Bauwerk
Neue Kapfbrücke
Martin Häusle - Feldkirch (A) - 1995
Konvex-konkav unterm Kapf
Freunde hinfälliger Starrheit auf der einen, Gegner auffälliger Elastizität auf der anderen Seite: Passanten und Pedanten ereifern sich über die alte und die neue „Vereinigungsbrücke“ in Feldkirch. Protokoll einer Erregung.
16. März 1996 - Walter Chramosta
Eine kraftvolle Stahlbetonschließe in steiniger Stadtschlucht: Die „Vereinigungsbrücke“ (1927/28 errichtet und nach dem 1925 erfolgten Zusammenschluß der Gemeinden Altenstadt, Feldkirch, Tisis und Tosters benannt) bildet eine der landschaftlich hervorragenden Konstellationen von Großfeldkirch, bei denen das Menschenwerk übergangslos die Bergwelt tangiert.
Einerseits ist das Zentrum von steilen, oft felsigen Bergrücken gefaßt, andererseits ufern die Ränder in das ebene Rheintal aus. Der Kern Feldkirchs ist dort entstanden, wo das längliche Stadtbecken von der Ill durchschnitten wird. Der Fluß konnte dem Gestein zwei mächtige Einschnitte abringen, die nun wie Portale den Übergang vom Stadtgefäß zur Umlandebene markieren.
Eines der beiden „Tore“, das gegen Nordwest orientierte, wird von der Betonbogenbrücke überspannt, die nun als Symbol der Stadtwerdung und Naturbeherrschung verinnerlicht ist, aber ihre technischen Dienste nicht mehr erbringt. Martin Häusle und sein Team haben diese unverwechselbare Verschneidung von verkehrstechnischen Notwendigkeiten, Bauingenieurkönnen und Felswänden um einen zeitgemäßen Aspekt bereichert. Seit 1995 gibt es eine neue „Kapfbrücke“, benannt nach dem angrenzenden Margarethenkapf, der schroffen Endformation des Blasenberges.
Im Zuge eines erst zu errichtenden Tunnels durch den Ardetzenberg bedurfte die nach Liechtenstein und in die Schweiz führende Bangser Landesstraße einer neuen Flußquerung. Nahe der jetzt nur mehr Fußgängern und Radfahrern vorbehaltenen alten Brücke quert ein dreiteiliges Tragwerk das meist dürftig durchflossene Bett der Ill, mit drei Nebentragwerken wird der benachbarte Werkskanal überspannt.
Der Brückendiskurs ist seit der Verkehrsübergabe in doppelter Hinsicht brisant. Zum einen sträubt sich ein Teil der Öffentlichkeit gegen den von der Stadt aus wirtschaftlichen Überlegungen präferierten Abbruch der alten „Vereinigungsbrücke“, zum anderen hat die Nutzung der neuen manchen Passanten zu Protesten über die Neigung und die Beweglichkeit der Gehsteige veranlaßt.
In diesem Zusammenhang sehen sich die Konstrukteure in einer Fachdiskussion mit dem Prüfstatiker und der Landesverwaltung. Das Schwingungsproblem an der innovativen Konstruktion ist kaum mit einer Standardlösung zu behandeln. Der bedenkliche Zustand der Fahrbahnplatte in der Bogenbrücke ist seit 1990 durch ein Gutachten bekannt. Seitdem ist sie nur mehr beschränkt belastbar, nach der Stillegung stehen jetzt endgültig die Entscheidun-gen über die weitere Behand-lung des Altbaus an.
Engagierte Bürger - ein Komitee um Gerold Hirn hält gar eine Verglasung der Brücke als Tanzlokal für erstrebenswert - formieren sich für den Erhalt. Die Stadtverwaltung ist bemüht, eine argumentierbare Vorgangsweise mit dem Ziel eines neuen, leichten Steges für Fußgänger und Radfahrer zu entwickeln. Das Bundesdenkmalamt konkretisiert auf Wunsch des Landes die Denkmalwerte.
Die Diskussion in der Bevölkerung führt zu einer Neupositionierung der „Vereinigungsbrücke“. Ihr wachsen angesichts des drohenden Verlustes wieder Sympathie- und Denkmalwerte zu, die sich seit Jahrzehnten abgenützt hatten. Hohe städtebauliche Signifikanz stand nie in Zweifel. Es tut sich jene argumentative Schere auf, die immer klafft, wenn Ingenieurbauten ihre Lebensdauer erreichen, alte Nutzungen obsolet sind. Die Denkmalwerte geraten in den Kontext politischer Machbarkeiten. Das korrodierte Bewehrungseisen ist zu heiß, als daß man es unüberlegt in die Hand nehmen kann. Angesichts des dramatischen Verfalls bedeutet jede Lösung für die alte „Kapfbrücke“ einen denkmalpflegerischen Kompromiß, der mit dramatischen Substanzverlusten verbunden sein muß.
