Bauwerk
Fernmeldekabelfabrik
Ernst Ziesel, Gerhard Mensch - Berlin (D) - 1928
Das Denkmal als Gegner seiner selbst
Paradebeispiel verfehlter Denkmalpolitik: Abbruch der Fernmeldekabelfabrik in Berlin-Oberschöneweide
Frankfurt droht mit der weitgehenden Zerstörung der Großmarkthalle Martin Elsässers (1926–28) ein baukulturelles Desaster. Was dort der Bürgerzorn eventuell noch verhindern kann, ist in Berlin seit Ende 2006 Realität. Trotz vehementer Proteste wurde eines der bedeutendsten Industriedenkmale der Zwanzigerjahre abgerissen: die 1927–28 von Ernst Ziesel errichtete Fernmeldekabelfabrik in Oberschöneweide.
12. Februar 2007 - Thomas Steigenberger
Berlin sieht sich nicht als Geburtsort, aber als erste Hauptstadt der modernen Architektur. Nirgendwo auf der Welt ist der neue Bauwille der zwanziger und frühen dreißiger Jahre so facettenreich vertreten wie in Berlin: vom Backstein-Expressionismus Hans Poelzigs oder Hans Heinrich Müllers über eine mehr traditionelle Moderne bis hin zum Neuen Bauen der Gebrüder Luckhardt, Erich Mendelsohns oder Bruno und Max Tauts. Berlins Baukultur der vier Jahrzehnte zwischen 1890–1930 könnte ein wichtiger Standortfaktor für die von schweren Finanzkrisen gebeutelte Metropole sein. Dieses Pfund wird jedoch leichtfertig verspielt. Der Abriss des Ziesel-Baus ist hierfür nur ein besonders dramatisches Beispiel, aber längst kein Einzelfall. Erst kürzlich wurde ein 1950 umgebautes Mietshaus von Alfred Messel in der Tauentzienstraße zerstört, für dessen gelungene Restaurierung das Land Berlin 1997 noch die Ferdinand-von-Quast-Medaille verliehen hat. Und mit der im Frühjahr 2006 abgerissenen Landhausklinik Otto Bartnings in Berlin-Wilmersdorf und dem Abbruchantrag für ein Waschhaus Bruno Tauts in der Siedlung Carl Legien stehen selbst Bauten bedeutender Protagonisten der Moderne zur Disposition. Gleichzeitig wird in Paris der Antrag geprüft, sechs Berliner Siedlungen der Zwanzigerjahre in die Welterbeliste aufzunehmen.
Denkmalensemble AEG-Kabelwerk Oberspree
Als um 1900 die innerstädtischen Stammareale der AEG zu klein wurden, fand der Elektrokonzern südöstlich von Berlin einen neuen Standort. An der Spree in Oberschöneweide entstand eines der umfangreichsten Bauprojekte der deutschen Industriegeschichte. Das 1897 eröffnete Kabelwerk Oberspree (KWO) war dabei die wichtigste der neu gegründeten AEG-Töchter. Über dreißig Jahre Technikgeschichte und Industriebaukultur begegnen sich auf dem Gelände des KWO (siehe Gebäudeplan S. 25): Von den Ausklängen des Historismus gründerzeitlicher Prägung (Gebäudeplan, Nr. 1 und 2), über den Neu-Klassizismus Peter Behrens' (Nr. 15 und 16), bis hin zum radikalen Funktionalismus von Ernst Ziesel (Nr. 19). Alle Neubauten wurden in gelbem Backstein ausgeführt. Fernab allen zeitbedingten Geschmackswandels drückt sich darin die Suche nach Einheitlichkeit und einer gemeinsamen baulichen Identität aus. Ein Bestreben, das spätestens 1907 mit der Berufung von Peter Behrens zum Chef-Designer und Architekten der AEG offizielle Firmenstrategie wurde.
Auch in den Zwanzigerjahren gelang es der AEG, mit der Berufung Ernst Ziesels (1880–1946) einen herausragenden Architekten an das Unternehmen zu binden. Ziesel arbeitete bis Anfang der vierziger Jahre für die AEG und war daneben auch im Siedlungsbau tätig. Zusammen mit dem Bauingenieur Gerhard Mensch realisierte er ab 1924 zahlreiche Um- und Neubauten in Oberschöneweide, etwa die Großtransformatorenhalle in der Edison/ Wilhelminenhofstraße (1928–29) oder die kleine Generatorgasanlage (1927) auf dem Gelände der KWO.
