Bauwerk

Max-Bill-Platz
Haerle Hubacher - Zürich (CH) - 2006
Max-Bill-Platz, Foto: René Dürr
Max-Bill-Platz, Foto: René Dürr

Virtuelle Kuben und echtes Leben

Nicht alle Gebäude, die den Max-Bill-Platz in Neu-Oerlikon säumen, erfüllen den Anspruch einer Platzrandbebauung – was auf mangelnde Weitsicht in einem frühen Stadium der Planung zurückzuführen ist. Dank kommerzieller Erdgeschossnutzungen und einer kunstvollen Gestaltung entwickelt sich der Platz dennoch zum Mittelpunkt des neuen Stadtteils.

31. Juli 2007 - Judit Solt
Der Max-Bill-Platz soll zum Zentrum von Neu-Oerlikon werden. Geografisch ist er es schon: Er liegt an der Schnittstelle zwischen dem Binzmühle-Quartier beim Bahnhof Oerlikon und dem weiter nordwestlich gelegenen Birch-Quartier. Er ist auch der einzige Platz im neuen Stadtteil, der einen urbanen Charakter besitzt, denn bis zu seiner Fertigstellung im November 2006 bestimmten vor allem monofunktionale Großbauten, menschenleere Straßen und frisch bepflanzte Parks das Bild des Quartiers. Doch wurde offensichtlich bereits jetzt aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit gelernt: Die Platzbebauung weist eine gemischte Nutzung auf, in den Erdgeschossen sind Läden und Restaurants untergebracht und der Platz selbst hat dank Hartbelag, Sitzgelegenheiten und Schattenspendenden Föhren eine hohe Aufenthaltsqualität. Der Ort könnte also in der Tat zum belebten Zentrum Neu-Oerlikons werden. Erste Ansätze für eine positive Entwicklung sind bereits zu sehen – unübersehbar sind aber leider auch die Chancen, die in einem frühen Stadium der städtebaulichen Planung verpasst worden sind und die auch die beste Platzgestaltung nicht mehr wettmachen kann.

Ein Platz entsteht
Die dreieckige Form des Platzes ist durch die Geometrie der beiden angrenzenden Quartiere bestimmt. Das Binzmühle-Quartier basiert auf einem orthogonalen Raster, dessen Hauptrichtung parallel zu den Bahngleisen verläuft. Das Birch-Quartier ist ebenfalls orthogonal angelegt, seine Orientierung jedoch um etwa 30 Grad verdreht. Beide Strukturen gehen auf die Industrieanlagen zurück, die vor wenigen Jahrzehnten an diesem Ort standen – und wie diese bilden auch die neuen Gebiete Inseln, die in sich schlüssig sind, aber wenig Bezug zu ihren Nachbarn aufbauen. Zwischen den zwei Quartieren verläuft die Binzmühlestraße; entlang dieser Achse treffen die beiden rechteckigen Raster aufeinander und bilden dreieckige Restflächen, eine davon ist der Max-Bill-Platz.

Gute Seiten, schlechte Seiten
An sich bietet dieses unkontrollierte Aufeinanderprallen zweier regelmäßiger Geometrien gestalterisches Potenzial. Leider wurde es bei der Planung des ersten Gebäudes, das hier erstellt wurde, sträflich vernachlässigt. Das 1998–2001 von atelier ww realisierte »Center Eleven« liegt an der Binzmühlestraße und bildet somit die längste Kante des Platzes – präsentiert ihm jedoch seine Rückfassade. Der Bau umfasst ein Einkaufszentrum mit Baumarkt, Büros, Gewerbe, ein öffentliches Parkhaus und 86 Mietwohnungen. Der »multifunktionale Komplex« mit Zentrumsfunktion ist eine Welt für sich. Zwar öffnet er sich mit einem Vorplatz zum Binzmühle-Quartier, gegenüber der stark befahrenen Binzmühlestraße schottet er sich jedoch ab: Der untere Bereich der Fassade ist weitgehend geschlossen, und hinter dem Bandfenster im zweiten Obergeschoss sind die Holzgitter erkennbar, welche die Kellerabteile der darüber liegenden Wohnungen voneinander trennen. Diese ablehnende Haltung ist insofern verständlich, als zum Zeitpunkt des Entwurfs Neu-Oerlikon noch hauptsächlich aus Industrieruinen und Baustellen bestand; sie lässt jedoch wenig Weitblick erkennen. Trotz sorgfältiger Gestaltung in dunklem Klinker ist keine tristere Platzfassade denkbar.
Jenseits der Straße ist die Situation anders. An der Westseite des Platzes steht das Wohn- und Geschäftshaus »Max-Bill-Platz«, das ebenfalls von atelier ww entworfen und zwischen 2004 und 2006 erbaut wurde. Ursprünglich war an dieser Stelle das »Grand Casino Zürich« geplant, das jedoch keine Lizenz erhielt – was nachträglich als Glück zu werten ist. Der Neubau ist um zwei Höfe organisiert. Der größere Hofrand dabei vom Platz zurückversetzt. In den Obergeschossen enthält er eine Seniorenresidenz mit Pflegeabteilung, im Erdgeschoss sind die öffentlichen Bereiche der Institution sowie ein Kindergarten untergebracht. Der Hof selbst ist an zwei Stellen offen, so dass eine Gehverbindung zwischen Birchstraße und Oerlikerpark entsteht. Der kleinere Hofrand definiert die Westkante des Platzes. Das gesamte Erdgeschoss inklusive Hof wird von Läden und einem Restaurant genutzt; auf der Ebene des ersten Obergeschosses liegt der halbprivate Hof, welcher zu den insgesamt 48 Wohnungen im oberen Geschoss gehört. Das Gebäude reagiert differenziert auf die angrenzenden Außenräume, die Fassadengestaltung ist gelungen und die in Zusammenarbeit mit dem Künstler Harald F. Müller entwickelte Farbgebung – die Außenfassaden sind perlgrau verputzt, die Innenfassaden leuchten gelbgrün – setzt willkommene Akzente.
Die Nordseite des Platzes schließlich prägt das 2006 bezogene Wohn- und Geschäftshaus »Accu« von Voelki Partner Architekten. Auch hier handelt es sich um einen Block mit zwei Höfen und publikumswirksamen Nutzungen im Erdgeschoss. An der südöstlichen Ecke gibt es ein Hotel, zum Platz hin Läden und Gastronomiebetriebe, in Richtung Oerlikerpark im Westen beziehungsweise Wahlenpark im Norden weitere Läden, Gewerbe und Dienstleistungen. Die Wohnungen richten sich an ein heterogenes Publikum: Familien, kinderlose Berufseinsteiger und so genannte Kosmopoliten, die mit Maisonnetten im Attikabereich angelockt werden sollen. Ungewöhnlich sind die Wohnungen auf der Platzseite, wo in Kooperation mit der Studentischen Wohngenossenschaft Zürich (Woko) Wohnungen für Studierende erbaut wurden. Jeweils zwei Einheiten werden über eine zum Platz orientierte Loggia erschlossen, die auch als gemeinsamer Außenraum fungiert. Damit haben sich die Investoren bewusst um eine soziale Durchmischung und Belebung des Gebiets bemüht – unter anderem auch, um eine langfristig gute Performance zu sichern: Selbst im von chronischer Wohnungsnot geplagten Zürich ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, in Neu-Oerlikon Wohnungen zu vermieten.

Komplexe Ordnung
Der Max-Bill-Platz wurde vom Bildhauer Christoph Haerle und der Architektin Sabina Hubacher gestaltet, die auch für den Oerlikerpark verantwortlich zeichnen. Der Entwurf leitet sich aus den Gesetzmäßigkeiten der beiden angrenzenden Quartiere ab und thematisiert deren Zusammentreffen; gleichzeitig definiert er eine starke Mitte für das heterogen gesäumte Dreieck. Die dafür eingesetzten Mittel sind ebenso kunstvoll wie preisgünstig: Der Bodenbelag besteht aus gewöhnlichen rechteckigen Zementplatten, die jedoch unterschiedlich gefärbt sind – entweder einheitlich weiß, grau oder schwarz, oder aber diagonal in zwei unterschiedlich farbige Hälften unterteilt. Die Platten sind jedoch so verlegt, dass aus diesen einfachen Vorgaben ein außerordentlich komplexes Ergebnis resultiert.
Das Platzmuster ergibt sich aus der Weiterführung und Überlagerung der orthogonalen Geometrien des Binzmühle- und des Birch-Quartiers. Die Dreifarbigkeit des Plattenmusters wiederum lässt sich auf ein Grundmuster der Platonischen und Euklidischen Geometrie zurückführen, bei dem es um die räumliche Darstellung des Kubus im Sechseck geht: Durch die Kombination zweifarbiger Platten entstehen Rhomben, die zusammen mit den einfarbigen Rechtecken in der Fläche liegende, aber räumlich wirkende Kuben zeichnen. Dieses geometrische Phänomen findet sich bereits in frühen Mosaikböden. Und nicht zuletzt hat es auch Max Bill fasziniert, nach dem der Platz benannt ist und in dessen Werk die Analyse von geometrischen Formen und Körpern eine zentrale Rolle spielt. Im Gegensatz zu den strengen, geschlossenen Systemen der Konkreten Kunst weist der Platz jedoch freie Elemente auf; runde, von Sitzbänken umgebene Pflanzpunkte mit wildwüchsigen Föhren, die über den Platz bis an die Birchstraße hinausgreifen.
Für den unaufmerksamen Spaziergänger ist der Platz einfach ein anregender Ort, wo sich von jedem Standpunkt aus betrachtet irgendwo Kuben aus dem Boden zu erheben scheinen. Er ist aber auch ein Konzentrat räumlicher, zeitlicher und thematischer Bezüge – und mit dieser inhaltlichen Dichte, die sich nicht auf Ausnutzungsziffern beschränkt, eine echte Bereicherung für Neu-Oerlikon.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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