Käme das Denkmalamt zu der Auffassung, daß dieses Objekt künstlerisch, lokalhistorisch und baukulturell unverzichtbar ist, dann bedeutet das eine vollständige Sanierung der Fahrbahnplatte, da diese früher oder später auch unter dem Eigengewicht versagen wird. Sowohl der von Manfred Wicke vorgeschlagene vollständige Ersatz der Platte wie auch deren Unterstützung durch eine von den intakten Bögen abgehängte Stahl-Beton- Verbundkonstruktion nach dem Konzept von Martin Häusle und Eugen Schuler stellen einen gravierenden Eingriff dar.
In beiden Fällen wird aber ein konstruktives Konzept eines Stahlbetonbaus perpetuiert, das als ingenieurgeschichtlich bemerkenswert, aber nicht (mehr) als materialgerecht gesehen werden kann. Beton ist in Zuggliedern ohne Vorspannung, die die sich unter der Belastung einstellenden Risse überdrückt, nicht sinnvoll eingesetzt.
Reine Zugelemente in Stahlbeton, wie sie hier den Bogen mit der Fahrbahnplatte verbinden, sind als Kuriosum zu werten, das im Kontext der zwanziger Jahre erklärbar ist, als Fachwerke in Stahlbeton aufgekommen sind. Die baustatische Analogie zu tradierten Systemen des Holz- und Stahlbaus hat auch seinerzeit die Verwendung von Fachwerken in Stahlbeton erstrebenswert gemacht.
Materialgerecht, logisch und im Grundsatz einfach ist das System, das Martin Häusle mit den Architekten Götz Stöckmann und Gabriela Seifert beziehungsweise den Bauingenieuren Klaus Bollinger und Paul Frick seit 1993 entwickelt hat. Das Haupttragwerk besteht aus einer Verbundkonstruktion, in der der Beton als Obergurt die Druckkräfte und ein räumliches Stahlfachwerk unterhalb die Zugkräfte aufnehmen. Die Fahrbahnplatte ist stärker als üblich gewölbt, sodaß sich dem Autofahrer die Querung als flache Schwelle mitteilt.
Soweit ist der Bau in seiner Eleganz und Dimensionierung unbestritten. Die Nutzerkritik zielt auf die Neigung und das Schwingungsverhalten jener Spannbänder aus ein Zentimeter starkem Stahl, die die beiden Geh- und Fahrsteige seitlich der Fahrbahn tragen.
Da die Brücke insgesamt kurz und relativ breit ist, haben sich die Gestalter entschlossen, das selten angewandte Prinzip eines freihängenden Bandes anzuwenden, das sich gegen die aufsteigende Fahrbahn nach unten wölbt. Es sucht sich selbst seine optimale Form, reagiert aber auf Lastfälle sofort spürbar. Um Mißbräuche durch mutwilliges Aufschaukeln zu unterbinden, waren Bremselemente vorgesehen, die aber der Behörde und dem Prüfingenieur nicht als hinreichend erschienen.
Nun sind statt dessen hydraulische Konstrukte von fragwürdiger Detaildurchbildung installiert. Gegen den Willen und die gestalterische Intention der Konstrukteure hat die Behörde diese(n) Dämpfer eingesetzt, um vor allem die öffentliche Erregung ob einer technisch scheinbar nicht ausgereiften Konstruktion zu mindern. Der Verdacht war unbegründet und hätte sich bei einem so repräsentativen Bauwerk im Konsensweg ausräumen lassen sollen.
Der Ingenieurdisput um ein Gefährdungspotential für den Spannbandpassanten belegt deutlich, wie durch eine reagible Konstruktion einige Nutzer überfordert werden. Vor allem wenn die Bauwerksantwort überraschend durch örtliche Verformung oder fortgesetztes Schwingen auftritt, kann bei einer seit langem auf monolithische Starre ausgerichteten Erwartungshaltung Irritation auftreten.
Dies ist naturgemäß nicht die Absicht der Erfinder, die auf eine Steigerung der dritten Dimension, also der räumlichen Wahrnehmbarkeit der Flußquerung, abzielt. Das parallele Spiel von konkaven und konvexen, von beweglichen und starren Verkehrsflächen ist eine außer-ordentliche, ingeniöse Leistung mit architektonischem Gehalt und verräumlichendem Charakter. Eigenschaften, die man auch dem alten Bogen am Kapf zusprechen kann. Aber deren Wirkungen sind jahrzehntelang im Unterbewußten abgelagert, das Neue ist noch mühsam anzueignen.