Das Hauptwerk der Zusammenarbeit zwischen Ernst Ziesel und Gerhard Mensch war die Fernmeldekabelfabrik in Oberschöneweide. Anders als noch Peter Behrens bei seinen Stockwerksfabriken für die AEG, verzichtet Ziesel hier gänzlich auf klassische Architekturzitate wie Pfeiler, Kapitelle oder Attika. Anstelle der monumentalen Schwere Behrens’scher Bauten tritt die filigrane Leichtigkeit der membranartig-dünnen Fassadenhaut aus Fensterbändern und Ziegelausfachungen. Die Stahlskelettkonstruktion des viergeschossigen Gebäudes mit den vortretenden, sichtbar belassenen Flanschen der Träger ist klar ablesbar. Um einen ungestörten Betriebsablauf zu gewährleisten, sind die Stockwerkshallen weiträumig überspannt und lediglich durch jeweils zwei eng zusammenstehende Mittelstützen unterteilt. Auch die Anordnung der drei Treppen- und Aufzugstürme mit Sanitäranlagen entspricht den zeitgenössischen Anforderungen an einen ungestörten Betriebsablauf. Ziesels radikaler Funktionalismus hat im Industriebau der Zwanzigerjahre in Berlin keine Parallele und steht in einer Reihe mit den rheinischen Industriebauten der Moderne.
Nachhaltige Stadtentwicklung
Nach dem Zusammenbruch der DDR war seit 1993 die landeseigene Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG) mit der Vermarktung des KWO-Geländes betraut worden. Im Juli 1996 wurde ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zur Sicherung des Denkmalbestands abgeschlossen.
Hierin akzeptierte das Landesdenkmalamt den Abbruch der Gebäude im südöstlichen Teil des Geländes, damit die Fernmeldekabelfabrik bestehen bleiben konnte. Seit 1977 stand das Gebäude unter Denkmalschutz. Die stadtbildprägende Spreehalle (Nr. 24) wurde dagegen nicht in die Denkmalliste eingetragen. Ihre östliche Hälfte, die gleich nach 1945 in den Formen des Vorgängerbaus wiedererrichtet wurde, soll ebenfalls abgerissen werden.
Die Erhaltung des Ziesel-Baus hatte für das Landesdenkmalamt und die BLEG hohe Priorität. Erhebliche Mehrkosten von annähernd einer Million Euro wurden bei der Sanierung des mit arsenhaltiger Industrieschlacke verseuchten Geländes in Kauf genommen. So wurde die kontaminierte Erde im Fundamentbereich vom Grundwasser mittels acht Meter tiefer, hydraulisch verpresster Spundwände abgetrennt. Zudem musste im Umfeld des Denkmals der Boden in einzelnen Abschnitten ausgebaggert werden. Auch das im Nordwesten angebaute, von der BLEG im Hoch- und Tiefbau finanzierte Blockheizkraftwerk wäre nicht mit diesem Aufwand und an dieser Stelle errichtet worden, wenn die künftige Sanierung der Fernmeldekabelfabrik für alle Projektbeteiligten nicht festgestanden hätte.
Kurzsichtige Denkmalzerstörung
Ab 1996 wurden von der BLEG erste Sicherungsmaßnahmen unternommen sowie Gutachten zum Zustand des Gebäudes und zu den Sanierungskosten eingeholt. Trotz teilweise starker Schadstoffbelastung der Decken und Wände sowie statischer und thermischer Probleme wurde das Gebäude als grundsätzlich sanierbar eingestuft. Als seit März 2003 mit der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) ein neuer Nutzer des KWO-Geländes feststand, befand sich die BLEG bereits in Liquidation. Ihre Aufgaben als Bauherr übernahm die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Auf Grundlage einer europaweiten Ausschreibung wurde im Frühjahr 2005 das Berliner Büro Nalbach & Nalbach als Generalplaner für den FHTW-Umzug ausgewählt. Im Ausschreibungstext heißt es zur Fernmeldekabelfabrik lapidar: »Ein unsaniertes denkmalgeschütztes Gebäude Baujahr ca. 1930 mit einer Aufstockung«. Nach einem in der Industriebausanierung erfahrenen Architekturbüro wurde nicht gesucht. Weder die bisher mit dem Gebäude befassten Architekten und Gutachter noch das Landesdenkmalamt wurden beratend hinzugezogen.
