Bauwerk
Heinz-Galinski-Schule
Zvi Hecker - Berlin (D) - 1995
Lernen in der schönsten Blüte
Eine Sonnenblume als Schule: Klasse in Blütenblättern, Höfe und Gassen dazwischen. Zvi Hecker hat dieses kleine Wunderwerk in Berlin errichtet. Ein architektonisches Abenteuer von Seltenheitswert.
9. März 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Peter Cook erscheint es „ungeheuer wohltuend zu sehen, wie alle diese verklemmten Kritiker um die passende Kategorisierung“ des Schaffens von Zvi Hecker bemüht sind. Ihr angestrengtes Fragen, ob diese Architektur nun deutsch, jüdisch, geometrisch, dekonstruktivistisch, soziozentrisch, zersetzend, anarchisch oder vielleicht vom Mars sei, läßt den Briten mit der spitzen Feder verbale Kapriolen schlagen. Und tatsächlich: Die Architektur dieses israelischen Architekten gibt einem einiges aufzulösen.
Es geht um eine simple Schule, die in Wirklichkeit gleich in zweifacher Hinsicht ganz und gar nicht simpel ist. Erstens, weil sie architektonisch etwas so Außergewöhnliches verkörpert, zweitens, weil es sich umeine jüdische Grundschule handelt - die erste, die in Berlin gebaut wurde, seit die Nationalsozialisten die jüdischen Schulen geschlossen haben. Und man kommt nicht umhin, diese spezifische Bedeutung des Baus noch heute zur Kenntnis zu nehmen: Bewacher rundherum, ein hermetisch verriegelter Zugang, fünf Zentimeter dicke, kugelsichere Glasscheiben bei Türen und Fenstern.
Zvi Heckers , am Rande des Grunewalds, auf einem schönen, baumbestandenen Gelände. Schon beim Eingangsbereich grüßt ein abstraktes Signal: „Löcher“ in einer Betonscheibe, die sich schwungvoll um eine Mitte zu bewegen scheinen. Entziffern kann dieses Signal wohl nur, wer um die künstlerischen Obsessionen des Architekten weiß, der in Israel ein Spiralhaus gebaut hat, über eine Wohnanlage in der imaginierten Form von „Berliner Bergen“ nachdenkt und seine Schule als gebaute Transformation einer Sonnenblume bezeichnet.
Ein Haus wie eine Sonnenblume, eine Sonnenblume wie ein verschachtelter Komplex von Baukörpern, durch die sich eine Schlange (die Erschließungsgänge) windet, die an einer Stelle einen Berg berührt - eine kleine, autonome Stadt, gemacht für kleine, neugierige und abenteuerlustige Städter. Hekker sagt zwar von seiner Schule, daß sie nicht groß sei. Aber wer dieses Gebäude kennt, gewinnt den gegenteiligen Eindruck.
Das hängt damit zusammen, daß die verschiedenen Funktionen des Hauses auseinanderdividiert sind, daß sie in der Breite beziehungsweise im Kreis eines zur Straße hin ein wenig abge-blätterten Blütenblattstandes arrangiert scheinen. Zwischen diesen schwungvoll gekrümmten, spitzwinkligen Blütenblättern lassen sich Höfe, Gassen, Schluchten entdecken und völlig neue, gewandelte Bilder der Architektur.
Es sind sechs separate Baukörper, die eine als Platz formulierte Mitte umkreisen und durch einen wild geschlängelten Erschließungsgang miteinander verbunden sind. Die einzelnen Baukörper scheinen auf dieser silbrig glänzenden Schlange - sie hat eine Haut aus Trapezblech -aufgefädelt zu sein, sie dringt in die Körper auf der einen Seite ein und kommt auf der anderen wieder heraus, und so geht es einmal fast rundum.
Das von außen sichtbare Resultat dieses Konzepts ist dramatisch. Vor- und Rücksprünge, Durchdringungen, Überschneidungen bilden sich ab, frappierende Nähe, dann wieder Zwischenraum, der schon reizvoller Raum ist. Hecker hat rohen Beton, Trapezblech, weißen Putz und einiges mehr an den Fassaden kollidieren lassen, immer wieder unterbrochen von den rotbraunen, plastisch ausgebildeten Fenstern und Türen.
Im Haus selbst: Klassenzimmer - mit angeschlossenen Freizeiträumen, weil es sich um eine Ganztagsschule handelt -, von denen keines dem anderen gleicht; ein Veranstaltungssaal - er kann auch als Synagoge dienen - in der Form einer Geige; ein räumlich extrem zugeschnittener Medienraum; ein Turnsaal, der unter Niveau abgesenkt ist und auf einen ebenfalls abgesenkten Freibereich hinausführt; ein Speisesaal mit angrenzender koscherer Küche. Überhaupt ist es eine sehr gut ausgestaltete Schule - eine jüdische Schule, die aber offen ist für Schüler anderer Konfessionen.
