Bauwerk

Kunsthalle Graz
Wolfgang Tschapeller, Friedrich W. Schöffauer - Graz (A)
Kunsthalle Graz, Foto: Langhans
Kunsthalle Graz, Foto: Friedrich W. Schöffauer

Am Ende der wilden Jahre

Mit dem Versuch, eine Kunsthalle nach ihrem Geschmack durchzudrücken, setzen steiermärkische Landespolitiker das internationale Ansehen des Landes als Standort hochwertiger Architektur aufs Spiel. Eine Intervention.

22. März 1997 - Christian Kühn
Erst Salzburg, dann Linz und jetzt Graz: Kultur in den Berg zu bauen ist offensichtlich in Mode. In Salzburg hätte es das Guggenheim-Museum werden sollen, in Linz der Neubau eines Landestheaters im Schloßberg. Da darf Graz nicht zurückstehen: Direkt unter dem Uhrturm soll eine Kunsthalle als Erweiterung der Neuen Galerie in den Fels gesprengt werden.

Der Standort mag zwar für all jene Kunstliebhaber seinen Reiz haben, die im Museum die Schätze der abendländischen Kultur sicher geborgen sehen wollen. Ausstellungstechnisch ist er insofern weniger ideal, als Berge im allgemeinen keine Fenster haben. Das läßt sich freilich ändern.

Der Architekt Klaus Gartler, auf den der Plan zurückgeht, hinter dem Palais Herberstein den Fels auszuhöhlen und die Öffnung mit einer geneigten Glasfläche abzudecken, rühmt die „unique selling proposition“ dieser Idee, also die einzigartige Anziehungskraft, die Graz durch diese Maßnahme auf dem Tourismusmarkt entwickeln könnte: „Die Architektur des Schloßbergfensters als vorgestellte Fassade läßt eine diesem stadthistorisch bedeutsamen Ort adäquate einzigartige städtebauliche Lösung im Sinne des vielzitierten USP erwarten.“

Das klingt vielversprechend. Trotzdem fragt sich der Beobachter, ob es in Graz nicht andere geeignete Standorte für das Projekt „Kunsthalle“ gibt. Klaus Gartler hat im Auftrag der Stadt Graz eine Standortuntersuchung durchgeführt, und sein Schloßbergfenster ist nur eine der in dieser Studie genannten Möglichkeiten. Als gleichwertig bezeichnet Gartler den Pfauengarten, ein langgestrecktes Grundstück, das auf dem Niveau der alten Befestigungsmauern direkt an den Stadtpark angrenzt. Eine Kunsthalle an dieser Stelle käme an der Verbindung zwischen dem Stadtpark und dem dicht bebauten alten Stadtkern zu liegen und würde sich mit dem Schauspielhaus, dem Künstlerhaus und dem Forum Stadtpark zu einer schlüssigen urbanen Struktur ergänzen.

Ein einziges Argument spricht gegen diesen Standort: daß nämlich hier bereits eine Kunsthalle geplant war. 1988 wurde dafür ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die Architekten Schöffauer und Tschapeller für sich entscheiden konnten. Als für das Projekt 1995 endlich alle baurechtlichen Bewilligungen vorlagen, geriet es in die Pattstellung, von der die steiermärkische Politik seit dem Verlust der absoluten Mehrheit der ÖVP im Jahr 1991 geprägt ist. Hatte die SPÖ ursprünglich dem Projekt zugestimmt, verlegte sie sich jetzt aufs Blockieren: Die bereits gesicherte Finanzierung wurde eingefroren.

Als nach der Wahlniederlage 1995 das Kulturressort an die SPÖ überging, sah der neue Landesrat für Kultur, Peter Schachner-Blazizek, die Chance, mit einem neuen Projekt eigenständiges Profil zu zeigen.

Der neue Standort ist freilich nicht ohne Tücken: Jener Teil des Schloßbergs, unter dem das Museum errichtet werden soll, wurde erst vor zehn Jahren als „geschützter Landschaftsteil“ gewidmet; die ersten Proteste von Umweltschützern gegen Veränderungen an der Oberfläche haben bereits eingesetzt. Ähnliche Argumente werden aus der Sicht des Ensembleschutzes vorgebracht, gilt doch die Dachlandschaft in diesem ältesten Teil der Stadt als besonders schützenswert. Von einem großzügigen Schloßbergfenster ist schon längst keine Rede mehr.

Auch wirtschaftlich ist die Entscheidung für den neuen Standort fragwürdig. Zwar soll das Museum im Schloßberg annähernd gleich viel kosten wie das Trigon; während dort aber über 4400 Quadratmeter Nutzfläche geplant waren, sind es im Schloßberg nur 2500. Eine Untersuchung über die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts liegt jedenfalls bis heute nicht vor.

Nun würde man es einem Privatmann nicht verübeln, wenn er seine Meinung ändert und beschließt, sein Geld eben an einem anderen Ort zu verbauen. In diesem Fall liegt die Sache aber anders: Immerhin geht es um öffentliche Mittel, zu denen auch noch die verlorenen Planungskosten für das Trigon kommen, und die betragen bereits über 16 Millionen Schilling.

Für diesen Betrag liegt ein praktisch baureifes Projekt höchster architektonischer Qualität vor, das über mehrere Jahre konzeptionell verfeinert wurde, ohne an künstlerischer Substanz eingebüßt zu haben, was im übrigen auch in Gartlers Studie dezidiert festgehalten wird.

Dort findet sich auch eine weitere Anmerkung: Falls die neue Kunsthalle bereits für die Landesausstellung im Jahr 2000 genutzt werden soll, „ist das Projekt im Pfauengarten das einzig machbare“. Der Beschluß der Landesregierung vom 25. September 1996, alle Planungen am Trigon-Museum zugunsten des Schloßbergs einzustellen, ist zwar mit Hinweis auf Gartlers Studie begründet; trotzdem wird ausdrücklich festgelegt, daß die neue Kunsthalle im Jahr 2000 fertiggestellt sein muß.

Was das bedeutet, kann man bereits jetzt, in der ersten Phase der Projektabwicklung, beobachten. Die Ausschreibung des Wettbewerbs geriet zum Chaos: Von neun Jurymitgliedern waren bei einer konstituierenden Sitzung gerade drei - Gustav Peichl, Vittorio Magnago Lampugnani und Georges Calteux - fixiert, und die konnten mangels brauchbarer Unterlagen nichts anderes empfehlen, als den Abgabetermin in den Herbst zu verschieben. Ob überhaupt qualifizierte Architekten teilnehmen werden, ist trotz eines hohen Preisgeldes von zusammen drei Millionen Schilling fraglich: Denn parallel zum Architektenwettbewerb hat das Land Steiermark schon jetzt nicht nur die Statik und die Haustechnikplanung ausgeschrieben, sondern auch die Ausführungs- und die Detailplanung. Wer immer aus dem Architektenwettbewerb als Sieger hervorgeht, wird zwar den Entwurf liefern dürfen, die Detailplanung aber nicht mehr selbst durchführen können.

In welche Richtung der Auslober damit das Projekt treiben will, liegt auf der Hand. „Bewährte, gängige technische Lösungen sind Experimenten vorzuziehen“, heißt es lapidar in einer Machbarkeitsstudie der Landesregierung. Daß dieses Prinzip nicht nur im Detail zur Anwendung kommt, dafür soll die Präsenz Vittorio Magnago Lampugnanis in der Jury sorgen.

Lampugnani hat sich in Berlin einen Namen gemacht als Proponent einer klassischen Formensprache, einer Architektur, die mit dem sorgfältigen Aneinanderfügen zweier Ziegelsteine beginnt, wie das Mies van der Rohe einmal formuliert hat. Auch von einem Museum hat Lampugnani klare Vorstellungen: „Bietet es nichts als schlichte rechteckige Räume mit vier weißen Wänden und ein Oberlicht, und dies in einem klaren Rundgang, dann stellt es alle zufrieden.“

Das paßt gut ins Bild der neuen steiermärkischen Architekturpolitik: Nach den wilden Jahren, in denen es schon als Kunst gegolten hat, zwei Stahlträger schräg aneinanderzuschweißen, soll wieder die Vernunft einkehren. Aber ist diese simple Polarisierung zwischen dekonstruktivistisch schräg und wertkonservativ aufrecht wirklich stichhaltig? Die Domenigs, Kadas und Plotteggs, die jetzt aus allen öffentlichen Aufträgen ferngehalten werden sollen, sind alles andere als eine homogene Gruppe und lassen sich schon gar nicht auf jenen Stil reduzieren, mit dem ihre Epigonen die Grazer Schule in Verruf gebracht haben. Den Schritt vom Experiment zur souveränen Beherrschung ihrer Mittel haben die besten steirischen Architekten auch ohne Zutun der Politik schon längst vollzogen.

Das Trigon-Museum hat in dieser spezifisch grazerischen Polarisierung schon gar nichts verloren. Denn das Projekt von Tschapeller und Schöffauer ist so ganz und gar nicht „dekonstruktiv“: Seine Qualitäten liegen in der präzisen städtebaulichen Einfügung, in der poetischen Interpretation des Orts, in der außergewöhnlichen skulpturalen und räumlichen Durchbildung.

Welche Räume die Kunst des 21. Jahrhunderts tatsächlich braucht, weiß heute natürlich niemand: vielleicht neutrale, vielleicht dramatische, vielleicht gar keine. Im Zweifelsfall sollte man sich aber gegen die Touristenattraktion entscheiden und für die Architektur.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at