Als die vom Büro Nalbach ermittelten Sanierungskosten in Höhe von 23,37 Mio Euro »nicht im vorgegebenen Kostenrahmen« von insgesamt 108 Mio Euro für den Umzug der FHTW lagen, wurden die Architekten aufgefordert, »Vorschläge zur Einhaltung der Gesamtkosten zu unterbreiten«. Im Ergebnis entschied sich die Senatsbauverwaltung für Nalbachs Vorschlag, einen »Neubau unter Verwendung der alten Gründung« zu errichten, für den nunmehr nur noch 19,42 Mio veranschlagt wurden. Auch mit dem Neubau wurden Nalbach & Nalbach beauftragt. Die Kostenersparnis von knapp vier Mio resultierte u. a. aus dem geplanten Erlös des Stahlverkaufs (188 000 Euro), der Wiederverwendung der Fundamente und einem im Vergleich zum Altbau insgesamt um etwa 10–15 Prozent kleineren Bauvolumen. Die bereits erfolgten Investitionen zur Erhaltung des Ziesel-Baus in Höhe von weit mehr als einer Million Euro wurden bei der Kostenabwägung offensichtlich nicht berücksichtigt.
Nach offizieller Lesart war ein im August 2005 fertiggestelltes Gutachten, das nunmehr eine extrem hohe Schadstoffbelastung des Gebäudes feststellte und den Abbruch empfahl, ausschlaggebend für die entsprechende Entscheidung der Bauverwaltung. Erst nachdem dieses Gutachten vorlag, wurde das Landesdenkmalamt vom Abrissbeschluss in Kenntnis gesetzt und ein Abrissantrag gestellt. Da bis März 2006 verbindliche Planungen für die Unterbringung der FHTW in Oberschöneweide vorliegen mussten, damit Bundes- und Europazuschüsse nicht verfielen, hielt auch die Hochschulleitung am Abrissvorhaben fest.
Seit Januar 2006 versuchte eine studentische Initiative mit großem Einsatz und überzeugenden Argumenten, den drohenden Abriss aufzuhalten (www.denk-mal-industrie.de). Ihrer Forderung nach Alternativplanungen schlossen sich u. a. die Berliner Akademie der Künste, die Berliner Architektenkammer, Denk-mal-an-Berlin e.V., Docomomo sowie ICOMOS und der Berliner Landesdenkmalrat an. Ein Vorschlag war, den Ziesel-Bau zunächst unsaniert zu bewahren und den Neubau auf einem benachbarten Grundstück zu errichten. Alle Alternativen zur Zerstörung des Baudenkmals wurden jedoch aus Kosten- und Zeitgründen verworfen. Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer setzte den Abriss politisch durch.
Der Schaden dieser Entscheidung ist nicht nur in Zahlen zu messen. Aus selbst verschuldeter Zeitnot wurde von Verwaltung und Politik die sorgsam aufgebaute, langfristige Strategie zur Umnutzung des KWO-Geländes preisgegeben und das Ensemble seines wichtigsten Bausteins beraubt. Fatal war die Strategie der Senatsbauverwaltung und der Architekten, die kapitalisierbaren Bauteile des Denkmals gegen das Denkmal selbst zu wenden. Das Image der FHTW, an der Restauratoren den verantwortlichen Umgang mit unserem kulturellen Erbe lernen sollen, wurde schwer beschädigt und der Welterbeantrag kulturpolitisch delegitimiert. Jeder Privatinvestor kann sich nun bei Abrissvorhaben aus wirtschaftlichen Gründen auf das Vorbild des Staates berufen. Dem Vernehmen nach geschieht genau dies bereits.
Denkmalensemble AEG-Kabelwerk Oberspree
Als um 1900 die innerstädtischen Stammareale der AEG zu klein wurden, fand der Elektrokonzern südöstlich von Berlin einen neuen Standort. An der Spree in Oberschöneweide entstand eines der umfangreichsten Bauprojekte der deutschen Industriegeschichte. Das 1897 eröffnete Kabelwerk Oberspree (KWO) war dabei die wichtigste der neu gegründeten AEG-Töchter. Über dreißig Jahre Technikgeschichte und Industriebaukultur begegnen sich auf dem Gelände des KWO (siehe Gebäudeplan S. 25): Von den Ausklängen des Historismus gründerzeitlicher Prägung (Gebäudeplan, Nr. 1 und 2), über den Neu-Klassizismus Peter Behrens' (Nr. 15 und 16), bis hin zum radikalen Funktionalismus von Ernst Ziesel (Nr. 19). Alle Neubauten wurden in gelbem Backstein ausgeführt. Fernab allen zeitbedingten Geschmackswandels drückt sich darin die Suche nach Einheitlichkeit und einer gemeinsamen baulichen Identität aus. Ein Bestreben, das spätestens 1907 mit der Berufung von Peter Behrens zum Chef-Designer und Architekten der AEG offizielle Firmenstrategie wurde.