Zvi Heckers architektonischer Ansatz ist zweifellos extrem. Hecker ist kein Architekt, der Konfektion auch nur in Erwägung ziehen, auch keiner, der sich mit der Wiederholung einer einmal entwickelten Lösung begnügen würde. Seine Architektur erscheint vor dem Hintergrund des aktuellen Baugeschehens als ein gedankliches, ein künstlerisches Abenteuer, das mit unerhörter Konsequenz vorangetrieben wird. Seine Architektur ist die Ausnahme von der gebauen Regel.
Das Haus ist gewissermaßen eine räumliche Skulptur. Und wenn man es mit Hecker selbst besichtigt, ist er es, der einen auf so manche Ungereimtheit aufmerksam macht: „Das ist ein Fenster zum Studium des Korrosionsprozesses“, sagt er mit trockenem Humor über eine Situation, in der Schlange und Baukörper beinahe kollidieren. Hecker reagiert gelassen, wenn man ihn auf die unglaubliche Qualität des rohen Betons anspricht. Nein, den Preis für Sichtbeton habe man sich nicht geleistet. Aber nicht aus Geiz, sondern weil rasch klar wurde, daß die beauftragte Firma nicht in der Lage war, Sichtbeton in einer Qualität zu liefern, die den entsprechenden Aufpreis gerechtfertigt hätte.
Heckers Entscheidung fiel radikal aus: dann eben nur ganz gewöhnlicher Beton, dessen Oberfläche man allerdings in ihrer ganzen Unvollkommenheit sieht. Er ist wirklich so roh und ungeschönt, daß er Bände spricht. Eine Erzählung handelt davon, daß nicht alles, was heutzutage baulich hochgezogen wird, von Maschinen hergestellt werden kann; hier ist die Rede von menschlicher Handarbeit mit all ihren Unzulänglichkeiten. Tatsächlich geht man stellenweise unter den Betondecken durch wie unter einem tachistischen Kunstwerk, in das sich der Rost der Eisenbewehrung für alle Zeiten eingeschrieben hat. Zvi Hecker: „Architekten tun sich in der Regel schwer damit, Künstler weniger.“
Natürlich ist eine solche Architektur nicht zu verallgemeinern. Hecker ringt um eine Baukunst jenseits modischer Aktualitäten, die getragen ist von subjektiven Obsessionen, dabei aber doch Nutzungsansprüchen genügt. Es braucht Zeit, bis man sich in diesem Bauwerk zurechtfindet, und ein Bewußtsein der Möglichkeiten des Besonderen in der Architektur, um sich generell damit anzufreunden.
Gerade weil es der erste jüdische Bau nach so langer Zeit in Berlin ist, waren alle Beteiligten bereit, ein architektonisches, baukünstlerisches Risiko einzugehen - allerdings nur mit Abstrichen: Hecker mußte überarbeiten, verändern, nicht zuletzt um den rigorosen Baubestimmungen einigermaßen zu entsprechen. Im Martin-Gropius-Bau war kürzlich eine Ausstellung zu sehen, die den Prozeß der Entstehung dieser Schule und die verschiedenen Planungsphasen dokumentierte: Bände von Tagebüchern, in denen die gedanklichen Kreise Heckers um seinen Schulbau verzeichnet sind, verschiedene Modelle, Photographien.
Fast zeitgleich mit der Eröffnung des Hauses ist im Wasmuth Verlag, Tübingen, ein Buch über die Schule erschienen. Es enthält nicht nur Material zur Architektur, sondern gibt auch Aufschluß darüber, welche Bedeutung diesem Gebäude in der deutschen Metropole beigemessen wird. Doch das spannendste Ereignis bleibt die Architektur. In der heutigen Zeit ist es immer aufregend, wenn jemand die Kraft aufbringt, die geltenden Regeln - Kosten, Nutzen, Funktionalität, Effizienz - zu durchbrechen und auf der Seite zu agieren, wo Bauen noch etwas mit echter, authentischer Kunst zu tun hat, wo Bauwerke noch abenteuerliche, nie zuvor gesehene Räume eröffnen und wo es um die außergewöhnliche Erfahrung der Begegnung mit der Kunst des Raumes geht. Man mag sich der Architektur noch so pragmatisch annähern, irgendwo gibt es ihn doch, diesen Qualitätshorizont jenseits des Herkömmlichen.
Wenn es jemandem gelingt, auf dieser anderen Seite zu agieren, dann gilt nichts mehr, was man sonst an Maßstäben anlegt. Merkwürdig und denkwürdig dabei ist, daß auf dieser Ebene die innovative technologische, konstruktive Leistung, die eher meßbar ist, nicht höher rangiert als der individuelle künstlerische Ausdruck, mag dieser noch so traditionell, so handgestrickt realisiert sein. Es ist wie mit dem Bild, der Skulptur und dem medialen, interaktiven Konzept: Letzteres mag ein intellektuelles Spektakel sein - Francis Bacon hat seine Bilder im Vergleich dazu herkömmlich produziert; trotzdem werfen sie einen um. Mit der Architektur von Zvi Hecker ist es nicht anders.
Es geht um eine simple Schule, die in Wirklichkeit gleich in zweifacher Hinsicht ganz und gar nicht simpel ist. Erstens, weil sie architektonisch etwas so Außergewöhnliches verkörpert, zweitens, weil es sich umeine jüdische Grundschule handelt - die erste, die in Berlin gebaut wurde, seit die Nationalsozialisten die jüdischen Schulen geschlossen haben. Und man kommt nicht umhin, diese spezifische Bedeutung des Baus noch heute zur Kenntnis zu nehmen: Bewacher rundherum, ein hermetisch verriegelter Zugang, fünf Zentimeter dicke, kugelsichere Glasscheiben bei Türen und Fenstern.
Zvi Heckers , am Rande des Grunewalds, auf einem schönen, baumbestandenen Gelände. Schon beim Eingangsbereich grüßt ein abstraktes Signal: „Löcher“ in einer Betonscheibe, die sich schwungvoll um eine Mitte zu bewegen scheinen. Entziffern kann dieses Signal wohl nur, wer um die künstlerischen Obsessionen des Architekten weiß, der in Israel ein Spiralhaus gebaut hat, über eine Wohnanlage in der imaginierten Form von „Berliner Bergen“ nachdenkt und seine Schule als gebaute Transformation einer Sonnenblume bezeichnet.
Ein Haus wie eine Sonnenblume, eine Sonnenblume wie ein verschachtelter Komplex von Baukörpern, durch die sich eine Schlange (die Erschließungsgänge) windet, die an einer Stelle einen Berg berührt - eine kleine, autonome Stadt, gemacht für kleine, neugierige und abenteuerlustige Städter. Hekker sagt zwar von seiner Schule, daß sie nicht groß sei. Aber wer dieses Gebäude kennt, gewinnt den gegenteiligen Eindruck.
Das hängt damit zusammen, daß die verschiedenen Funktionen des Hauses auseinanderdividiert sind, daß sie in der Breite beziehungsweise im Kreis eines zur Straße hin ein wenig abge-blätterten Blütenblattstandes arrangiert scheinen. Zwischen diesen schwungvoll gekrümmten, spitzwinkligen Blütenblättern lassen sich Höfe, Gassen, Schluchten entdecken und völlig neue, gewandelte Bilder der Architektur.
Es sind sechs separate Baukörper, die eine als Platz formulierte Mitte umkreisen und durch einen wild geschlängelten Erschließungsgang miteinander verbunden sind. Die einzelnen Baukörper scheinen auf dieser silbrig glänzenden Schlange - sie hat eine Haut aus Trapezblech -aufgefädelt zu sein, sie dringt in die Körper auf der einen Seite ein und kommt auf der anderen wieder heraus, und so geht es einmal fast rundum.
Das von außen sichtbare Resultat dieses Konzepts ist dramatisch. Vor- und Rücksprünge, Durchdringungen, Überschneidungen bilden sich ab, frappierende Nähe, dann wieder Zwischenraum, der schon reizvoller Raum ist. Hecker hat rohen Beton, Trapezblech, weißen Putz und einiges mehr an den Fassaden kollidieren lassen, immer wieder unterbrochen von den rotbraunen, plastisch ausgebildeten Fenstern und Türen.
Im Haus selbst: Klassenzimmer - mit angeschlossenen Freizeiträumen, weil es sich um eine Ganztagsschule handelt -, von denen keines dem anderen gleicht; ein Veranstaltungssaal - er kann auch als Synagoge dienen - in der Form einer Geige; ein räumlich extrem zugeschnittener Medienraum; ein Turnsaal, der unter Niveau abgesenkt ist und auf einen ebenfalls abgesenkten Freibereich hinausführt; ein Speisesaal mit angrenzender koscherer Küche. Überhaupt ist es eine sehr gut ausgestaltete Schule - eine jüdische Schule, die aber offen ist für Schüler anderer Konfessionen.
Zvi Heckers architektonischer Ansatz ist zweifellos extrem. Hecker ist kein Architekt, der Konfektion auch nur in Erwägung ziehen, auch keiner, der sich mit der Wiederholung einer einmal entwickelten Lösung begnügen würde. Seine Architektur erscheint vor dem Hintergrund des aktuellen Baugeschehens als ein gedankliches, ein künstlerisches Abenteuer, das mit unerhörter Konsequenz vorangetrieben wird. Seine Architektur ist die Ausnahme von der gebauen Regel.
