Bauwerk
Wiederaufbau SAFFA-Haus
Beate Schnitter - Stäfa (CH)
Und sie retteten ein Haus
Muss die Erhaltung wertvoller Bausubstanz nur Sache des Staates sein? Was ein privater Verein hier leisten kann, zeigt eine kleine Erfolgsgeschichte aus der Schweiz.
6. Januar 2007 - Walter Zschokke
Vergangenes Jahr wurde in Stäfa am Zürichsee ein Haus eingeweiht, das 1928 einige Wochen als mittelständisches Fertighaus in Bern zu sehen war und danach 70 Jahre in Aarau als Wohnhaus diente. Vom Abbruch bedroht, wurde es 2003 demontiert und wird heute, wieder hergestellt, am neuen Standort als Eltern-Kind-Zentrum genutzt. Es handelt sich um das „Saffa-Haus“, entworfen von Lux Guyer (1894 bis 1955), der ersten selbständigen Architektin der Schweiz, damals Chefarchitektin der „Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit“, Saffa 1928.
Die Gründe, sich ein weiteres Mal mit dem Haus und seiner Fortsetzungsgeschichte zu befassen, sind mehrere: Da ist zuerst die zivilgesellschaftliche Initiative zur Rettung und Neuaufstellung; dann die bis heute prinzipiell wegweisende Holzkonstruktion aus großen, vorgefertigten Tafelelementen; weiters die in der Architekturgeschichtsschreibung bisher gering geschätzte Fortführung der vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Reformbewegungen und deren Verknüpfung mit Elementen der Avantgarde der 1920er-Jahre, aber ohne die fatale Neigung ihrer radikalen Vertreter, jeweils das Kind mit dem Bad auszuschütten. Eine gewichtige gesellschaftliche Strömung, die vom Weltkrieg und seinen dekultivierenden Begleiterscheinungen nicht verschüttet oder radikalisiert worden war, ist die Bewegung für Frauenrechte, die in der Schweiz das Stimmrecht einforderte und mit der „Saffa“ zu befördern hoffte. Dessen Gewährung auf Bundesebene, 1971, war mehr als spät. Lux Guyer hat in ihren Hausentwürfen einer eigenständigen Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft wesentliche Überlegungen gewidmet und gestalterisch umgesetzt, wie Dorothee Huber in ihrem grundlegenden Beitrag im kürzlich erschienenen Buch über die „drei Leben des Saffa-Hauses“ ausführt.
Nachdem die Erstbesitzerin 1986 hochbetagt verstorben war, diente das in öffentlichen Besitz gelangte Haus sozialen Zwecken. Das gewerblich und von Verkehrsträgern bestimmte Umfeld bedrängte das isolierte Wohnhaus. Der Aarauer Baudirektor wusste um den Wert des Hauses und bemühte sich um dessen Erhaltung. 1999 erfolgte ein Abbruchbescheid, der aber immer wieder ausgesetzt wurde. Als nichts weiterging, wandte er sich an eine Nichte Lux Guyers, die Zürcher Architektin Beate Schnitter. Umgehend setzte sich diese mit drei Kolleginnen zusammen, denen Guyers Werke vertraut waren.
Dass ein geschichtsträchtiges Haus gerettet werden müsste, darüber kann man am Wohnzimmertisch leicht Reden führen; etwas anderes ist es, die Idee umzusetzen. Die vier Architektinnen fackelten nicht lange, gründeten im Jänner 2002 einen Verein, der unter der engagierten Führung von Rita Schiess nach wenigen Monaten auf über hundert Mitglieder anwuchs. Insbesondere bezweckte er „die Sicherstellung der historischen Bausubstanz, eines geeigneten Grundstücks, der Finanzierung und der Realisierung des Wiederaufbaus, des Fortbestehens sowie der Unterschutzstellung des Saffa-Hauses“. Der Verein traf die Abklärungen für ein Nutzungskonzept, über die zu erwartenden Kosten und suchte nach Interessenten für das Haus, die über ein passendes Grundstück verfügten. Neben anderen war es die Gemeinde Stäfa, die das Haus einfach haben wollte. Noch während der Sommerferien wurden die nötigen Beschlüsse der Gemeindegremien gefasst und ein Grundstück in zentraler Lage bereitgestellt. Die vorgesehene öffentliche Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum (Tagesmütterverein, Kinderhütedienst, Krabbelgruppe, Elternberatung et cetera) überzeugte, und Stäfa erhielt den Zuspruch. Im September wurde der Vertrag unterzeichnet.
Am intensivsten beschäftigte den Verein die Finanzierung. Der Hauptteil der benötigten circa 900.000 Euro war bis Ende 2005 beisammen. Zehn Prozent stammten vom Verein selbst, fast ebenso viel von Privaten, knapp ein Fünftel von Organisationen und Stiftungen, etwas über die Hälfte brachten Gemeinden, Kanton(e) und der Bund auf, die verbleibenden sieben Prozent stammten von Unternehmen. Obwohl das Ansinnen allseits begrüßt wurde, gab es knifflige Probleme zu lösen: Versuchen Sie einmal, im wahrscheinlich föderalistischsten Land der Erde ein demontiertes, als bewegliche Sache deklariertes, im Kanton Aargau eingelagertes Holzhaus im Kanton Zürich unter Denkmalschutz zu stellen, für einen offiziellen Beitrag jedoch Bedingung. Allseits guter Wille und gradlinige Beschlussfassungen erlaubten ab Juni 2005 den Wiederaufbau.
