Bauwerk

MFO Park
Burckhardt+Partner AG - Zürich (CH) - 2002

Grüner Pelz auf Stahlskelett

«Ich kann mir vorstellen, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem der Umgang mit Natur und das Einbeziehen von Landschaft in die Urbanisation unumgänglich geworden sind. Jeder Eingriff durch Architektur bedingt immer auch eine Arbeit mit der Natur: Zerstörung und Reparatur. Es wird eine explosionsartige Zunahme von Landschafts- und Gartenarchitektur geben.» Dies prophezeite der Basler Architekt Jacques Herzog vor wenigen Jahren.

1. März 2003 - Udo Weilacher
Viele Baumeister suchen seither unter Stichwörtern wie «Verlandschaftlichung», «Inversion», «Dekontextualisierung» oder «Hybridisierung» nach gelungenen Symbiosen zwischen Landschaft und Stadt, Garten und Haus, Pflanze und Bauwerk - mit oder ohne landschaftsarchitektonische Beihilfe.

Ein solcher Versuch, im Herzen des neu entstehenden Stadtteils Zürich Nord ein hybrides Bauwerk aus Natur und Architektur zu schaffen, ist die riesige, 100 Meter lange, 34 Meter breite und 17 Meter hohe «grüne Oper» in Zürich Oerlikon; sie wurde kürzlich vom Zürcher Architekturbüro Burckhardt + Partner in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten Raderschall realisiert.

Bei der Ausschreibung des Wettbewerbes 1997 ging es dem zuständigen Amt «Grün Stadt Zürich» eigentlich um landschaftsgestalterische Ideen für den MFO-Park, benannt nach der Maschinenfabrik Oerlikon. Als einer von vier neuen Quartierparks sollte er im ehemals industriell genutzten und zukünftig dicht bebauten Wohn- und Arbeitsquartier nutzbare Freifläche und Erholungsraum schaffen.

Die verantwortlichen Architekten bei Burckhardt + Partner, Heinz Moser und Roger Nussbaumer, waren aber aus städtebaulichen Überlegungen der Ansicht, dass es an dieser Stelle keiner grünen Freifläche bedurfte, sondern eines baulichen Volumens, das die Urbanität des Ortes intensivieren sollte. Die Konzeption eines Park-Hauses als «grösste Gartenlaube der Welt», wie es im Informationsblatt der Architekten heisst, drängte sich als Ausweg aus diesem Dilemma auf.

Während die Landschaftsarchitekten des nahe gelegenen Oerliker Parks absichtlich kein fertiges Grünobjekt herstellten und darauf vertrauen, dass in einem jahrelangen, natürlichen Prozess aus dichtgepflanzten Baumfeldern dereinst ein eindrucksvolles, lebendiges Baumvolumen als grüne Halle entstehen wird, ähnlich dem berühmten Jardin du Luxembourg in Paris, griffen Burckhardt + Partner zu probaten architektonischen Mitteln, um schneller ihr gewünschtes Ziel zu erreichen. Sie placierten auf der Freifläche mit ausgefeilter Technologie aus 290 000 Kilogramm Stahl, 32 Kilometern Stahlseilen und Litzen sowie 870 Quadratmetern Holz- und Gitterrosten ein mächtiges, raumhaltiges Gittergerüst, das offenbar nicht wirklich für eine leicht geneigte Fläche konzipiert wurde und deshalb wie ein Möbelstück auf eine artifiziell erhöhte Bodenplatte gestellt wurde.

Das Stahlskelett ist bereits seit seiner Einweihung im vergangenen Sommer begehbar, soll nebenbei an die verloren gegangene industrielle Identität des Quartiers erinnern und bietet wie ein überdimensionales Klettergerüst verblüffende Raumerlebnisse.

