Bauwerk

Tomihiro Art Museum
aat+ Makoto Yokomizo - Gunma (J) - 2005
Tomihiro Art Museum, Foto: Christian Richters
Tomihiro Art Museum, Foto: Christian Richters

Zylinderpaket

17. November 2006 - Jan Dominik Geipel
Vier Zugstunden nordwestlich von Tokio entfernt entfalten sich die dramatischen Schluchten von Gunma. Imposante, jahrhundertealte Zypressen und dichter Bambus mischen sich vor steilen, weitgehend unbebauten Bergstaffelungen. Besonders im Herbst bildet die Gegend, farblich akzentuiert durch feuerroten Ahorn, ein üppiges Repertoire an Bildmotiven. In diese Landschaft hinein wurde 1946 der Künstler Hoshino Tomihiro geboren. Früh zeigt sich ein künstlerisches Auge für die umliegende Landschaft, bereits aus der Hand des Neunjährigen entstehen Bilder von erstaunlicher Reife. Sein Hauptinteresse jedoch gilt dem Sport, nach dem Schulabschluss wird er Turnlehrer. Ein Unterrichtsunfall bringt ihn zurück zur Kunst. Vom Hals an abwärts gelähmt, lernt er während eines neunjährigen Hospitalaufenthalts den Pinsel allein mit den Lippen zu führen.
Tomihiro genießt heute in Japan immense Popularität. Semi-naturalistische Impressionen verwebt er harmonisch mit kurzen Begleitversen, hinter deren naiver Poesie beiläufig philosophische Reflexionen aufblitzen. Eine leicht zugängliche Kombination und besonders als Postkarte ein Bestseller. Im Jahr 1991 wurde in Tomihiros Heimatstadt Azuma in einem umgebauten Altersheim ein Museum für seine Werke eröffnet. Als dieses den immensen Besucherströmen nicht mehr gewachsen war, entschied man sich 2002 für seinen Abriss und einen Neubau an gleicher Stelle.
Der Entwurf des jungen Tokioter Architekten Makoto Yokomizo ging als Sieger aus einem offenen internationalen Wett­bewerb mit über 1200 Architekten aus 53 Ländern hervor. Den Juryvorsitz hatte Toyo Ito inne, bei dem Yokomizo bis zur eigenen Bürogründung angestellt und dort vor allem an der Media­thek von Sendai maßgeblich beteiligt war (Heft 13/2001).

Die formale Konzeption des Museums ist verblüffend einfach und stringent: Durch Addition kreisförmiger Räume wird der Grundriss zusammengesetzt, der zu einem präzisen Quadrat von 50 mal 50 Meter Kantenlänge zugeschnitten ist. Die Zweit- und Drittplatzierten des Wettbewerbs, ebenfalls aus Japan, wählten weniger abstrakte Ansätze und instrumentalisier­ten das über vierzig Meter steil zu einem Stausee abfallende Gelände, um den Museumsbesuchern den Wechsel von realer Natur und künstlerischer Interpretation zu veranschaulichen.

Yokomizo leitet die Variation der Kreisdurchmesser pragmatisch und programmatisch aus der jedem Raum zugrunde liegenden Funktion ab. Die kreisförmigen Volumina selbst sind aus neun Millimeter dicken Stahlplatten mit schmalen, stabilisierenden Spanten ausgeführt. Mit Ausnahme des halbrunden Eingangsbereichs und einer Handvoll kleiner bogenförmiger Fassadeneinschnitte verrät die vertikale Außenhülle kaum etwas von dem darin verborgenen Organismus.
Die Dachaufsicht jedoch wird zur wichtigen fünften Fassade. Sie zeigt das abwechslungsreiche Spiel mit den zirkelförmigen Zellen in seiner Vollständigkeit und liest sich wie ein mikroskopisch vergrößerter Ausschnitt der natürlichen Umgebung. Jeder Zylinder ist in einem anderen Grauton gedeckt. Die Dachflächen sind als vorgespannte selbsttragende Stahlkappen aufgesetzt, wodurch man ohne weitere Stützen im Innenbereich auskommt.

