und Westen zusätzliche Fensteröffnungen aufweisen, ist die mittlere Wohnung in dieser Hinsicht deutlich benachteiligt, der geringere Energieverlust macht die mindere Lagegunst nicht wett.

Da das Bauvolumen in der Mitte des Grundstücks angeordnet werden mußte, entstehen rundherum Abstandsflächen ohne räumliche Qualitäten, die sich gegen eine private Nutzung sperren. Anders als bei der Nachbarsiedlung erlaubt die Terrassierung keine differenzierten Außenwohnzonen.

Die ältere Siedlung, die eine spezifische Interpretation der topographischen Lage, der Exposition zu den Himmelsrichtungen und des Zusammenwohnens in den verschiedenen Phasen eines Familienlebens lieferte, hatte wegen ihres weiß Gott nicht besonders radikalen, aber für Wienerwälder offenbar ungewohnten Aussehens eine behördliche Reaktion hervorgerufen, deren Konsequenzen nicht wirklich durchgedacht worden sind. Obwohl die Grundrisse sehr wohl optimiert und vernünftig durchgearbeitet sind, darf man es dem Architekten nicht verdenken, daß er mit weniger Begeisterung bei der Sache war, nachdem er bereits den materiellen Beweis in Form einer intelligenten Konzeption für eine dichte Bebauung an dieser Nordlage erbracht hatte.

Die dringende Forderung nach sparsamerem Landverbrauch durch geschlossene Bauweise verlangt neue Siedlungstypologien. Daß diese anders ausschauen als Einzelhäuser, liegt auf der Hand. Seitens der den Bebauungsplan festlegenden Behörden ist daher - nach einer angemessenen Schrecksekunde - für künftige Fälle mehr Weitsicht gefordert.

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