Was sich schon beim Abbau gezeigt hatte, bewies die neuerliche Montage: Das damals pionierhafte Vorfertigungssystem der Holzbau AG Lungern aus tafelartigen Großelementen ließ sich nach den Passmarken der Erstaufstellung wieder exakt zusammenbauen.
Die Nachhaltigkeit ist nicht bloß eine materielle, sondern ebenso eine ideelle. Ausgehend von einem der Architektin aus eigener Erfahrung vertrauten, von den Aufbruchstendenzen nach 1900 aktualisierten britischen Wohnstil, setzt sich das kompakte und doch gegliederte Haus aus mehreren Raumgruppen zusammen, die sowohl in sich, als auch untereinander starke räumliche Qualitäten und Beziehungen aufweisen, die dem vielfältigen Leben einer unbekannten Bewohnerschaft zugedacht waren. Dorothee Huber zählt im ganzen Haus nicht weniger als sechs individuelle Arbeitsplätze - ohne die temporären in der Küche. Damit drückt sich im Grundriss eine gesellschaftliche Gleichwertigkeit der einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner aus, ob erwachsen, oder noch in Entwicklung. Diese Botschaft ist um vieles aktueller, als die auf Taylor und Ford zurückführbare, gleichschalterische Durchfunktionalisierung der Wohnungen, die in den 1960er-Jahren als Bauwirtschaftsfunktionalismus einen unrühmlichen Höhepunkt erlebte. Das differenzierte Raumangebot wäre ebenso für eine Patchwork-Familie geeignet, so wie es ohne architektonische Einbußen als Eltern-Kind-Zentrum nutzbar ist.
Anders als von der medialen Wahrnehmung der frühen Moderne in Schwarz-Weiß kontrastierenden Fotografien provoziert, waren und sind Lux Guyers Häuser lebendig bunt. Die originale Farbgebung und Materialwahl wurde, nach sorgfältiger Befundung durch die Farbenspezialistin Katrin Trautwein, im wieder aufgerichteten Haus zur Wirkung gebracht. Damit wird eine lang verdrängte, polychrome Architekturtradition betont und 1 : 1 nachvollziehbar. Und nach all diesen tollen Leistungen kann sich der Verein getrost auflösen.
Eine Würdigung des Pionierwerks sowie die Hintergründe seiner Entstehung und Rettung sind nachzulesen in: „Die drei Leben des Saffa-Hauses. Lux Guyers Musterhaus von 1928“, herausgegeben vom Verein proSAFFAhaus und dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, gta Verlag, Zürich.
Eine frühere Würdigung im „Spectrum“ vom 7. Juni 1997 ist nachzulesen unter www.nextroom.at (Suchwort: Saffa).
Die Gründe, sich ein weiteres Mal mit dem Haus und seiner Fortsetzungsgeschichte zu befassen, sind mehrere: Da ist zuerst die zivilgesellschaftliche Initiative zur Rettung und Neuaufstellung; dann die bis heute prinzipiell wegweisende Holzkonstruktion aus großen, vorgefertigten Tafelelementen; weiters die in der Architekturgeschichtsschreibung bisher gering geschätzte Fortführung der vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Reformbewegungen und deren Verknüpfung mit Elementen der Avantgarde der 1920er-Jahre, aber ohne die fatale Neigung ihrer radikalen Vertreter, jeweils das Kind mit dem Bad auszuschütten. Eine gewichtige gesellschaftliche Strömung, die vom Weltkrieg und seinen dekultivierenden Begleiterscheinungen nicht verschüttet oder radikalisiert worden war, ist die Bewegung für Frauenrechte, die in der Schweiz das Stimmrecht einforderte und mit der „Saffa“ zu befördern hoffte. Dessen Gewährung auf Bundesebene, 1971, war mehr als spät. Lux Guyer hat in ihren Hausentwürfen einer eigenständigen Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft wesentliche Überlegungen gewidmet und gestalterisch umgesetzt, wie Dorothee Huber in ihrem grundlegenden Beitrag im kürzlich erschienenen Buch über die „drei Leben des Saffa-Hauses“ ausführt.
Nachdem die Erstbesitzerin 1986 hochbetagt verstorben war, diente das in öffentlichen Besitz gelangte Haus sozialen Zwecken. Das gewerblich und von Verkehrsträgern bestimmte Umfeld bedrängte das isolierte Wohnhaus. Der Aarauer Baudirektor wusste um den Wert des Hauses und bemühte sich um dessen Erhaltung. 1999 erfolgte ein Abbruchbescheid, der aber immer wieder ausgesetzt wurde. Als nichts weiterging, wandte er sich an eine Nichte Lux Guyers, die Zürcher Architektin Beate Schnitter. Umgehend setzte sich diese mit drei Kolleginnen zusammen, denen Guyers Werke vertraut waren.