Die Eingangslobby, als Verteiler zu allen anderen Bereichen, empfängt den Besucher in gleißendem Neonlicht mit großformatigen, direkt auf die Wandrundung applizierten Artefakten. Eine Mischung aus zittrigen Zeichenfolgen und suchenden, im Vergleich zu den sonstigen Exponaten seltsam abstrakten, oft sarkastischen Skizzen transportiert Tomihiros geistigen Kraftakt aus der körperlichen Behinderung auf die geblendete Netzhaut des Betrachters. Die eigentliche Ausstellung nimmt anschließend weniger als ein Viertel der Gesamtfläche ein und erstreckt sich über acht Zylinder, wobei die geometrischen Berührungspunkte als raumverbindende Öffnungen dienen. Durch die vielfältigen Erschließungen ohne ab­soluten Wegeverlauf entsteht mit minimalem Aufwand eine ungewohnte Komplexität an Raumbezügen. Bei gleicher Raumhöhe und unterschiedlicher Diameter entsteht ein reizvolles Wechselspiel zwischen Enge und Weite. Das Verhältnis zwischen Raum und Bild scheint indessen in den kleineren Räumen am gelungensten. Die dreischenkligen Restflächen zwischen den Zylindern bleiben weitestgehend unbespielt. Vereinzelte, in Kniehöhe eingelassene Glaslinsen erlauben einen periskopischen Ausblick in die bepflanzten Zwischenbereiche.

Fußböden und Deckenuntersichten sind geringfügig dunkler gehalten und rahmen damit die helleren, beleuchteten Wandflächen zu einem fortlaufenden Kontinuum, das durch die bleistiftdünnen Laibungen der Raumverbindungen visuell kaum unterbrochen wird. Von den zentral platzierten Sitzarrangements lassen sich die Bildfolgen wie eine Banderole betrachten, die in den angrenzenden Räumen mäanderförmig fortzulaufen scheint. Auch wenn sich beim Gang durch die Ausstellung gelegentlich die Übersicht verliert, die Qualität des fließenden Raumes durch zeitgleichen Einblick in unterschiedliche Räume und Abläufe fasziniert.

Die Lounge mit ihren sparsam aufgestellten Fauteuils ist – wie das Café – einer der wenigen Publikumsräume mit direktem Außenbezug. Ihr mit Spiegelflächen verkleidetes Halbrund hüllt den Besucher in ein abstrahiertes Vexierbild der spektakulären Außenkulisse. Warum der von der Ausrichtung des Gebäudes wohl attraktivste Bereich nach Süd-Osten mit Blick auf die eindrucksvolle Bergkulisse den Technikräumen vorbehalten ist, bleibt unverständlich. Auch scheint das von außen mit rosafarbenem Marmor kaschierte Zwangskonstrukt des Halbkreises denkbar schlecht geeignet für die Unterbringung der Haustechnik; das Gleiche gilt für das in einer anderen Ecke des Museums untergebrachte Bildarchiv. An den gut besuchten Wochenenden, wenn im steten Zufluss Busse aus den Täler quellen, erweist sich die runde Form gelegentlich als wah­rer Schalltrichter, der den akustischen Grundpegel auf un­angenehme Stärke anhebt. Die Ausstellungsräume selbst oszillieren in antiquierten Pastelltönen und korrespondieren damit weder mit Tomihiros leuchtender Farbskala noch mit der formalen Hülle der Räume.

Ungeachtet dieser Schwächen bietet das Museum als Gesamtkonzept einen Gegenentwurf zur klassischen Konzeption sequentieller Raumfolgen. Man darf anzweifeln, ob die Museumsdirektion die von herkömmlichen Raumhierarchien befreite Konzeption und das darin schlummernde Potential wirklich begriffen hat. Bei der Besichtigung jedenfalls waren die vom Wettbewerbsentwurf übrig gebliebenen, frei wählbaren Raumverknüpfungen für den Besucher unterbunden. Der wird nunmehr – ganz im Sinne der in Japan allgegenwärtigen Tendenz zur Überreglementierung – auf einer strikt vorgegebenen Bahn geleitet. Versuche, daraus auszubrechen und auf den Pfaden der ursprünglichen Konzeption zu wandeln, werden vom Museumspersonal freundlich, aber nachdrücklich mit Verbotshinweisen beschieden. Formal zeigt sich Japan experimentierfreudig, konzeptionell scheinen die tradierten gesellschaftlichen Zwänge und Vorstellungen jedoch schwer überwindbar. Insofern sagt dieses Museum einiges aus über die gesellschaftliche Befindlichkeit des modernen Japans.

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