Auch in den Zwanzigerjahren gelang es der AEG, mit der Berufung Ernst Ziesels (1880–1946) einen herausragenden Architekten an das Unternehmen zu binden. Ziesel arbeitete bis Anfang der vierziger Jahre für die AEG und war daneben auch im Siedlungsbau tätig. Zusammen mit dem Bauingenieur Gerhard Mensch realisierte er ab 1924 zahlreiche Um- und Neubauten in Oberschöneweide, etwa die Großtransformatorenhalle in der Edison/ Wilhelminenhofstraße (1928–29) oder die kleine Generatorgasanlage (1927) auf dem Gelände der KWO.
Das Hauptwerk der Zusammenarbeit zwischen Ernst Ziesel und Gerhard Mensch war die Fernmeldekabelfabrik in Oberschöneweide. Anders als noch Peter Behrens bei seinen Stockwerksfabriken für die AEG, verzichtet Ziesel hier gänzlich auf klassische Architekturzitate wie Pfeiler, Kapitelle oder Attika. Anstelle der monumentalen Schwere Behrens’scher Bauten tritt die filigrane Leichtigkeit der membranartig-dünnen Fassadenhaut aus Fensterbändern und Ziegelausfachungen. Die Stahlskelettkonstruktion des viergeschossigen Gebäudes mit den vortretenden, sichtbar belassenen Flanschen der Träger ist klar ablesbar. Um einen ungestörten Betriebsablauf zu gewährleisten, sind die Stockwerkshallen weiträumig überspannt und lediglich durch jeweils zwei eng zusammenstehende Mittelstützen unterteilt. Auch die Anordnung der drei Treppen- und Aufzugstürme mit Sanitäranlagen entspricht den zeitgenössischen Anforderungen an einen ungestörten Betriebsablauf. Ziesels radikaler Funktionalismus hat im Industriebau der Zwanzigerjahre in Berlin keine Parallele und steht in einer Reihe mit den rheinischen Industriebauten der Moderne.
Nachhaltige Stadtentwicklung
Nach dem Zusammenbruch der DDR war seit 1993 die landeseigene Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG) mit der Vermarktung des KWO-Geländes betraut worden. Im Juli 1996 wurde ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zur Sicherung des Denkmalbestands abgeschlossen.
Hierin akzeptierte das Landesdenkmalamt den Abbruch der Gebäude im südöstlichen Teil des Geländes, damit die Fernmeldekabelfabrik bestehen bleiben konnte. Seit 1977 stand das Gebäude unter Denkmalschutz. Die stadtbildprägende Spreehalle (Nr. 24) wurde dagegen nicht in die Denkmalliste eingetragen. Ihre östliche Hälfte, die gleich nach 1945 in den Formen des Vorgängerbaus wiedererrichtet wurde, soll ebenfalls abgerissen werden.
Die Erhaltung des Ziesel-Baus hatte für das Landesdenkmalamt und die BLEG hohe Priorität. Erhebliche Mehrkosten von annähernd einer Million Euro wurden bei der Sanierung des mit arsenhaltiger Industrieschlacke verseuchten Geländes in Kauf genommen. So wurde die kontaminierte Erde im Fundamentbereich vom Grundwasser mittels acht Meter tiefer, hydraulisch verpresster Spundwände abgetrennt. Zudem musste im Umfeld des Denkmals der Boden in einzelnen Abschnitten ausgebaggert werden. Auch das im Nordwesten angebaute, von der BLEG im Hoch- und Tiefbau finanzierte Blockheizkraftwerk wäre nicht mit diesem Aufwand und an dieser Stelle errichtet worden, wenn die künftige Sanierung der Fernmeldekabelfabrik für alle Projektbeteiligten nicht festgestanden hätte.