Dass ein geschichtsträchtiges Haus gerettet werden müsste, darüber kann man am Wohnzimmertisch leicht Reden führen; etwas anderes ist es, die Idee umzusetzen. Die vier Architektinnen fackelten nicht lange, gründeten im Jänner 2002 einen Verein, der unter der engagierten Führung von Rita Schiess nach wenigen Monaten auf über hundert Mitglieder anwuchs. Insbesondere bezweckte er „die Sicherstellung der historischen Bausubstanz, eines geeigneten Grundstücks, der Finanzierung und der Realisierung des Wiederaufbaus, des Fortbestehens sowie der Unterschutzstellung des Saffa-Hauses“. Der Verein traf die Abklärungen für ein Nutzungskonzept, über die zu erwartenden Kosten und suchte nach Interessenten für das Haus, die über ein passendes Grundstück verfügten. Neben anderen war es die Gemeinde Stäfa, die das Haus einfach haben wollte. Noch während der Sommerferien wurden die nötigen Beschlüsse der Gemeindegremien gefasst und ein Grundstück in zentraler Lage bereitgestellt. Die vorgesehene öffentliche Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum (Tagesmütterverein, Kinderhütedienst, Krabbelgruppe, Elternberatung et cetera) überzeugte, und Stäfa erhielt den Zuspruch. Im September wurde der Vertrag unterzeichnet.
Am intensivsten beschäftigte den Verein die Finanzierung. Der Hauptteil der benötigten circa 900.000 Euro war bis Ende 2005 beisammen. Zehn Prozent stammten vom Verein selbst, fast ebenso viel von Privaten, knapp ein Fünftel von Organisationen und Stiftungen, etwas über die Hälfte brachten Gemeinden, Kanton(e) und der Bund auf, die verbleibenden sieben Prozent stammten von Unternehmen. Obwohl das Ansinnen allseits begrüßt wurde, gab es knifflige Probleme zu lösen: Versuchen Sie einmal, im wahrscheinlich föderalistischsten Land der Erde ein demontiertes, als bewegliche Sache deklariertes, im Kanton Aargau eingelagertes Holzhaus im Kanton Zürich unter Denkmalschutz zu stellen, für einen offiziellen Beitrag jedoch Bedingung. Allseits guter Wille und gradlinige Beschlussfassungen erlaubten ab Juni 2005 den Wiederaufbau.
Was sich schon beim Abbau gezeigt hatte, bewies die neuerliche Montage: Das damals pionierhafte Vorfertigungssystem der Holzbau AG Lungern aus tafelartigen Großelementen ließ sich nach den Passmarken der Erstaufstellung wieder exakt zusammenbauen.
Die Nachhaltigkeit ist nicht bloß eine materielle, sondern ebenso eine ideelle. Ausgehend von einem der Architektin aus eigener Erfahrung vertrauten, von den Aufbruchstendenzen nach 1900 aktualisierten britischen Wohnstil, setzt sich das kompakte und doch gegliederte Haus aus mehreren Raumgruppen zusammen, die sowohl in sich, als auch untereinander starke räumliche Qualitäten und Beziehungen aufweisen, die dem vielfältigen Leben einer unbekannten Bewohnerschaft zugedacht waren. Dorothee Huber zählt im ganzen Haus nicht weniger als sechs individuelle Arbeitsplätze - ohne die temporären in der Küche. Damit drückt sich im Grundriss eine gesellschaftliche Gleichwertigkeit der einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner aus, ob erwachsen, oder noch in Entwicklung. Diese Botschaft ist um vieles aktueller, als die auf Taylor und Ford zurückführbare, gleichschalterische Durchfunktionalisierung der Wohnungen, die in den 1960er-Jahren als Bauwirtschaftsfunktionalismus einen unrühmlichen Höhepunkt erlebte. Das differenzierte Raumangebot wäre ebenso für eine Patchwork-Familie geeignet, so wie es ohne architektonische Einbußen als Eltern-Kind-Zentrum nutzbar ist.
Anders als von der medialen Wahrnehmung der frühen Moderne in Schwarz-Weiß kontrastierenden Fotografien provoziert, waren und sind Lux Guyers Häuser lebendig bunt. Die originale Farbgebung und Materialwahl wurde, nach sorgfältiger Befundung durch die Farbenspezialistin Katrin Trautwein, im wieder aufgerichteten Haus zur Wirkung gebracht. Damit wird eine lang verdrängte, polychrome Architekturtradition betont und 1 : 1 nachvollziehbar. Und nach all diesen tollen Leistungen kann sich der Verein getrost auflösen.
Eine Würdigung des Pionierwerks sowie die Hintergründe seiner Entstehung und Rettung sind nachzulesen in: „Die drei Leben des Saffa-Hauses. Lux Guyers Musterhaus von 1928“, herausgegeben vom Verein proSAFFAhaus und dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, gta Verlag, Zürich.
Eine frühere Würdigung im „Spectrum“ vom 7. Juni 1997 ist nachzulesen unter www.nextroom.at (Suchwort: Saffa).
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom