Bauwerk

Haus Neiling
Peter Grundmann - Hoppenrade (D) - 2005
Haus Neiling, Foto: Peter Grundmann
Haus Neiling, Foto: Peter Grundmann
15. Juni 2006 - Peter Grundmann
Das Haus Neiling in Hoppenrade bei Berlin erscheint auf den ersten Blick als willkürliche Zusammenstellung widerstrebender Teile. Geplant für zwei Personen, der Bauherrin und deren Bruder, sollte es zugleich maximale Distanz und Eigenständigkeit der Bewohner und eine enge Verbindung im Alltag ermöglichen. Hinsichtlich der Gestaltung bot die Umgebung kaum räumliche Anhaltspunkte. Ausgangspunkt für den Entwurf wurde schließlich eine bewusste Überinterpretation des inneren Kontexts; entworfen wurde dementsprechend nicht nur ein Haus, sondern drei, die unterschiedliche Raumkonzepte und Wohnatmosphären umsetzen.

Während Haus 1 und 2 durch die privaten Wohnbereiche der beiden Bewohner bestimmt und den Bauvorschriften entsprechend orthogonal zur benachbarten Bebauung und zur Straße orientiert sind, beherbergt Haus 3, das frei modelliert und räumlich eher als Weg gestaltet wurde, den gemeinsamen Wohn- und Essbereich sowie den Bewegungsraum. Lang gestreckt legt er sich über das Grundstück, berührt möglichst viel Boden, weicht den Bäumen aus, dreht sich, rundum verglast, zur Sonne und bildet geschützte Außenbereiche. Dieser mäandrierende, transparente Raum integriert die umgebende Natur wie selbstverständlich in das Wohnkonzept und schafft eine subtile, beiläufige Atmosphäre des Alltags, die gleichzeitig mit einem Vexierspiel aus Transparenzen, Innen-/Außenbezügen verunsichert. Drei eingestellte Betonkuben gliedern den Raum, wobei Küche und Essbereich die Mitte definieren, während sich an den Enden die beiden Wohnräume der Bewohner befinden.

Im Gegensatz dazu besitzt Haus 2, der Schlaf- und Arbeitsbereich der Bauherrin, einen schwebenden Charakter. Der als Fachwerk ausgebildete Baukörper ist um ein Geschoss angehoben und auf zwei gespreizten Stützen sowie einem Rumpf aus Beton aufgelagert. Das Fachwerk ist mit transluzenten weißen PVC-Platten verkleidet, hinter denen eine rote Unterspannbahn die Fassade mal mehr, mal weniger rosa erscheinen lässt. Seine Leichtigkeit gewinnt dieser Bauabschnitt durch ein raffiniertes Spiel mit der Tiefe der Oberfläche, deren Charakter sich je nach der Lichtsituation im Tages- und Jahresverlauf verändert. An der Südseite durchbricht die vorkragende, raumhoch mit weißmattiertem Glas verkleidete Badewanne die Kontinuität der Wand, während im Norden die farbig gefüllte Kleiderkammer durchscheint.

Als Kontrast dazu ist Haus 1, der Schlaf- und Sanitärbereich des Bruders, massiv aus Stein. Die introvertierte Atmosphäre gewinnt der Bau aus der Materialauswahl und der Abgeschlossenheit nach außen: Er ist nur zum Wohnraum hin geöffnet und besitzt ansonsten keine direkten transparenten Öffnung zur Umgebung. Das Schlafzimmer und die anderen Räume sind durch raumhohe Milchglaswände vor Einblicken geschützt.

Da die drei Baukörper unabhängig voneinander geformt und erst anschließend zu einer Anlage gefügt wurden, ergaben sich ästhetische Situationen, deren Wirkung wie beiläufig entsteht und nicht vollständig vorbestimmt ist, wodurch sich ein breiter Interpretationsspielraum öffnet. Mit diesem Montageprinzip wurde eine zu enge Intention des Architekten ebenso wie eine vereinfachende Lesweise des Betrachters ausgeschlossen. Der massive geschlossene Baukörper, der schwebende Bügel und der weit ausladende transparente „Weg“ formulieren jeweils ein eigenes Wohn- und Raumkonzept mit spezifischen Atmosphären, die den Alltag ihrer Bewohner widerspiegeln.

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Für den Beitrag verantwortlich: ARCH+

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Birgit Neiling

Tragwerksplanung