Die Freunde hinfälliger Starrheit wie die Gegner auffälliger Elastizität sollten sich am Weg zu ihrem Urteil die Sicht Auguste Perrets einprägen: „Technik, ständige Huldigung an die Natur, Hauptnahrung der Imagination, wahre Quelle der Inspiration, von allen Gebeten das wirksamste, Muttersprache jedes Schöpfers. Technik, dichterisch gesprochen, führt uns zur Architektur.“
Einerseits ist das Zentrum von steilen, oft felsigen Bergrücken gefaßt, andererseits ufern die Ränder in das ebene Rheintal aus. Der Kern Feldkirchs ist dort entstanden, wo das längliche Stadtbecken von der Ill durchschnitten wird. Der Fluß konnte dem Gestein zwei mächtige Einschnitte abringen, die nun wie Portale den Übergang vom Stadtgefäß zur Umlandebene markieren.
Eines der beiden „Tore“, das gegen Nordwest orientierte, wird von der Betonbogenbrücke überspannt, die nun als Symbol der Stadtwerdung und Naturbeherrschung verinnerlicht ist, aber ihre technischen Dienste nicht mehr erbringt. Martin Häusle und sein Team haben diese unverwechselbare Verschneidung von verkehrstechnischen Notwendigkeiten, Bauingenieurkönnen und Felswänden um einen zeitgemäßen Aspekt bereichert. Seit 1995 gibt es eine neue „Kapfbrücke“, benannt nach dem angrenzenden Margarethenkapf, der schroffen Endformation des Blasenberges.
Im Zuge eines erst zu errichtenden Tunnels durch den Ardetzenberg bedurfte die nach Liechtenstein und in die Schweiz führende Bangser Landesstraße einer neuen Flußquerung. Nahe der jetzt nur mehr Fußgängern und Radfahrern vorbehaltenen alten Brücke quert ein dreiteiliges Tragwerk das meist dürftig durchflossene Bett der Ill, mit drei Nebentragwerken wird der benachbarte Werkskanal überspannt.
Der Brückendiskurs ist seit der Verkehrsübergabe in doppelter Hinsicht brisant. Zum einen sträubt sich ein Teil der Öffentlichkeit gegen den von der Stadt aus wirtschaftlichen Überlegungen präferierten Abbruch der alten „Vereinigungsbrücke“, zum anderen hat die Nutzung der neuen manchen Passanten zu Protesten über die Neigung und die Beweglichkeit der Gehsteige veranlaßt.
In diesem Zusammenhang sehen sich die Konstrukteure in einer Fachdiskussion mit dem Prüfstatiker und der Landesverwaltung. Das Schwingungsproblem an der innovativen Konstruktion ist kaum mit einer Standardlösung zu behandeln. Der bedenkliche Zustand der Fahrbahnplatte in der Bogenbrücke ist seit 1990 durch ein Gutachten bekannt. Seitdem ist sie nur mehr beschränkt belastbar, nach der Stillegung stehen jetzt endgültig die Entscheidun-gen über die weitere Behand-lung des Altbaus an.
Engagierte Bürger - ein Komitee um Gerold Hirn hält gar eine Verglasung der Brücke als Tanzlokal für erstrebenswert - formieren sich für den Erhalt. Die Stadtverwaltung ist bemüht, eine argumentierbare Vorgangsweise mit dem Ziel eines neuen, leichten Steges für Fußgänger und Radfahrer zu entwickeln. Das Bundesdenkmalamt konkretisiert auf Wunsch des Landes die Denkmalwerte.
Die Diskussion in der Bevölkerung führt zu einer Neupositionierung der „Vereinigungsbrücke“. Ihr wachsen angesichts des drohenden Verlustes wieder Sympathie- und Denkmalwerte zu, die sich seit Jahrzehnten abgenützt hatten. Hohe städtebauliche Signifikanz stand nie in Zweifel. Es tut sich jene argumentative Schere auf, die immer klafft, wenn Ingenieurbauten ihre Lebensdauer erreichen, alte Nutzungen obsolet sind. Die Denkmalwerte geraten in den Kontext politischer Machbarkeiten. Das korrodierte Bewehrungseisen ist zu heiß, als daß man es unüberlegt in die Hand nehmen kann. Angesichts des dramatischen Verfalls bedeutet jede Lösung für die alte „Kapfbrücke“ einen denkmalpflegerischen Kompromiß, der mit dramatischen Substanzverlusten verbunden sein muß.
