Bauwerk
Musikprobenzentrum
TOR 5 Architekten - Gelsenkirchen (D) - 2005
Musik. Maschinen. Haus.
Schachtanlage als Musikprobenzentrum in Gelsenkirchen
Weiterbauen statt abreißen: Der denkmalgeschützte Förderturm von 1958, ein mit Glas verkleideter, neuer Zwischenbau und das um zwei Stockwerke erweiterte ehemalige Maschinenhaus bilden auf dem Gelände der stillgelegten Steinkohlenzeche Consolidation nun ein Musikzentrum.
12. Februar 2007 - Karl R. Kegler
Nur wer sich dem ehemaligen Zechengelände Consolidation 3/4/9 von Norden nähert, fängt einen Eindruck ein, wie er vor fast fünfzig Jahren wohl nicht anders gewesen sein dürfte. Hier steht der letzte Abschnitt der roten Backsteinmauer, die ursprünglich das gesamte Gelände einfasste. Hinter der Mauer ragen als Hinterlassenschaft der Industriegeschichte zwei Fördertürme und ein Bewetterungskamin auf. Nach etwa 200 Metern läuft die Mauer aus und ein breiter Weg leitet entlang einer Böschung aus dem gleichen Ziegel über eine Freitreppe auf das Innere des Geländes zu. Diese einladende Inszenierung, die die wenig spektakuläre, aber authentische Grenzmauer des Zechengeländes geschickt einbezieht, illustriert den Umgang von TOR 5 Architekten (Herfried Langer und Markus Wüllner) mit den charakteristischen Elementen der Zweckarchitektur auf dem ehemaligen Industriegelände. Nach einem gewonnenen Wettbewerb – 1998 ausgeschrieben von der Stadt Gelsenkirchen – haben die Architekten auf dem Gelände den Umbau von Förderturm und dem zugehörigen Maschinenhaus an Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum durchgeführt. Ein Folgeauftrag brachte anschließend die Gestaltung der Außenanlagen. Heute bildet das Probenzentrum, zusammen mit einem freien Theater und einer Kunstsammlung, die in einer umgenutzten Halle untergebracht ist, eine Zone kultureller Einrichtungen in Gelsenkirchen-Bismarck. Das übrige Zechengelände wurde in eine Park- und Wiesenlandschaft verwandelt, unter deren grünen Hügeln die Trümmer der abgebrochenen Bauten deponiert sind. Nur anhand alter Fotos kann man sich das Gedränge von Schächten, Kaminen, Werkstätten und Bahnanlagen vorstellen, das an dieser Stelle einmal vorhanden war.
Industrieästhetik
Als Leitlinie für den Umbau von Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum dienten dem jungen Bochumer Büro sehr bewusst die typischen Materialien und die sparsame, funktionale Ästhetik der Industriearchitektur mit ihren spezifischen Details, die an anderer Stelle verloren gegangen sind. Förderturm und Maschinenhaus an Schacht 4 entstanden im Jahr 1958, als auf der Zeche Consolidation noch an die siebentausend Bergleute einfuhren. 1997 wurde die Zeche stillgelegt. Durch die bedachtsamen Ergänzungen der Umbaumaßnahmen treten die formalen Qualitäten der Anlage aus den späten fünfziger Jahren heute mit besonderer Klarheit hervor. Der weiße, von W. A. Gorgen entworfene Betonförderturm – heute das letzte erhaltene Beispiel dieses Bautyps im ganzen Ruhrgebiet – wirkt wie eine Formfantasie der klassischen Moderne. Zu den Grundzügen des Entwurfs gehört, dass die ursprüngliche funktionale Zuordnung von Förderturm und Maschinenhaus erhaltenen geblieben ist. Heute dient der Förderturm als Erschließung für die oberen Etagen des Probenzentrums.
In ihrem Entwurfskonzept entschieden sich die Architekten außerdem, den riesigen Elektromotor und die gewaltige Treibscheibe der Förderanlage aus Gründen der Authentizität im Maschinenhaus zu belassen. Rund um diese Maschine befindet sich heute die zweigeschossige Lobby des Probenzentrums, die als Aufenthalts- und Empfangsraum dient und ihre besondere Atmosphäre durch das technische Großgerät erhält. Die geforderten 40 Probenräume sind in fünf Geschossen untergebracht, die als Haus im Haus in die alte Ziegelhülle der Maschinenhalle hineingestellt sind. Die zwei Geschosse, die über die Attika der ursprünglichen Halle hinausragen, sind bündig mit Profilbauglas verkleidet, so dass die kompakten Umrisse der Anlage fortwirken. Der Materialwechsel markiert den Schnitt zwischen Alt und Neu. Die technischen Installationen und die Be- und Entlüftung der Probenräume verlaufen im Zwischenraum zwischen den Probengeschossen und der Außenhülle aus Ziegel bzw. Glas. Lediglich im Bereich der Lobby wurde die Ziegelhülle großzügig geöffnet und gibt durch eine dreigeschossige Glasfassade den Blick auf die innen liegende Maschine frei.
Die gelungene Einpassung der neuen Nutzung in die industrielle Substanz erweist sich vor allem in der sparsamen, unaufgeregten Sprache und Materialität der Architektur. Es dominieren klare Kanten sowie Materialien und Halbfabrikate aus dem Industriebau. Der rote Fließestrich der Lobby nimmt den Ton von Backstein und rostigen Metallteilen aus der Umgebung auf. Die schweren Stahlrahmensessel mit schwarzer Polsterung wurden von einer Schulungswerkstatt eigens für diesen Raum angefertigt. Die Betonwände blieben unverputzt, alte und neue Oberflächen sind anhand der charakteristischen Schalungs- und Gebrauchsspuren ablesbar. Elektroleitungen verlaufen sichtbar in verzinkten Stahlrohren. Für die Schalter wurde eine Serie aus dem Schiffs- und Kraftwerksbau verwendet. Die oberen Etagen, in denen die Probenräume untergebracht sind, sind von funktionaler Nüchternheit.
Schwieriges Erbe
Dass das fortwirkende bergbauliche Erbe der Schachtanlage noch deutlich mehr beinhaltete als die verlassenen Gebäude, wurde klar, als die Umbaupläne mit technischen und juristischen Einschränkungen konfrontiert wurden. In den unverfüllten Stollen der Zechenanlage sammelt sich in einer schwachen Konzentration Methangas und entweicht aus dem ehemaligen Förderschacht – zu wenig, um energetisch sinnvoll genutzt zu werden, doch genug, um die Nachnutzung mit einer Vielzahl berg- und baurechtlicher Einschränkungen und einer aufwendigen Sicherungsmaßnahme zu belasten. Um jedes Risiko durch das entweichende Methan auszuschließen, musste aufwendig eine Gasdränage angelegt werden. Auch die ursprüngliche Konzeption, die Treppenanlage des Förderturms für die Erschließung der Geschosse mit Probenräumen zu nutzen, erwies sich aus rechtlichen Einschränkungen als undurchführbar. Im Turm der ehemaligen Schachtanlage steht heute lediglich der Aufzug zu den oberen Etagen. Die neue Treppenanlage wurde in einer vorgestellten, mit Streckmetall verkleideten Stahlkonstruktion untergebracht. Mit Glaspanelen verkleidete Stege verbinden Treppe und Aufzug am Förderturm mit den Probegeschossen im ehemaligen Maschinenhaus.
Auf einer Normaletage befinden sich je vier Probenräume rechts und links der mittigen Erschließung. Die Räume sind schalldicht und daher fensterlos. Das Probenzentrum funktioniert wie ein Hotel; Bands mieten sich in den Räumen für längere Zeiträume ein und bringen dort auch ihr umfangreiches Equipment aus Instrumenten, Verstärkern und Effektgeräten unter, so dass nicht bei jeder Probe neu aufgebaut werden muss. Die Architekten entwickelten hier die (bisher nicht umgesetzte) Idee, zusätzliche Equipment-Safes anzubieten, damit die Probenräume von mehreren Bands genutzt werden können.
Aus einer Umnutzungsaufgabe ist mit dem Probenzentrum ein Bautyp ganz eigener Funktionalität entstanden, kein Industriemuseum. Gleichwohl blieben die charakteristischen Qualitäten der Schachtanlage durch einen aufmerksamen Umgang mit der vorhandenen Substanz gewahrt. Die Nachfrage der Musiker belegt den Erfolg des Konzeptes. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es nirgends.
Industrieästhetik
Als Leitlinie für den Umbau von Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum dienten dem jungen Bochumer Büro sehr bewusst die typischen Materialien und die sparsame, funktionale Ästhetik der Industriearchitektur mit ihren spezifischen Details, die an anderer Stelle verloren gegangen sind. Förderturm und Maschinenhaus an Schacht 4 entstanden im Jahr 1958, als auf der Zeche Consolidation noch an die siebentausend Bergleute einfuhren. 1997 wurde die Zeche stillgelegt. Durch die bedachtsamen Ergänzungen der Umbaumaßnahmen treten die formalen Qualitäten der Anlage aus den späten fünfziger Jahren heute mit besonderer Klarheit hervor. Der weiße, von W. A. Gorgen entworfene Betonförderturm – heute das letzte erhaltene Beispiel dieses Bautyps im ganzen Ruhrgebiet – wirkt wie eine Formfantasie der klassischen Moderne. Zu den Grundzügen des Entwurfs gehört, dass die ursprüngliche funktionale Zuordnung von Förderturm und Maschinenhaus erhaltenen geblieben ist. Heute dient der Förderturm als Erschließung für die oberen Etagen des Probenzentrums.
In ihrem Entwurfskonzept entschieden sich die Architekten außerdem, den riesigen Elektromotor und die gewaltige Treibscheibe der Förderanlage aus Gründen der Authentizität im Maschinenhaus zu belassen. Rund um diese Maschine befindet sich heute die zweigeschossige Lobby des Probenzentrums, die als Aufenthalts- und Empfangsraum dient und ihre besondere Atmosphäre durch das technische Großgerät erhält. Die geforderten 40 Probenräume sind in fünf Geschossen untergebracht, die als Haus im Haus in die alte Ziegelhülle der Maschinenhalle hineingestellt sind. Die zwei Geschosse, die über die Attika der ursprünglichen Halle hinausragen, sind bündig mit Profilbauglas verkleidet, so dass die kompakten Umrisse der Anlage fortwirken. Der Materialwechsel markiert den Schnitt zwischen Alt und Neu. Die technischen Installationen und die Be- und Entlüftung der Probenräume verlaufen im Zwischenraum zwischen den Probengeschossen und der Außenhülle aus Ziegel bzw. Glas. Lediglich im Bereich der Lobby wurde die Ziegelhülle großzügig geöffnet und gibt durch eine dreigeschossige Glasfassade den Blick auf die innen liegende Maschine frei.
Die gelungene Einpassung der neuen Nutzung in die industrielle Substanz erweist sich vor allem in der sparsamen, unaufgeregten Sprache und Materialität der Architektur. Es dominieren klare Kanten sowie Materialien und Halbfabrikate aus dem Industriebau. Der rote Fließestrich der Lobby nimmt den Ton von Backstein und rostigen Metallteilen aus der Umgebung auf. Die schweren Stahlrahmensessel mit schwarzer Polsterung wurden von einer Schulungswerkstatt eigens für diesen Raum angefertigt. Die Betonwände blieben unverputzt, alte und neue Oberflächen sind anhand der charakteristischen Schalungs- und Gebrauchsspuren ablesbar. Elektroleitungen verlaufen sichtbar in verzinkten Stahlrohren. Für die Schalter wurde eine Serie aus dem Schiffs- und Kraftwerksbau verwendet. Die oberen Etagen, in denen die Probenräume untergebracht sind, sind von funktionaler Nüchternheit.
Schwieriges Erbe
Dass das fortwirkende bergbauliche Erbe der Schachtanlage noch deutlich mehr beinhaltete als die verlassenen Gebäude, wurde klar, als die Umbaupläne mit technischen und juristischen Einschränkungen konfrontiert wurden. In den unverfüllten Stollen der Zechenanlage sammelt sich in einer schwachen Konzentration Methangas und entweicht aus dem ehemaligen Förderschacht – zu wenig, um energetisch sinnvoll genutzt zu werden, doch genug, um die Nachnutzung mit einer Vielzahl berg- und baurechtlicher Einschränkungen und einer aufwendigen Sicherungsmaßnahme zu belasten. Um jedes Risiko durch das entweichende Methan auszuschließen, musste aufwendig eine Gasdränage angelegt werden. Auch die ursprüngliche Konzeption, die Treppenanlage des Förderturms für die Erschließung der Geschosse mit Probenräumen zu nutzen, erwies sich aus rechtlichen Einschränkungen als undurchführbar. Im Turm der ehemaligen Schachtanlage steht heute lediglich der Aufzug zu den oberen Etagen. Die neue Treppenanlage wurde in einer vorgestellten, mit Streckmetall verkleideten Stahlkonstruktion untergebracht. Mit Glaspanelen verkleidete Stege verbinden Treppe und Aufzug am Förderturm mit den Probegeschossen im ehemaligen Maschinenhaus.
Auf einer Normaletage befinden sich je vier Probenräume rechts und links der mittigen Erschließung. Die Räume sind schalldicht und daher fensterlos. Das Probenzentrum funktioniert wie ein Hotel; Bands mieten sich in den Räumen für längere Zeiträume ein und bringen dort auch ihr umfangreiches Equipment aus Instrumenten, Verstärkern und Effektgeräten unter, so dass nicht bei jeder Probe neu aufgebaut werden muss. Die Architekten entwickelten hier die (bisher nicht umgesetzte) Idee, zusätzliche Equipment-Safes anzubieten, damit die Probenräume von mehreren Bands genutzt werden können.
Aus einer Umnutzungsaufgabe ist mit dem Probenzentrum ein Bautyp ganz eigener Funktionalität entstanden, kein Industriemuseum. Gleichwohl blieben die charakteristischen Qualitäten der Schachtanlage durch einen aufmerksamen Umgang mit der vorhandenen Substanz gewahrt. Die Nachfrage der Musiker belegt den Erfolg des Konzeptes. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es nirgends.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel
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