Vor allem nachts, wenn der transparente Innenraum von Neonleuchten und hellen Strahlern in fahlgrünes Licht getaucht wird, kommt der kulissenartige, an Lagerhallen erinnernde Charakter des Bauwerks zum Tragen. Der Eindruck eines Bühnenraums wird verstärkt durch die balkonartig in die Halle ragenden Aussichtsplattformen, vor allem aber durch ein rechteckiges, leicht abgesenktes und mit grünem Glassplitt ausgelegtes Feld im hinteren Teil der Halle. Mit dem dekorativ aufgestellten Sitzmobiliar im Stil hölzerner Loungechairs und einem kleinen kreisrunden Wassertrog wirkt dieses Feld im grellen Licht der Strahler wie die absurde, sinnentleerte Hotellobby aus einem Bühnenstück von Samuel Beckett.

Aus 17 Metern Höhe schaut man vom holzbeplankten Aussichtsdeck auf dem Dach der «grünen Oper» mit gewissem Schaudern tief hinunter in die grüne Lobby und wartet darauf, dass die ersten Besucher unwissentlich zu Darstellern im skurrilen Bühnenbild werden und sich in Szene setzen.

Die Zuschauer geniessen indes am exponierten Ort auf dem Dach der Halle den Eindruck, sie befänden sich an Deck eines Containerschiffes, das in der Stadt gestrandet ist, und suchen nach markanten Orientierungspunkten in der näheren Umgebung. Schon jetzt zählt das Holzdeck in luftiger Höhe zu den beliebtesten Treffpunkten der Jugendlichen aus der Umgebung, und manchen fasziniert das kribbelige Gefühl beim Blick durch die lichten Gitterroste in die Tiefe, während andere sich angesichts der leicht zugänglichen Stahlkonstruktion schon erste Mutproben ausdenken.

Und die Natur? Abgesehen von einem guten Dutzend schmaler Hecken, die am Boden den Innen- mit dem Aussenraum verbinden, sollen 1200 Rank- und Kletterpflanzen in 100 verschiedenen Arten im Lauf der kommenden Jahre an der mit Stahlseilen bespannten äusseren Fassade der «grünen Oper» haushoch wuchern und das riesige, auf kleinen Füsschen stehende Bauwerk mit einem dichten grünen Pelz überziehen.

Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem und eine Batterie von Pflanztrögen in der obersten Etage des Stahlgerüstes müssen sicherstellen, dass die Natur, angesichts der anspruchsvollen Vision der Erfinder und der harten Standortfaktoren, in luftiger Höhe nicht einfach ihren Geist aufgibt und der grüne Tarnanzug am Ende nicht womöglich löchrig wird: «Unsere grüne Oper ist aus Stahl und blühenden Pflanzen leicht gefügt. Sie ist zu jeder Stunde lebendig und passt sich Aussenwelt, Natur und Witterung jederzeit an», versprechen die Architekten; sie stellen sich vor, dass die riesige Stellage mit vielfältigen Events bespielt wird.

Der Mut und die Experimentierfreudigkeit der Stadt Zürich auf der Suche nach zeitgemässen Ausdrucksformen in der Landschaftsarchitektur waren in den letzten Jahren beeindruckend und sind in Zukunft notwendig; denn ausdrucksvolle urbane Freiräume - bevorzugt unverbaut und unverstellt - zählen zu den Luxusgütern der Städte von morgen.

Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen, denn erst wenn ein Verwaltungsgebäude am südlichen, offenen Ende der Halle einmal abgerissen ist, kann mit dem Bau eines begrünten, 17 Meter hohen Stangenwaldes fortgefahren werden.
Noch formt die gelbliche Ziegelfassade des alten Verwaltungsbaus die eine fehlende Innenwand der Oper und wirkt wie die konsequente, geradezu irritierend authentische Fortführung der ausgedehnten, ebenfalls gelblichen Bodenfläche aus wassergebundenem Kalkmergel im Inneren der Halle.

Doch bald wird auch dieser Bau fallen, und man darf gespannt sein, welches neue, an das Alte erinnernde Industriedenkmal - begrünt oder unbegrünt - an seiner Stelle entstehen wird.

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