Bauwerk

Exhibition Center
DCM Architects - Melbourne (AUS) - 1996
Exhibition Center, Foto: John Gollings
Exhibition Center, Foto: John Gollings
Exhibition Center, Foto: John Gollings
Exhibition Center, Foto: John Gollings

Eine Black Box mit Veranda

1. Juni 1997 - Roman Hollenstein
Von den Rialto Towers aus gesehen erinnert das Melbourne Exhibition Center mit seinem matt silbernen Blechdach an einen tief über dem Südufer des Yarra River schwebenden Flugzeugflügel. Es gemahnt in seiner Einfachheit aber auch an die Lagerhallen des flussabwärts gelegenen Hafengebiets. Doch im Gegensatz zu diesen faltet sich der sieben Fussballfelder grosse Flachbau an seiner Nordostecke zu einem expressiven Konglomerat ineinander verkeilter Ebenen und Kuben. Erst diese Billboard-Architektur, akzentuiert durch plakative Glasflächen und einen schräg sich aufbäumenden, von zwei riesigen Mikadostäben gehaltenen Eingangsbaldachin, verleiht dem Gebäude jenes unverwechselbare Image, mit dem es sich zur Stadt hin im marktschreierischen Kontext der umliegenden Kommerzarchitekturen behaupten kann.

Mit dem Exhibition Center hat Melbourne, die spröde Schöne unter Australiens Städten, ein neues Wahrzeichen und zugleich eine zeitgemässe Antwort auf das grösste viktorianische Gebäude der Stadt - das 1880 vollendete Royal Exhibition Building - erhalten. Als Architekten dieses Neubaus der Superlative, der selbst die Messebauten der ewigen Rivalin Sydney in den Schatten stellt, wurden die Melbourner Architekten John Denton, Bill Corker und Barrie Marshall auserkoren. Das kurz DCM genannte Dreigestirn, das mit Bauten von minimalistischer Präzision Furore machte, wurde im vergangenen Sommer für sein Schaffen mit der höchsten Auszeichnung des Royal Australian Institute of Architecture, der prestigeträchtigen Goldmedaille, ausgezeichnet. Die drei seit 1974 zusammenarbeitenden, gut 50jährigen Meister entwickelten aus der Tatsache, dass alte Bausubstanz im geschichtsbewussten Melbourne fast unantastbar ist, die Fähigkeit, ihre monolithischen Wolkenkratzer virtuos mit historischen Architekturen zu vereinen und bestehende Häuser - wie ihrbekanntestes Gebäude, das Adelphi-Hotel zeigt - höchst innovativ aufzuwerten.

Beim Bau des vor einem Jahr eröffneten Exhibition Center kam ihnen dieses Einfühlungsvermögen zugute. Mussten sie doch die Planungsruine des von ihrem Kollegen Daryl Jackson anstelle einer ehemaligen Werfthalle konzipierten Museum of Victoria zusammen mit dem Auftrag übernehmen. Dieses exzentrische Betongebilde wussten sie in ihr Projekt zu integrieren, indem sie den Gesamtentwurf auf nur drei Elemente - das aus dem Museumsskelett geformte Eingangsfoyer, einen 450 m langen, linear angelegten und dennoch räumlich vielschichtigen Erschliessungskorridor sowie eine gut 30 000 m² grosse Halle - reduzierten und so eine gleichermassen abstrakte wie zeichenhafte, mitunter auf Rem Koolhaas verweisende Ausstellungsmaschine von erstaunlicher Leichtigkeit schufen.

Diese Halle, ein fensterloser und stützenfreier Raum von 360 m Länge, 84 m Breite und 12 m Höhe, den sie zusammen mit Ove Arup Engineers realisierten, kann bei Bedarf dank einer bestechend einfachen Konzeption im Abstand von jeweils 18 m entlang den grau verkleideten Stahlträgern der Dachkonstruktion schalldicht in unterschiedlich grosse, mit aller nötigen Infrastruktur versehene Hallen unterteilt werden. Die der nüchternen Ästhetik eines Richard Artschwager verpflichtete Black Box ist gleichsam die Antithese zu den gläsernen Ausstellungsbauten des 19. Jahrhunderts, an die nur noch die zum Park und Fluss hin transparente Erschliessungshalle erinnert. Sie bildet, ausgehend von der Tradition des australischen Landhauses, eine Veranda, die aussen von einem Wald schmächtiger, aus ästhetischen und aerodynamischen Gründen schräg gestellter Stahlpfeiler getragen wird. Dieser mit seiner Sitztreppe zum Verweilen einladende Aussenraum versteht sich als Gegenpol zur stark industriell geprägten, der Anlieferung dienenden Gebäuderückseite.

Durch die schlanken Säulen, die das stromlinienförmig gewölbte, fast unwirklich dünne Dach weniger zu tragen als vielmehr am Boden festzuzurren scheinen, entsteht jener schwebende Eindruck, der dieser Megastruktur etwas Irritierendes verleiht. Dies wird dadurch noch verstärkt, dass nirgendwo am Gebäude die tektonischen und strukturellen Zusammenhänge offen dargelegt werden. Das Spiel mit ebenen Elementen und feinen Oberflächenhäuten entfaltet seine suggestivste Wirkung in dem als dreidimensionale Collage inszenierten Erschliessungskorridor, aber auch im Foyer, wo es die Knochendes Vorgängerbaus unter einem von Francis Bacon inspirierten Farbakkord raffiniert verbirgt.

In diesen neokonstruktivistischen Raumgefügen erzeugen die für das Schaffen von DCM so charakteristischen Spannungen zwischen einfach und unterkühlt einerseits und komplex und expressiv anderseits starke künstlerische Momente. Diese Gegensätzlichkeiten scheinen wieder auf in dem mit seinen beiden Flügeln von DCM ebenfalls als aeronautische Architektur geplanten Museum of Victoria, dessen 200 Millionen Franken teurer Neubau in drei Jahren in den Carlton Gardens hinter dem Royal Exhibition Building eingeweiht werden soll. Ganz abheben dürften die «Vertical Invadors» aber erst mit dem 680 Meter hohen, obeliskförmigen Grollo-Tower, immer vorausgesetzt, dass dieser höchste Büroturm der Welt dereinst wirklich in Melbourne gebaut wird.

teilen auf

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Victorian Department