Kurzsichtige Denkmalzerstörung
Ab 1996 wurden von der BLEG erste Sicherungsmaßnahmen unternommen sowie Gutachten zum Zustand des Gebäudes und zu den Sanierungskosten eingeholt. Trotz teilweise starker Schadstoffbelastung der Decken und Wände sowie statischer und thermischer Probleme wurde das Gebäude als grundsätzlich sanierbar eingestuft. Als seit März 2003 mit der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) ein neuer Nutzer des KWO-Geländes feststand, befand sich die BLEG bereits in Liquidation. Ihre Aufgaben als Bauherr übernahm die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Auf Grundlage einer europaweiten Ausschreibung wurde im Frühjahr 2005 das Berliner Büro Nalbach & Nalbach als Generalplaner für den FHTW-Umzug ausgewählt. Im Ausschreibungstext heißt es zur Fernmeldekabelfabrik lapidar: »Ein unsaniertes denkmalgeschütztes Gebäude Baujahr ca. 1930 mit einer Aufstockung«. Nach einem in der Industriebausanierung erfahrenen Architekturbüro wurde nicht gesucht. Weder die bisher mit dem Gebäude befassten Architekten und Gutachter noch das Landesdenkmalamt wurden beratend hinzugezogen.
Als die vom Büro Nalbach ermittelten Sanierungskosten in Höhe von 23,37 Mio Euro »nicht im vorgegebenen Kostenrahmen« von insgesamt 108 Mio Euro für den Umzug der FHTW lagen, wurden die Architekten aufgefordert, »Vorschläge zur Einhaltung der Gesamtkosten zu unterbreiten«. Im Ergebnis entschied sich die Senatsbauverwaltung für Nalbachs Vorschlag, einen »Neubau unter Verwendung der alten Gründung« zu errichten, für den nunmehr nur noch 19,42 Mio veranschlagt wurden. Auch mit dem Neubau wurden Nalbach & Nalbach beauftragt. Die Kostenersparnis von knapp vier Mio resultierte u. a. aus dem geplanten Erlös des Stahlverkaufs (188 000 Euro), der Wiederverwendung der Fundamente und einem im Vergleich zum Altbau insgesamt um etwa 10–15 Prozent kleineren Bauvolumen. Die bereits erfolgten Investitionen zur Erhaltung des Ziesel-Baus in Höhe von weit mehr als einer Million Euro wurden bei der Kostenabwägung offensichtlich nicht berücksichtigt.
Nach offizieller Lesart war ein im August 2005 fertiggestelltes Gutachten, das nunmehr eine extrem hohe Schadstoffbelastung des Gebäudes feststellte und den Abbruch empfahl, ausschlaggebend für die entsprechende Entscheidung der Bauverwaltung. Erst nachdem dieses Gutachten vorlag, wurde das Landesdenkmalamt vom Abrissbeschluss in Kenntnis gesetzt und ein Abrissantrag gestellt. Da bis März 2006 verbindliche Planungen für die Unterbringung der FHTW in Oberschöneweide vorliegen mussten, damit Bundes- und Europazuschüsse nicht verfielen, hielt auch die Hochschulleitung am Abrissvorhaben fest.
Seit Januar 2006 versuchte eine studentische Initiative mit großem Einsatz und überzeugenden Argumenten, den drohenden Abriss aufzuhalten (www.denk-mal-industrie.de). Ihrer Forderung nach Alternativplanungen schlossen sich u. a. die Berliner Akademie der Künste, die Berliner Architektenkammer, Denk-mal-an-Berlin e.V., Docomomo sowie ICOMOS und der Berliner Landesdenkmalrat an. Ein Vorschlag war, den Ziesel-Bau zunächst unsaniert zu bewahren und den Neubau auf einem benachbarten Grundstück zu errichten. Alle Alternativen zur Zerstörung des Baudenkmals wurden jedoch aus Kosten- und Zeitgründen verworfen. Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer setzte den Abriss politisch durch.
Der Schaden dieser Entscheidung ist nicht nur in Zahlen zu messen. Aus selbst verschuldeter Zeitnot wurde von Verwaltung und Politik die sorgsam aufgebaute, langfristige Strategie zur Umnutzung des KWO-Geländes preisgegeben und das Ensemble seines wichtigsten Bausteins beraubt. Fatal war die Strategie der Senatsbauverwaltung und der Architekten, die kapitalisierbaren Bauteile des Denkmals gegen das Denkmal selbst zu wenden. Das Image der FHTW, an der Restauratoren den verantwortlichen Umgang mit unserem kulturellen Erbe lernen sollen, wurde schwer beschädigt und der Welterbeantrag kulturpolitisch delegitimiert. Jeder Privatinvestor kann sich nun bei Abrissvorhaben aus wirtschaftlichen Gründen auf das Vorbild des Staates berufen. Dem Vernehmen nach geschieht genau dies bereits.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel