Bauwerk

Wohnbau mit Kindergarten
Horst Gaisrucker, Peter Nigst, Markus Lang - Wien (A) - 2006
Wohnbau mit Kindergarten, Foto: Nicole Tintera
Wohnbau mit Kindergarten, Foto: Nicole Tintera
Wohnbau mit Kindergarten, Foto: Nicole Tintera
17. Juni 2007 - Az W
Mit silbernem Glanz markiert die Metallhaut des Wohnbaus an der Ecke Höchstädtplatz und Stromstraße in Wien-Brigittenau einen jener Koordinatenpunkte im historisch gewachsenen Gefüge Wiens, an dem die Erneuerung der Stadt den Prozess der Redefinition einfordert. Im Fadenkreuz öffentlicher Verkehrsanbindungen wird rund um den Höchstädtplatz auf die standortgenerierende Mischung von Wohnnutzung und impulssetzendem Business & Research Center, Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie, gesetzt. Hier im Viertel hatten die Firma Wabco-Westinghouse sowie die Niederösterreichische Molkerei NÖM in den 1990er Jahren ihre Standorte aufgegeben und machten dadurch Baublöcke im Ausmaß von knapp über 24.000 m² frei. Ein langer und langwieriger Prozess ging der heutigen Gestalt des Ensembles Höchstädtplatz voraus. Ein Gutachterverfahren jurierte im Jahr 1999 das Projekt von Erich Raith und Reinhard Gallister als Siegerpojekt, das eine gesamtheitliche kontextorientierte städtebauliche Bearbeitung vorlegte. Darüber hinaus empfahl die Jury, die Architekten Ernst Huss, Mascha & Seethaler, Atelier für Architektur NFOG, Elsa Prochazka und Albert Wimmer auf Grund ihrer eingereichten Vorschläge in die Weiterverfolgung des Projektes einzubinden.

Innerhalb dieses rahmenden und nur zum Teil umgesetzten Gesamtkonzepts wurde für den Bauplatz 2 vom Architektenteam Peter Nigst, Horst Gaisrucker und Markus Lang die Wohnhausanlage entlang der Stromstraße entwickelt. Mit klaren kubischen Formen zum Straßenraum und schräg geschnittenen Flächen zum Blockinneren wird der zu erzielenden Dichte etwas von ihrer massiven Schwere genommen. Ein lang gestreckter rationalistischer Quader mit insgesamt drei Stiegenkernen bildet den Anschluss an die bestehende Bebauung der Pasettistraße als Blockecke. Eine schräg abgeschnittene Fläche markiert den hofinneren Zugang in den lang gestreckten Bauteil. Versetzt dazu und direkt an die Baulinie der Stromstraße gesetz,t entwickelt sich der die Schräge des Längstrakts aufnehmende zweite, wesentlich kürzere Baukörper mit derselben Geradlinigkeit.

Die Architekten Peter Nigst, Horst Gaisrucker und Markus Lang setzten auf eine auflösende Durchbrechung des Systems der Blockrandbebauung und in der Versetzung der zwei Baukörper zueinander auf dessen Variation, um das Blockinnere zum Straßenraum und den Grünflächen hin zu öffnen und zugleich die Freiräume des Kindergartens zu ermöglichen. Das Verhältnis zwischen Zurückgezogenheit ins Wohnen und Öffentlichkeit des Straßenraums wird durch eine von der Stromstraße und dem gegenüberliegenden Winarsky-Hof so weit wie mögliche Absetzung des Längstraktes balanciert. Von oben gesehen nimmt sich die Setzung aus wie ein Spiel mit Formen aus dem Baukasten, die sich nicht drängend aneinanderschieben, sondern auf ihren Sicherheitsabstand achten. Die metallbespielten Straßenseiten nehmen das auszutarierende Verhältnis zwischen privat und öffentlich ebenfalls auf und setzen mit ihren horizontal komplett durchlaufenden Bändern aus verzinkten Eisen-gitterrosten auf transparente Halbbeschattung. Beide Bauteile sind in ihrer straßenseitigen Gesamtheit in durchbrochene Metallvorhänge gehüllt, dahinter sind die Flächen des Hauses reibungslos, glatt. Eine durch den Wechsel von Loggien und Raumnischen bestimmte Zone ist den südseitig bzw. südostseitig orientierten Wohnungen vorgelagert. Der warme Farbton der inneren senkrechten Loggientrennungen kontrastiert mit der kühlen Härte des Metalls. Sonnenschutzelemente im Dachgeschoss korrespondieren mit den silbernen Metallvorhangbändern. Die hofseitigen, nach Nordwesten orientierten Fassaden führen die Sprache der straßenseitigen Bänder mit anderen gestalterischen Mitteln fort, die Fenster sind zu Fensterbändern gefasst, die zum Garten orientierte freie schräge Stirnfassade des Traktes an der Stromstraße hat größere bandartige Fenster. Um eine optimale innere Lichtführung zu erzielen, setzt die Anordnung der Wohnungen auf das Bausteinprinzip.

An die siebengeschoßig in die Höhe ragende Längsfront schmiegt sich der dreiteilige, karminrot leuchtende Vorbau des Kindertagesheims, er wurde unter das Haus hineingeschoben, springt lichtsuchend vor. Die Farbwahl ist ein Signal. Hier wird unter schwierigen Bedingungen räumliche Durchlässigkeit hergestellt. Der Raumverlauf für insgesamt 80 Kinder in Kinderstubengruppen wie Kindergruppen ist in drei voneinander abgesetzte Raumteile aufgesplittet, die mittels glasüberdachter Tunnel direkten Zugang zu den vor ihnen liegenden Grün- und Freiflächen haben. Zwei bewachsene Innenhöfe, die Möglichkeit, von Anfang bis Ende einen Quereinblick und Querausblick durch alle Kindergartenräume hindurch zu haben und der direkte Ausblick wie Zugang zu dem vor ihnen liegenden Wiesengrün schaffen für die Kinder räumlich starke, ganz selbstverständlich zu gebrauchende Möglichkeiten.
Im direkten Gegenüber zum nach dem ersten sozialdemokratischen Gemeinderat der Brigittenau benannten Großwohnensemble des Winarsky-Hofs lassen sich die veränderten Anforderungen und Zuschreibungen an die Stadt als Lebenswohnort gut begreifen. Der zwischen 1924 und 1926 nach Plänen von Josef Hoffmann, Josef Frank, Oskar Strnad, Oskar Wlach, Franz Schuster, Adolf Loos, Margarete Lihotzky, Karl Dirnhuber und Peter Behrens erbaute Monumentalbau umfasste zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergarten, Versammlungssaal, Bibliothek, Ateliers und Werkstätten. Im vis-à-vis des heutigen Wohnens konnte ein Kindertagesheim nur mit energischem Einsatz von Gaisrucker, Nigst und Lang durchgesetzt werden. Die allen zur Verfügung stehenden Gemeinschaftsräume haben sich unter den veränderten Vorzeichen von Individuierungsdruck und Körperbewusstsein zu Sauna- und Fitnessbereich im siebten Obergeschoss des kleineren Wohntrakts gewandelt. Kollektiver Raum für alle Wohnenden setzt auf die Körperertüchtigung des Einzelnen. Das ist neben Stiegenhäusern und Waschküchen, Garagen und Freiraum der Restraum kommunikativer Begegnungschancen. Die Brüchigkeiten des gesellschaftlichen Gefüges, die gescheiterten Visionen bereichernder Multikulturalität, die sich im realen, neoliberalen Leben als aushandelndes, Respekt von allen Seiten forderndes Nebeneinander ebenso wie konfliktreiches Miteinander herausgestellt haben, führt das Wohnen auf seine privaten Abgeschlossenheiten zurück, das hinter dem semitransparenten, Aus- und Einblicke in Andeutungen gewährende Vorhangraster einen Rückzugsraum zu behaupten sucht. Das nahe Aufeinandertreffen des Verschiedenen verschiebt sich in das lern- und integrierfähige Kindergartenalter mit seinen querdurchleuchteten, quer Durchsicht gewährenden, das Innen mit dem Außen über Glastunnel verbindenden Räumen. Hier ist Begegnungsdichte nicht nur möglich, sondern räumlich gefördert. (Gekürzter Text: Elke Krasny)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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