Das Haus ist gewissermaßen eine räumliche Skulptur. Und wenn man es mit Hecker selbst besichtigt, ist er es, der einen auf so manche Ungereimtheit aufmerksam macht: „Das ist ein Fenster zum Studium des Korrosionsprozesses“, sagt er mit trockenem Humor über eine Situation, in der Schlange und Baukörper beinahe kollidieren. Hecker reagiert gelassen, wenn man ihn auf die unglaubliche Qualität des rohen Betons anspricht. Nein, den Preis für Sichtbeton habe man sich nicht geleistet. Aber nicht aus Geiz, sondern weil rasch klar wurde, daß die beauftragte Firma nicht in der Lage war, Sichtbeton in einer Qualität zu liefern, die den entsprechenden Aufpreis gerechtfertigt hätte.
Heckers Entscheidung fiel radikal aus: dann eben nur ganz gewöhnlicher Beton, dessen Oberfläche man allerdings in ihrer ganzen Unvollkommenheit sieht. Er ist wirklich so roh und ungeschönt, daß er Bände spricht. Eine Erzählung handelt davon, daß nicht alles, was heutzutage baulich hochgezogen wird, von Maschinen hergestellt werden kann; hier ist die Rede von menschlicher Handarbeit mit all ihren Unzulänglichkeiten. Tatsächlich geht man stellenweise unter den Betondecken durch wie unter einem tachistischen Kunstwerk, in das sich der Rost der Eisenbewehrung für alle Zeiten eingeschrieben hat. Zvi Hecker: „Architekten tun sich in der Regel schwer damit, Künstler weniger.“
Natürlich ist eine solche Architektur nicht zu verallgemeinern. Hecker ringt um eine Baukunst jenseits modischer Aktualitäten, die getragen ist von subjektiven Obsessionen, dabei aber doch Nutzungsansprüchen genügt. Es braucht Zeit, bis man sich in diesem Bauwerk zurechtfindet, und ein Bewußtsein der Möglichkeiten des Besonderen in der Architektur, um sich generell damit anzufreunden.
Gerade weil es der erste jüdische Bau nach so langer Zeit in Berlin ist, waren alle Beteiligten bereit, ein architektonisches, baukünstlerisches Risiko einzugehen - allerdings nur mit Abstrichen: Hecker mußte überarbeiten, verändern, nicht zuletzt um den rigorosen Baubestimmungen einigermaßen zu entsprechen. Im Martin-Gropius-Bau war kürzlich eine Ausstellung zu sehen, die den Prozeß der Entstehung dieser Schule und die verschiedenen Planungsphasen dokumentierte: Bände von Tagebüchern, in denen die gedanklichen Kreise Heckers um seinen Schulbau verzeichnet sind, verschiedene Modelle, Photographien.
Fast zeitgleich mit der Eröffnung des Hauses ist im Wasmuth Verlag, Tübingen, ein Buch über die Schule erschienen. Es enthält nicht nur Material zur Architektur, sondern gibt auch Aufschluß darüber, welche Bedeutung diesem Gebäude in der deutschen Metropole beigemessen wird. Doch das spannendste Ereignis bleibt die Architektur. In der heutigen Zeit ist es immer aufregend, wenn jemand die Kraft aufbringt, die geltenden Regeln - Kosten, Nutzen, Funktionalität, Effizienz - zu durchbrechen und auf der Seite zu agieren, wo Bauen noch etwas mit echter, authentischer Kunst zu tun hat, wo Bauwerke noch abenteuerliche, nie zuvor gesehene Räume eröffnen und wo es um die außergewöhnliche Erfahrung der Begegnung mit der Kunst des Raumes geht. Man mag sich der Architektur noch so pragmatisch annähern, irgendwo gibt es ihn doch, diesen Qualitätshorizont jenseits des Herkömmlichen.
Wenn es jemandem gelingt, auf dieser anderen Seite zu agieren, dann gilt nichts mehr, was man sonst an Maßstäben anlegt. Merkwürdig und denkwürdig dabei ist, daß auf dieser Ebene die innovative technologische, konstruktive Leistung, die eher meßbar ist, nicht höher rangiert als der individuelle künstlerische Ausdruck, mag dieser noch so traditionell, so handgestrickt realisiert sein. Es ist wie mit dem Bild, der Skulptur und dem medialen, interaktiven Konzept: Letzteres mag ein intellektuelles Spektakel sein - Francis Bacon hat seine Bilder im Vergleich dazu herkömmlich produziert; trotzdem werfen sie einen um. Mit der Architektur von Zvi Hecker ist es nicht anders.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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