Käme das Denkmalamt zu der Auffassung, daß dieses Objekt künstlerisch, lokalhistorisch und baukulturell unverzichtbar ist, dann bedeutet das eine vollständige Sanierung der Fahrbahnplatte, da diese früher oder später auch unter dem Eigengewicht versagen wird. Sowohl der von Manfred Wicke vorgeschlagene vollständige Ersatz der Platte wie auch deren Unterstützung durch eine von den intakten Bögen abgehängte Stahl-Beton- Verbundkonstruktion nach dem Konzept von Martin Häusle und Eugen Schuler stellen einen gravierenden Eingriff dar.
In beiden Fällen wird aber ein konstruktives Konzept eines Stahlbetonbaus perpetuiert, das als ingenieurgeschichtlich bemerkenswert, aber nicht (mehr) als materialgerecht gesehen werden kann. Beton ist in Zuggliedern ohne Vorspannung, die die sich unter der Belastung einstellenden Risse überdrückt, nicht sinnvoll eingesetzt.
Reine Zugelemente in Stahlbeton, wie sie hier den Bogen mit der Fahrbahnplatte verbinden, sind als Kuriosum zu werten, das im Kontext der zwanziger Jahre erklärbar ist, als Fachwerke in Stahlbeton aufgekommen sind. Die baustatische Analogie zu tradierten Systemen des Holz- und Stahlbaus hat auch seinerzeit die Verwendung von Fachwerken in Stahlbeton erstrebenswert gemacht.
Materialgerecht, logisch und im Grundsatz einfach ist das System, das Martin Häusle mit den Architekten Götz Stöckmann und Gabriela Seifert beziehungsweise den Bauingenieuren Klaus Bollinger und Paul Frick seit 1993 entwickelt hat. Das Haupttragwerk besteht aus einer Verbundkonstruktion, in der der Beton als Obergurt die Druckkräfte und ein räumliches Stahlfachwerk unterhalb die Zugkräfte aufnehmen. Die Fahrbahnplatte ist stärker als üblich gewölbt, sodaß sich dem Autofahrer die Querung als flache Schwelle mitteilt.
Soweit ist der Bau in seiner Eleganz und Dimensionierung unbestritten. Die Nutzerkritik zielt auf die Neigung und das Schwingungsverhalten jener Spannbänder aus ein Zentimeter starkem Stahl, die die beiden Geh- und Fahrsteige seitlich der Fahrbahn tragen.
Da die Brücke insgesamt kurz und relativ breit ist, haben sich die Gestalter entschlossen, das selten angewandte Prinzip eines freihängenden Bandes anzuwenden, das sich gegen die aufsteigende Fahrbahn nach unten wölbt. Es sucht sich selbst seine optimale Form, reagiert aber auf Lastfälle sofort spürbar. Um Mißbräuche durch mutwilliges Aufschaukeln zu unterbinden, waren Bremselemente vorgesehen, die aber der Behörde und dem Prüfingenieur nicht als hinreichend erschienen.
Nun sind statt dessen hydraulische Konstrukte von fragwürdiger Detaildurchbildung installiert. Gegen den Willen und die gestalterische Intention der Konstrukteure hat die Behörde diese(n) Dämpfer eingesetzt, um vor allem die öffentliche Erregung ob einer technisch scheinbar nicht ausgereiften Konstruktion zu mindern. Der Verdacht war unbegründet und hätte sich bei einem so repräsentativen Bauwerk im Konsensweg ausräumen lassen sollen.
Der Ingenieurdisput um ein Gefährdungspotential für den Spannbandpassanten belegt deutlich, wie durch eine reagible Konstruktion einige Nutzer überfordert werden. Vor allem wenn die Bauwerksantwort überraschend durch örtliche Verformung oder fortgesetztes Schwingen auftritt, kann bei einer seit langem auf monolithische Starre ausgerichteten Erwartungshaltung Irritation auftreten.
Dies ist naturgemäß nicht die Absicht der Erfinder, die auf eine Steigerung der dritten Dimension, also der räumlichen Wahrnehmbarkeit der Flußquerung, abzielt. Das parallele Spiel von konkaven und konvexen, von beweglichen und starren Verkehrsflächen ist eine außer-ordentliche, ingeniöse Leistung mit architektonischem Gehalt und verräumlichendem Charakter. Eigenschaften, die man auch dem alten Bogen am Kapf zusprechen kann. Aber deren Wirkungen sind jahrzehntelang im Unterbewußten abgelagert, das Neue ist noch mühsam anzueignen.
Die Freunde hinfälliger Starrheit wie die Gegner auffälliger Elastizität sollten sich am Weg zu ihrem Urteil die Sicht Auguste Perrets einprägen: „Technik, ständige Huldigung an die Natur, Hauptnahrung der Imagination, wahre Quelle der Inspiration, von allen Gebeten das wirksamste, Muttersprache jedes Schöpfers. Technik, dichterisch gesprochen, führt uns zur Architektur.“
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